Entscheidungsstichwort (Thema)

Hilfeleistungen bei einer Heimdialyse

 

Leitsatz (amtlich)

Einem Versicherten steht für die Hilfeleistungen seiner Ehefrau bei der von ihm durchzuführenden Heimdialyse keine Entschädigung zu.

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Bei der Hilfeleistung eines Ehegatten im Zusammenhang mit der Heimdialyse des anderen Ehegatten handelt es sich - ebenso wie bei der Pflege, die sonst ein Ehegatte dem anderen, die Eltern ihren erkrankten Kindern zu Hause zukommen lassen - um eine selbstverantwortliche Eigenleistung der Familie. Ansprüche gegen die Krankenversicherung werden dadurch nicht ausgelöst.

2. Die Hilfeleistung eines Ehegatten bei der Heimdialyse kann auch nicht in eine Hauspflege iS RVO § 185 Abs 2 aF umgedeutet werden. Hauspflege nach RVO § 185 in der bis zum 30.6.1977 geltenden Fassung (Hilfeleistungen bei der Heimdialyse).

3. Jedes Mitglied der gesetzlichen Krankenversicherung hat die Pflicht, zugunsten der Gesamtheit aller Versicherten als einer Solidargemeinschaft und damit wiederum zugleich zu seinen eigenen Gunsten soweit als möglich dazu beizutragen, daß die im Interesse seiner Gesundheit aufzuwendenden finanziellen Mittel sich stets im Rahmen des Notwendigen halten.

 

Normenkette

RVO § 182 Abs. 1 Nr. 1 Fassung: 1924-12-15, § 185 Abs. 1 Fassung: 1924-12-15

 

Verfahrensgang

LSG Rheinland-Pfalz (Urteil vom 10.07.1975; Aktenzeichen L 5 K 4/75)

SG Speyer (Entscheidung vom 28.11.1974; Aktenzeichen S 3 K 45/73)

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 10. Juli 1975 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob dem - nach Einlegung der Revision verstorbenen - Kläger (hier weiterhin als "Kläger" bezeichnet) für die Hilfeleistungen seiner Ehefrau bei der Heimdialyse eine Entschädigung zustand.

Der Kläger war als Buchhalter berufstätig. Er litt an chronischer Niereninsuffizienz. Diese erforderte wöchentlich drei Dialysebehandlungen, die zunächst ambulant in einer Heidelberger Klinik durchgeführt wurden. 1972 ließ die Beklagte auf ihre Kosten die nicht erwerbstätige Ehefrau des Klägers mit der Anwendung eines Heimdialysegeräts und der Durchführung der Heimdialyse vertraut machen. Alsdann stellte sie dem Kläger ein solches Gerät zur Verfügung, das dieser nunmehr unter Mithilfe seiner Ehefrau dreimal wöchentlich benutzte. Die Beklagte trug dabei die Kosten der erforderlichen Medikamente und Hilfsmittel und ersetzte dem Kläger pauschal auch die Mehraufwendungen an Stromverbrauch, Müllabfuhr und dergleichen. Seinen Antrag, ihm als Entschädigung für die Hilfeleistungen seiner Frau je Dialysebehandlung 15,- DM zu zahlen, lehnte sie mit Bescheid vom 6. Juni 1973 ab. Widerspruch, Klage und Berufung hatten keinen Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 20.7.1973; Urteil des Sozialgerichts - SG - vom 28.11.1974; Urteil des Landessozialgerichts - LSG - vom 10.7.1975). Das LSG hat ausgeführt: Sinn und Zweck der Gestellung des Heimdialysegerätes und der für den Kläger kostenfreien Ausbildung seiner Frau sei es gewesen, im Interesse der gesamten Versichertengemeinschaft die bei der Durchführung der Dialyse im Krankenhaus oder unter Mithilfe einer fremden Pflegekraft entstehenden Kosten zu ersparen. Die Ehefrau des Klägers habe als solche die Pflicht gehabt, ihrem der Versichertengemeinschaft solidarisch angehörenden Ehemann zu helfen, sich durch Benutzung des Heimdialysegerätes für die damit zugunsten dieser Gemeinschaft eintretende Kostenersparnis einzusetzen. Der Kläger habe deshalb keinen Anspruch auf einen finanziellen Ausgleich für die Betreuungsleistungen seiner Frau.

