Orientierungssatz

Zu Fragen der Zulässigkeit der Berufung und zum Streitgegenstand.

 

Normenkette

SGG § 143 Fassung: 1953-09-03, § 146 Fassung: 1958-06-25, § 86 Abs. 1 Fassung: 1953-09-03

 

Verfahrensgang

LSG Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 03.11.1978; Aktenzeichen L 3 An 130/78)

SG Dortmund (Entscheidung vom 24.02.1978; Aktenzeichen S 10 An 23/77)

 

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 3. November 1978 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, daß die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 24. Februar 1978 als unzulässig verworfen wird.

Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten auch des Revisionsverfahrens zu erstatten.

 

Gründe

I

Die Beteiligten streiten über die Bewertung von beitragslosen Zeiten des Klägers.

Der Kläger, der als Berufssoldat die Heeresfachschule für Verwaltung besucht hat, hat für weniger als 60 Kalendermonate Beiträge zur Rentenversicherung entrichtet. Mit Bescheid vom 28. November 1972 gewährte ihm die Beklagte Rente wegen Berufsunfähigkeit (BU) ab Februar 1971. Hierfür berücksichtigte sie auch beitragslose Zeiten (80 Monate Ersatzzeit, 2 Monate Ausfallzeit); diese bewertete sie mit dem Tabellenwert 8,67 der Leistungsgruppe 3 der Anlage 1 zu § 32a des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG). Der Bescheid wurde bindend.

Im Juni 1975 beantragte der Kläger die Neufeststellung der Rente nach § 79 AVG, weil er als Versicherter mit abgeschlossener Fachschulausbildung eine Bewertung mit dem Tabellenwert 12,12 der Leistungsgruppe 2 beanspruchen könne. Die Beklagte lehnte durch Bescheid vom 1. Juli 1976 eine Feststellung ab; die Leistungsgruppe 2 setze einen Fachschulbesuch voraus, der gegebenenfalls auch zur Anrechnung als Ausfallzeit führe.

Der Kläger erhob Widerspruch und beantragte in einem weiteren Schreiben die Umwandlung der Rente in eine solche wegen Erwerbsunfähigkeit (EU). Dem entsprach die Beklagte durch Bescheid vom 10. November 1976 mit Wirkung vom 1. August 1976 unter beigefügter Belehrung über die Möglichkeit des Widerspruchs oder der unmittelbaren Klage. Durch den Widerspruchsbescheid (ihrer Widerspruchsstelle) vom 18. Januar 1977 wies sie dann den "Widerspruch gegen den Bescheid vom 1. Juli 1976" zurück.

Daraufhin teilte der Kläger der Beklagten mit, daß er sich mit der Widerspruchsentscheidung vom 18. Januar 1977 nicht einverstanden erklären könne, gemäß § 79 AVG die Neufeststellung seiner Rente beantrage bzw. Klage gegen diesen Bescheid erhebe. Die Beklagte leitete das Schreiben dem Sozialgericht (SG) zu mit dem Bemerken, daß sich, die Klage gegen den Bescheid vom 1. Juli 1976 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. Januar 1977 richte. Vor dem SG beantragte der Kläger in der letzten mündlichen Verhandlung "die Aufhebung des Bescheides vom 1. Juli 1976", soweit die Beklagte damit die von ihm gewünschte Bewertung der beitragslosen Zeiten abgelehnt habe, und ihre Verurteilung, mit einem neuen Bescheid die entsprechende Anrechnung vorzunehmen.

Das SG hat durch Urteil vom 24. Februar 1978 "den Bescheid der Beklagten vom 1. Juli 1976 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. Januar 1977 aufgehoben" und die Beklagte verurteilt, die Berechnung der beitragslosen Zeiten gemäß der Leistungsgruppe 2 vorzunehmen; es hielt den angefochtenen Bescheid für rechtswidrig und die Beklagte gemäß § 79 AVG zur Neufeststellung für verpflichtet. Die hiergegen von der Beklagten eingelegte Berufung hat das Landessozialgericht (LSG) zurückgewiesen, weil es ebenfalls eine Verpflichtung der Beklagten zur Neufeststellung nach § 79 AVG bejahte (Urteil vom 3. November 1978).

Mit der - zugelassenen - Revision beantragt die Beklagte,

die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Sie rügt eine Verletzung des § 32a AVG.

Der Kläger ist im Revisionsverfahren nicht vertreten.

Der Senat hat die Beteiligten auf Bedenken gegen die Zulässigkeit der Berufung hingewiesen.

Die Beklagte teilt nach ihrer Antwort diese Bedenken nicht; sie geht davon aus, daß die Rente wegen EU in das Gerichtsverfahren einbezogen gewesen ist.

