Leitsatz (amtlich)

1. Nach dem erkennbaren Zweck des ArVNG Art 2 § 8 endet dessen Verweisung auf RVO § 1249 in dieser Vorschrift und umschließt trotz des Klammerzusatzes in RVO § 1249 S 1 nicht eine Weiterverweisung auf RVO § 1250 (Festhaltung BSG 1959-01-28 1 RA 139/58 = BSGE 9, 92; BSG 1959-07-08 4 RJ 47/58 = BSGE 10, 151).

2. Bei Leistungsansprüchen aus Versicherungsfällen, die vor dem 1957-01-01 eingetreten sind, ist für die Umrechnung von Beitragswochen in Beitragsmonate nach wie vor RVO § 1262 Abs 3 aF anzuwenden. Bei der danach vorzunehmenden Umwandlung von Beitragswochen in Beitragsmonate bleibt ein Rest von weniger als 4 Beitragswochen außer Betracht (Abweichung BSG 1958-02-25 3 RJ 316/55 = SozR Nr 3 zu § 1262 RVO).

 

Normenkette

ArVNG Art. 2 § 8 Fassung: 1957-02-23; RVO § 1249 S. 1 Fassung: 1957-02-23, § 1250 Fassung: 1957-02-23, § 1262 Abs. 3 Fassung: 1949-06-17

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts in München vom 20 . Oktober 1960 wird zurückgewiesen .

Kosten sind nicht zu erstatten .

Von Rechts wegen .

 

Tatbestand

Die Beklagte lehnte es mit Bescheid vom 17. Oktober 1957 ab , dem beigeladenen Versicherten die beantragte Rente zu bewilligen , weil er die vorgeschriebene Wartezeit nicht zurückgelegt habe . Andererseits erschien es der Beklagten zweifelsfrei , daß der Versicherungsfall beim Versicherten längst eingetreten sei . Die ärztlichen Begutachtungen hatten ergeben , daß die Leistungsfähigkeit des im Januar 1897 geborenen Versicherten zunehmend seit dem Jahre 1951 wegen starker vorzeitiger Alterung , de generativer Veränderungen an Lunge , Herz und Wirbelsäule sowie wegen der Folgen einer Magenresektion abgesunken war , und daß der Versicherte sicher schon vor dem 1. Januar 1957 keine Arbeiten von nennenswertem wirtschaftlichem Wert mehr habe leisten können .

Was nun den Streitpunkt der anrechnungsfähigen Versicherungszeiten anbelangt , so ergab sich , daß während der Jahre 1913 und 1914 für den Versicherten

in die Versicherungskarte Nr . 1

 52 Wochenmarken

verwendet worden waren . Daran schloß sich eine Kriegsdienstzeit vom 25 . Januar 1915 bis 30 . April 1917 an , welche die Beklagte mit 119 Wochen berechnete . Die Quittungskarte Nr . 2 enthält keine Beitragsmarken und die am 27 . Juli 1957 ausgestellte sowie am 16 . Mai 1941 aufgerechnete Quittungskarte Nr . 3 weist

2 Wochenmarken

auf . Über die Anzahl der durch die Quittungskarte Nr . 4 nachgewiesenen Beiträge herrscht Unklarheit . Nach der Zusammenstellung , die am 16 . Oktober 1956 bei der Aufrechnung durch das Versicherungsamt L ... auf die Quittungskarte selbst vermerkt wurde , enthielt diese Karte

23 Wochenbeiträge

verschiedener Klassen . Allerdings ist die in die Spalte der Klasse IV handgeschriebene Zahl - allem Anschein nach war dies eine "4" - nachträglich in eine "1" umgewandelt worden . Die im Besitz des Versicherten befindliche Aufrechnungsbescheinigung über die Quittungskarte Nr . 4 führt denn auch nicht 23 , sondern 26 Wochenbeiträge auf . Die Beklagte ging von der ersterwähnten Beitragsmenge aus und kam so zu einer Endsumme von

77 Beitragswochen

 oder - umgerechnet - zu

18 Beitragsmonaten ,

die , um eine Ersatzzeit von

28 Kriegsdienstmonaten

 vermehrt; eine Gesamtzeit von nur

46 Monaten ,

also nicht die Wartezeit ausmache . -

An dieser Rechtslage änderte sich , auf das Ergebnis gesehen , auch nichts , als im Laufe des Rechtsstreits der Nachweis für weitere

 13 Beitragsmonate

geliefert wurde . Die entsprechenden Beiträge waren , wie sich später herausstellte , im Lohnabzugsverfahren aufgebracht worden .