Mit der - zugelassenen - Revision rügt der Kläger Verletzung des § 16 Abs. 12 der Versicherungsbedingungen (VB) der Beklagten. Er hebt hervor, daß das Heimdialysegerät ihm auch im Interesse der Erhaltung seiner beruflichen Einsatzfähigkeit zur Verfügung gestellt worden sei, und meint, seine Frau sei nicht verpflichtet gewesen, eine unverhältnismäßig hohe Belastung auf sich zu nehmen, nur um im Hinblick auf die Solidarität einer Versichertengemeinschaft Kosten zu sparen.

Der Kläger hat schriftsätzlich beantragt,

die vorinstanzlichen Urteile sowie den Bescheid der Beklagten vom 6. Juni 1973 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 20. Juli 1973 aufzuheben und diese zu verurteilen, ihm für jede Heimdialyse ein Pflegegeld von 15,- DM zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -).

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet. Die Vorinstanzen haben der Klage zu Recht den Erfolg versagt; denn dem Kläger stand für die Hilfeleistungen seiner Frau bei der Heimdialysebehandlung keine Entschädigung zu.

Entgegen der Auffassung des Klägers läßt sich der von ihm geltend gemachte Anspruch nicht aus § 16 Abs. 12 (jetzt entsprechend § 16 Abs. 6) der VB der Beklagten herleiten. Diese Vorschrift besagt (Satz 1), daß die Beklagte Hilfe und Wartung durch Krankenpfleger, Krankenschwestern oder anderen Pflegern gewähren kann, wenn die Aufnahme des Kranken in ein Krankenhaus geboten, aber nicht ausführbar ist oder ein wichtiger Grund vorliegt, den Kranken in seinem Haushalt oder in seiner Familie zu belassen. Im wesentlichen dasselbe bestimmt bereits § 185 Abs. 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO). Diese als Ermessensleistung des Krankenversicherungsträgers normierte sogenannte "Hauspflege" ist keine besondere Art der Hilfeleistung. Sie stellt vielmehr lediglich eine in bestimmter Richtung ausgestaltete Krankenpflege (§ 182 RVO) dar, die nur als Ersatz für eine an sich gebotene aber nicht mögliche oder nicht angezeigte Krankenhauspflege in Betracht kommt. Die Gewährung der Hauspflege setzt also voraus, daß die Krankenkasse im Einzelfall an sich berechtigt und verpflichtet ist, dem Versicherten Krankenhauspflege zu gewähren. Das hat der Senat in seinem Urteil vom 18. November 1969 (BSGE 30, 144, 146 = SozR 1 zu § 185 RVO) in Anwendung des § 185 Abs. 1 RVO ausgeführt.

Schon von dieser Voraussetzung kann nach den Feststellungen des LSG nicht ausgegangen werden. Der Kläger ist, wie er auch selbst vorgetragen hat, vor der Gestellung des Heimdialysegerätes in einer Heidelberger Klinik ambulant dialysiert worden. Eine derartige Dialysierung ist jedoch keine Krankenhauspflege, sondern nur eine besondere Art der ärztlichen Behandlung, die ebensogut beispielsweise in einer freien Dialysepraxis hätte durchgeführt werden können. Anhaltspunkte dafür, daß nach der Gestellung des Heimdialysegerätes Umstände eingetreten sein könnten, die bei dem Kläger statt einer derartigen Dialysebehandlung eine Krankenhauspflege hätten angezeigt erscheinen lassen, sind um so weniger gegeben, als der Kläger in der Folgezeit das ihm von der Beklagten zur Verfügung gestellte Heimdialysegerät stets ohne irgendwelche Beanstandungen benutzt hat.

Abgesehen hiervon ist auch die Hauspflege eine Sachleistung; sie kann nicht durch Geldzahlungen an den Versicherten abgegolten werden. Im Gegenteil ist es nach § 185 Abs. 2 RVO dem Krankenversicherungsträger durch entsprechende Satzungsbestimmungen sogar gestattet, bei der Gewährung von Hauspflege dem Versicherten das Krankengeld zu kürzen. Die Vorschrift des § 16 Abs. 12 Satz 2 der VB der Beklagten, daß die Kasse die "dadurch" - also durch die Hauspflege - entstehenden Kosten übernimmt, bezieht sich mithin entgegen der Auffassung des Klägers allein auf Kosten, die anläßlich der Gewährung der Sachleistung "Hauspflege" - also anläßlich der Hilfe und Wartung durch von der Krankenkasse zur Verfügung gestellten Krankenpfleger, Krankenschwestern und andere Pfleger - entstehen, wie beispielsweise Kosten für erhöhten Bedarf an Reinigungsmitteln oder - wie hier - für erhöhten Stromverbrauch und verstärkte Müllbeseitigung. Die unmittelbar durch die Gestellung der Krankenpfleger, Krankenschwestern und anderen Pfleger anfallenden Kosten können von dieser Vorschrift der VB schon deshalb nicht erfaßt werden, weil die Gestellung dieses Hilfe- und Wartungspersonals als Sachleistung seitens der Krankenkasse für den Versicherten kostenlos erfolgt, ihm insoweit also Kosten nicht erwachsen.

