Leitsatz (redaktionell)

Zur Frage des Versicherungsschutzes beim "Personaleinkauf" einer Warenhausangestellten.

 

Normenkette

RVO § 548 Abs. 1 S. 1 Fassung: 1963-04-30

 

Tenor

Das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 1. April 1966 wird aufgehoben.

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Speyer, Zweigstelle Mainz, vom 22. Juni 1965 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Berufungs- und des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

I

Die bei der Filiale W. der K. beschäftigte Klägerin wollte am 17. Dezember 1963 nach der von 11.30 bis 13 Uhr dauernden Mittagspause in der Lebensmittelabteilung des K. Lebensmittel für den eigenen Bedarf einkaufen. Der Weg vom Arbeitsplatz der Klägerin zur Lebensmittelabteilung führte durch eine nur dem K.-Personal zugängliche unterirdische Passage. Dort stürzte die Klägerin gegen 14.15 Uhr und brach das linke Fußgelenk. Durch Bescheid vom 1. Oktober 1964 lehnte die Beklagte den Entschädigungsanspruch mit der Begründung ab, bei dem der unversicherten Sphäre zuzurechnenden Einkauf sei die Klägerin nicht im Rahmen ihres Beschäftigungsverhältnisses, sondern als Käuferin wie jeder beliebige Kunde tätig geworden.

Das Sozialgericht (SG) Speyer, Zweigstelle Mainz, hat durch Urteil vom 22. Juni 1965 die Klage abgewiesen: Der beabsichtigte Wareneinkauf habe im eigenwirtschaftlichen Interesse der Klägerin gelegen. Die Behauptung der Klägerin, sie sei infolge Glätte und Unebenheit des Fußbodens in der Passage ausgerutscht, sei nicht erwiesen.

Das Landessozialgericht (LSG) Rheinland-Pfalz hat in der mündlichen Verhandlung den Personalchef H. der K.-Filiale als Zeugen vernommen. Durch Urteil vom 1. April 1966 (veröffentlicht in SozSich 1967, Rechtsprechung Nr 1997) hat das LSG unter Aufhebung der angefochtenen Entscheidungen die Beklagte zur Entschädigung des Arbeitsunfalls vom 17. Dezember 1963 verurteilt: Der Einkauf von Waren zum privaten Verbrauch unterliege als eigenwirtschaftliche Betätigung allerdings grundsätzlich nicht dem Unfallversicherungsschutz. Auf Grund der besonderen Umstände des hier gegebenen Sachverhalts sei jedoch ein Arbeitsunfall im Sinne des § 548 Abs 1 Satz 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO) zu bejahen. Hierzu gehöre zwar nicht der Umstand, daß die K. an den Personaleinkäufen im eigenen Hause wirtschaftlich stark interessiert sei und den Beschäftigten schon bei der Einstellung nahegelegt werde, den eigenen Warenbedarf im Betrieb selbst zu decken. Eine enge innere Beziehung des beabsichtigten Lebensmitteleinkaufs zum Beschäftigungsverhältnis der Klägerin ergebe sich jedoch aus dem Interesse der K., daß das Personal zwecks Gewährleistung einer möglichst ungestörten Arbeitstätigkeit die Einkäufe im Hause selbst erledige. Bei der 1963 noch geltenden 6-Tage-Arbeitswoche wäre es den Angestellten nicht ohne weiteres möglich gewesen, während der Geschäftszeit außerhalb einzukaufen; für Einkäufe in anderen Geschäften während der Arbeitszeit hätten sie einer Erlaubnis bedurft. Für ein unmittelbares objektives Betriebsinteresse des K. an den Personaleinkäufen spreche also der Gesichtspunkt, daß hierdurch Störungen im Arbeitsablauf durch längere Arbeitsunterbrechungen vermieden wurden. Da die Belegschaft der K.-Filiale W. zu 70 % aus Frauen - zumeist Hausfrauen - bestehe, wäre ein den Betriebsbelangen entsprechender Arbeitseinsatz nicht mehr gewährleistet, wenn auch nur ein kleiner Teil der weiblichen Angestellten ihren täglichen Bedarf an Frischlebensmitteln während der Arbeitszeit in anderen Geschäften decken würde. Dem hiermit gegebenen wesentlichen betrieblichen Interesse stehe es nicht entgegen, daß auch für die Klägerin wegen des 10 %igen Rabatts beim Personaleinkauf ein persönliches Interesse bestanden habe. Schließlich könne der Versicherungsschutz auch nicht mit der Begründung verneint werden, daß die Klägerin ihre Lebensmittel ohne Störung der Arbeitstätigkeit auch in der Mittagspause hätte kaufen können. In W. seien zu dieser Zeit die meisten anderen Geschäfte geschlossen, im K. sei während der Mittagspause der Personaleinkauf unerwünscht, weil die Belegschaft nicht vollzählig anwesend sei. - Das LSG hat die Revision zugelassen.

