Leitsatz (amtlich)

Der Anspruch auf Neuberechnung des Jahresarbeitsverdienstes nach RVO § 573 Abs 1 hängt nicht davon ab, daß ein noch in einer Schul- oder Berufsausbildung befindlicher Verletzter einen Arbeitsunfall bei einer Tätigkeit erlitten hat, die mit der Ausbildung in einem inneren Zusammenhang steht.

 

Normenkette

RVO § 573 Abs. 1 Fassung: 1963-04-30

 

Tenor

Auf die Revision des Klägers werden die Urteile des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 28. November 1972 und des Sozialgerichts Hildesheim vom 23. März 1972 sowie der Bescheid der Beklagten vom 16. Juli 1971 aufgehoben. Die Beklagte wird verurteilt, die Rente des Klägers ab 1. August 1971 nach einem gemäß § 573 Abs. 1 RVO zu errechnenden Jahresarbeitsverdienst zu gewähren.

Die Beklagte hat dem Kläger die Kosten sämtlicher Rechtszüge zu erstatten.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte die dem Kläger aus Anlaß des Arbeitsunfalls vom 5. Januar 1970 bewilligte Dauerrente neu festzustellen und hierbei einen höheren Jahresarbeitsverdienst (JAV) zugrunde zu legen hat.

Der im Jahre 1939 geborene Kläger legte am 9. Dezember 1969 mit Erfolg an der Universität G das erste Staatsexamen in den Studienfächern Mathematik und Physik ab. Bis zum Dienstantritt als Studienreferendar im höheren Schuldienst des Landes Niedersachsen am 1. Februar 1970 nahm der Kläger - vom 10. Dezember 1969 an - eine Aushilfstätigkeit im Werk H, Zweigbetrieb G, der R B GmbH auf, um seinen Verpflichtungen aus einem für die Anschaffung einer Wohnungseinrichtung aufgenommenen Kredit nachkommen zu können. Der Kläger hatte am 1. März 1968 geheiratet und nach einem Jahr war ihm ein Sohn geboren worden; der Arbeitsverdienst der Ehefrau reichte angeblich zur Bestreitung auch der Anschaffungen nicht aus, weshalb der Kläger in den Ferien als Werkstudent zusätzlich verdiente.

Am 5. Januar 1970 sprang dem Kläger beim Bedienen einer Presse in der Stanzerei ein Metallteil in das rechte Auge; dieses mußte operativ entfernt werden.

Wegen der Folgen dieses Arbeitsunfalles bewilligte ihm die Beklagte durch Bescheid vom 9. September 1970 zunächst eine vorläufige Rente von 33 1/3 v.H. der Vollrente. Dieser legte sie einen JAV von 13.384,04 DM zugrunde. Nach § 571 Abs. 1 Satz 3 der Reichsversicherungsordnung (RVO) errechnete sie den vom Kläger vom 10. Dezember 1969 bis 4. Januar 1970 in Höhe von 845,16 DM erzielten Arbeitsverdienst auf die übrige Zeit des Jahres vor dem Arbeitsunfall um.

Durch Bescheid vom 15. Dezember 1970 setzte die Beklagte die Dauerrente - bei unverändert gebliebenem JAV - auf 25. v.H. der Vollrente fest.

Beide Bescheide hat der Kläger nicht angefochten.

Mit Schreiben vom 18. März 1971 teilte der Kläger der Beklagten u.a. mit, daß er seine berufliche Ausbildung am 31. Juli 1971 mit dem zweiten Staatsexamen abschließen werde. Wie er erfahren habe, bestehe die Möglichkeit, die Unfallrente seinen künftigen Dienstbezügen anzupassen. Durch seine Bevollmächtigten beantragte er mit Schreiben vom 13. Juli 1971 unter Hinweis auf § 573 Abs. 1 RVO die Neufeststellung der Unfallrente unter Zugrundelegung eines JAV nach der Besoldungsgruppe A 13, weil er am 1. August 1971 als Studienassessor vom Land Niedersachsen eingestellt werde.

Diesen Antrag lehnte die Beklagte durch Bescheid vom 16. Juli 1971 mit der Begründung ab, daß der Kläger den Arbeitsunfall nicht im Rahmen seiner beruflichen Ausbildung erlitten habe. Seine Ausbildung zum Studienreferendar sei damals zwar noch nicht beendet gewesen. Es liege aber lediglich ein zeitlicher und nicht ein nach § 573 Abs. 1 RVO erforderlicher unmittelbarer Zusammenhang zwischen der Ausbildung und der Tätigkeit, bei der sich der Unfall ereignet habe, vor. Diese Tätigkeit habe der Kläger allein des Gelderwerbs wegen aufgenommen. Der JAV sei deshalb nach dem Entgelt solcher Personen zu berechnen gewesen, zu deren Tätigkeit die unfallbringende Beschäftigung notwendigerweise gehöre.

Das Sozialgericht (SG) Hildesheim hat durch Urteil vom 23. März 1972 auf den Hilfsantrag des Klägers diesen Bescheid abgeändert und die Beklagte verurteilt, dem Kläger ab 1. August 1971 Rente auf der Grundlage eines nach § 577 RVO errechneten JAV zu gewähren; im übrigen hat es die Klage abgewiesen. Das Erstgericht ist der Auffassung, daß der Hauptantrag des Klägers auf Erhöhung seiner Rente nicht begründet sei, weil der Kläger nicht im Rahmen seines Ausbildungsverhältnisses verunglückt sei, so daß § 573 Abs. 1 RVO nicht anwendbar sei. Dagegen habe dem Hilfsantrag stattgegeben werden müssen, weil die Festsetzung des JAV nach dem Jahreslohn der zur Zeit des Unfalls verrichteten Hilfsarbeit in erheblichem Maße unbillig sei. W-äre der Kläger im Rahmen seiner Berufsausbildung verunglückt, so würde er mit der Aufnahme seiner Tätigkeit als Studienassessor einen doppelt so hohen JAV als den ihm von der Beklagten zugebilligten erreicht haben. Da der Kläger die Aushilfstätigkeit wegen einer zwangsläufig eingetretenen Unterbrechung seiner Ausbildung zur Vermeidung eines Verdienstausfalls aufgenommen habe, entspreche es billigem Ermessen, daß die Beklagte den nach dem tatsächlichen Arbeitsverdienst berechneten JAV im Rahmen des § 577 RVO erhöhe.

Das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen hat auf die Berufung der Beklagten durch Urteil vom 28. November 1972 die Entscheidung des Erstgerichts abgeändert und die Klage in vollem Umfang abgewiesen. Die - innerhalb der Berufungsfrist eingelegte - Anschlußberufung des Klägers hat es zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt:

Die Anschlußberufung, die dasselbe Ziel wie der Klagehauptantrag verfolge, sei unbegründet, weil das SG die Voraussetzungen des § 573 Abs. 1 RVO mit Recht verneint habe. Diese Vorschrift stelle eine Ausnahme von dem Grundsatz dar, daß für die Berechnung der Leistungen in der gesetzlichen Unfallversicherung von den vor dem Arbeitsunfall maßgebend gewesenen Verhältnissen auszugehen sei. Sie wolle nach ihrem Sinn und Zweck nur den Personen, die durch eine Ausbildung allgemeiner oder beruflicher Art vor dem Arbeitsunfall daran gehindert gewesen seien, Arbeitseinkommen zu erzielen, so stellen, als ob sie ihr Berufsziel im Zeitpunkt des Unfalles schon erreicht und das dann zu erwartende Einkommen bereits bezogen hätten. § 573 Abs. 1 RVO wolle hingegen nicht den Verletzten begünstigen, der bei einer ausbildungsfremden Tätigkeit einen Unfall erleide. Es sei kein vernünftiger Grund erkennbar, einen Lernenden, der zwischen zwei Ausbildungsabschnitten eine für ihn berufsfremde Beschäftigung aufnehme, anders zu behandeln als seine im Unfallbetrieb arbeitenden Arbeitskollegen, die sich bei einem Arbeitsunfall ebenfalls mit einer ihrem damaligen Arbeitsverdienst entsprechenden Verletztenrente begnügen müßten. Die Tätigkeit, bei der der Kläger den Arbeitsunfall erlitten habe, stehe indessen mit seiner Ausbildung nicht im Zusammenhang. Die Berufung der Beklagten sei hingegen begründet. Einer Neufeststellung des JAV nach § 577 RVO stehe bereits entgegen, daß der Dauerrentenbescheid vom 15. Dezember 1970 nach § 77 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) bindend geworden sei und dies auch für die darin vorgenommene Festsetzung des JAV gelte.

Das LSG hat die Revision zugelassen.