Die Beteiligten sind mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden.

II

Die Revision der Beklagten ist unbegründet.

Dies folgt bereits daraus, daß ihre Berufung gegen das Urteil des SG unzulässig gewesen ist. Nach § 146 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) ist in Angelegenheiten der Angestelltenversicherung die Berufung ua unzulässig, soweit sie Rente für bereits abgelaufene Zeiträume betrifft. Ein solcher Fall war hier gegeben. Das LSG hätte daher, da auch kein Ausnahmefall nach § 150 SGG vorlag, das Rechtsmittel verwerfen müssen; für eine Sachentscheidung war kein Raum.

Schon nach der von der Beklagten vertretenen Meinung mußte ihre Berufung zumindestens teilweise unzulässig sein. Denn dann hätte der Kläger zwei selbständige prozessuale Ansprüche verfolgt, von denen der eine auf eine Neufeststellung der BU-Rente für die Zeit bis zum Ablauf dieser Rente, d.h. bis Juli 1976 abzielte; insoweit konnte die Berufung der Beklagten nur einen Zeitraum betreffen, der bei Einlegung des Rechtsmittels längst abgelaufen war.

Die Berufung der Beklagten war indessen auch nicht wenigstens hinsichtlich der Höhe der EU-Rente zulässig. Denn ihre Berufung betraf die EU-Rente nicht. Das ergibt sich aus dem Urteil des SG, dessen Aufhebung (Abänderung) die Beklagte mit ihrer Berufung begehrte. In dem angefochtenen Urteil hat sich das SG allein mit einer Klage (Anfechtungs- und Verpflichtungsklage) gegen den Bescheid vom 1. Juli 1976 und den Widerspruchsbescheid vom 18. Januar 1977 befaßt und nur über diese Klage entschieden; der Umwandlungsbescheid vom 10. November 1976 wird im Urteil des SG nicht erwähnt. Dementsprechend hat das SG nur geprüft, ob die Beklagte zu einer Neufeststellung der BU-Rente gemäß § 79 AVG verpflichtet ist; bei einer Anfechtungs- und Leistungsklage gegen den Umwandlungsbescheid vom 10. November 1976 kam eine Nachprüfung im Rahmen des § 79 AVG nicht in Betracht (vgl SozR 2200 § 1254 Nr 1).

Mit diesem Verständnis der Klage hat das SG überdies ersichtlich dem Verhalten der Beteiligten bis zum Erlaß seines Urteils Rechnung getragen, so daß auch daraus kein Anhalt für eine in Wahrheit weiterreichende Entscheidung des SG abgeleitet werden kann. Die Beklagte hat sich in dem Widerspruchsbescheid vom 18. Januar 1977 nur mit dem Bescheid vom 1. Juli 1976 befaßt; des weiteren lassen die Äußerungen und Anträge des Klägers im erstinstanzlichen Verfahren nur die Annahme einer gegen diesen Bescheid (in der Gestalt des Widerspruchsbescheides) gerichteten Klage zu; so ist die Klage damals auch von der Beklagten verstanden worden. Aus alledem läßt sich nur schließen, daß ihre Berufung lediglich die ihr vom SG auferlegte Verpflichtung zur Neufeststellung der BU-Rente betraf. Der Umwandlungsbescheid war damit nicht in das Klageverfahren eingeführt.

Daran vermag auch das weitere Vorbringen der Beklagten im Schriftsatz vom 30. Oktober 1979 nichts zu ändern. Es ist insoweit unerheblich, ob ihre Widerspruchsstelle in zumindest entsprechender Anwendung des § 86 Abs 1 SGG den Umwandlungsbescheid vom 15. November 1976 ebenfalls als Gegenstand des Widerspruchsverfahrens hätte behandeln müsse, ob das SG auch diesen Bescheid als angefochten hätte ansehen müssen und wie ferner einzelne Sätze im LSG-Urteil zur EU-Rente zu deuten wären. Ebensowenig kommt es darauf an, daß die Beklagte nach Rechtskraft des SG-Urteils zwar die BU-Rente auf der Grundlage der Leistungsgruppe 2 für die beitragslosen Zeiten neu feststellen muß, nicht aber die EU-Rente. Entscheidend ist allein, welche Rente und welchen Zeitraum dieser Rente die Berufung der Beklagen betroffen hat.

Im übrigen wären selbst bei Einbeziehung des Umwandlungsbescheides in den Rechtsstreit unterschiedliche Ergebnisse hinsichtlich der BU-Rente und der EU-Rente nicht auszuschließen gewesen.

Nach alledem war die Revision zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1665470

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