Leitsatz (redaktionell)

Eine Belehrung über die Möglichkeit und die Voraussetzungen der Sprungrevision (SGG § 161) ist nicht notwendig.

Sinn und Zweck der Rechtsmittelbelehrung ist nur der, den Beteiligten den Regelweg zu weisen, wie sie ein ihren Wünschen nicht entsprechendes Urteil beseitigen können. Die Sprungrevision tritt aber wegen ihrer Beschränkung auf die nach SGG § 150 mit der Berufung anfechtbaren Fälle nur ausnahmsweise an die Stelle der Berufung. Es kann deshalb nicht Aufgabe des SG sein, die Beteiligten außer über das ordentliche Rechtsmittel auch noch über ein anderes, gegebenenfalls mögliches, wie die Sprungrevision, zu belehren.

 

Normenkette

SGG § 161 Abs. 1 Fassung: 1953-09-03, § 150 Fassung: 1953-09-03

 

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts in München vom 15. Februar 1955 aufgehoben. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Bayreuth vom 16. März 1954 wird als unzulässig verworfen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Von Rechts wegen.

 

Gründe

Das Versorgungsamt (VersorgA.) B bewilligte dem Kläger mit Umanerkennungsbescheid vom 23. Februar 1951 wegen Verlustes beider Augen nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) Versorgungsbezüge nach einer MdE. um 100 v. H. Die Erhöhung der Ausgleichsrente für seinen am 6. Juli 1931 geborenen Sohn Arnim, der nach den Feststellungen des Berufungsgerichts seit dem 28. Oktober 1950 Student der philosophischen Fakultät der Universität H ist, wurde mit der Begründung versagt, daß mit Rücksicht auf das Gesamteinkommen des Klägers ein Bedürfnis hierfür nicht bestehe. Das Sozialgericht (SG.) Bayreuth hat mit Urteil vom 16. März 1954 die Klage gegen diesen Bescheid hinsichtlich der geforderten Erhöhung der Ausgleichsrente abgewiesen.

Der Kläger hat gegen dieses ihm am 10. April 1954 zugestellte Urteil mit einem bei der Aufbaustelle des Bundessozialgerichts (BSG.) am 26. April 1954 eingegangenen Schreiben persönlich Sprungrevision eingelegt. Nachdem der Beklagte seine dazu nach § 161 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) erforderliche Einwilligung verweigert hatte, hat der Kläger mit Schreiben an das BSG. vom 10. Mai 1954 gebeten, die Revisionsschrift als Berufung an das Bayerische Landessozialgericht (LSG.) München abzugeben. Dort ist diese am 17. Mai 1954 eingegangen. Das LSG. hat die Berufung durch Urteil vom 15. Februar 1955 zurückgewiesen und die Revision zugelassen. Es hat die Berufungsfrist nach § 66 Abs. 2 SGG als gewahrt angesehen, weil die Rechtsmittelbelehrung des SG. eine Belehrung über die Möglichkeit und die Voraussetzungen der Sprungrevision nicht enthalte. Die Berufung sei auch nicht nach § 148 Nr. 4 SGG ausgeschlossen; sie sei aber sachlich nicht begründet.

Der Kläger rügt mit der Revision die Verletzung der §§ 33 Abs. 3 a. F. und 32 Abs. 3 BVG. Er hat beantragt,

den Beklagten zu verurteilen, die Kindererhöhung zur Ausgleichsrente wegen der Schul- und Berufsausbildung seines Sohnes Arnim für die Dauer der nachgewiesenen Ausbildung bis zur Vollendung des 24. Lebensjahres seines Sohnes zu zahlen.

