Entscheidungsstichwort (Thema)

Prüfung der "Bereiterklärung" trotz Vergleich?

 

Leitsatz (redaktionell)

Zur Prüfung der Frage, ob eine Erklärung abgegeben worden ist, die den gesetzlichen Erfordernissen einer Bereiterklärung iS des AVG § 141 Abs 2 entspricht, ist die Beklagte trotz des Vergleichs berechtigt und verpflichtet gewesen.

Der durch die Vorsprache bei einer zuständigen Stelle zum Ausdruck gekommene allgemeine Wille des Versicherten, vor Eintritt eines Versicherungsfalles die Versicherung in Ordnung zu bringen, ist nicht als eine Bereiterklärung anzusehen.

 

Normenkette

AVG § 141 Abs. 2 Fassung: 1957-02-23; RVO § 1419 Abs. 2 Fassung: 1957-02-23

 

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 24. Januar 1967 wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

I

Die Beklagte bewilligte der Klägerin (geb. am 14. Dezember 1899) mit Bescheid vom 23. Juni 1960 eine Rente wegen Berufsunfähigkeit ab 1. Februar 1960 nach den ab 1. Januar 1957 geltenden Vorschriften; die Bewilligung einer Rente nach altem Recht (Art. 2 § 41 des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes - AnVNG -) lehnte die Beklagte ab, weil die Klägerin für das Jahr 1958 keine Beiträge geleistet habe.

Die Klägerin erhob Klage; sie begehrte die - für sie günstigere - Rente nach altem Recht. Sie machte geltend, ihr Ehemann habe im Jahre 1959 beim Städtischen Versicherungsamt in M vorgesprochen, um ihre Versicherung in Ordnung zu bringen. Dort sei ihm erklärt worden, die Klägerin habe für die Rente nach altem Recht lediglich noch neun Beiträge für das Jahr 1959 zu entrichten, was sie darauf auch getan habe; der Ehemann der Klägerin sei aber bei dieser Vorsprache bereit gewesen, auch etwa noch erforderliche Beiträge für das Jahr 1958 zu entrichten.

Am 11. Februar 1963 schlossen die Beteiligten vor dem Sozialgericht (SG) München folgenden Vergleich:

"I. Der Vertreter der Beklagten erklärt, daß diese bereit sein wird, die für das Jahr 1958 erforderlichen Beiträge in einer angemessenen Frist noch entgegenzunehmen und eine neue Berechnung der Rente zu veranlassen, wenn der Klägerin der Nachweis gelingt, daß sie sich bereits im Jahre 1959 gegenüber dem Städtischen Versicherungsamt der Stadt M zur Nachentrichtung von Beiträgen für das Jahr 1958 bereit erklärt hat (§ 141 Abs. 2 des Angestelltenversicherungsgesetzes - AVG -).

II. Der Vertreter der Klägerin erklärte sich mit diesem Angebot einverstanden und nimmt die Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 23. Juni 1960 zurück.

III. Die Beteiligten sind sich darüber einig, daß mit Abschluß dieses Vergleichs der Rechtsstreit in vollem Umfange erledigt ist."

Mit Schreiben vom 26. April 1963 legte die Klägerin der Beklagten eine eidesstattliche Erklärung ihres Ehemannes über dessen Vorsprache beim Städtischen Versicherungsamt M am 23. November 1959 vor und forderte die Beklagte auf, nunmehr die neun Monatsbeiträge für das Jahr 1958 entgegenzunehmen.

Die Beklagte teilte der Klägerin mit Schreiben vom 15. Mai 1963 mit, daß sie den Nachweis einer Bereiterklärung im Sinne des § 141 Abs. 2 AVG nicht als erbracht ansehen könne; sie verblieb auch in weiterem Schriftwechsel bei dieser Auffassung.

Die Klägerin erhob nunmehr erneut Klage und beantragte, die Beklagte zu verurteilen, die für die Vergleichsberechnung (Art. 2 § 41 AnVNG) erforderlichen neun Beiträge für das Jahr 1958 entgegenzunehmen; hierzu sei die Beklagte auf Grund des Vergleichs verpflichtet.

