Entscheidungsstichwort (Thema)

Heimdialysebehandlung

 

Leitsatz (amtlich)

Hilft die Ehefrau eines Versicherten bei dessen Heimdialyse durch Bedienung des Dialysegerätes, so ist von der KK dafür keine Geldentschädigung zu zahlen (Fortsetzung von BSG 1977-07-14 3 RK 60/75).

 

Leitsatz (redaktionell)

Das Leistungsrecht der gesetzlichen Krankenversicherung führt im wesentlichen zur Erbringung von Sachleistungen; es kennt zwar auch Barleistungen, aber diese sind vom Gesetz mit allen Voraussetzungen detailliert vorgeschrieben; es kennt nicht das Prinzip des Finanzausgleichs zwischen Versichertenvermögen und Kassenvermögen mit dem Effekt, daß (angeblich) ersparte Aufwendungen der Kasse dem Versicherten gutzubringen seien.

 

Normenkette

RVO § 185 Abs. 1 Fassung: 1924-12-15, § 507 Abs. 4 Fassung: 1969-07-27; SVAufbauV 12 Art. 2 § 4 Abs. 2 Fassung: 1935-12-24

 

Verfahrensgang

LSG Hamburg (Entscheidung vom 18.08.1976; Aktenzeichen I KRBf 15/75)

SG Hamburg (Entscheidung vom 30.07.1975; Aktenzeichen 1 KR 105/74)

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 18. August 1976 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Zahlung einer Geldentschädigung für die Tätigkeit der Ehefrau des Klägers bei dessen Heimdialyse.

Der Kläger ist als Programmierer gegen ein die Versicherungspflichtgrenze der Krankenversicherung übersteigendes Arbeitsentgelt beschäftigt und Mitglied der beklagten Ersatzkasse. Die Beklagte stellte dem Kläger 1971 zur Bekämpfung seiner Nierenerkrankung ein Heimdialysegerät zur Verfügung, mit dem seither laufend wöchentlich zwei bis drei Dialysen durchgeführt werden. Die Bedienung des Geräts übernimmt dabei die Ehefrau des Klägers, der die zu diesem Zweck erforderlichen Kenntnisse durch eine besondere Unterweisung vermittelt worden sind.

Im Mai 1974 forderte der Kläger die Beklagte auf, ihm 35.688,- DM zu zahlen. Seine Ehefrau habe in der Zeit vom 29. Oktober 1971 bis zum 9. Mai 1974 für die Bedienung des Dialysegeräts 3.088 Stunden aufgewandt, die mit einem Betrag von je 13,50 DM zu entgelten seien. Sofern keine Heimdialyse durchgeführt worden wäre, hätte der Kläger eine Dialysebehandlung im Krankenhaus unter ärztlicher Aufsicht erhalten müssen, die Tätigkeit der Ehefrau stelle somit ein Surrogat für ärztliche Behandlung dar. Außerdem sei zu berücksichtigen, daß es seiner Ehefrau infolge der ausgedehnten Inanspruchnahme durch die Heimdialyse nicht möglich gewesen sei, eine berufliche Beschäftigung auszuüben; dadurch sei ihr Arbeitsentgelt entgangen. Der von ihm angenommene Stundensatz für die Dialysetätigkeit liege angesichts der Qualifikation dieser Tätigkeit und der damit verbundenen Verantwortung an der unteren Grenze. Die Beklagte lehnte den Anspruch mit Bescheiden vom 28. April und 2. Juli 1974 ab. Der Widerspruch des Klägers dagegen blieb erfolglos.

Mit der Klage vor dem Sozialgericht (SG) Hamburg hat der Kläger sein Begehren weiterverfolgt. Das SG hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 13. August 1975). Die Dialysetätigkeit der Ehefrau des Klägers sei keine Hauspflege i. S. des § 185 Abs. 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO), nur wenn sie dadurch einen Verdienstausfall erlitten hätte, der zum Familienunterhalt notwendig gewesen wäre, sei eine Geldentschädigung möglich. Der Kläger habe jedoch seine Berufstätigkeit als Programmierer mit vollem Lohn ausüben und damit den Familienunterhalt sichern können. Im übrigen habe die Ehefrau ihre Berufstätigkeit bereits 1965 nach der Geburt des ersten Kindes aufgegeben.

