Beteiligte

Kläger und Revisionskläger

Beklagte und Revisionsbeklagte

 

Tatbestand

I.

Streitig ist die Beanstandung von 72 im Markenverfahren freiwillig entrichteten Monatsbeiträgen. Die Beitragsmarken sind in die dem Kläger am 17. Juli 1972 vom Ordnungsamt der Stadt W… ausgestellten - und noch am selben Tage aufgerechneten - Versicherungskarten Nrn. 6 und 7 eingeklebt und für die Zeit von Januar 1964 bis Dezember 1969 entwertet worden. Die Beklagte beanstandete die Beiträge als verspätet und darum zu Unrecht entrichtet; sie seien rechtsunwirksam (Bescheid vom 15. Juli 1981; Widerspruchsbescheid vom 16. Oktober 1981).

Das Sozialgericht hat die gegen die Beanstandung erhobene Klage abgewiesen (Urteil vom 18. Juni 1982). Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung zurückgewiesen (Urteil vom 27. September 1983) und ausgeführt: Die Beiträge seien gemäß § 140 Abs. 1 Angestelltenversicherungsgesetz (AVG) i.d.F. vor 1980 unwirksam, weil sie erst nach Ablauf von zwei Jahren nach den Kalenderjahren, für die sie gelten sollten, entrichtet seien. Beitragsentrichtung sei nicht der Kauf der Marken, sondern das Einkleben in die Versicherungskarte. Ein die Beklagte bindendes Anerkenntnis i.S. des § 145 Abs. 3 AVG i.d.F. vor 1981 liege nicht vor. Die Beanstandung erst kurz vor Ablauf der Zehnjahresfrist des § 145 Abs. 2 AVG verstoße nicht gegen Treu und Glauben, euch wenn man berücksichtige, daß der Kläger bei einer bis 1975 vorgenommenen Beanstandung die Beiträge aufgrund von Art. 2 3 49a Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetz (AnVNG) wirksam hätte nachentrichten können. Für die insoweit eingetretene Lage seien in erster Linie das fehlerhafte Verhalten des Klägers und daneben das des Ordnungsamtes ursächlich; dieses hätte den Kläger beim Ausstellen der Versicherungskarten Nrn. 6 und 7 darauf hinweisen müssen, daß er für Zeiten vor 1970 keine Beiträge mehr entrichten könne; die Stempelaufdrucke des Amtes auf den Versicherungskarten Nrn. 5 und 6 (Nr. 5 ebenfalls aufgerechnet am 17. Juli 1972): "Keine Folgekarte" sprächen dafür, daß es dies erkannt habe. Die Beklagte müsse den Kläger auch nicht aufgrund eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs so wie bei wirksamer Beitragsentrichtung stellen; eine unrichtige Auskunft des Ordnungsamtes müsse sie sich nicht zurechnen lassen, weil es sich beim Ordnungsamt um keine Auskunftsstelle der Beklagten handele.

Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt der Kläger Verletzung der §§ 140 und 145 AVG. Unter Beitragsentrichtung sei in § 140 AVG schon der Kauf der Marken zur späteren Verwendung zu verstehen. Jedenfalls verstoße die Beanstandung wegen der durch Pflichtwidriges Verhalten des Ordnungsamtes und der Beklagten versäumten Nachentrichtung gegen Treu und Glauben.

Der Kläger beantragt, die Urteile der Vorinstanzen sowie den Bescheid der Beklagten vom 15. Juli 1981 und den Widerspruchsbescheid aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, die vom Kläger für die Jahre 1964 bis 1969 geklebten Beitragsmarken als rechtswirksam zu behandeln.

Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision des Klägers hat insofern Erfolg, als der Rechtsstreit zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen ist.

Die erhobene Klage richtet sich gegen den Beanstandungsbescheid; der während des Berufungsverfahrens am 23. September 1982 weiter ergangene Bescheid, in dem die Beklagte die Zulassung zur Nachentrichtung abgelehnt hat, ist vom Kläger nicht angefochten und auch nicht nach § 96 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Gegenstand des Rechtsstreits geworden. Bei der Klage gegen den Beanstandungsbescheid handelt es sich um eine Anfechtungsklage, mit der sich der Kläger dagegen wendet, daß mit der Beanstandung die Unwirksamkeit der Beiträge festgestellt wird; einer zusätzlichen Verpflichtung der Beklagten, die Beiträge als wirksam zu behandeln, bedarf es bei Erfolg dieser Klage nicht, weil mit der Aufhebung des Beanstandungsbescheides schon deren Wirksamkeit feststünde.