Die gegen die Verweigerung der Rentenleistung gerichtete Klage wurde von dem Sozialgericht Landshut durch Urteil vom 12 . September 1958 abgewiesen . Auch die Berufung an das Bayerische Landessozialgericht blieb ohne Erfolg (Urteil vom 20 . Oktober 1960) . Das Landessozialgericht ließ es indessen offen , ob auf der Quittungskarte Nr . 4 nur 23 oder nicht doch 26 Wochenbeiträge verwendet worden seien . Es glaubte , dies unbeantwortet lassen zu können , und führte hierzu aus; Unterstelle man , daß außer einer Kriegsdienstzeit von

28 Monaten

 und einer durch Lohnabzugsnachweis belegten Beitragszeit von

13 Monaten

die höchstmögliche Summe von 80 Beitragswochen anzusetzen sei , dann ergäben sich

18 Monate u . 2 Wochen.

Zu diesem Resultat gelangte das Landessozialgericht auf Grund der Formel des § 1262 der Reichsversicherungsordnung (RVO) in der bis zum 31 . Dezember 1956 geltenden Fassung , wonach je 13 Beitragswochen als 3 Beitragsmonate und von dem verbleibenden Rest je 4 Beitragswochen als ein Beitragsmonat galten , weniger als 4 Beitragswochen aber unberücksichtigt blieben . Alles in allem betrage - so folgerte das Berufungsgericht - nach dieser Berechnungsmethode die volle Versicherungszeit

59 Monate .

In rechtlicher Hinsicht sah sich das Berufungsgericht in Widerspruch gesetzt zu einer Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 25 . Februar 1958 (3 RJ 316/55 , veröffentlicht in SozR RVO § 1262 aF Aa 2 Nr . 3) . Dort war , ebenfalls bei einem älteren (vor dem 1. Januar 1957 eingetretenen) Versicherungsfall die durch Wochenbeiträge belegte Versicherungszeit nicht nach Maßgabe des früheren , sondern nach der Formel des neuen Rechts umgerechnet worden . Träfe nun - so meinte das Berufungsgericht - diese Auffassung zu , dann wären die im vorliegenden Falle nach Umwandlung auf Monatsbeiträge übrigbleibenden 2 Wochenbeiträge einem ganzen Monatsbeitrag gleichzusetzen . Die Folge daraus wäre , daß der Versicherte die Wartezeit erfüllt hätte; eine Lösung , der sich das Berufungsgericht nicht anschließen konnte .

Das Urteil des Landessozialgerichts ist dem Kläger am 5 . Dezember 1960 zugestellt worden . Er hat hiergegen am 11 . Dezember 1960 die - zugelassene - Revision eingelegt und diese am 26 . Januar 1961 begründet . Er erblickt einen Rechtsirrtum des Berufungsgerichts darin , daß dieses die Sache nach § 1262 Abs . 3 RVO in der früheren Fassung beurteilte und nicht die jetzt geltende Umrechnungsweise (§ 1250 Abs . 2 Satz 2 RVO nF) anwandte . Das könne - so argumentiert der Kläger - schon deswegen nicht richtig sein , weil der Rentenanspruch überhaupt nur aus dem neuen Recht hergeleitet werden könne , da vorher wegen Verlustes der Anwartschaft die Rentenleistung nicht habe gefordert werden können .

Der Kläger beantragt ,

das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 20 . Oktober 1960 , das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 12. September 1958 und den Bescheid der Beklagten vom 17 . Oktober 1957 aufzuheben sowie die Beklagte zu verpflichten , ab 1. Januar 1957 die Versichertenrente wegen Erwerbsunfähigkeit zu gewähren .