Der Kläger hat dieses Rechtsmittel eingelegt und es im wesentlichen wie folgt begründet:

Weder dem Wortlaut des § 573 Abs. 1 RVO noch früheren ähnlichen Vorschriften sei zu entnehmen, daß sich die mit ihr verbundene Vergünstigung nur auf Tätigkeiten beziehe, die mit der Berufsausbildung in einem ursächlichen Zusammenhang stünden. Deshalb sei § 573 Abs. 1 RVO nicht nur anzuwenden, wenn eine Tätigkeit als Eingangsvoraussetzung für ein Studium diene oder diesem sonst dienlich und förderlich sei, sondern auch wenn ein Student des Gelderwerbs wegen eine ausbildungsfremde Beschäftigung ausübe und dabei verunglücke. Diese Schlußfolgerung ergebe sich auch aus der Überlegung, daß Schüler fast nur des Gelderwerbs wegen arbeiteten. Das Gesetz treffe aber keine Unterscheidung dahin, daß bei Schülern ein Zusammenhang mit der Ausbildung nicht, ein solcher aber bei Studenten, wie das LSG verlange, stets erforderlich sei. Die Vorschrift wolle vielmehr den während ihrer Schul- und Studienzeit unterbezahlten Personengruppen - wie etwa für Lebensretter, Blutspender usw. - einen angemessenen wirtschaftlichen Ausgleich nach beendeter Ausbildungszeit einräumen. Im übrigen habe das SG die Voraussetzungen des § 577 RVO zu Recht bejaht.

Die Beklagte hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Es sei nicht einzusehen, weshalb jemand, der während einer ausbildungsfremden Beschäftigung einen Arbeitsunfall erleide, nach Abschluß seiner Ausbildung besser gestellt werden solle als - nicht in Ausbildung befindliche - Verletzte, die in demselben Unternehmen ständig arbeiteten und deren Rente nach einem Arbeitsunfall unverändert bleibe; dies würde eine Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes bedeuten. Überdies habe der Kläger im Zeitpunkt des Arbeitsunfalls seine Ausbildung im Sinne von § 573 Abs. 1 RVO bereits abgeschlossen gehabt.

Der Kläger beantragt,

die Entscheidungen der Vorinstanzen sowie den Bescheid der Beklagten vom 16. Juli 1971 aufzuheben und diese zu verurteilen, ihm Verletztenrente in Höhe der Besoldungsgruppe A 13 des Bundesbesoldungsgesetzes bzw. des Niedersächsischen Landesbesoldungsgesetzes zu zahlen,

hilfsweise,

das angefochtene Urteil aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG zurückzuweisen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Es kann dahinstehen, ob die vom Kläger innerhalb der Rechtsmittelfrist eingelegte Anschlußberufung, die auf eine auf § 573 Abs. 1 RVO (Neuberechnung des JAV nach Beendigung der Ausbildung) gestützte Verurteilung der Beklagten gerichtet war, etwa nach § 145 Nr. 4 SGG (Neufeststellung einer Dauerrente wegen Änderung der Verhältnisse) ausgeschlossen gewesen ist (vgl. RVA, EuM 31, 237). Jedenfalls war sie als - unselbständige - Anschließung an die Berufung der Beklagten rechtswirksam (SozR Nr. 8, 13 zu § 521 ZPO). Bei dem Berufungsbegehren der Beklagten, daß der im Dauerrentenbescheid vom 15. Dezember 1970 festgesetzte JAV entgegen der Auffassung des SG nicht nach § 577 RVO höher festzusetzen sei, und dem im zweiten Rechtszug weiter verfolgten Hauptbegehren des Klägers, ein höherer JAV ergebe sich schon aus § 573 Abs. 1 RVO, handelt es sich nicht um jeweils selbständige prozessuale Ansprüche, was die Anschließung des Klägers ggf. unzulässig machen würde (SozR Nr. 12 zu § 521 ZPO). Eine Beschwer des Berufungsbeklagten setzt die unselbständige Anschließung an die Berufung des Gegners nicht voraus (SozR Nr. 9 zu § 521 ZPO). Die Berufung der Beklagten war nicht nach § 145 Nr. 4 SGG ausgeschlossen, weil sie die Verurteilung zu einer Anwendung des § 577 RVO, somit nicht die Neufeststellung der Dauerrente wegen einer Änderung der Verhältnisse betroffen hat.

In der Sache hatte die Revision Erfolg.