In der Sache kann der Senat aufgrund des vom LSG festgestellten Sachverhalts über die Anfechtungsklage nicht abschließend entscheiden. Dabei bestehen allerdings keine Bedenken gegen eine Reihe von Ausführungen des LSG. So ist es zutreffend, daß die Beiträge verspätet entrichtet worden sind. Gemäß § 131 Abs. 1 AVG, der allgemein und darum auch im Rahmen des § 140 AVG gilt (Urteil vom 30. Juni 1983 - 11 RA 26/83 - DAngVers 1984, 258), erfolgte die Entrichtung durch das Einkleben in die Versicherungskarten; das ist am 17. Juli 1972 geschehen; zu diesem Zeitpunkt war die Frist des § 140 Abs. 1 AVG i.d.F. vor 1980 bereits abgelaufen. Ein Anerkenntnis der streitigen Beiträge i.S. des § 145 Abs. 3 Satz 2 AVG i.d.F. vor 1981 wurde ebenfalls zu Recht verneint, was die Revision nicht angreift. Der Beklagten ist ferner kein Verstoß gegen Treu und Glauben aufgrund eigenen fehlerhaften Verhaltens (bis zum Ende der Nachentrichtungsfrist des Art. 2 § 49a AnVNG) vorzuwerfen. Ein Sachverhalt, aufgrund dessen sie die Unwirksamkeit der Beitragsentrichtung schon früher erkannt hätte oder erkennen mußte, ist nicht festgestellt; zu einer früheren Prüfung war sie nicht verpflichtet (SozR 2200 § 1423 Nr. 8; DAngVers 1983, 446). Unausgeführt konnte schließlich bleiben, daß dem Versicherungsträger bei der Beanstandung von Beiträgen kein Ermessen zusteht; aus § 145 Abs. 2 AVG läßt sich entgegen der Meinung des Klägers kein solches herleiten.

Die Beanstandung würde jedoch gegen Treu und Glauben verstoßen, wenn der Kläger aufgrund eines pflichtwidrigen Verhaltens des Ordnungsamtes für die streitigen Zeiten noch Beiträge nach Art. 2 § 49a AnVNG nachentrichten dürfte und bei wirksamer Beanstandung auch nachentrichten würde; die Beklagte würde dann nämlich eine Beitragsentrichtung für unwirksam erklären, die sie, wenn auch auf anderem Wege, doch wieder zulassen müßte. Einem solchen Nachentrichtungsanspruch steht nicht schon seine Verneinung in dem unangefochtenen Bescheid vom 23. September 1982 entgegen, weil die Beklagte diesen Verwaltungsakt beim tatsächlichen Bestehen des Anspruchs gemäß § 44 Abs. 2 Satz 1 Sozialgesetzbuch - Verwaltungsverfahren - (SGB X) zurücknehmen muß. Ebensowenig ließe sich dem Kläger die Versäumung der bis zum 31. Dezember 1975 laufenden Antragsfrist (Art. 2 § 49a Abs. 3 AnVNG) vorhalten, wenn er wegen des Verhaltens des Ordnungsamtes aufgrund eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs so wie bei fristgemäßem Nachentrichtungsantrag gestellt werden müßte.

Zu Unrecht hat das LSG das Verhalten des Ordnungsamtes in diesem Zusammenhang schon deshalb als rechtlich unerheblich angesehen, weil das Amt keine Auskunftsstelle der Beklagten sei. Das Ordnungsamt hat bei der Ausgabe und Aufrechnung der Versicherungskarten aufgrund der §§ 133 ff AVG und der Allgemeinen Verwaltungsvorschriften über Versicherungskarten und Aufrechnungsbescheinigungen in der Rentenversicherung der Arbeiter und der Rentenversicherung der Angestellten (VVA) in der damals geltenden Fassung vom 20. Februar 1968 (BArbBl 1968, 173) Aufgaben der Angestelltenversicherung wahrgenommen. Der 12. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) hat aber bereits entschieden, daß ein Herstellungsanspruch gegen die zur Entscheidung hierüber berufene Behörde auch gegeben sein kann, wenn die zu Nachteilen für den Versicherten führende Handlung oder Unterlassung einer anderen Behörde zuzurechnen ist (BSGE 51, 89 = SozR 2200 § 381 Nr. 44). Dem schließt sich der erkennende Senat an. Der Herstellungsanspruch ist von der Rechtsprechung entwickelt worden, um Fehler im Verwaltungsablauf schon mit den der Verwaltung möglichen Mitteln (Amtshandlungen) auszugleichen und den Geschädigten nicht auf vor den ordentlichen Gerichten zu verfolgende, verschuldensabhängige und oft auch im Ergebnis nur unbefriedigende Schadensersatzansprüche in Geld zu verweisen. Deshalb kann es für den Herstellungsanspruch nicht darauf ankommen, welche der in den Verwaltungsablauf eingeschalteten Stellen pflichtwidrig gehandelt hat, sofern nur der entstandene Nachteil durch eine Amtshandlung der für diese zuständigen Verwaltungsstelle ausgleichbar ist. Die eine Haftung des Versicherungsträgers für Tätigkeiten der Gemeindeverwaltung und des Versicherungsamtes verneinende frühere Rechtsprechung kann daher nicht im Rahmen des später entwickelten Herstellungsanspruchs fortgeführt werden (12. Senat, aaO S. 96).

