Entscheidungsstichwort (Thema)

Erstattung von Arbeitslosengeld bei Gleichwohlgewährung

 

Orientierungssatz

1. Zur Erstattung (Rückforderung) von Arbeitslosengeld nach § 117 Abs 4 S 2 AFG.

2. Die Bundesanstalt für Arbeit ist nicht verpflichtet, den auf sie übergegangenen Anspruch des Arbeitslosen beim Arbeitgeber beizutreiben, selbst wenn ihr dies möglich wäre (vgl BSG vom 11.6.1987 7 RAr 16/86 = SozR 4100 § 117 Nr 18).

3. Die durch den Arbeitsgerichtsstreit erwachsenen Kosten vermögen die Abfindungssumme nicht mit der Folge zu mindern, daß sich der Anrechnungszeitraum und damit der zu erstattende Arbeitslosengeldbetrag verringern (§ 117 Abs 2 und 3 AFG).

 

Normenkette

AFG § 117 Abs 4 S 2; AFG § 117 Abs 2; AFG § 117 Abs 3

 

Verfahrensgang

LSG Rheinland-Pfalz (Entscheidung vom 27.02.1987; Aktenzeichen L 6 Ar 86/86)

SG Speyer (Entscheidung vom 27.05.1986; Aktenzeichen S 3 Ar 317/85)

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger das ihm vom 1. Dezember 1982 bis 25. Januar 1983 in Höhe von 2.971,20 DM gezahlte Arbeitslosengeld (Alg) wegen einer erhaltenen Abfindung zurückzuerstatten hat.

Das ab 1982 bei einer chemischen Fabrik bestehende Arbeitsverhältnis des Klägers als Pharmaberater wurde von der Arbeitgeberin zum 30. November 1982 fristlos gekündigt. Dagegen erhob der Kläger Kündigungsschutzklage. Hierauf bewilligte die Beklagte ihm ab 1. Dezember 1982 Alg und machte im Hinblick auf eine künftige Abfindung vorsorglich einen Anspruchsübergang bei der Arbeitgeberin geltend (§ 117 Abs 4 des Arbeitsförderungsgesetzes -AFG-); das teilte sie jeweils mit einfachem Brief vom 27. Januar 1983 auch dem Kläger und dem Arbeitsgericht mit. Im Juli 1984 verglichen sich die Parteien des Arbeitsgerichtsstreits vor dem Landesarbeitsgericht dahin, daß das Arbeitsverhältnis zum 30. November 1982 aufgelöst werde und die Arbeitgeberin dem Kläger als Abfindung gemäß §§ 9, 10 des Kündigungsschutzgesetzes (KSchG) 10.000,-- DM brutto für netto zahle. Diesen Betrag ließ der Kläger sich alsbald überweisen.

Mit bindend gewordenem Bescheid vom 13. März 1985 berechnete die Beklagte nach § 117 Abs 2 und 3 AFG, daß der Abfindung zufolge der Anspruch auf Alg für die Zeit vom 1. Dezember 1982 bis 25. Januar 1983 geruht hätte und forderte die Arbeitgeberin unter Hinweis auf die Mitteilung vom 27. Januar 1983 auf, für die dem Kläger in dieser Zeit gewährten Leistungen einschließlich der Beiträge für die Kranken- und Rentenversicherung den entsprechenden Teil der Abfindung an sie abzuführen. Das lehnte die Arbeitgeberin mit der Begründung ab, sie habe die Überleitungsanzeige nicht erhalten und von dem Forderungsübergang keine Kenntnis erlangt.

Nunmehr hob die Beklagte den Alg-Bewilligungsbescheid für die Zeit vom 1. Dezember 1982 bis 25. Januar 1983 auf und forderte gemäß § 117 Abs 4 AFG das erbrachte Alg in Höhe von 2.971,20 DM vom Kläger zurück, weil die Arbeitgeberin die gesamte Abfindung mit befreiender Wirkung an ihn ausgezahlt habe (Bescheid vom 30. April, Widerspruchsbescheid vom 12. Juli 1985).

Die Klage hiergegen hat das Sozialgericht (SG) abgewiesen, die zugelassene Berufung hat das Landessozialgericht (LSG) zurückgewiesen. Der Kläger müsse den verlangten Betrag erstatten.

Mit der zugelassenen Revision rügt der Kläger eine Verletzung von § 117 AFG. Die Rechtsverfolgungskosten seien entgegen der Auffassung des LSG von dem Abfindungsbetrag abzuziehen. Anderenfalls trete eine nicht hinzunehmende Benachteiligung ein, die einem enteignenden Eingriff gleichkäme. Auch habe das LSG zu Unrecht eine Sorgfaltspflichtverletzung der Beklagten verneint. Er sei, da er die Überleitungsanzeige gekannt habe, von einer beweisbaren Bekanntgabe an die Arbeitgeberin und somit bei Abschluß des arbeitsgerichtlichen Vergleichs von deren Erstattungsverpflichtung ausgegangen. Durch den Vergleich habe er in den ungeschmälerten Genuß der Abfindung kommen sollen.

Der Kläger beantragt,

die Urteile der Vorinstanzen und den Bescheid der Beklagten vom 30. April 1985 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. Juli 1985 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Die Beteiligten sind mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet; zutreffend hat das LSG entschieden, daß der Kläger der Beklagten das ihm in der Zeit vom 1. Dezember 1982 bis 25. Januar 1983 gewährte Alg in Höhe von 2.971,20 DM zu erstatten hat.

Der Kläger begehrt ausschließlich, den ihn beschwerenden Bescheid der Beklagten vom 30. April 1985 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. Juli 1985 aufzuheben (§ 54 Abs 1 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-). Auf diese echte Anfechtungsklage ist daher das Gesetz in der Fassung anzuwenden, in der es bei Erlaß des Widerspruchsbescheides galt (BSGE 7, 13 mwN = SozR SVA 11 Allg Nr 2). Dies ist § 117 AFG, wie ihn das 4. Änderungsgesetz zum AFG vom 12. Dezember 1977 (BGBl I 2557) ausgestaltet hat; in Sonderheit Abs 4 mit den Änderungen durch das Sozialgesetzbuch - Verwaltungsverfahren - (SGB 10) - Zusammenarbeit der Leistungsträger und ihre Beziehungen zu Dritten (Gesetz vom 4. November 1982 - BGBl I S 1450 -). Nach § 117 AFG ruht der Anspruch auf Alg in der Zeit, für die der Arbeitslose Arbeitsentgelt erhält oder zu beanspruchen hat (Abs 1). Hat er wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine Abfindung erhalten und ist das Arbeitsverhältnis ohne Einhaltung einer der ordentlichen Kündigungsfrist des Arbeitgebers entsprechenden Frist beendet worden, so ruht der Anspruch auf Alg von dem Ende des Arbeitsverhältnisses an bis zu dem Tage, an dem das Arbeitsverhältnis bei Einhaltung dieser Frist geendet hätte (Abs 2 Satz 1), jedoch nicht über den Tag hinaus, bis zu dem der Arbeitslose bei Weiterzahlung des Arbeitsentgelts einen Betrag von (höchstens) 70 vH der Abfindung verdient hätte; dieser Betrag vermindert sich ua nach dem Lebensalter (Abs 3). Soweit der Arbeitslose die in den Absätzen 1 bis 2 genannten Leistungen (Arbeitsentgelt iS des § 115 SGB 10) tatsächlich nicht erhält, wird das Alg auch in der Zeit gewährt, in der der Anspruch ruht. Hat der Arbeitgeber die in den Absätzen 1 bis 2 genannten Leistungen trotz des Rechtsüberganges mit befreiender Wirkung an den Arbeitslosen gezahlt, hat letzterer das Alg insoweit zu erstatten (Abs 4 Satz 1 und 2).

