Leitsatz (amtlich)

1. Zur Rückforderung von Leistungen, die ein Versicherungsträger aufgrund des SGG § 154 Abs 2 vor rechtskräftiger Entscheidung zahlen mußte.

2. Ob die Rückforderung wegen der wirtschaftlichen Verhältnisse des Empfängers vertretbar ist, beurteilt sich nach den Verhältnissen , die zur Zeit der Entscheidung des Versicherungsträgers über die Rückforderung bestehen.

 

Leitsatz (redaktionell)

AVG § 80 idF des RVÄndG ist auch bei der gerichtlichen Prüfung der vor dem 1965-07-01 erlassenen, noch nicht bindend gewordenen Rückforderungsbescheiden anzuwenden. Dabei hat die Prüfung nach S 2 Vorrang vor der nach S 1. Die wirtschaftlichen Verhältnisse des Empfängers sind nicht erst bei der Vollstreckung der Rückforderung zu berücksichtigen, sondern schon bei der letzten Verwaltungsentscheidung über die Rückforderung selbst. Nicht jeder wirtschaftliche Nachteil, der dem Betroffenen durch die Rückforderung entsteht, kann als eine unzumutbare Härte angesehen werden.

 

Normenkette

AVG § 80 S. 1 Fassung: 1957-02-23; RVO § 1301 Fassung: 1957-02-23; SGG § 154 Abs. 2 Fassung: 1958-08-23; AVG § 80 S. 2 Fassung: 1957-02-23

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 28. August 1964 aufgehoben.

Der Rechtsstreit wird zu neuer Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

 

Gründe

I

Die Beklagte hatte im März 1956 den Antrag der Klägerin auf Rente wegen Berufsunfähigkeit abgelehnt, war aber im August 1956 vom Sozialgericht (SG) Braunschweig zur Rentengewährung verurteilt worden. Daraufhin hatte die Beklagte der Klägerin Rente wegen Berufsunfähigkeit ab Urteilserlaß gezahlt, sich in dem Ausführungsbescheid vom 25. Oktober 1956 jedoch ausdrücklich die Rückforderung beim Obsiegen im Berufungsverfahren vorbehalten. Nachdem das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen im Dezember 1959 rechtskräftig das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen hatte, forderte die Beklagte durch Bescheid vom 14. Januar 1960 die gezahlten Rentenleistungen in Höhe von 9.017,10 DM zurück. Der Widerspruch der Klägerin blieb ohne Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 30. März 1960).

Während des gerichtlichen Verfahrens über die Rechtmäßigkeit der Rückforderung bewilligte die Beklagte der Klägerin durch Bescheid vom 28. Februar 1962 Rente wegen Erwerbsunfähigkeit ab November 1960. Sie verrechnete die Nachzahlung mit der Rückforderung und kürzte zur Tilgung der verbleibenden "Überzahlung" die laufende Rente von monatlich 378,40 DM um monatlich 150,- DM. Das SG Braunschweig setzte den Vollzug der Kürzungen ab April 1962 aus. Durch Urteil vom 15. Mai 1963 hob es den Rückforderungsbescheid vom 14. Januar 1960 samt Widerspruchsbescheid auf, "änderte" den Rentenbescheid vom 28. Februar 1962 hinsichtlich der Aufrechnung der Rentennachzahlung und der Kürzung der laufenden Rente ab (hob den Bescheid also insoweit auf) und verurteilte die Beklagte, der Klägerin über die Rückforderung einen der Rechtsauffassung des Gerichts entsprechenden Bescheid zu erteilen. Hierbei müsse die Beklagte berücksichtigen, daß sie im ersten Berufungsverfahren nicht die Aussetzung der Vollstreckung des sozialgerichtlichen Urteils vom August 1956 beantragt habe; dadurch habe die Klägerin in jener Zeit keine Unterstützung aus der Arbeitslosenhilfe oder von der Fürsorge erhalten können; die Beklagte müsse prüfen, welche Unterstützung die Klägerin ohne die vorläufige Rentenzahlung bekommen hätte und in Höhe dieses Betrages auf die Rückforderung verzichten; andernfalls würde die Klägerin durch die Rückforderung zu hart getroffen, weil ihr für die Zeit des ersten Berufungsverfahrens praktisch keine Unterhaltsmittel verblieben; § 80 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) gebe der Beklagten die Möglichkeit, solche und andere Härten bei pflichtgemäßer Ermessensausübung zu vermeiden.