Das Landessozialgericht (LSG) Hamburg hat die Berufung des Klägers gegen diese Entscheidung zurückgewiesen (Urteil vom 18. August 1976): Die Dialysetätigkeit der Ehefrau habe nicht den Charakter einer Ersatzleistung für ärztliche Behandlung. Zu dieser rechneten zwar nach § 122 Abs. 1 RVO auch Hilfsmaßnahmen anderer Personen, die aber lediglich den Angehörigen von Heilhilfsberufen vorbehalten seien. Der Anspruch auf Hauspflege nach § 185 RVO sei ein Sachleistungs- und kein Vergütungsanspruch. Der Kläger habe sich außerdem damit einverstanden erklärt, daß seine Ehefrau die Bedienung des Heimdialysegeräts ohne Ansprüche auf Entschädigung übernehme, darüber hinaus sei sie auch auf Grund der ehelichen Lebensgemeinschaft verpflichtet, dem Kläger im Krankheitsfall beizustehen. Nach Auffassung ärztlicher Sachverständiger sei für die Dialysebetreuung lediglich ein Arbeitsaufwand von etwa sechs Stunden in der Woche erforderlich, ein solcher Zeitaufwand sei der Ehefrau zumutbar.

Gegen dieses Urteil richtet sich die zugelassene Revision des Klägers. Er bestreitet, daß zwischen ihm und der Beklagten eine Vereinbarung getroffen worden sei, wonach seine Ehefrau die Dialysebetreuung ohne Entschädigung übernehmen wolle. Das LSG habe insoweit eine einseitige Behauptung der Beklagten übernommen. Des weiteren habe das LSG gegen den Grundsatz der Sachaufklärung verstoßen. Es habe angenommen, daß seine Ehefrau nicht dem Personenkreis der Heilhilfsberufe angehöre. Diese Annahme sei unzutreffend, denn sie habe für ihre Tätigkeit eine spezielle Ausbildung absolviert. Gegebenenfalls sei zu dieser Frage ein Sachverständigengutachten einzuholen gewesen. Schließlich verkenne das LSG den Inhalt des § 185 RVO. Diese Vorschrift gewähre dem Kläger einen Anspruch auf Hauspflege und zu deren Kosten gehörten auch die Kosten der Versorgung des Klägers durch seine Ehefrau während der Heimdialyse.

Der Kläger beantragt,

das angefochtene Urteil sowie das Urteil des SG Hamburg vom 30. Juli 1975 abzuändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 11. Juni/2. Juli 1974 i. d. F. des Widerspruchsbescheids vom 18. August 1974 zu verurteilen, dem Kläger für vom 29. Oktober 1971 bis 9. Mai 1974 durchgeführte 270 Dialysen eine finanzielle Entschädigung von 35.688,- DM zu zahlen,

hilfsweise,

dem Kläger für jede ab 29. Oktober 1971 bis 9. Mai 1974 durchgeführte Heimdialyse ein Hauspflegegeld in Höhe von mindestens 15,- DM pro Dialysebehandlung zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision gegen das Urteil des LSG Hamburg vom 18. August 1976 - I KRBf 15/75 - zurückzuweisen.

Sie hält die Vorentscheidungen für zutreffend. Der Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung enthalte keine Vorschrift, die die Gewährung von Pflegegeld oder einer Pflegezulage vorsehe.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers ist nicht begründet. Er hat keinen Anspruch auf Zahlung einer Entschädigung für die Betreuungstätigkeit seiner Ehefrau während der Heimdialyse.