Wie dieser Gesamtregelung zu entnehmen ist, geht § 117 AFG davon aus, daß ein Anspruch auf Alg auch für Zeiten bestehen kann, für die der Arbeitnehmer Anspruch auf Arbeitsentgelt hat; denn Abs 4 sieht die Gewährung von Alg für diese Zeiten vor, soweit der Arbeitslose das Arbeitsentgelt tatsächlich nicht erhält. Insoweit handelt es sich um eine Ausnahme von § 117 Abs 1 und 2 AFG, indem der Zeitpunkt der Erfüllung des Alg-Anspruchs vorverlegt und der Anspruch in diesem Rahmen vom Ruhen ausgenommen wird, das anderenfalls nach Abs 1 eingetreten wäre (vgl hierzu SozR 4100 § 117 Nrn 16, 18 und 19).

Die Beklagte hat hier von der Ausnahme in § 117 Abs 4 Satz 1 AFG Gebrauch gemacht und dem Kläger antragsgemäß ab 1. Dezember 1982 Alg gewährt. Sie ist berechtigt, die Leistung ab diesem Tage bis zum 25. Januar 1983 von ihm zurückzufordern, weil ihm seine Arbeitgeberin wegen der fristlosen Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 30. November 1982 nachträglich eine Abfindung von 10.000,-- DM zugebilligt und mit befreiender Wirkung ausgezahlt hat (§ 117 Abs 4 Satz 2 AFG). Daß in der Abfindungssumme Beträge für Zeiten vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses enthalten waren, ist weder festgestellt noch von der Revision vorgebracht. Bedenken gegen den Erstattungszeitraum und die Höhe der Rückforderung bestehen daher nicht. Der rückwirkenden Teilaufhebung des das Alg seinerzeit bewilligenden Bescheides durch die Beklagte bedurfte es allerdings nicht; es hätte vielmehr ausgereicht, wenn sie mit dem angefochtenen Bescheid nur die Erstattung verlangt hätte. Bereits der bis zum 31. Dezember 1980 geltende § 152 Abs 2 AFG hatte für den Fall, daß der Alg-Empfänger später Arbeitsentgelt erhielt, die Rückzahlung des Alg ohne Aufhebung des Bewilligungsbescheides vorgesehen (vgl hierzu BSG-Urteil vom 20. Juni 1978 - 7/12/7 RAr 126/75 -). Hieran hat weder § 117 Abs 4 Satz 4 AFG in der seit dem 1. Januar 1981 geltenden Fassung des Gesetzes vom 18. August 1980 (BGBl I 1469) noch § 117 Abs 4 Satz 2 AFG in der hier maßgeblichen Fassung etwas geändert. In diesen Fällen wird nämlich nicht eigentlich Alg erstattet, sondern der Teil des Arbeitsentgelts an das Arbeitsamt abgeführt, der diesem aufgrund des gesetzlichen Anspruchsübergangs infolge seiner Alg-Zahlung zugestanden hat (BSG SozR 4100 § 117 Nrn 16, 18, 19). Einer Korrektur des angefochtenen Bescheides in diesem Punkt bedarf es indes nicht, weil ihm insoweit eine über die Erstattungsanordnung hinausgehende - den Kläger belastende - eigenständige Bedeutung nicht zukommt.

Entgegen dem Revisionsvorbringen ist die Beklagte nicht gehalten, von ihrem auf § 117 Abs 4 Satz 2 AFG gestützten Erstattungsverlangen deshalb abzusehen, weil sie bei der Überleitungsanzeige die erforderliche Sorgfalt verletzt und damit den Vollzug des gesetzlichen Forderungsüberganges vereitelt habe (§§ 412, 407 des Bürgerlichen Gesetzbuches). Eine bestimmte Form der postalischen Übermittlung ist für die Überleitungsanzeige gesetzlich nicht vorgeschrieben. Im übrigen hat das BSG bereits entschieden (SozR 4100 § 117 Nr 18), daß die Beklagte nicht verpflichtet ist, den auf sie übergegangenen Anspruch des Arbeitslosen beim Arbeitgeber beizutreiben, selbst wenn ihr dies möglich wäre. Eine solche Verpflichtung ist weder ausdrücklich normiert, noch läßt sie sich aus dem Zweck des AFG ableiten. Denn mit der Erbringung des Alg hat die Beklagte die ihr auferlegte Pflicht aus der Arbeitslosenversicherung gegenüber dem Versicherten erfüllt. Dies entspricht dem allgemeinen Prinzip der Schadensversicherung, die Aufwendungen der Versicherung auf den beim Versicherten eingetretenen versicherten Schaden zu begrenzen. Es soll bewirkt werden, daß der Arbeitslose durch Alg und Arbeitsentgelt nicht mehr erhält, als er ohne Eintritt des Versicherungsfalles an Arbeitsentgelt erhalten hätte. Der Anspruchsübergang erfolgt demnach im Interesse der Bundesanstalt, nicht aber zur Wahrung der Interessen des Arbeitslosen.