Die Berufung der Beklagten wies das LSG Niedersachsen durch Urteil vom 28. August 1964 zurück. Das LSG meinte zwar, daß die nicht beantragte Vollstreckungsaussetzung - zumal bei der Ungewißheit der zu erwartenden Gerichtsentscheidung - der Beklagten nicht zum Vorwurf gereichen dürfe; im übrigen folgte das LSG jedoch dem SG. Der Versicherungsträger müsse bei der Anwendung des § 80 AVG wirtschaftliche Gesichtspunkte mitberücksichtigen, er müsse insbesondere vermeiden, daß Versicherte durch die Rückforderung in eine wirtschaftliche Notlage kämen. Bei der Rückforderung der auf Grund des § 154 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) ab Urteilserlaß gezahlten vorläufigen Leistungen sei zu beachten, daß die Empfänger davon ihren Lebensunterhalt bestritten und daß in unserem Sicherheitssystem die verschiedenen Leistungsträger in einer bestimmten Rangfolge leisteten. Leiste der Versicherungsträger, wenn auch nur vorläufig, dann könne der Empfänger, selbst bei späterer Leistungsrückforderung, keine anderen Leistungen, auch nicht rückwirkend, erhalten.

Mit der zugelassenen Revision beantragte die Beklagte,

die Urteile des LSG und des SG aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Sie rügte eine Verletzung der §§ 80 AVG, 54 Abs. 2, Satz 2 SGG. Nach ihrer Auffassung können wirtschaftliche Gegebenheiten erst bei der Vollstreckung der Rückforderung - hier bei Erlaß des Rentenbescheides vom 28. Februar 1962 - eine Rolle spielen, weil sonst einer Änderung der wirtschaftlichen Lage nach dem Rückforderungsbescheid keine Rechnung getragen werden könne. Die Rückstellung der Rückforderung bis zu einer künftigen Realisierungsmöglichkeit dürfe man dem Versicherungsträger wegen der drohenden Verjährung nicht zumuten. Der Vollzug der Rückforderung im Bescheid vom 28. Februar 1962 bringe die Klägerin in keine Notlage. Daß der Klägerin während des ersten Berufungsverfahrens möglicherweise eine Unterstützung aus der Arbeitslosenhilfe entgangen sei, sei unerheblich, weil es dem Charakter von Fürsorgeleistungen widerstreite, daß sie, obwohl ihre Voraussetzungen während des Rentenbezugs gefehlt hätten, dem "Schuldner letztlich doch gutgebracht" würden. Im übrigen könne ein Bezug von Arbeitslosenhilfe ohne die vorläufige Rentenzahlung nicht angenommen werden, weil die Klägerin damals für Büroarbeiten voll einsatzfähig gewesen sei.

Die Beklagte hielt auch nach Erlaß des Rentenversicherungs-Änderungsgesetzes (RVÄndG) vom 9. Juni 1965, das § 80 AVG durch einen Satz 2 ergänzt hat, an der Rückforderung fest.

Sie hält keine der drei Alternativen der neu eingefügten Bestimmung, bei deren Vorliegen der Versicherungsträger nicht zurückfordern darf, für erfüllt.

Die Klägerin ließ sich im Revisionsverfahren nicht vertreten; sie erklärte sich aber ebenso wie die Beklagte mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden (§§ 124 Abs. 2, 153 Abs. 1, 165 SGG).

II

Die Revision der Beklagten ist zulässig (§§ 162 Abs. 1 Nr. 1, 164 SGG). Sie hat die Zurückverweisung des Rechtsstreits an das LSG zur Folge.