Ob das Ordnungsamt in einem hier zu beachtenden Sinne dem Kläger gegenüber pflichtwidrig gehandelt hat, läßt sich aus den vom LSG unter einem anderen Rechtsstandpunkt getroffenen unzureichenden Feststellungen nicht entnehmen; es ist einerseits von einem fehlenden Hinweis und andererseits von einer unrichtigen Auskunft die Rede. Von Bedeutung kann nur sein, ob das Amt erkannte, daß in erst 1972 ausgestellte Versicherungskarten Marken eingeklebt werden sollten, um damit noch für Zeiten vor 1970 Beiträge zu entrichten; denn dann hätte es den Kläger darauf hinweisen müssen, daß diese Beitragsentrichtung verspätet und darum unwirksam sein werde. Das ergibt sich auch ohne ausdrückliche Verankerung im AVG und den VVA aus der jeder Behörde obliegenden Schadensabwendungspflicht. Die Pflichten des Ordnungsamtes gingen (gehen) dagegen nicht so weit, auch noch nach einer erfolgten unwirksamen Entrichtung den Versicherten auf die Unwirksamkeit hinzuweisen; eine andere Beurteilung wegen der Nachentrichtungsmöglichkeit nach Art. 2 § 49a AnVNG scheidet schon deshalb aus, weil der Gesetzgeber diese Möglichkeit erst im späteren Rentenreformgesetz vom 16. Oktober 1972 geschaffen hat.

Der Herstellungsanspruch setzt im weiteren voraus, daß das rechtswidrige behördliche Verhalten für den eingetretenen Schaden ursächlich, d.h. eine wesentliche Bedingung für ihn war. Hierbei ist es zunächst zweifelhaft und daher zu klären, ob dem Kläger die Zweijahresfrist des § 140 Abs. 1 AVG i.d.F. vor 1980 trotz allgemeiner Belehrungen darüber (auch auf den Versicherungskarten?) unbekannt war; denn immerhin hatte er auch schon vor Juli 1972 freiwillige Beiträge entrichtet, und war er früher mehrere Jahre als Buchhalter versicherungspflichtig beschäftigt gewesen. Dagegen spricht manches dafür - obwohl auch das der Klärung bedarf -, daß der Kläger bei Fristunkenntnis und rechtzeitigem Hinweis die Beitragsentrichtung unterlassen und sich den Gegenwert der Marken hätte zurückzahlen lassen (Koch/Hartmann, Das Angestelltenversicherungsgesetz, 3. Aufl. V 810, Anm. D zu § 132 AVG); damit hätte er dann die Mittel gehabt, um von der wenig später im Oktober 1972 eingeführten Nachentrichtungsmöglichkeit wirksam Gebrauch machen zu können. Diese Mittel könnte die Beklagte im übrigen auch für eine jetzt noch durchzuführende Nachentrichtung dem Kläger nicht vorenthalten (§§ 26, 27 SGB IV).

Zu bedenken wäre allerdings noch, ob der Kläger für eine Nachentrichtung zu der Zeit, zu der er sie vermutlich durchgeführt hätte, mehr hätte zahlen müssen als es dem Wert der gekauften und zu Unrecht verwendeten Beitragsmarken entsprach. Träfe dies zu, wäre von ihm zu verlangen, daß er vor der gerichtlichen Entscheidung über die Anfechtungsklage gegen die Beanstandung den Mehrbetrag der Beklagten zur Verfügung stellt. Denn mit dem Herstellungsanspruch soll der Versicherte nur vor Schaden bewahrt werden; dagegen ist es nicht Sinn dieses Rechtsinstitutes, Versicherten Vorteile zu verschaffen, die sie bei nicht fehlerhaftem behördlichem Verhalten nicht gehabt hätten (vgl. BSGE 55, 257, 259).

Da nach alledem der Sachverhalt noch in mehrfacher Hinsicht klärungsbedürftig ist und der Senat die erforderliche Klärung nicht selbst vornehmen darf, mußte der Rechtsstreit an das LSG zurückverwiesen werden. Kommt das LSG im weiteren Verfahren zur Überzeugung, daß das Ordnungsamt W… vor dem Einkleben der Marken die beabsichtigte unwirksame Beitragsentrichtung erkannte (nach dem Vorbringen des Klägers möglicherweise beim Einkleben sogar selbst mitwirkte) und daß der unterlassene Hinweis auf die Unwirksamkeit einer so beabsichtigten Beitragsentrichtung für das Unterbleiben eines fristgemäßen Nachentrichtungsantrages und einer Beitragsnachentrichtung nach Art. 2 § 49a AnVNG ursächlich war, dann wird es der Klage stattzugeben haben. Wenn dagegen eine dieser Voraussetzungen fehlt oder nicht feststellbar ist, müßte das LSG die Klage abweisen.

Die Entscheidung über die außergerichtlichen Kosten im Revisionsverfahren bleibt dem abschließenden Urteil im Rechtsstreit vorbehalten.

 

Fundstellen

BSGE, 288

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