Abgesehen davon ist der Vorwurf einer Verletzung der Sorgfaltspflicht im Hinblick auf das eigene Verhalten des Klägers nicht gerechtfertigt. Wie das LSG bindend festgestellt und der Kläger in der Revisionsbegründung bekräftigt hat, ist ihm nämlich der Forderungsübergang von Anfang an bekannt gewesen. Er hat eine Abschrift der Überleitungsanzeige mit dem Hinweis erhalten, daß er nicht berechtigt sei, den auf die Beklagte übergegangenen Teil seiner Ansprüche gegen die Arbeitgeberin einzuziehen. Gleichwohl hat er nach der Feststellung des LSG darauf gedrängt, daß ihm die gesamte Abfindungssumme ausgezahlt wurde. Wenn das LSG bei dieser Sachlage den Vorwurf einer Pflichtverletzung als arglistig bezeichnet, ist dies rechtlich nicht zu beanstanden, zumal dem Kläger ein ausgleichsfähiger "Schaden" nicht entstanden ist. Wenn nämlich die Überleitungsanzeige der Arbeitgeberin förmlich bekanntgegeben und damit bekannt geworden wäre, hätte er den davon betroffenen Teil der Abfindung nicht erlangt und könnte nicht begehren, ihm diesen Betrag zu zahlen.

Dem Wortlaut und Sinn des arbeitsgerichtlichen Vergleichs ist nicht zu entnehmen, daß die Arbeitgeberin nicht nur die gesamte Abfindung an den Kläger zahlen, sondern darüber hinaus noch die Forderung der Beklagten erfüllen sollte. Eine derart ungewöhnliche Regelung würde nämlich die Kenntnis der Arbeitgeberin vom Übergang des Abfindungsanspruchs in Höhe des Alg auf die Beklagte voraussetzen. Gerade daran fehlt es aber nach den für den Senat gemäß § 163 SGG bindenden Feststellungen des Berufungsgerichts.

Die dem Kläger durch den Arbeitsgerichtsstreit erwachsenen Kosten vermögen die Abfindungssumme nicht mit der Folge zu mindern, daß sich der Anrechnungszeitraum und damit der zu erstattende Alg-Betrag verringern (§ 117 Abs 2 und 3 AFG). Das Gesetz gibt mit seiner pauschalierenden Regelung, die einen Anteil zwischen 30 und 70 Prozent der Abfindung zum Ruhen des Anspruchs auf Alg heranzieht, hierfür keine Handhabe. Bedenken dagegen sind den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zu § 117 AFG vom 12. Mai 1976 und 14. Dezember 1981 (SozR 4100 § 117 Nrn 1 und 8) nicht zu entnehmen. Im Hinblick darauf, daß auch der nicht arbeitslose Arbeitnehmer seine Prozeßkosten zu tragen hat, ist eine Beeinträchtigung des Gleichbehandlungsgebots zum Nachteil der Arbeitslosen nicht erkennbar. Denn die Kosten eines Arbeitsrechtsstreits sind, soweit nicht Prozeßkostenhilfe gewährt wird, stets von den Parteien zu tragen, ohne Unterschied, ob sie im Arbeitsverhältnis stehen oder nicht. Auch eine Verletzung von Art 14 Abs 1 des Grundgesetzes kommt nicht in Betracht, weil ein Prozeßführender, der sich eines Anwalts bedient, das Kostentragungsrisiko zunächst bewußt auf sich nimmt und bei Abschluß eines entsprechenden Vergleichs aus eigenem Willensentschluß behält.

Hiernach ist die Revision des Klägers mit der gemäß § 193 SGG erfolgten Kostenentscheidung zurückzuweisen.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1664504

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