Gegenstand des Verfahrens ist zunächst der Bescheid vom 14. Januar 1960 i. d. F. des Widerspruchsbescheides vom 30. März 1960. Mit ihm hat die Beklagte die Leistungen zurückgefordert, die sie nach dem Erlaß des Urteils des SG vom August 1956 an die Klägerin erbracht hat. Die Beklagte hat die Zahlungen bis zur rechtskräftigen Entscheidung des LSG im Dezember 1959 leisten müssen, weil ihre Berufung gegen das Urteil des SG nach § 154 Abs. 2 SGG nur die Zahlungspflicht für die Zeit vor Urteilserlaß aufgeschoben hat. Die Rückforderung solcher vorläufigen Leistungen regelt § 80 AVG (= § 1301 RVO). Diese Vorschrift ist durch das RVÄndG vom 9. Juni 1965 geändert worden. Ursprünglich hat sie nur bestimmt, daß ein Versicherungsträger die Leistungen nicht zurückzufordern braucht, die er vor rechtskräftiger Entscheidung zahlen mußte oder die er zu Unrecht gezahlt hat. Jetzt ist - wie schon bisher im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung, vgl. § 628 idF des UVNG - in einem Satz 2 zusätzlich bestimmt, daß ein Versicherungsträger diese Leistungen nur zurückfordern darf, wenn - kumulativ - drei Voraussetzungen gegeben sind. Der neue Satz 2 übernimmt jedoch im wesentlichen nur die Rechtsprechung, die bisher auf den Grundsatz von Treu und Glauben gestützt worden ist; deshalb ist die neue Fassung des § 80 AVG auch bei der gerichtlichen Prüfung der vor dem 1. Juli 1965 erlassenen, noch nicht bindend gewordenen Rückforderungsbescheide anzuwenden und zwar auch im Revisionsverfahren, vgl. Urteil des 5. Senats vom 25. August 1965, BSG 23, 259, 262.

Nach wie vor setzt indes § 80 AVG an sich das Bestehen des Rückforderungsanspruchs voraus. Dieser Anspruch ist grundsätzlich gegeben, wenn Leistungen zu Unrecht gezahlt worden sind: "Zu Unrecht empfangene Leistungen sind zurückzuerstatten, soweit nichts anderes bestimmt ist" (so für das Versorgungsrecht § 47 Abs. 1 des Gesetzes über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung - VerwVG -). Zurückzuerstatten sind danach auch die Leistungen, die der Versicherungsträger - wie im vorliegenden Falle - vor einer ihm günstigen "rechtskräftigen Entscheidung zahlen mußte". Sie machen nur eine Untergruppe der zu Unrecht gezahlten Leistungen aus (RVA AN 1938, 12; Urteil des 9. Senats vom 13. Januar 1966, 9 RV 614/63). Daß erst die abschließende gerichtliche Entscheidung die Unrechtmäßigkeit ihrer Zahlung ergeben hat, ändert an der Rückerstattungspflicht nichts. Gleichwohl ist der Bescheid, der den Rückforderungsanspruch geltend macht, nur rechtmäßig, wenn er nicht gegen § 80 AVG nF (= 1301 RVO nF) verstößt. Insoweit hat die Prüfung nach Satz 2 Vorrang vor der nach Satz 1; denn Leistungen, die ein Versicherungsträger nicht zurückzufordern "braucht", können nur Leistungen sein, die er nach Satz 2 überhaupt zurückfordern "darf". Nach Satz 2 darf ein Versicherungsträger Leistungen nur zurückfordern, wenn ihn (1.) kein Verschulden an der Überzahlung trifft und (2.) nur, soweit der Leistungsempfänger bei Empfang wußte oder wissen mußte, daß ihm die Leistungen nicht oder nicht in der gewährten Höhe zustanden, und (3.) soweit die Rückforderung wegen der wirtschaftlichen Verhältnisse des Empfängers vertretbar ist. Von diesen 3 Voraussetzungen des "Rückfordern-Dürfens" sind im vorliegenden Fall die beiden ersten nach den tatsächlichen Feststellungen des LSG erfüllt. Die Beklagte trifft (1.) kein Verschulden an der Überzahlung. Sie hat nach dem Urteil des SG vom August 1956 ab Urteilserlaß vorläufig leisten müssen ; daß sie nicht die einstweilige Aussetzung der Vollstreckung nach § 199 Abs. 2 SGG erbeten hat, läßt sich ihr - insoweit ist dem LSG zuzustimmen - nicht vorwerfen und demnach nicht als Verschulden an der Überzahlung anrechnen. Die Klägerin andererseits hat (2.) bei Empfang der vorläufigen Leistungen auch mindestens wissen müssen, daß ihr die Leistungen noch nicht zustanden. Sie mußte aus dem Ausführungsbescheid der Beklagten entnehmen, daß die Leistungen ihr erst und nur dann endgültig "zustehen", wenn das Urteil des SG im folgenden Rechtszug bestätigt werde. Ob die Klägerin an ihre materielle Anspruchsberechtigung "geglaubt" hat, ist unerheblich. Die Rückforderung kann hiervon nicht abhängen, weil sich andernfalls nahezu jeder Empfänger für seine Gutgläubigkeit auf das günstige Urteil der Vorinstanz berufen könnte und damit die Rückforderung vorläufiger Leistungen praktisch immer ausgeschlossen wäre.

Die tatsächlichen Feststellungen des LSG erlauben dagegen keine Entscheidung des Revisionsgerichts über die dritte Voraussetzung des § 80 Satz 2 AVG: ob die Rückforderung wegen der wirtschaftlichen Verhältnisse des Empfängers (der Klägerin) vertretbar ist. Der Wortlaut des Gesetzes widerlegt hier die Auffassung der Beklagten, daß wirtschaftliche Gegebenheiten erst bei der Vollstreckung der Rückforderung zu berücksichtigen seien, vielmehr sind die wirtschaftlichen Verhältnisse des Empfängers von dem Versicherungsträger schon bei seiner Entscheidung über die Rückforderung selbst zu berücksichtigen. Der Versicherungsträger kann dabei, weil das Gesetz die maßgebenden wirtschaftlichen Verhältnisse zeitlich nicht festlegt, nur von den wirtschaftlichen Verhältnissen zur Zeit seiner Entscheidung über die Rückforderung ausgehen (vgl. auch Verwaltungsvorschriften Nrn. 1 u. 13 zu § 47 VerwVG und Urteil des BSG vom 18. Januar 1961, SozR Nr. 11 zu § 47 VerwVG). Das hat zur Folge, daß bei der Anfechtung eines Rückforderungsbescheides die wirtschaftliche Vertretbarkeit der Rückforderung nach den Verhältnissen zur Zeit der letzten Verwaltungsentscheidung zu prüfen ist, bei Durchführung eines Widerspruchsverfahrens somit nach den Verhältnissen im Zeitpunkt des Widerspruchsbescheides (vgl. Urteil des Senats vom 18. Januar 1961 aaO). Über die wirtschaftlichen Verhältnisse der Klägerin bei der Erteilung des Widerspruchsbescheides vom 30. März 1960 enthält das Urteil des LSG aber keine Feststellungen. Dieser Mängel nötigt zur Aufhebung des Berufungsurteils, soweit dieses die Aufhebung der Bescheide vom 14. Januar und 30. März 1960 sowie die Verurteilung der Beklagten zur Erteilung eines neuen Bescheides über die Rückforderung bestätigt hat; das Bundessozialgericht (BSG) kann die fehlenden tatsächlichen Feststellungen nicht selbst nachholen, es kann das Berufungsurteil insoweit auch nicht aus anderen Gründen im Ergebnis billigen.