Das SG München wies die Klage mit Urteil vom 17. November 1964 ab. Die Berufung der Klägerin wies das Bayerische Landessozialgericht (LSG) durch Urteil vom 24. Januar 1967 zurück: Die Beklagte sei nicht verpflichtet, die für die Durchführung der Vergleichsberechnung (Art. 2 § 41 AnVNG) erforderlichen neun Beiträge für das Jahr 1958 entgegenzunehmen; bei der Vorsprache beim Städtischen Versicherungsamt München im November 1959 habe der Ehemann der Klägerin keine Bereiterklärung im Sinne des § 141 Abs. 2 AVG hinsichtlich der Entrichtung von neun Beiträgen für das Jahr 1958 abgegeben; er habe vielmehr lediglich allgemein den Wunsch zum Ausdruck gebracht, die Versicherung der Klägerin mit Rücksicht auf ihre bevorstehende Berufsunfähigkeit in Ordnung zu bringen. Das LSG ließ die Revision zu.

Die Klägerin legte fristgemäß und formgerecht Revision ein; sie beantragte,

das Urteil des LSG und das Urteil des SG aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, neun freiwillige Beiträge für das Jahr 1958 entgegenzunehmen und sodann eine Neuberechnung ihrer Rente vorzunehmen.

Die Klägerin rügte, das LSG habe verkannt, daß die Beklagte auf Grund des Vergleichs vom 11. Februar 1963 zur Entgegennahme der Beiträge verpflichtet sei; § 141 Abs. 2 AVG sei für die Beurteilung des Falles nicht mehr maßgebend.

Die Beklagte beantragte,

die Revision zurückzuweisen.

II

Die Revision der Klägerin ist zulässig (§§ 162 Abs. 1 Nr. 1, 164 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -); sie ist aber unbegründet.

Die Auffassung der Klägerin, die Beklagte sei auf Grund des Prozeßvergleichs vom 11. Februar 1963 verpflichtet, die für die Berechnung der Rente nach den vor dem 1. Januar 1957 geltenden Vorschriften noch erforderlichen neun Monatsbeiträge für das Jahr 1958 (Art. 2 § 41 AnVNG) entgegenzunehmen, trifft nicht zu. Die Beklagte hat sich in dem Vergleich vom 11. Februar 1963 "bereit erklärt, die für das Jahr 1958 erforderlichen Beiträge in einer angemessenen Frist noch entgegenzunehmen und eine neue Berechnung der Rente zu veranlassen, wenn der Klägerin der Nachweis gelingt, daß sie sich bereits im Jahre 1959 gegenüber dem Städtischen Versicherungsamt der Stadt München zur Nachentrichtung von Beiträgen für das Jahr 1958 bereit erklärt hat (§ 141 Abs. 2 AVG)". Damit hat sich die Beklagte nicht verpflichtet, die Erklärungen des Ehemannes der Klägerin bei seiner Vorsprache beim Versicherungsamt vom 23. November 1959 ohne Würdigung ihres Inhalts als eine Bereiterklärung im Sinne der §§ 141 Abs. 2, 142 AVG anzusehen; sie hat sich vielmehr erkennbar vorbehalten, zu prüfen, ob der Ehemann gegenüber dem Versicherungsamt eine Erklärung abgegeben hat, die den gesetzlichen Erfordernissen einer Bereiterklärung als eines Ersatzes für eine tatsächliche Beitragsleistung entspricht. Die Verpflichtung, die die Beklagte in dem Vergleich übernommen hat, hat sich auf den Nachweis dieser Erklärung bezogen, nur diese Erklärung ist die "im Vergleich geforderte" Erklärung gewesen. Zur Prüfung der Frage, ob eine Erklärung abgegeben worden ist, die den gesetzlichen Erfordernissen einer Bereiterklärung im Sinne des § 141 Abs. 2 AVG entspricht, ist danach die Beklagte trotz des Vergleichs berechtigt und verpflichtet gewesen. Es hat auch keine Unklarheit darüber bestehen können, daß der Vergleich nicht schon die Verpflichtung der Beklagten begründet hat, eine Unterredung des Ehemannes mit dem Auskunftsbeamten des Versicherungsamts ohne Rücksicht auf die tatsächliche und rechtliche Würdigung der hierbei abgegebenen Erklärungen als eine Bereiterklärung im Sinne des § 141 Abs. 2 AVG "anzuerkennen". Wenn die Beklagte demnach die Entgegennahme von Beiträgen für 1958 erneut abgelehnt hat, weil nach dem Ergebnis ihrer Prüfung eine rechtswirksame Bereiterklärung im Sinne des § 141 Abs. 2 AVG nicht vorgelegen habe, so hat sie damit den Vergleich vom 11. Februar 1963 nicht verletzt. Die Beklagte hat insoweit auch rechtmäßig gehandelt; ihre Ansicht, eine Bereiterklärung im Sinne des § 141 Abs. 2 AVG habe nicht vorgelegen, trifft zu.