Die Beklagte beantragt ,

die Revision zurückzuweisen .

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist zugelassen und daher statthaft; sie ist auch in rechter Form und Frist eingelegt und begründet worden .

Gegen die Befugnis des klagenden Bezirksfürsorgeverbandes , den Leistungsanspruch des Versicherten gegen den beklagten Versicherungsträger zu verfolgen , bestehen keine Bedenken . Die Sachberechtigung des Klägers findet ihre rechtliche Stütze in § 1538 RVO .

Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg . Das Berufungsgericht hat richtig entschieden , daß dem Versicherten die Rente nicht zustehe , weil er die vorgeschriebene Mindestzahl von Beiträgen nicht erbracht habe . An der Feststellung des Landessozialgerichts , daß dem Versicherten lediglich eine Versicherungszeit von 59 Beitragsmonaten gutzubringen sei und daß der bei der Umrechnung von Beitragswochen in Beitragsmonate übrigbleibende Rest von 2 Wochen nicht auf einen vollen Beitragsmonat aufgerundet werden könne , ist rechtlich nichts auszusetzen . Das Landessozialgericht leitet dieses Ergebnis zutreffend aus § 1262 Abs . 3 RVO in der bis zum 31 . Dezember 1956 geltenden Fassung her . Auf diese ältere bis zur Rentenversicherungsreform des Jahres 1957 maßgebliche Bestimmung kommt es in der gegenwärtigen Sache an , weil der Versicherungsfall während der Geltungsdauer des früheren Rechts eingetreten ist (Art . 2 § 5 des Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetzes - ArVNG -) .

Die Deutung , die das Berufungsgericht dem § 1262 Abs . 3 RVO aF gegeben hat , hat sich seit dem Spruch des Bayerischen Landesversicherungsamts vom 5 . Mai 1953 (Breithaupt 1953 , 855 , 856 ff) durchgesetzt . Ihr ist zu folgen . Sie versteht § 1262 Abs . 3 RVO aF allein aus sich heraus . Das will sagen: ein Rest , der nach Anwendung der Formel "13 Beitragswochen = 3 Beitragsmonate" verbleibt und - wie im gegenwärtigen Fall - weniger als 4 Wochen ausmacht , wird nicht in Rechnung gestellt , - wirkt sich also auf die Zahl der anzuerkennenden Beitragsmonate überhaupt nicht aus . Diese Folge ist nichts Außergewöhnliches . Der Versicherte wird nicht anders "behandelt wie derjenige , für den in der Invalidenversicherung auf Grund der Versicherungspflicht nur 258 oder weniger , also nicht 260 Wochenbeiträge aufgewendet worden waren und der infolgedessen nach § 1262 in der Fassung des Gesetzes vom 21 . Dezember 1937 die Wartezeit nicht erfüllte . - Dieses Resultat leuchtet - an und für sich genommen - ein; Zweifel an seiner Richtigkeit tauchen indessen auf , wenn man die gefundene Lösung an Abs . 2 des § 1262 RVO aF mißt . Nach diesem Absatz sind Kalendermonate , die nur teilweise mit Beitragszeiten belegt sind , wie volle Beitragsmonate anzusehen . Zugespitzt , aber nicht falsch ausgedrückt , heißt das: Ein Beitragstag gilt wie ein ganzer Monat! Demgegenüber mag es als eine Ungereimtheit und Unausgeglichenheit , ja als eine unpassende Härte des Gesetzes erscheinen , wenn in den Fällen , die nach Abs . 3 desselben Paragraphen zu beurteilen sind , sogar mehrere Wochenbeiträge dem Versicherten nicht gleichermaßen als ein Monat zustatten kommen . Stellt man rein auf den Gesichtspunkt des Zeitablaufs ab , so will die ungleiche Bewertung je nachdem , ob Abs. 2 oder Abs . 3 eingreift , nicht überzeugen . Man möchte meinen , aus Abs . 2 sei über seinen engeren Wortlaut hinaus ganz allgemein - und damit auch auf Abs . 3 übertragbar - die Tendenz zu entnehmen; es genüge , wenn der im Versicherungsverlauf letzte Kalendermonat nur soeben begonnen habe .