Zu Recht nimmt die Revision an, daß dem Kläger § 573 Abs. 1 RVO zugute komme. Diese Vorschrift über die Berechnung des JAV bezweckt ebenso wie die bis zum Inkrafttreten des Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetzes (UVNG) in Kraft gewesene, im wesentlichen inhaltsgleiche Vorschrift des § 565 Abs. 1 RVO (aF), daß ein Versicherter, der einen Arbeitsunfall schon zur Zeit der Ausbildung für einen Beruf (Schul- oder Berufsausbildung) erlitten hat, nach dem voraussichtlichen Abschluß dieser Ausbildung so gestellt werden soll, als hätte er den Arbeitsunfall erst in diesem Zeitpunkt erlitten. § 573 Abs. 1 RVO bildet somit, ebenso wie § 565 Abs. 1 RVO aF, eine Ausnahme von dem Grundsatz, daß für die Berechnung der Leistungen in der gesetzlichen Unfallversicherung die Verhältnisse vor dem Arbeitsunfall maßgeblich sind (BSG 31, 38, 40; SozR Nr. 7 zu § 565 RVO aF). Beide Vorschriften stimmen in ihrem Wortlaut auch darin überein, daß der Verletzte "zur Zeit" des Arbeitsunfalls sich noch in einer Schul- oder Berufsausbildung befunden haben muß. Für die Anwendung des § 573 Abs. 1 RVO genügt sonach schon, daß jemand, während er sich - versicherungsfrei - in einer Ausbildung befindet, eine Tätigkeit ausübt, bei der er unfallgeschützt ist und dabei verunglückt. Nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut muß diese Tätigkeit nicht ein Teil der Ausbildung sein. Es ist also nicht erforderlich, daß sich der Unfall "bei" einer der Schul- oder Berufsausbildung dienlichen Tätigkeit ereignet hat, sonach insoweit auch ein innerer Zusammenhang (vgl. beispielsweise den entsprechenden Wortlaut der §§ 548, 549 RVO) gegeben sein müßte. Nur eine solche Auslegung wird dem Zweck des § 573 Abs. 1 RVO gerecht, Härten für die Versicherten auszugleichen, welche durch einen Arbeitsunfall zu Schaden kommen, bevor sie die mit ihrer Ausbildung erstrebte Erwerbsstellung erreicht haben (BSG 12, 109, 115). Damit berücksichtigt § 573 Abs. 1 RVO auch, daß dem JAV nach der allgemeinen Vorschrift des § 571 RVO nicht allein das Entgelt zugrunde zu legen ist, welches gerade durch die Tätigkeit erzielt worden ist, bei der der Unfall sich ereignet hat, sondern - wenn auch von einem späteren Zeitpunkt ab - das gesamte Arbeitseinkommen des Verletzten (vgl. auch Urteil des erkennenden Senats vom 21. März 1974 - 8 RU 81/73 - und dortige Zitate).

Während der Ausübung der Beschäftigung, bei der der Kläger verunglückt ist, hat sich dieser - entgegen der Ansicht der Beklagten - noch im Rahmen einer Ausbildung im Sinne des § 573 Abs. 1 RVO befunden. Sein Studium hatte der Kläger zu dieser Zeit zwar bereits abgeschlossen gehabt, seine - vorwiegend praktische - Ausbildung eines Lehrers im höheren Schuldienst sollte jedoch demnächst - am 1. Februar 1970 - beginnen. Er war somit auch in der Zwischenzeit, die er zum Gelderwerb zwecks Verbesserung der wirtschaftlichen Lage seiner Familie nutzte, in einer Ausbildung im Sinne des § 573 Abs. 1 RVO.