Gegen das am 27. Juli 1966 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 8. August 1966 Revision eingelegt und sie am 13. September 1966 folgendermaßen begründet: Der vom LSG angeführte Gesichtspunkt der Gewährleistung eines ungestörten Arbeitsablaufs reiche nicht aus, um ein den Versicherungsschutz rechtfertigendes Betriebsinteresse an den Personaleinkäufen darzutun. Das LSG habe übersehen, daß hiermit hauptsächlich den Privatinteressen des Personals gedient werde. Nicht alles, was zur Erleichterung der Arbeitstätigkeit geschehe, sei ohne weiteres als betriebsbezogen anzusehen. Die Regelung des Personaleinkaufs in Warenhäusern bestehe schon sei vielen Jahrzehnten und sei nicht auf die besonderen Verhältnisse im Arbeitsleben der letzten Zeit ausgerichtet.

Die Beklagte beantragt,

unter Aufhebung des Berufungsurteils die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des SG Speyer, Zweigstelle Mainz, vom 22. Juni 1965 zurückzuweisen,

hilfsweise,

die Sache nach § 170 Abs 2 Satz 2 des Sozialgesetzes (SGG) zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuverweisen.

Die Klägerin beantragt Zurückweisung der Revision. Sie pflichtet dem angefochtenen Urteil bei und macht geltend, trotz an sich eigenwirtschaftlichen Handelns könnten im Einzelfall zu berücksichtigende Umstände den Versicherungsschutz für eine unfallbringende Tätigkeit rechtfertigen (SozR Nr 71 zu § 542 RVO aF).

II

Die zulässige Revision der Beklagten hat Erfolg.

Unbegründet ist freilich die Revisionsrüge, das LSG habe bei der Vernehmung des Zeugen H. gegen die Verfahrensvorschrift des § 122 Abs 2 Sätze 1 und 2 SGG verstoßen. Zwar enthält die Niederschrift über die Berufungsverhandlung vom 1. April 1966 insoweit nicht die gesetzlich erforderten Angaben. Nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats braucht jedoch die Aussage eines Zeugen, der vor dem LSG als Prozeßgericht vernommen wird, nicht in der Niederschrift festgehalten zu werden, sofern das Urteil die Aussage inhaltlich wiedergibt (vgl SozR Nr 5 zu § 122 SGG). Diese Voraussetzung ist nach Ansicht des Senats hier erfüllt, da die Entscheidungsgründe des Berufungsurteils die Bekundungen des Zeugen H. in einer von deren Würdigung noch ausreichend erkennbar abgehobenen Weise wiedergeben.

Zutreffend ist das LSG davon ausgegangen, daß der Einkauf von Waren für Privatzwecke, den ein Beschäftigter bei seiner Arbeitgeberfirma vornimmt, als sogenannte eigenwirtschaftliche Betätigung grundsätzlich nicht dem Unfallversicherungsschutz unterliegt. Es fehlt nämlich hierbei - unbeschadet des örtlichen und zeitlichen Zusammenhangs - an einem rechtlich wesentlichen inneren Zusammenhang mit der betrieblichen Tätigkeit. Dieser wird - wie das LSG gleichfalls mit Recht angenommen hat - auch nicht dadurch hergestellt, daß der Unternehmer an den Personaleinkäufen im eigenen Hause wirtschaftlich interessiert ist und den Beschäftigten schon bei der Einstellung nahegelegt wird, ihren Warenbedarf im Betrieb selbst zu decken. Einem solchen wirtschaftlichen Interesse des Unternehmers an der durch Personaleinkäufe bewirkten Umsatzsteigerung steht das private Interesse der Beschäftigten an der - durch den eingeräumten Rabatt begünstigten - Befriedigung des persönlichen Konsumbedarfs gegenüber, was dem Vorgang ein wesentlich betriebsfremdes Gepräge verleiht.