Die Hilfeleistung seiner Ehefrau bei den Heimdialysebehandlungen des Klägers war aber weder eine Hauspflege noch eine sonstige Leistung der Beklagten. Bei dieser Hilfeleistung handelte es sich vielmehr - ebenso wie bei der Pflege, die eine Ehefrau ihrem erkrankten Mann und jede Mutter ihrem erkrankten Kind zu Hause zukommen läßt - um nichts anderes als um eine selbstverantwortliche Eigenleistung der Familie; denn es gehört zu den Pflichten jedes Versicherten und zumindest seiner mit ihm im Haushalt lebenden Familienangehörigen, alles in ihren Kräften stehende Zumutbare zu tun, um neben den vorgesehenen Leistungen der Krankenkasse zur Behebung ihres eigenen Krankheitszustandes oder des Krankheitszustandes ihrer Angehörigen beizutragen (BSGE 28, 253 = SozR Nr. 33 zu § 182 RVO). Die mit der Hilfeleistung bei einer Heimdialysebehandlung verbundene Belastung eines Familienangehörigen ist aber verhältnismäßig gering im Vergleich beispielsweise zu der Belastung, die mit der Betreuung eines bettlägerig kranken älteren Familienmitglieds verbunden zu sein pflegt; denn die Heimdialyse wird - wie das auch bei dem Kläger der Fall gewesen ist - im allgemeinen wöchentlich nur dreimal an festgelegten Tagen und in der Regel nachts durchgeführt. Dabei muß die Hilfsperson den Dialysepatienten an das Dialysegerät anschließen und nach beendeter Dialysierung diese Verbindungen mit dem Gerät wieder lösen. Dafür ist ein Zeitaufwand von insgesamt etwa einer Stunde erforderlich. Während der Dialysierung selbst, die bis zu neun Stunden dauern kann, muß sich die Hilfsperson lediglich derart in Bereitschaft halten, daß sie - erfahrungsgemäß nur selten - auftretende und von dem Dialysegerät akustisch angezeigte Störungen beheben kann. Die Hilfsperson kann während dieser Bereitschaftszeit also in aller Regel auch schlafen. Das Vorbereiten und Reinigen des Dialysegerätes schließlich kann auch von dem Dialysepatienten selbst besorgt werden (vgl. Rdschr. des Bundesarbeitsministers vom 6.11.1975; BVBl 1976, 2). Anhaltspunkte dafür, daß der Ehefrau des Klägers diese Hilfeleistungen zu irgendeiner Zeit unzumutbar gewesen wären, sind nicht gegeben. Die Ehefrau des Klägers hat die Hilfeleistungen verrichtet, obwohl sie bei - aus welchen Gründen auch immer - eintretender Unzumutbarkeit jederzeit in der Lage war, dies der Beklagten zur Kenntnis zu bringen und ihr damit Gelegenheit zu geben, die dann erforderlichen Maßnahmen wie etwa die Gestellung einer fremden Hilfskraft oder die Weiterführung der Dialysierung in einer freien Dialysepraxis, einer Klinik oder in einem Krankenhaus einzuleiten.

Schließlich weist der Kläger selbst zutreffend darauf hin, daß die Beklagte ihm das Heimdialysegerät auch zwecks Erhaltung seiner beruflichen Einsatzfähigkeit zur Verfügung gestellt hat. Die unter Mithilfe seiner Ehefrau mögliche Benutzung dieses Gerätes entsprach also seinem persönlichen Interesse. Jedes Mitglied der gesetzlichen Krankenversicherung hat aber auch die Pflicht, zugunsten der Gesamtheit aller Versicherten als einer Solidargemeinschaft und damit wiederum zugleich zu seinen eigenen Gunsten soweit als möglich dazu beizutragen, daß die im Interesse seiner Gesundheit aufzuwendenden finanziellen Mittel sich stets im Rahmen des Notwendigen halten (§ 182 Abs. 2 RVO).

Nach alledem begründete die Hilfeleistung seiner Ehefrau bei den Heimdialysebehandlungen keinen Entschädigungsanspruch des Klägers gegen die Beklagte. Seiner Revision ist deshalb der Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

BSGE, 139

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