Leitsatz (redaktionell)

1. Gewährt eine Ersatzkasse ihren freiwillig weiterversicherten Mitgliedern, deren Einkommen die Angestelltenversicherungspflichtgrenze übersteigt, nach ihrer Satzung bei Inanspruchnahme ärztlicher (zahnärztlicher) Behandlung Kostenerstattung in bestimmter Höhe, so haben diese Mitglieder keinen Anspruch auf freie vertragsärztliche (vertragszahnärztliche) Behandlung ("Behandlung auf Krankenschein").

2. Das Recht der Ersatzkassen, grundsätzlich nach eigenem Ermessen die Bedingungen der Weiterversicherung für ihre aus der Pflichtversicherung ausscheidenden Mitglieder zu regeln sowie die Voraussetzungen und den Umfang der Leistungsansprüche festzulegen, ist durch die Gesetzgebung zum Aufbau der Sozialversicherung nicht berührt worden.

 

Normenkette

GG Art. 3 Abs. 1 Fassung: 1949-05-23; EKV-Z; EKV-Ä § 4 Abs. 2 Fassung: 1963-07-20; SVAufbauV 12 Art. 2 § 4 Abs. 2 Fassung: 1935-12-24

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 24. Mai 1966 wird zurückgewiesen.

Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

I

Der Kläger ist bei der beklagten Deutschen Angestellten Krankenkasse (DAK) als nichtversicherungspflichtiges Mitglied versichert. Sein Einkommen überschreitet die Jahresarbeitsverdienstgrenze in der Angestelltenversicherung. Nach Abschnitt G Nr. 2 a der Versicherungsbedingungen der Beklagten haben nur diejenigen nichtversicherungspflichtigen Mitglieder Anspruch auf freie ärztliche Behandlung, deren Einkommen die Angestellten-Versicherungspflichtgrenze nicht überschreitet. Mitglieder, die danach keinen Anspruch auf freie Behandlung durch Vertragsärzte oder Vertragszahnärzte haben, müssen für die erforderliche Behandlung für sich und ihre mitversicherten Familienangehörigen selbst sorgen. Sie erhalten sodann gegen Aushändigung der nachweislich bezahlten Rechnungen eine Vergütung in Höhe der Vertragssätze, jedoch nicht mehr als die tatsächlichen Kosten. Die Beklagte versagte deshalb dem Kläger mündlich die Ausstellung eines Krankenscheines und wies auch seinen Widerspruch unter Hinweis auf die Versicherungsbedingungen durch Bescheid vom 19. November 1963 zurück.

Gegen diesen Bescheid hat der Kläger Klage erhoben. Im Laufe des Verfahrens sind der Verband der Angestellten-Krankenkasse eV in Hamburg, die Kassenärztliche Bundesvereinigung in Köln-Lindenthal, die Kassenzahnärztliche Vereinigung Niedersachsen in Hannover, der Verband der Niedergelassenen Ärzte Deutschlands eV in Köln, der Unabhängige Ärzteverband Deutschlands (Ärzte-Regreß-Schutz) eV in Köln und der Verband der Ärzte Deutschlands (Hartmannbund) eV in Bad Godesberg beigeladen worden. Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen und die Berufung zugelassen. Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Kläger habe keinen Anspruch auf freie vertragsärztliche Behandlung auf Grund eines Krankenscheines, solange sein Einkommen die Angestellten-Versicherungspflichtgrenze übersteige. Diese Bestimmung in den Versicherungsbedingungen der Beklagten sei rechtmäßig. Nach § 4 Abs. 1 der 12. Verordnung zum Aufbau der Sozialversicherung (Aufbau-VO) i. d. F. der 15. Aufbau-VO vom 1. April 1937 (RGBl I 439) dürfe die Ersatzkasse nur solche Personen aufnehmen, die versicherungspflichtig oder versicherungsberechtigt seien. Der Kläger gehöre keiner dieser Gruppe an, für seine Versicherung gelten daher nach § 4 Abs. 2 der 12. Aufbau-VO ausschließlich die Bestimmungen der Satzung. Es sei somit dem Ermessender einzelnen Ersatzkassen überlassen, die Weiterversicherung zuzulassen, ihre Voraussetzungen zu regeln und den Umfang der Leistungen festzusetzen. Von dieser Ermächtigung habe die Beklagte Gebrauch gemacht. Der Kläger habe daher nur die sich aus der Satzung in Verbindung mit den Versicherungsbedingungen ergebenden Rechte.