Das LSG meint allerdings, besondere Umstände, die den zum Unfall führenden Weg der Klägerin doch in einen betriebsbezogenen Zusammenhang rücken, seien darin zu erblicken, daß der Einkauf in der Lebensmittelabteilung der K.-Filiale geeignet gewesen sei, Störungen des Arbeitsablaufs durch Einkäufe in anderen Geschäften zu vermeiden. Nach Ansicht des erkennenden Senats reichen indessen die vom LSG angeführten Gesichtspunkte nicht aus, um für das Warenhauspersonal bei Einkäufen im eigenen Haus den Unfallversicherungsschutz zu begründen. Nach den Feststellungen des LSG hat die Leitung der K.-Filiale zwar die - im Laufe des Vormittags zu erledigenden - Personalkäufe im Interesse eines ungestörten Arbeitsablaufs als erwünscht angesehen; eine Obliegenheit, den persönlichen Bedarf, insbesondere an Lebensmitteln, grundsätzlich nur im K. zu decken, wurde aber offenbar nicht so eindringlich den Beschäftigten nahegelegt, daß diese hierin eine Anordnung erblicken mußten, welcher sie sich nur schwer entziehen konnten (vgl SozR Nr 71 zu § 542 RVO aF). Denn die Erlaubnis, während der Arbeitszeit in anderen Geschäften einzukaufen, wurde niemanden verweigert. Nach Meinung des erkennenden Senats darf hierbei auch nicht außer acht gelassen werden, daß sich wohl in den meisten Einzelhandelsbetrieben die Frage stellt, wie es dem Verkaufspersonal - zumal den dort vielfach beschäftigten Frauen mit eigenem Haushalt - ermöglicht werden kann, während der Geschäftsstunden Waren, insbesondere Lebensmittel für den häuslichen Bedarf, einzukaufen. Ist nun aber eine in einem Spezialgeschäft berufstätige Hausfrau, die mit Erlaubnis ihres Arbeitgebers zu diesem Zweck möglichst rasch den nächsterreichbaren Lebensmittelladen aufsucht, hierbei zweifelfrei unversichert, so will es nicht einleuchten, einer im Warenhaus, wo sich alles unter einem Dach befindet, beschäftigten Hausfrau für den aus gleichem Anlaß zurückzulegenden Weg zur Lebensmittelabteilung den Versicherungsschutz zuzubilligen. Aus den vom LSG angeführten Umständen ergeben sich somit keine den vorliegenden Sachverhalt kennzeichnenden Besonderheiten, auf Grund deren ein ursächlicher Zusammenhang mit der Betriebstätigkeit anzuerkennen wäre.

Nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats bleibt allerdings der Versicherungsschutz erhalten, wenn eine private Besorgung nach natürlicher Betrachtungsweise nur eine geringfügige Unterbrechung der versicherten Tätigkeit bewirkt (vgl BSG 20, 219; Urteil vom 9. Dezember 1964, BG 1965, 196). Im Unterschied zu dem Sachverhalt, über den der Senat gleichfalls am 14. Dezember 1967 entschieden hat (2 RU 190/65), bieten sich jedoch im vorliegenden Rechtsstreit hierfür nicht genügend Anhaltspunkte. Denn die Klägerin mußte, um von ihrem Arbeitsplatz aus zur Lebensmittelabteilung zu gelangen, das Gebäude, in dem sie arbeitete, verlassen und eine unterirdische Passage durchschreiten, die zu den Räumen führte, in denen sich die Lebensmittelabteilung befand. Räumlich und zeitlich betrachtet hob sich dadurch der zwecks privater Besorgung angetretene Weg so deutlich von der versicherten Tätigkeit ab, daß eine nur geringfügige Unterbrechung dieser Tätigkeit nicht mehr angenommen werden kann. Schließlich ist auch nicht davon auszugehen, daß alle Beschäftigten der K.-Filiale bei privaten Wegen innerhalb des gesamten Warenhausareals unter Versicherungsschutz stünden (vgl SozR Nr 52 zu § 542 RVO aF).

Hiernach erweist sich das klagabweisende Urteil des SG im Ergebnis als zutreffend. Auf die begründete Revision der Beklagten muß somit die Berufung der Klägerin gegen dieses Urteil zurückgewiesen werden.

Die Entscheidung über die außergerichtlichen Kosten beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2380263

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge