Entscheidungsstichwort (Thema)

Berufungsausschluß bei Erstattungsstreitigkeit

 

Leitsatz (amtlich)

Bei einem Streit um die Erstattung rechtmäßig entrichteter Beiträge richtet sich die Zulässigkeit der Berufung allein nach § 144 Abs 1 Nr 1 SGG; die Erstattung ist eine einmalige Leistung iS dieser Vorschrift, gleichgültig, auf welche Rechtsgrundlage der Erstattungsanspruch gestützt wird.

 

Orientierungssatz

§ 149 SGG enthält die Sonderregelung für die Erstattung zu Unrecht entrichtete Beiträge (vgl BSG 1976-09-22 7 RAr 107/75 = BSGE 42, 212, 213); alle weiteren Erstattungen unterfallen der allgemeinen Vorschrift des § 144 SGG.

 

Normenkette

SGG § 144 Abs 1 Nr 1 Fassung: 1969-07-27, § 149 Fassung: 1974-07-30; AVG § 82 Fassung: 1976-06-14; RVO § 1303 Fassung: 1976-06-14; SGB 4 § 26 Fassung: 1976-12-23; G131 § 74

 

Verfahrensgang

LSG Baden-Württemberg (Entscheidung vom 23.11.1982; Aktenzeichen L 6 An 2288/81)

SG Reutlingen (Entscheidung vom 30.09.1981; Aktenzeichen S 7 An 735/80)

 

Tatbestand

Streitig ist die Zulässigkeit der Berufung gegen eine Verurteilung zur Beitragserstattung.

Der Kläger hat Beiträge in Höhe von 3.978,- DM nachentrichtet, als er bereits eine Rente bezog, die als Rente wegen Erwerbsunfähigkeit gilt. Sein Antrag, wegen Unwirtschaftlichkeit der Entrichtung die Beiträge zu erstatten, blieb im Verwaltungsverfahren erfolglos (Bescheid vom 24. November 1978, Widerspruchsbescheid vom 26. August 1980).

Mit der hiergegen erhobenen Klage hat der Kläger vor dem Sozialgericht (SG) geltend gemacht, es habe sich nachträglich herausgestellt, daß die Nachentrichtung freiwilliger Beiträge trotz des Ausgleichsbetrags nach § 37a Angestelltenversicherungsgesetz (AVG) unwirtschaftlich sei. Das SG hat die Beklagte unter Aufhebung ihrer Bescheide verurteilt, dem Kläger 3.978,- DM zu erstatten (Urteil vom 30. September 1981). Zur Begründung ist ausgeführt, rechtswirksam entrichtete Beiträge, wie sie der Kläger gezahlt habe, könnten zwar nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung grundsätzlich nicht zurückgefordert werden; gleichwohl sei der Rückerstattungsanspruch begründet, weil die Beklagte aufgrund einer internen Verwaltungsanweisung im Wege des Entgegenkommens dann nachentrichtete Beiträge an die Versicherten zurückzahle, wenn die Nachentrichtung unwirtschaftlich sei. Zwar handele es sich dabei um eine Ermessensleistung der Beklagten, jedoch sei der Ermessensspielraum im vorliegenden Fall auf Null reduziert.

Die hiergegen von der Beklagten eingelegte Berufung hat das Landessozialgericht (LSG) in Anwendung des § 144 Abs 1 Nr 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) als unzulässig verworfen (Urteil vom 23. November 1982).

Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Beklagte Verletzung des § 144 Abs 1 Nr 1 SGG. Einmalige Leistung iS dieser Vorschrift sei im Falle der Beitragserstattung nur die Erstattung rechtmäßiger Beiträge nach § 82 AVG, nicht aber die Erstattung zu Unrecht entrichteter Beiträge nach § 26 Sozialgesetzbuch, Viertes Buch, für die § 149 SGG gelte. Da hier allein eine Rückzahlung nach den Grundsätzen von Treu und Glauben in Betracht komme, könne weder § 144 noch § 149 SGG Anwendung finden.

Die Beklagte beantragt, unter Aufhebung des angefochtenen Urteils und des Urteils des SG die Klage abzuweisen.

Der Kläger ist im Revisionsverfahren nicht vertreten.

Die Beteiligten sind mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Beklagten ist unbegründet. Das LSG hat ihre Berufung zu Recht verworfen.

Das SGG schließt die Berufung bei Ansprüchen auf "einmalige Leistungen" allgemein aus (§ 144 Abs 1 Nr 1 SGG), bei Streitigkeiten "wegen Rückerstattung von Beiträgen" nur dann, wenn der Beschwerdewert 150,- DM nicht erreicht (§ 149 SGG). Beide Vorschriften sind in ihrer Anwendung auf einen Beitragserstattungsanspruch unter Berücksichtigung ihres Zusammenhangs auszulegen.

Zum Verhältnis der §§ 144 und 149 SGG hatte der 1. Senat in einem Urteil vom 19. Juni 1957 noch angenommen, auf die Beitragserstattung nach § 74 des Gesetzes zu Art 131 Grundgesetz (G 131) finde nur § 149 SGG Anwendung, der § 144 SGG verdränge (BSGE 5, 204, 205), ohne dabei zwischen rechtmäßig und zu Unrecht entrichteten Beiträgen zu unterscheiden. Später hat der 3. Senat in einem Urteil vom 23. Juli 1959 jedoch entschieden, daß die Erstattung zu Recht entrichteter Beiträge nach § 1303 RVO unter § 144 SGG falle, so daß § 149 SGG keine Anwendung finde (BSGE 10, 186). Diesen neuen Ansatz hat der 1. Senat in einem weiteren Urteil vom 9. Juni 1960 (SozR Nr 9 zu § 74 G 131 - sonstige Rechtsgebiete -) aufgenommen und die beiden Vorschriften in der Weise gegeneinander abgegrenzt, daß sich die Zulässigkeit der Berufung bei der Erstattung zu Unrecht entrichteter Beiträge allein nach § 149 SGG richte, bei der Erstattung zu Recht entrichteter Beiträge allein nach § 144 Abs 1 Nr 1 SGG, so daß der Beitragserstattungsanspruch des § 74 G 131 nach § 144 Abs 1 Nr 1 SGG nicht berufungsfähig sei (Aufgabe von BSGE 5, 204). Dieser Auffassung sind der 3. Senat (BSGE 11, 35) und der erkennende Senat (BSGE 52, 145, 147) beigetreten.

Diese Rechtsprechung ist hier dahin fortzuentwickeln, daß § 144 SGG nicht nur auf die Erstattung zu Recht entrichteter Beiträge nach § 1303 RVO und den entsprechenden Vorschriften der anderen Rentenversicherungszweige anwendbar ist, sondern auch auf die Erstattung rechtmäßiger Beiträge aufgrund anderer Rechtsgrundlagen, insbesondere des § 74 G 131 oder allgemeiner Rechtsgrundsätze iVm einer Verwaltungsübung, worauf sich das SG im vorliegenden Fall gestützt hat. Für die Ansicht der Beklagten, daß im letztgenannten Falle eine Erstattung rechtmäßig entrichteter Beiträge keine einmalige Leistung iS des § 144 SGG sei, ergibt sich aus der von der Beklagten angeführten Entscheidung des 2. Senats vom 18. Dezember 1969 (BSGE 30, 230) nichts, da dort ein Anspruch des Versicherungsträgers gegen einen Arbeitgeber streitig war. Für eine dritte Art der Beitragserstattung, die weder unter § 144 noch unter § 149 SGG fiele, so daß die Berufung nach § 143 SGG in jedem Falle statthaft wäre - wie dies der Beklagten vorschwebt -, kann jedoch nach der Systematik der §§ 144 und 149 SGG kein Raum sein; § 149 enthält die Sonderregelung für die Erstattung zu Unrecht entrichteter Beiträge (BSGE 42, 212, 213); alle weiteren Erstattungen unterfallen der allgemeinen Vorschrift des § 144 SGG.

Die Berufung der Beklagten betraf hier eine Erstattung zu Recht entrichteter Beiträge, so daß sie ohne Rücksicht auf den Beschwerdewert nach § 144 SGG ausgeschlossen war. Dem steht nicht entgegen, daß der erkennende Senat in einem Urteil vom 18. August 1983 - 11 RA 60/82 - (zur Veröffentlichung vorgesehen) im Falle einer ebenfalls unwirtschaftlichen Beitragsentrichtung entschieden hat, daß ein Herstellungsanspruch nicht in Betracht komme, weil eine vollständige Erstattung rechtmäßiger Beiträge als Amtshandlung ihrer Art nach im Gesetz nicht vorgesehen sei. Denn für die Zulässigkeit des Rechtsmittels kommt es nicht darauf an, ob der erhobene Anspruch begründet ist. Für die Anwendung des § 144 SGG genügt es vielmehr, daß der Kläger einen vermeintlichen Anspruch auf Erstattung zu Recht entrichteter Beiträge mit der Berufung geltend macht, bzw die Beklagte - wie hier - mit der Berufung ihre Verurteilung zur Erstattung rechtmäßig entrichteter Beiträge bekämpft. Die Beklagte kann deshalb dem Berufungsausschließungsgrund des § 144 Abs 1 Nr 1 SGG nicht entgegenhalten, daß ihre Verurteilung zur Erstattung rechtmäßiger, aber unwirtschaftlicher Beiträge in den Vorschriften der Rentenversicherungsgesetze keine Grundlage finde. Dabei ist es auch ohne Bedeutung, daß die Beitragserstattung vom SG nicht als Rechtsanspruch, sondern als Ermessensleistung angesehen wurde (BSGE 42, 212 unter Hinweis auf SozR Nr 29 zu § 144 SGG).

Die Revision der Beklagten war daher mit der Kostenfolge aus § 193 SGG zurückzuweisen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1654557

Breith. 1984, 533

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