Das LSG hat in tatsächlicher Hinsicht festgestellt, der Ehemann der Klägerin habe zwar im November 1959 bei dem Versicherungsamt vorgesprochen, um auf Grund der bald zu erwartenden Berufsunfähigkeit seiner Ehefrau deren Versicherung in Ordnung zu bringen, er habe jedoch dem auskunftsgebenden Beamten gegenüber nicht zu erkennen gegeben, daß er bereit sei, für das Jahr 1958 neun Monatsbeiträge zu entrichten.

Diese Feststellungen sind mit Verfahrensrügen nicht angegriffen; sie sind daher für das Revisionsgericht bindend (§ 163 SGG).

Aus den weiteren - ebenfalls unangegriffenen - Feststellungen des LSG ist zu entnehmen, daß der Ehemann der Klägerin bei seiner Vorsprache beim Versicherungsamt überhaupt keine Klarheit darüber erlangt hat, daß für die Rente nach altem Recht auch noch die Entrichtung von neun Beiträgen für das Jahr 1958 notwendig gewesen ist, sei es deshalb, weil ihm eine falsche Auskunft erteilt worden ist, sei es deshalb, weil er die ihm erteilte Auskunft falsch verstanden hat. Eine wirksame Bereiterklärung setzt aber voraus, daß "der Wille des Versicherten zur Nachentrichtung der konkret zu bestimmenden Beiträge erkennbar in Erscheinung getreten ist"; insbesondere muß erkennbar sein, für welchen Zeitraum Beiträge entrichtet werden sollen (BSG 10, 264; 15, 270). Das LSG hat diese Voraussetzungen im vorliegenden Fall zu Recht verneint. Wenn sich der Ehemann der Klägerin bei seiner Unterredung mit dem Beamten des Versicherungsamts der Notwendigkeit, daß noch neun Beiträge für 1958 zu entrichten gewesen sind, überhaupt nicht bewußt geworden ist, so hat er auch nicht einen Willen erkennen lassen können, diese Beiträge zu entrichten. Das LSG hat mit Recht die Auffassung vertreten, daß der durch die Vorsprache bei einer zuständigen Stelle zum Ausdruck gekommene allgemeine Wille des Versicherten, vor Eintritt eines Versicherungsfalles die Versicherung in Ordnung zu bringen, nicht als eine Bereiterklärung im Sinne des § 141 Abs. 2 AVG anzusehen ist. Die Bereiterklärung, die ersatzweise an die Stelle der tatsächlichen Beitragsleistung treten soll, muß sich ausdrücklich auf die konkrete nachzuholende Beitragsleistung beziehen, sie kann nicht aus Äußerungen allgemeinen Inhalts hergeleitet werden; sie ist auch nicht aus dem allgemein geäußerten Wunsch zu entnehmen, daß die bestmögliche Rentenleistung erstrebt werde.

Hat keine Bereiterklärung im Sinne des § 141 Abs. 2 AVG vorgelegen, so hat die Klägerin nach Eintritt ihrer Berufsunfähigkeit (1. Februar 1960) keine freiwilligen Beiträge mehr für Zeiten vorher entrichten dürfen (§ 141 Abs. 1 AVG). Die Beklagte hat zu Recht die Entgegennahme der neun Beiträge für das Jahr 1958 abgelehnt. Das LSG hat damit die Sach- und Rechtslage zutreffend beurteilt. Wenn die Nichtentrichtung der für die Vergleichsberechnung erforderlichen neun Beiträge für 1958, die zur Folge hat, daß der Klägerin die für sie günstigere Rente nach altem Recht zu versagen ist, darauf zurückzuführen ist, daß dem Ehemann der Klägerin von dem Beamten des Versicherungsamts der Stadt München schuldhaft eine unrichtige Auskunft erteilt worden ist, so wäre die Klägerin insoweit nach den Grundsätzen der Amtshaftung für behördliche Auskünfte geschützt (§ 839 des Bürgerlichen Gesetzbuches; vgl. auch Bayer, Die Rechtsprechung zur Amtshaftung für behördliche Auskünfte, NJW 1962, 613 ff; ferner BSG 25, 219 und Urteil des Bundessozialgerichts - BSG - vom 20. Februar 1962 - 1 RA 215/59 -). Die Entscheidung von Streitigkeiten hierüber obliegt jedoch nicht den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit. Auch insoweit ist die Rechtsauffassung des LSG nicht zu beanstanden. Die Revision ist danach als unbegründet zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2375105

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