Der Beklagte hat beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Die durch Zulassung statthafte Revision (§ 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG) ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Sie ist daher zulässig. Bei einer zulässigen Revision hat das Revisionsgericht zunächst von Amts wegen zu prüfen, ob die Prozeßvoraussetzungen für das Klage- und Berufungsverfahren vorliegen (BSG. 2 S. 225; Urteil des 8. Senats vom 26. Oktober 1956 - 8 RV 17/55 - mit weiteren Hinweisen). Zu den Prozeßvoraussetzungen für das Berufungsverfahren gehört die Zulässigkeit der Berufung. Diese ist vom LSG. zu Unrecht bejaht worden, weil die Frist zur Einlegung der Berufung vom Kläger versäumt worden ist. Das Urteil des SG. ist ihm am 10. April 1954 zugestellt worden, so daß die Berufungsfrist am 10. Mai 1954 ablief (§§ 151 Abs. 1, 64 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 SGG). Die Berufungsschrift ist aber erst am 17. Mai 1954 beim LSG. eingegangen. Der Eingang des Schriftsatzes des Klägers bei der Aufbaustelle des BSG. am 26. April 1954 hat die Rechtsmittelfrist nicht gewahrt. Denn die Berufung ist bei dem LSG. innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen (§ 151 Abs. 1 SGG). Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts hat die Berufungsfrist auch nicht nach § 66 Abs. 2 SGG ein Jahr betragen. Denn die Rechtsmittelbelehrung des SG. entspricht den in § 66 Abs. 1 SGG genannten Erfordernissen. Der Kläger ist darin über das Rechtsmittel der Berufung und das Gericht, bei dem sie einzulegen war, sowie über die wesentlichen Einzelheiten des Rechtsmittels unterrichtet worden. Eine Belehrung über die Möglichkeit und die Voraussetzungen der Sprungrevision (§ 161 SGG) war dabei nicht notwendig (Beschluß des 8. Senats vom 4. Oktober 1956 - 8 RV 179/54, SozR. SGG § 161 Bl. Da 2 Nr. 5). Nach Auffassung des Senats ist Sinn und Zweck der Rechtsmittelbelehrung nur der, den Beteiligten den Regelweg zu weisen, wie sie ein ihren Wünschen nicht entsprechendes Urteil beseitigen können. Die Sprungrevision tritt aber wegen ihrer Beschränkung auf die nach § 150 SGG mit der Berufung anfechtbaren Fälle nur ausnahmsweise an die Stelle der Berufung. Es kann deshalb nicht Aufgabe des SG. sein, die Beteiligten außer über das ordentliche Rechtsmittel auch noch über ein anderes, gegebenenfalls mögliches, wie die Sprungrevision, zu belehren. Hiernach ist die Berufungsfrist versäumt. Das LSG. hätte daher die Berufung als unzulässig verwerfen müssen (§ 158 Abs. 1 SGG). Entgegen der Ansicht des Prozeßbevollmächtigten des Klägers hat es sich zu der Frage, ob dem Kläger die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden konnte, nicht geäußert. Dazu hatte es auch keine Veranlassung, weil es die Rechtsmittelfrist nach § 66 Abs. 2 SGG als gewahrt angesehen hat. Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand konnte dem Kläger auch nicht nach § 67 Abs. 2 Satz 4 SGG gewährt werden, weil Wiedereinsetzungsgründe nicht vorlagen. Die Versäumung der Berufungsfrist beruhte auf einem Verschulden des Klägers. Er hat nicht die Sorgfalt aufgewendet, die unter Berücksichtigung seiner geistigen Fähigkeiten von ihm erwartet werden konnte. Denn er ist ausreichend darüber belehrt worden, daß gegen das Urteil die Berufung zulässig sei, und innerhalb welcher Frist und Form und bei welchem Gericht sie einzureichen ist. Wenn er trotzdem privatschriftlich eine Revision beim BSG. eingereicht hat, die nicht mehr rechtzeitig als Berufung an das LSG. weitergeleitet werden konnte, so trifft ihn allein ein Verschulden.

Hiernach war die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG. nicht zulässig. Da das LSG. ein Sachurteil erlassen hat, obwohl es die Berufung nach § 158 Abs. 1 SGG hätte verwerfen müssen, war das angefochtene Urteil aufzuheben und die Berufung als unzulässig zu verwerfen. Das Verbot der Schlechterstellung des Rechtsmittelklägers steht dieser Entscheidung nicht entgegen. Denn durch die Verwerfung der Berufung wird der Kläger in keine ungünstigere Lage versetzt als durch das von ihm angefochtene Urteil des Berufungsgerichts (vgl. BSG. 2 S. 225 (228, 229)).

Die Kostenentscheidung ergeht nach § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2290830

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