Der Kläger ist nichtversicherungspflichtiges Mitglied der beklagten Ersatzkasse, seine Ansprüche aus dem Versicherungsverhältnis bestimmen sich somit gemäß Art. 2 § 4 Abs. 2 der Zwölften Verordnung zum Aufbau der Sozialversicherung (Ersatzkassen der Krankenversicherung) vom 24. Dezember 1935 (RGBl I 439) i. d. F. der Fünfzehnten Verordnung vom 1. April 1937 nach den Bestimmungen der Satzung der Beklagten, jedoch findet die autonome Rechtsetzungsbefugnis ihre Grenzen in den übergeordneten gesetzlichen Normen (vgl. BSG in SozR Nr. 38 zu § 184 RVO). Eine solche gesetzliche Bestimmung ist § 507 Abs. 4 RVO, die vorschreibt, welche Regelungen der RVO im einzelnen für Mitglieder der Ersatzkassen gelten. Dieser Verweis auf die RVO-Vorschriften hat nicht nur Bedeutung für die versicherungspflichtigen, sondern für alle Mitglieder von Ersatzkassen (vgl. Peters, Handbuch der Krankenversicherung, 17. Aufl., Stand: Juni 1977, § 507, Anm. 8, S. 17/2390; Krauskopf/Schroeder-Printzen, Soziale Krankenversicherung, 2. Aufl. 1976, § 507, Anm. 1), er gilt mithin auch für die Ansprüche des Klägers aus seinem Versicherungsverhältnis.

Der Kläger erhebt in dem vorliegenden Rechtsstreit einen eigenen Anspruch auf Zahlung eines näher bezifferten Geldbetrags. Die Frage, ob möglicherweise der Ehefrau des Klägers irgendwelche finanziellen Ansprüche gegen die Beklagte zustehen könnten, bedarf demgemäß keiner weiteren Erörterung, zumal auch keinerlei Anhaltspunkte dafür bestehen, daß der Kläger solche Ansprüche im Wage der Prozeßstandschaft erheben wollte. Im übrigen könnte aber bei derartigen Ansprüchen, wie das LSG zutreffend bemerkt, fraglich sein, ob sie vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit geltend zu machen wären.

Der Sachvortrag des Klägers läßt erkennen, daß er zur Errechnung des geforderten Geldbetrags von einem selbst geschätzten Stundenlohn ausgeht und diesen mit der Zahl der Stunden vervielfältigt, die seine Ehefrau bei der Bedienung des Heimdialysegeräts verbracht habe. Das LSG hat nicht festgestellt - der Kläger hat auch niemals eine dahingehende Behauptung erhoben -, daß der Kläger den geforderten Betrag seiner Ehefrau tatsächlich gezahlt hätte und nunmehr dafür einen Erstattungsanspruch geltend machte. Es ist auch nicht davon auszugehen, daß er mit seiner Ehefrau eine entsprechende Zahlung vereinbart hätte, diese nun schulde und deswegen an die Beklagte herantrete. Seiner Forderung liegt offenbar vielmehr der Gedanke zugrunde, daß sich die Beklagte dadurch Ausgaben erspart habe, daß die Bedienung des Dialysegeräts durch die Ehefrau des Klägers anstatt durch eine von der Kasse bezahlte Hilfskraft vorgenommen worden sei. Der Gedanke, durch derartige Zahlungen einen Vermögensausgleich zwischen Krankenkasse und Versichertem herzustellen, ist jedoch dem Recht der gesetzlichen Krankenversicherung fremd. Die soziale Krankenversicherung beruht auf dem Gedanken des Solidarausgleichs innerhalb der Versichertengemeinschaft. Sie kennt nicht das Prinzip des Finanzausgleichs zwischen Versichertenvermögen und Kassenvermögen mit dem Effekt, daß - angeblich - ersparte Aufwendungen der Kasse dem Versicherten gutzubringen seien. Soweit im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung ausnahmsweise für ersparte Aufwendungen eine Vermögensentschädigung zu zahlen war (vgl. "Krankenscheinprämie", § 188 Abs. 2 bis 4 RVO in der bis zum 31. Dezember 1973 geltenden Fassung), bedurfte es dazu einer ausdrücklichen gesetzlichen Regelung. Das Leistungsrecht der gesetzlichen Krankenversicherung führt im wesentlichen zur Erbringung von Sachleistungen; es kennt zwar auch Barleistungen, aber diese sind vom Gesetz mit allen Voraussetzungen detailliert vorgeschrieben, die vom Kläger beanspruchte Leistung findet sich darunter nicht.