Die Unzulässigkeit der Kostenerstattung lasse sich auch nicht aus § 215 Abs. 2 RVO i. V. m. dem Erlaß des Reichsarbeitsministers vom 15. Dezember 1939 (AN 1939, S. 554) und dem Bescheid des Reichsversicherungsamts (RVA) vom 5. September 1942 (EuM 50, 137) herleiten.

Denn aus dieser Vorschrift ergebe sich nicht der Zwang für eine Ersatzkasse, den nicht versicherungspflichtigen Mitgliedern ärztliche Behandlung als Sachleistung zu gewähren.

Schließlich verstoße diese Regelung auch nicht gegen Art. 3 des Grundgesetzes (GG), weil die verschiedene Behandlung der nichtversicherungspflichtigen Mitglieder, je nachdem ob die Angestellten-Pflichtversicherungsgrenze überschritten sei oder nicht, sich aus der Höhe des Einkommens sachlich rechtfertige. Zwar habe die Überschreitung einer bestimmten Einkommensgrenze auf den Fortbestand der freiwilligen Weiterversicherung keinen Einfluß mehr. Dies schließe aber nicht aus, nichtversicherungspflichtigen Mitgliedern von einem bestimmten Einkommen an ärztliche Behandlung nur noch im Wege der Kostenerstattung und nicht als Sachleistung zu gewähren. Das LSG hat die Revision zugelassen.

Der Kläger hat gegen das Urteil Revision eingelegt. Er trägt vor, die vom Kläger beanspruchte ärztliche Behandlung sei eine Forderung, die sich nur gegen den Versicherungsträger richte; dementsprechend entstehe der Vergütungsanspruch des Arztes nicht gegen den Patienten, sondern gegen die Krankenkasse. Satzungsmäßige Regelungen im Rahmen der RVO könnten nicht dazu führen, die Richtung dieser Ansprüche dahingehend abzuändern, daß Gegner des Vergütungsanspruchs für die Durchführung der ärztlichen Behandlung der Versicherte sei; das wäre auch ein Verstoß gegen das Versicherungsprinzip. Insoweit herrsche auf dem Gebiete der gesetzlichen Krankenversicherung streng das Legalitätsprinzip; dies gelte auch für die freiwilligen Kassenmitglieder. Aus der Grundsatzregelung der RVO über den Anspruch auf Krankenpflege als Naturalleistungsanspruch unter Befreiung des Versicherten von Ansprüchen des Arztes gegen ihn selbst folge, daß die Art und Weise der Leistungsgewährung nicht im Ermessen der Krankenkasse liege, und zwar weder im Einzelfall noch in der Möglichkeit einer generellen Regelung durch die Satzung (Versicherungsbedingungen). Bei richtiger Auslegung der §§ 507, 508 RVO sei es den Ersatzkassen seit 1911 verwehrt, ihre freiwillig weiterversicherten Mitglieder jemals nach dem Kostenerstattungssystem zu behandeln, weil es dann einer besonderen Rechtsgrundlage bedurft hätte. Es würde dem Mindestleistungsprinzip widersprechen, wenn ein Personenkreis, dessen Rechtsstellung rechtsnotwendig und essentiell in der Pflichtmitgliedschaft begründet sei, von den Ersatzkassen leistungsrechtlich anders und weniger gut behandelt werden könne, als dies bei dem betreffenden Personenkreis nach der RVO möglich sei. Die RVO unterscheide nicht, ob es sich um eine freiwillige Versicherung bei einer RVO-Pflichtkasse oder um eine solche bei einer Ersatzkasse handele. Zwar komme der Tatsache, wie das Ersatzkassenrecht seit der Aufbau-Gesetzgebung in den Jahren 1934 bis 1937 bis heute gehandhabt werde. Bedeutung im Sinne der Entstehung abweichenden Gewohnheitsrechts zu. Die Umstände ließen aber keine dahingehende positive Schlußfolgerung zu, weil bis heute noch keine Entscheidung von bundesstaatseinheitlicher Kraft dahin ergangen sei, daß die freiwillig Weiterversicherten einer Ersatzkasse keinen Anspruch auf freie ärztliche Behandlung hätten, falls die Satzung dies vorschreibt.

Der Kläger beantragt,

die Urteile des LSG Niedersachsen vom 24. Mai 1966 und des SG Hannover vom 5. Mai 1964 sowie den Widerspruchsbescheid der Beklagten vom 19. November 1963 mit dem zugrundeliegenden Bescheid aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger durch die Ausstellung eines Krankenscheines ärztliche Hilfe im Wege der Sachleistung zu gewähren.

Die Beklagte und die Beigeladenen beantragen,

die Revision zurückzuweisen.

II

Die Revision ist nicht begründet.

Wie der Senat in seinem Urteil vom 14. September 1966 - 3 RK 18/65 - mit näherer Begründung ausgeführt hat, hat ein freiwillig weiterversichertes Mitglied einer Ersatzkasse, dessen Einkommen die Angestelltenversicherungspflichtgrenze überschreitet, keinen Anspruch auf die vertragsärztliche Behandlung ("Behandlung auf Krankenschein"), wenn die Ersatzkasse solchen Mitgliedern nach ihrer Satzung bei Inanspruchnahme ärztlicher Behandlung Kostenerstattung in bestimmter Höhe gewährt.

Der Kläger gehört zu den Mitgliedern, die aus der Versicherungspflicht in der Krankenversicherung ausgeschieden sind und sich freiwillig weiterversichert haben. Nach Art. 2 § 4 Abs. 2 der 12. Aufbau-VO gelten für die Versicherung dieses Personenkreises die Bestimmungen der Satzung. Es ist deshalb grundsätzlich dem Ermessen der einzelnen Ersatzkasse überlassen geblieben, die Weiterversicherung zuzulassen, ihre Bedingungen zu regeln sowie die Voraussetzungen und den Umfang der Leistungen festzusetzen. Während die freiwillige Weiterversicherung bei den gesetzlichen Krankenkassen unmittelbar auf den Vorschriften der RVO beruht, werden die nichtversicherungspflichtigen Mitglieder der Ersatzkassen auf Grund Satzungsrechts versichert, dessen Erlaß und Inhalt im Ermessen der einzelnen Ersatzkasse liegt, wenn das Gesetz es nicht einschränkt. Zwar hat der Reichs- und Preußische Arbeitsminister in seinem Erlaß vom 27. Januar 1937 (EuM 40, 502) dem Leiter der Reichsversicherungsanstalt für Angestellte als der damals zuständigen Aufsichtsbehörde zur Pflicht gemacht, die Ersatzkassen an das Recht der Weiterversicherung nach den Vorschriften der RVO immer näher heranzuführen. Er hat dabei aber ausdrücklich darauf hingewiesen, daß dieses Ziel bei der damaligen Rechtslage nur durch Änderung der Satzung zu erreichen sei, die die Aufsichtsbehörde anzustreben hätte. Das Satzungsrecht der Beklagten hat aber davon abgesehen, das Leistungsrecht für die freiwillig weiterversicherten Mitglieder den entsprechenden Regelungen in der gesetzlichen Krankenversicherung voll anzupassen und sieht für den Kreis der nichtversicherungspflichtigen Mitglieder, deren Einkommen die Angestellten-Versicherungspflichtgrenze übersteigt, keinen Anspruch auf freie vertragsärztliche Behandlung vor.

Der Anspruch des Klägers könnte deshalb nur begründet sein, wenn die beklagte Krankenkasse kraft Gesetzes verpflichtet wäre, auch den nichtversicherungspflichtigen Mitgliedern dieser Art ärztliche Behandlung als Sachleistung zu gewähren; in diesem Falle wäre es nicht erheblich, daß die Satzung der Beklagten eine entsprechende Vorschrift nicht übernommen hätte. Eine solche Einschränkung des Satzungsrechts liegt aber nicht vor. Da die §§ 507, 507 a RVO im vorliegenden Falle nicht zum Zuge kommen können, könnte der Anspruch des Klägers allenfalls aus § 508 Satz 1 i. V. m. § 179 RVO abgeleitet werden. Hiernach darf die Ersatzkasse ihren Mitgliedern und deren Angehörigen ohne Beschränkung der Dauer und Höhe alle Leistungen gewähren, die § 179 RVO ihrer Art nach bei den Krankenkassen zuläßt. § 508 RVO setzt aber nur eine Schranke, die allenfalls die Freiheit der Ersatzkassen zur Gestaltung ihres Satzungsrechts rechtlich insofern eingrenzt, als sie auch allen ihren weiterversicherten Mitgliedern ärztliche Behandlung nur in Gestalt der Sachleistung gewähren könnte, wenn sie insoweit einen Versicherungsschutz bereitstellen will. Ob die Ersatzkasse aber diese Leistungsverpflichtung auch gegenüber den freiwillig weiterversicherten Mitgliedern mit einem die Angestellten-Versicherungspflichtgrenze übersteigenden Einkommen übernimmt, steht in ihrem freien Ermessen. Dieses müßte erst durch Beschlußfassung ihrer zuständigen Organe - und durch Genehmigung dieser neuen Satzung durch die Aufsichtsbehörde - betätigt werden, bevor Ansprüche hierauf gestützt werden könnten. An einer solchen Satzungsgrundlage fehlt es aber.

Schließlich kann der Klageanspruch auch ohne Satzungsgrundlage nicht damit begründet werden, daß das Ermessen der beklagten DAK zwangsläufig nur in die Richtung gehen könnte, ärztliche Behandlung als Sachleistung für den bisher davon ausgeschlossenen Mitgliederkreis einzuführen. Von einer Zwangsläufigkeit im Ermessensgebrauch bei der beklagten DAK kann aber keine Rede sein, denn - wie in dem genannten Urteil bereits dargelegt - bedarf es hierzu der Bereitstellung eines umfassenden Systems ärztlicher Versorgung, das Versicherte, Ersatzkassen und ärztliche Vereinigungen umspannt. Während die ärztliche Versorgung der bei den gesetzlichen Krankenkassen Versicherten in Gestalt der Sachleistung kraft Gesetzes durch den an die kassenärztlichen Vereinigungen erteilten Auftrag (vgl. § 368 n Abs. 1 Sätze 1 bis 3 RVO) sichergestellt ist, sieht § 368 n Abs. 1 Satz 4 RVO für die ärztliche Versorgung der bei den Ersatzkassen Versicherten und ihrer mitversicherten Familienangehörigen nur vor, daß die Kassenärztlichen Vereinigungen mit Zustimmung der Aufsichtsbehörde diese Aufgaben übernehmen können. Das ist im Arzt-Ersatzkassen-Vertrag vom 20. Juli 1963 geschehen; nach dessen § 4 Abs. 2 haben aber die Mitglieder der Vertragskassen sowie deren mitversicherte Familienangehörige keinen Anspruch auf die im Vertrag näher festgelegte freie vertragsärztliche Behandlung, soweit das Bruttoeinkommen des Mitglieds die Angestellten-Versicherungspflichtgrenze übersteigt. Hieraus folgt, daß die beklagte Ersatzkasse zur Zeit gar nicht in der Lage wäre, ihren freiwillig weiterversicherten Mitgliedern, deren Einkommen die Angestellten-Versicherungspflichtgrenze übersteigt, freie ärztliche Behandlung als Sachleistung zu gewähren. Denn Voraussetzung hierfür wäre eine entsprechende Umgestaltung des Ersatzkassenvertrags. Dies ist aber ein Vertrag, auf dessen Gestaltung die beklagte DAK nur indirekt - über ihren Verband - Einfluß nehmen kann.

Mit ihrer Satzungsbestimmung verstößt die beklagte DAK auch weder gegen den versicherungsmäßigen Grundsatz der Gleichbehandlung der Mitglieder noch gegen den allgemeinen Gleichheitsgrundsatz (Art. 3 Abs. 1 GG). Die besondere Natur dieser Leistung, die nur unter Koordinierung sehr verschiedener Interessen erbracht werden kann, macht die Ersatzkasse von einem Vertragswerk abhängig, das von Dritten gestaltet wird. Die beklagte Krankenkasse handelt daher nicht unsachgemäß, wenn sie in ihrer Satzung darauf Rücksicht nimmt.

Die Revision muß deshalb zurückgewiesen werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2324495

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