Die vom Senat für richtig gehaltene Auslegung dieser Vorschrift rechtfertigt auch ein Vergleich mit einer rechtsähnlichen Vorschrift, die vor der auf den vorliegenden Sachverhalt anzuwendenden Vorschrift des § 573 Abs. 1 RVO gegolten hat. Nach § 569b Abs. 3 iVm Abs. 1 RVO (idF des 3.Gesetzes über Änderungen in der Unfallversicherung vom 20. Dezember 1928, RGBl I, 405) war bei Versicherten, die "zur Zeit" des Unfalls noch in ihrer Berufs- oder Schulausbildung begriffen und im Feuerwehrdienst oder in Betrieben zur Hilfeleistung bei Unglücksfällen beschäftigt waren, ohne daß diese Beschäftigung ihr Beruf war, sowie bei Lebensrettern für die Berechnung des JAV ein Erwerbseinkommen zugrunde zu legen, wie es der Verletzte nach Vollendung seiner Ausbildung gehabt haben würde. Diese die in Berufs- oder Schulausbildung befindlichen Verletzten besonders begünstigende Vorschrift bezog sich nach ihrem Wortlaut und Sinnzusammenhang zwar nur auf diesen eng begrenzten Kreis jugendlicher Versicherter (BSG 15, 46, 51). Erst das 6.Gesetz über Änderungen in der Unfallversicherung vom 9. März 1942 (RGBl I 107) ersetzte mit Rücksicht darauf, daß insbesondere durch dieses Gesetz zahlreiche Berufe in die Unfallversicherung einbezogen worden waren, bei denen die Ausbildung über das 21. Lebensjahr hinausreichte, und außerdem vielfach noch eine Berufsumschulung nach diesem Lebensjahr erforderlich sei, die nunmehr als ungenügend empfundene Ausnahmevorschrift des § 569b RVO durch den § 565 Abs. 1 RVO aF (s. die Amtliche Begründung, AN 1942, II S. 199, 200), der seinerseits durch den Gesetzgeber des UVNG im wesentlichen in § 573 Abs. 1 RVO übernommen worden ist. Der nur für Unfälle bei einer gemeinnützigen Tätigkeit geltende § 569b RVO, soweit er für in Berufs- oder Schulausbildung befindliche Verletzte eine besonders vorteilhafte Regelung traf (Abs. 3), hat im Wortlaut des § 565 Abs. 1 RVO aF wie des § 573 Abs. 1 RVO insofern einen Niederschlag gefunden, als es nach diesen Vorschriften - für einen erweiterten Personenkreis - ebenfalls genügt, daß der Verletzte "zur Zeit" des Arbeitsunfalls sich noch in Schul- oder Berufsausbildung befunden hat.

Die Auffassung des LSG, der Kläger dürfe nicht anders behandelt werden als die im Unfallbetrieb mit ihm arbeitenden Kollegen, die sich ggf. "ebenfalls mit der niedrigeren Verletztenrente zufrieden geben müßten", berücksichtigt nicht ausreichend, daß das Gesetz für die in Ausbildung befindlichen Versicherten bewußt eine Sonderregelung getroffen hat. Diese muß im Hinblick darauf, daß sich in jüngerem Lebensalter unter finanziell ungünstigen Bedingungen erlittene Unfallfolgen regelmäßig auf das gesamte spätere Berufsleben auszuwirken pflegen, jedenfalls insoweit als sinnvoll und sachgerecht erachtet werden, als es sich um in Ausbildung befindliche (§ 573 Abs. 1 RVO) oder unter 25 Jahre alte (§ 573 Abs. 2 RVO) Verletzte handelt. In dieser Hinsicht ist auch kein Verstoß gegen Art. 3 Grundgesetzt ersichtlich, da diese Vorschriften den vom LSG vergleichsweise herangezogenen anderen Arbeitskollegen in gleicher Weise zugute kommen. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob es gesellschaftspolitisch unerwünscht wäre, wenn z.B. die in akademischer Ausbildung befindlichen Personen durch eine enge Auslegung des § 573 Abs. 1 RVO davor abgeschreckt würden, durch eine gelegentliche ausbildungsfremde praktische Arbeit mit den tatsächlichen Bedingungen der Arbeitswelt in nahe Berührung zu kommen. Denn solcher oder ähnlicher Erwägungen bedarf es bei dem hinreichend eindeutigen Gesetzeswortlaut nicht.

Die vom erkennenden Senat zu § 573 Abs. 1 RVO vertretene Auffassung wird, soweit ersichtlich, in Rechtsprechung und Schrifttum nicht uneingeschränkt geteilt (zustimmend: Bundesversicherungsamt, mitgeteilt bei Podzun, Der Unfallsachbearbeiter, 3. Aufl., Stand Oktober 1974, Kennzahl 440 S. 19 sowie Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 42. Nachtrag - August 1974, Band II S. 574k - 1; 41. Nachtrag - April 1974 -; a.A.: LSG Nordrhein-Westfalen, Kartei Lauterbach Nr. 8252 zu § 573 Abs. 1 RVO; Lauterbach, Gesetzliche Unfallversicherung, 3. Aufl., Anm. 2 zu § 573 RVO; Podzun aaO; Wickenhagen, BG 1952, 430; Schröfl, ZfS 1972, 169, 171). Die für eine abweichende Meinung vorgetragenen Argumente konnten aber aus den obigen Gründen zu keinem anderen Ergebnis führen.

Da dem Kläger somit die für ihn günstigere Vorschrift des § 573 Abs. 1 RVO zugute kommt, war nicht mehr zu entscheiden, ob, wie das SG angenommen hat, bei ihm die Voraussetzungen des § 577 RVO zutreffen und im Rahmen des vorliegenden Verfahrens zu einer Erhöhung des JAV führen könnten.

Deshalb war zu erkennen wie geschehen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

BSGE, 216

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