Es kann dahinstehen, ob im Leistungsrecht der sozialen Krankenversicherung im Verhältnis zwischen den Versicherten und Krankenkassen der Rechtsgrundsatz der ungerechtfertigten Bereicherung überhaupt Anwendung finden kann, denn selbst wenn man ihn für anwendbar hielte, fehlte es an der Unmittelbarkeit der Vermögensverschiebung zwischen Kasse und Versichertem und an der Verpflichtung der Beklagten zur Zahlung einer Geldentschädigung. Der Senat hat bereits in dem zur Veröffentlichung bestimmten Urteil vom 14. Juli 1977 - 3 RK 60/75 - entschieden, daß einem Versicherten für die Hilfeleistung seiner Ehefrau bei der von ihr durchzuführenden Heimdialyse keine Entschädigung zusteht. In dem Urteil ist dargelegt, daß die Hauspflege eine Sachleistung der Versicherung ist, die nicht durch Geldzahlungen abgegolten werden kann. Es bedarf in diesem Zusammenhang keiner weiteren Erörterung der Versicherungsbedingungen der Beklagten, die in Abschn. G unter Ziff. 1 für die nichtversicherungspflichtigen Mitglieder anordnet, daß sie Leistungen nach Versicherungsbestimmungen des Abschn. F erhalten. In diesem Abschnitt sehen die Versicherungsbedingungen unter dem Kapitel "Hauspflege" vor, daß die Kasse auf vorherigen Antrag des Mitglieds die gebotene Krankenhauspflege durch häusliche Pflege ersetzen kann (Ziff. 1) und die notwendigen Kosten für Hilfe und Wartung durch Krankenschwestern, Krankenpfleger oder andere gleichzuerachtende Pflegepersonen erstattet (Ziff. 2). Da nach § 507 Abs. 4 RVO die Vorschrift des § 185 RVO für die Mitglieder der Ersatzkasse gilt, kann diese Satzungsbestimmung nur i. S. des § 185 RVO ausgelegt werden. Eine Kassenleistung nach Ziff. 2 des Kapitels Hauspflege in Abschn. F der Versicherungsbedingungen könnte demgemäß überhaupt nur dann in Erwägung gezogen werden, wenn dem Versicherten Kosten erwachsen waren, mit denen die Kasse sich vorher einverstanden erklärt hatte. Daran fehlt es jedoch im vorliegenden Rechtsstreit, ungeachtet der Frage, ob der Kläger seinerseits sich zur unentgeltlichen Tätigkeit seiner Ehefrau ausdrücklich bereit erklärt hatte. Deshalb bedarf es auch keiner Entscheidung der weiteren Frage, ob die Ehefrau des Klägers dem Personenkreis zuzurechnen wäre, die eine Hauspflege nach § 185 RVO erstattungsfähig ausüben könnten. Schließlich vermag auch die Rüge des Klägers, das Verfahren des LSG leide an mangelnder Sachaufklärung, seiner Revision nicht zum Erfolg zu verhelfen. Auf die Aufklärung der Frage, welche Anforderungen die Heimdialyse stellt, kam es bei der Rechtsauffassung des LSG nicht an. Im übrigen hatte das LSG die Ehefrau des Klägers sogar als eine "Pflegeperson i. S. von § 185 RVO" angesehen (S. 6 des Urteils), dazu aber mit Recht bemerkt, daß dadurch für den Anspruch des Klägers nichts gewonnen sei.

Da somit der Anspruch des Klägers unter keinem denkbaren Gesichtspunkt begründet ist, war seine Revision gegen das Urteil des LSG zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.

 

Fundstellen

BSGE, 130

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