Dazu ist zu bemerken: Eine solche Lesart ist ausschließlich von der Zeitvorstellung beherrscht . Von diesem Blickwinkel aus ist man geneigt , Ungleichheiten zu vermeiden , die sich daraus ergeben könnten , daß man die Dauer des Versichertseins einmal nach Wochen und das andere Mal nach Monaten einteilt . Doch bleibt außerhalb des Gesichtskreises , daß das Gesetz in den Absätzen 2 und 3 des § 1262 RVO aF völlig verschiedene Dinge behandelt . In Abs . 2 wird die Beziehung hergestellt zwischen der wirklich in der Versicherung verbrachten Zeit einerseits zu dem einzelnen Beitrag andererseits . Dieser Beitrag ist ein Hilfsmittel des juristischen Denkens . Als solcher knüpft der einzelne Beitrag nur in beschränkter Hinsicht an einen wahren Zeitsachverhalt an; im übrigen stellt er einen Gegenstand der Vorstellung dar . Für die nähere Bezeichnung des Beitrags wird auf ein vorgestelltes , "fiktives" Zeitmaß zurückgegriffen , auf ein nach Wochen oder Monaten ausgerichtetes Maß , das keineswegs mit der zeitlichen Wirklichkeit des konkreten Falles übereinzustimmen braucht . Darüber , wie sich vielmehr diese Wirklichkeit zur abstrakten Maßeinheit verhält , spricht sich Abs . 2 des § 1262 RVO aF aus . Diese Vorschrift wiederholt den alten Grundsatz , daß eine Beschäftigung , wenn sie auch nur an einem Tag während eines Beitragszeitabschnitts ausgeübt wurde , geeignet ist , die Versicherung für die ganze Periode herbeizuführen (vgl . Revisionsentscheidung des Reichsversicherungsamts Nr . 79 in Amtliche Nachrichten JuAV 1891 , 184) .

Im Gegensatz hierzu äußert sich Abs . 3 des § 1262 RVO aF nicht über den Zusammenhang zwischen wirklicher Sachlage und fiktivem Zeitmaß . An dieser Stelle geht das Gesetz allein auf den letzten Punkt ein und nimmt darauf Bezug , daß das Recht der gesetzlichen Rentenversicherung verschiedene Beitragsgebilde kennt , daß die (fiktiven) Zeiteinheiten einmal in Beitragswochen und ein anderes Mal in Beitragsmonaten ausgedrückt werden . Es wird eine Relation zwischen diesen Einheiten hergestellt , mithin ein Verhältnis zwischen mehreren Beitragstypen aufgezeigt . Zwei ungleiche Beitragstypen werden auf einen Nenner gebracht .

Gewiß spielt nun der oben erwähnte Grundsatz - ein Tag wie ein Beitragsmonat (§ 1262 Abs . 2 RVO aF) - auch dort hinein , wo Wochenbeiträge in Monatsbeiträge verwandelt werden . Es versteht sich von selbst , daß beim Monatsbeitrag der genannte Grundsatz gar einen völlig anderen Effekt auslöst als beim Wochenbeitrag . Auf diese praktisch sehr voneinander abweichenden Konsequenzen geht aber das Gesetz in § 1262 RVO aF nicht ein . Dazu hat es bis zu seiner Neufassung durch das ArVNG keine Stellung genommen . Für das in Abs . 3 ausschließlich behandelte Verhältnis von Wochenbeiträgen zu Monatsbeiträgen hat es die einzelne (fiktive) Beitragseinheit als eine vorgegebene Größe unangetastet gelassen und nur die Richtlinien bestimmt , nach denen die vorhandenen (feststehenden) Wocheneinheiten in Monatseinheiten umzurechnen sind . Im Rahmen der Umrechnung hat es lediglich insoweit ein Zugeständnis gemacht , als von einem verbleibenden Rest je 4 Beitragswochen wie ein Beitragsmonat angesehen werden . Dadurch hat das Gesetz die Anforderungen an die Wartezeiterfüllung auf nur 259 Beitragswochen ermäßigt . Gerade dieses Entgegenkommen des Gesetzes rechtfertigt zusätzlich den Schluß , daß der Gesetzgeber die Problematik sehr wohl gesehen , aber auch abschließend in dem hier aufgezeigten Sinne beantwortet hat . Die Formulierung in Abs . 3 des § 1262 RVO aF erscheint wohl bedacht und läßt für eine Ergänzung durch Abs . 2 keinen Raum . Übrigbleibende , durch die Umrechnung nicht verwendete Beitragswochen , haben also unberücksichtigt zu bleiben (so schon Dersch in seinem Kommentar zum Angestelltenversicherungsgesetz , 3 . Aufl . 1926 S . 603 Anm . 8 zu § 170 Abs . 3 Satz 2 AVG in der damaligen Fassung) . Daß Abs . 3 von dem Gedanken des Abs . 2 unbeeinflußt ist , wird zudem durch einen Rückblick auf die rechtsgeschichtliche Entwicklung dieser Bestimmung erhellt .

Im Recht der Wanderversicherung besteht der Umrechnungsmodus des Abs . 3 in seinem inhaltlichen Kern bei fast gleichem Wortlaut schon seit langem . Er war vordem stets unabhängig von Überlegungen wie sie später lediglich deshalb aufkommen konnten , weil Abs . 3 des § 1262 RVO aF seine Stelle im Gesetz unmittelbar nach der des Abs . 2 fand . Die rein äußerliche Aufeinanderfolge der beiden Vorschriften läßt jedoch allein noch nicht den Schluß auf einen Sinneswandel des Gesetzes zu .

An dieser Rechtslage hat sich erst etwas durch das ArVNG geändert . § 1250 Abs . 2 Satz 2 RVO nF läßt auch einen letzten Rest von weniger als 4 Wochen als einen vollen Kalendermonat gelten . Der Vorteil dieser neuen Vorschrift kommt jedoch dem Versicherten in der gegenwärtigen Sache nicht zugute . § 1250 Abs . 2 Satz 2 RVO nF ist - wie bereits kurz erwähnt wurde - auf Leistungsansprüche aus Versicherungsfällen , die vor dem 1 . Januar 1957 eingetreten sind , nicht anwendbar . Eine Rückwirkung ist insoweit dem neuen Recht nicht beigelegt worden . Art . 2 § 8 Satz 1 ArVNG widerstreitet dieser Ansicht nicht . Die von dieser übergangsrechtlichen Vorschrift ausgehende Verweisungskette spricht nur scheinbar für das Gegenteil . Es ist freilich nicht von der Hand zu weisen , daß Art . 2 § 8 ArVNG nicht bloß § 1249 RVO nF für anwendbar erklärt , sondern damit auch gleichzeitig auf eine Bestimmung überleitet , die ihrerseits § 1250 zitiert , welcher selbst wieder § 1251 anführt . Durch den auf § 1249 RVO nF lautenden Hinweis in Art . 2 § 8 ArVNG wird indessen nicht notwendig die Regelung des § 1250 in vollem Umfange auf das zwischenzeitliche Recht übernommen . Der Klammerzusatz in § 1249 bedeutet - vom hier eingenommenen Standort aus - nichts weiter als eine Anspielung auf die Definition des Begriffs "Versicherungszeit" . Damit sind nicht gleichzeitig auch schon sämtliche neu geprägten Tatbestandsmerkmale dieses Begriffs bis in die letzten Einzelheiten hinein rückwirkend für maßgeblich erklärt worden . Für das Leistungsrecht aus den älteren Versicherungsfällen ist vielmehr in Art . 2 § 5 ArVNG die entgegenstehende Anordnung getroffen worden .

Das Bundessozialgericht hat in anderem Zusammenhang wiederholt ausgesprochen , daß die gesetzgeberische Absicht , die sowohl dem Art . 2 § 8 ArVNG als auch dem § 1249 RVO nF zugrunde liegt , den Weg in die Richtung der Weiterverweisungen verstellt . Die gleiche Folgerung hat es aus dem Sinnzusammenhang gezogen , in den die genannten Vorschriften eingebaut sind (vgl . BSG 9 , 92 ff; 10 , 151 , 155) .

Zu der Frage , was es mit der Verweisung des Art. 2 § 8 Satz 1 ArVNG auf sich hat , sind freilich die Meinungen geteilt . Einige Instanzgerichte (so aus neuerer Zeit: LSG Essen vom 1 . März 1961 - L 3 An 300/58 - ) haben sich dem Bundessozialgericht nicht angeschlossen . Sie wollen die - von dem erkennenden Gericht vertretene - einschränkende , "reduzierende" Interpretation nicht mitmachen , weil - so wird argumentiert - der Textfassung des Gesetzes zuwider einem Teil der Regelung die "rechtliche Verbindlichkeit abgesprochen werde" . Für die Gegenmeinung endet die Verweisung nicht bei einem "Torso" des § 1249 RVO nF , sondern reicht über das in § 1250 RVO enthaltene Zitat hinaus bis zu § 1251 . Mit Ausnahme der Vorschrift über die fiktive Wartezeiterfüllung , für welche eigene Übergangsregeln bestehen , hätte mithin der gesamte mit den Worten "Anrechnungsfähige Versicherungszeiten für die Erfüllung der Wartezeit" überschriebene Unterabschnitt für alle Versicherungsfälle zu gelten , für die ausdrücklich nichts Abweichendes bestimmt ist .

Das Gewicht dieser Einwände ist nicht zu verkennen . Sieht man dabei von den Argumenten ab , die speziell die frühere Geltung des neuen Ersatzzeitenrechts (§ 1251 RVO nF) betreffen , dann gewinnt man indessen den Eindruck , daß der rein äußeren Textgestaltung des Gesetzes eine allzu uneingeschränkte Achtung gezollt wird . Obgleich die Verweisung als solche ein substanzloses Kunstmittel ist , ein Konstruktionsgebilde , das sich im Technischen erschöpft, wird sie , so wie sie in ihrer Abstraktheit dasteht , hingenommen . Die geäußerten Beweggründe des Gesetzgebers treten in den Hintergrund , wiewohl das durch die Verweisung unmittelbar Erklärte jeglichen Eigengehalts entbehrt . Man verdeckt sich die Einsicht , daß die Verweisung nur Möglichkeiten der Interpretation absteckt , aber nicht selbst eine endgültige Antwort gibt: daß das Gesetz vielleicht mehr sagt , als es erkennbar sagen will . Um den eine Verweisung leitenden Gedanken herauszustellen , hat man stets und in jedem einzelnen Fall ihre materielle Bedeutung klarzulegen . Man hat einerseits nach dem Zusammenhang zu fragen , in welchem die Verweisung auftritt , und andererseits ihren Gegenstand genauer zu ermitteln (in diesem Sinne statt vieler: E . R . Bierling , Juristische Prinzipienlehre I , Neudruck 1961 , 100 f) . Die Verweisung gebietet immer die weitere Untersuchung , welche Normen gelten und in welchem Sinn und Umfang sie angewendet werden sollen . Mit anderen Worten: Man hat die verweisende Kurzform aufzulösen und zu versuchen , ihren Inhalt sprachlich wiederzugeben .

Verfährt man nach dieser Anweisung , dann erhält Art . 2 § 8 Satz 1 ArVNG einen Aussagegehalt , der in seiner Substanz durch § 1249 - und nur durch diese Vorschrift - geprägt , vor allem aber der dem Modell des § 4 Abs . 2 des Sozialversicherungsanpassungsgesetzes (SVAG) nachgebildet ist . Man sucht vergeblich einen Anhalt dafür , daß der Gesetzgeber den gesamten Komplex der §§ 1249 bis 1251 RVO nF in Bausch und Bogen dem Übergangsrecht habe einverleiben wollen . Vielmehr ist in den Materialien zu Art . 2 § 8 ArVNG und zu § 1249 RVO nF immer nur die Rede von den Härten des bisherigen Anwartschaftsrechts , von dem Bemühen der Vergangenheit um deren Behebung und von der finanziellen Seite dieses Themas . Der erklärte Zweck des Art . 2 § 8 ist es im besonderen , dem Prinzip der "Unverfallbarkeit der Beiträge" eine auf den 1 . April 1945 begrenzte Rückwirkung zu verleihen . Daneben wurde das Ziel angestrebt , das Anwartschaftsrecht auch für die zurückliegende Zeit zu vereinheitlichen . Die gewählte Regelung wurde mit deutlichen Worten auf die Anwartschaftsbestimmungen des SVAG abgestellt (vgl . Begründung des § 1254 Abs . 1 des Regierungsentwurfs , Drucksache 2437 der 2 . Wahlperiode; Bericht des Ausschusses zu § 8 des Übergangsrechts , Drucksache 3080) .

Die Grenzen , die sich sonach aus dem ersichtlichen Zweck des Art . 2 § 8 ergehen , glaubt der erkennende Senat nicht überschreiten zu können . Der Senat vermag nicht einzusehen , daß bei seiner Auslegung ein Teil von dem , was § 1249 materiell enthält , außer Betracht bliebe . Es ist nicht etwa so , daß aus § 1249 ein beliebig großes Stück herausgeschnitten und der übrige Inhalt mißachtet , der Sinn der Vorschrift gespalten werde . Nach der Vorstellung des erkennenden Gerichts wird die Vorschrift lediglich im besonderen Lichte der übergangsrechtlichen Zielsetzung gedeutet . Die Kritiker des Bundessozialgerichts wollen hingegen mehr; sie möchten über § 1249 RVO nF hinausgreifen , möchten den vollen Inhalt der nachfolgenden Vorschriften in das zwischenzeitliche Recht übernehmen und halten sich dazu wegen des Fingerzeiges auf § 1250 für ermächtigt. Daß diesem weiteren Schritt der bescheidenere Wille des Art . 2 § 8 ArVNG entgegensteht , wollen sie nicht zugeben . Dennoch ist diese Bestimmung dazu angetan , den Klammerzusatz in § 1249 interpretatorisch einzuengen , wenn nicht gar ganz aufzuheben (zu derogieren aus dem Grundsatz heraus , daß das speziellere Gesetz dem allgemeineren vorgeht) . Aber auch wer sich - wie das erkennende Gericht - zu dieser , äußersten Konsequenz nicht versteht und lediglich der einschränkenden Auslegung folgt , wird § 1250 Abs . 2 Satz 2 RVO nF nicht in das Übergangsrecht einbeziehen .

Allerdings hat sich der 3 . Senat des Bundessozialgerichts für das umgekehrte Ergebnis ausgesprochen . Der jenem Urteil vorausgesetzte Sachverhalt wäre gleichwohl auch vom Standpunkt des erkennenden Senats aus nicht anders zu beurteilen gewesen . Für jenes Erkenntnis kam es auf eine Stellungnahme in dem hier erörterten Meinungsstreit nicht an . Der Senat wäre im übrigen deshalb an einer abschließenden (abweichenden) Entscheidung nicht gehindert , weil der 3 . Senat nach der gegenwärtig gültigen Geschäftsverteilung nicht mehr mit Angelegenheiten des Leistungsrechts aus der Rentenversicherung befaßt ist .

Aus den obenstehenden Darlegungen ergibt sich , daß das Berufungsgericht für die Berechnung des Beitragsaufkommens hier zu Recht nicht § 1250 Abs . 2 Satz 2 RVO nF , sondern § 1262 Abs . 3 aF angewendet und die Frage der Wartezeiterfüllung verneint hat . Die Revision war demnach zurückzuweisen .

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs . 1 und 4 des Sozialgerichtsgesetzes .

 

Fundstellen

BSGE, 38

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