Der Rückforderungsbescheid wäre zwar selbst bei Erfüllung aller Voraussetzungen des § 80 Satz 2 AVG rechtswidrig, wenn die Beklagte bei der Anwendung von Satz 1, also bei der Prüfung, ob sie hier zurückzufordern "brauchte", einen Ermessensfehler begangen hätte. Der Beklagten ist durch Satz 1 ein Ermessen bei der Rückforderung eingeräumt; macht sie hiervon einen dem Zweck der Ermächtigung widersprechenden Gebrauch, dann hat das die Rechtswidrigkeit des Rückforderungsbescheides zur Folge (§ 54 Abs. 2 Satz 2 SGG). Für den vorliegenden Fall ist jedoch nicht festzustellen, daß die Beklagte aus den vom LSG angeführten Gründen ihr Ermessen pflichtwidrig ausgeübt hat. Zwar ist es richtig, daß die Ermächtigung, die dem Versicherungsträger in § 80 Satz 1 AVG eingeräumt ist, den Zweck hat, unzumutbare Härten für den Rückerstattungspflichtigen zu vermeiden (vgl. auch § 47 Abs. 4 VerwVG). Damit sind diejenigen Härten gemeint, die durch das Geltendmachen des Rückforderungsanspruchs entstehen, soweit sie - nach der jetzigen Fassung des § 80 AVG - nicht schon durch Satz 2 des § 80 AVG vermieden werden. Es kann aber nicht jeder wirtschaftliche Nachteil, der durch die Rückforderung für den Betroffenen entsteht, auch als eine unzumutbare Härte angesehen werden. Nach der Einfügung des Satzes 2 in § 80 AVG ist vielmehr davon auszugehen, daß die wirtschaftlichen Verhältnisse des Rückerstattungspflichtigen schon weitgehend dadurch berücksichtigt werden, daß § 80 Satz 2 die Rückforderung überhaupt nur zuläßt, wenn sie auch angesichts der wirtschaftlichen Verhältnisse des Empfängers vertretbar ist; eine wirtschaftliche "Notlage" kann also durch das Geltendmachen eines berechtigten Rückforderungsanspruchs gar nicht ausgelöst werden. Bei der Ausübung des Ermessens nach § 80 Satz 1 auch noch auf wirtschaftliche Gegebenheiten in der Zeit vor der Rückforderung abzustellen, ist darum in der Regel weder geboten noch zulässig. Im vorliegenden Falle kommt hinzu, daß die vom LSG angeführten wirtschaftlichen Nachteile keine unmittelbare. Folge der Rückforderung sind, sondern dadurch entstehen, daß die Klägerin Leistungen aus der Arbeitslosenhilfe und aus der Sozialhilfe nach dem dafür maßgebenden Recht nicht rückwirkend für die Zeit von August 1956 bis Dezember 1959 erhalten kann. Das LSG meint zwar, die Beklagte sei verpflichtet, dafür einen Ausgleich zu schaffen, weil in unserem Sicherungssystem ihre Leistungspflicht grundsätzlich der jener Leistungsträger vorgehe; mit dieser Begründung kann indes der Rückforderungsanspruch der Beklagten nicht zurückgewiesen werden. Zwar sind die Leistungen der Arbeitslosenhilfe und der Sozialhilfe wegen des Erfordernisses der Bedürftigkeit den Leistungen der Rentenversicherung wie überhaupt anderen Einkünften gegenüber "subsidiär"; daraus ergibt sich aber noch keine Pflicht des Versicherungsträgers, beim Ausbleiben von Leistungen der Arbeitslosenhilfe und der Sozialhilfe seinerseits einzuspringen und der Klägerin durch Verzicht auf die Rückforderung praktisch Leistungen zukommen zu lassen, die sie bei einer anderen Sachlage möglicherweise von anderen Leistungsträgern erhalten hätte (vgl. auch BVerwG, Arbeiterversorgung 1965, 229, 230, bezüglich der unterschiedlichen Fürsorgeleistungen je nach dem Zeitpunkt einer Rentenbewilligung). Die Beklagte hat deshalb bei ihrer Entscheidung über die Rückforderung nicht berücksichtigen müssen, ob die Klägerin ohne die vorläufigen Rentenleistungen eine Unterstützung aus der Arbeitslosenhilfe oder Sozialhilfe erhalten hätte.

Gegenstand des Verfahrens ist schließlich noch der Rentenbescheid vom 28. Februar 1962 insoweit, als die Beklagte darin die Rückforderung gegen die Rentennachzahlung und die laufende Rente aufgerechnet hat. Ob der Bescheid in diesem Teil auf Grund des § 96 SGG in das Verfahren einbezogen worden ist, kann dabei dahinstehen; die Klägerin hat nämlich selbst schon ihre Klage in zulässiger Weise hierauf ausgedehnt. Auch hier ist dem BSG eine Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Aufrechnung nicht möglich. Nach § 78 AVG darf die Beklagte gegen Leistungsansprüche u. a. die von ihr "zu Unrecht gewährten Leistungen" aufrechnen; damit ist die Forderung auf Rückerstattung dieser Leistungen gemeint. Es muß daher zunächst geklärt werden, ob die Beklagte berechtigt ist, einen solchen Rückforderungsanspruch geltend zu machen. Das hängt von der Rechtmäßigkeit des Rückforderungsbescheides vom 14. Januar 1960/30. März 1960 ab. Das Urteil des LSG ist deshalb auch insoweit aufzuheben, als das LSG die Aufhebung der Aufrechnungserklärungen im Rentenbescheid vom 28. Februar 1962 bestätigt hat. Hierüber muß das LSG ebenfalls erneut entscheiden.

Bei seiner neuen Entscheidung hat das LSG auch über die Kosten des Revisionsverfahrens mit zu befinden.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2324368

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