Leitsatz (amtlich)

1. Ist vor dem Inkrafttreten des SGG 1954-01-01 gegen das Urteil eines Oberversicherungsamts form- und fristgerecht Berufung beim Oberverwaltungsgericht eingelegt worden, die nach SGG § 215 Abs 8 auf das zuständige Landessozialgericht übergegangen ist, dann bleibt dieses Rechtsmittel zulässig, obwohl ein Berufungsausschließungsgrund nach den SGG §§ 144 - 149 vorliegt, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat und die Berufung daher nach SGG § 150 Nr 1 zuzulassen gewesen wäre (Vergleiche BSG 1955-06-16 8 RV 461/54 und BSG 1955-09-20 9 RV 78/54).

2. Kinderzuschüsse zu Ruhegeldern aus der AnV, die für die Zeit vor dem 1948-06-01 geschuldet werden, sind im Verhältnis 10 : 1 auf DM umzustellen.

 

Normenkette

SGG § 215 Abs. 8 Fassung: 1953-09-03; AVG §§ 36, 38; UmstG § 18 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2, § 16

 

Tenor

Das Urteil des Landessozialgerichts ... vom 29. April 1954 und das Urteil des Oberversicherungsamts ... vom 16. Juni 1952 werden insoweit aufgehoben, als die Beklagte verurteilt worden ist, dem Kläger Kinderzuschüsse für die Zeit vom 1. August 1945 bis 31. Mai 1948 im Umstellungsverhältnis 1 : 1 zu zahlen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Von Rechts wegen.

 

Gründe

I

Der Kläger bezog vom 1. August 1945 bis 30. Juni 1949 Ruhegeld aus der Angestelltenversicherung. Auf seinen Antrag vom 9. Juli 1949, ihm zu seinem Ruhegeld rückwirkend auch noch die Kinderzuschüsse für vier minderjährige, bis 1949 in der sowjetischen Besatzungszone lebende Kinder zu gewähren, verfügte die Landesversicherungsanstalt ... im Juli 1949 die Zahlung dieser Zuschüsse; dabei wurden aber die bis 30. Juni 1948 nachzuzahlenden Beträge von insgesamt 1400,- RM auf 140,- DM abgewertet. Zur Begründung wurde in dem Bescheid vom 18. Februar 1952 auf § 18 Abs. 2 des Währungs-Umstellungsgesetzes verwiesen. Auf die Berufung des Klägers verurteilte das Oberversicherungsamt ... am 16. Juni 1952 die Landesversicherungsanstalt ... zur Zahlung von 1260,- DM an den Kläger und führte zur Begründung aus, der Anspruch auf die Kinderzuschüsse sei erst nach dem Währungsstichtag fällig geworden; da der Kläger ihn erst am 12. Juli 1949 unter Überreichung der urkundlichen Nachweise über die Geburten der Kinder geltend gemacht habe. Die weitere Berufung der Landesversicherungsanstalt ... die am 22. Juli 1952 beim Oberverwaltungsgericht ... eingelegt wurde, ging nach Inkrafttreten des Sozialgerichtsgesetzes am 1. Januar 1954 auf das Landessozialgericht ... über. Dieses wies die Berufung mit Urteil vom 29. April 1954 zurück. Das Landessozialgericht führte zur Begründung aus, es sei ebenso wie das Oberversicherungsamt ... der Überzeugung, daß die in einer Summe nachzuzahlenden Kinderzuschüsse erst nach dem Währungsstichtag fällig geworden seien; da es sich hier um wiederkehrende Leistungen im Sinne des § 18 des Umstellungsgesetzes handele, sei die Umstellung im Verhältnis 1 : 1 gerechtfertigt; es sei zwar richtig, daß der Anspruch auf Zahlung der Kinderzuschüsse zugleich mit dem Anspruch auf die Rente entstanden sei, es müsse jedoch der Zeitpunkt der Entstehung des Anspruchs von dem Zeitpunkt der Fälligkeit getrennt werden. Fällig sei der Anspruch erst, wenn ein Schuldner zur Leistung berechtigt und verpflichtet sei; verpflichtet aber sei er - entgegen der Auffassung des früheren Bayer. Landesversicherungsamts in der grundsätzlichen Entscheidung Nr. 24 vom 10. Februar 1950, Amtsblatt des Bayerischen Staatsministeriums für Arbeit 1950 S. 211, - erst, wenn die Anspruchsvoraussetzungen nachgewiesen seien; nach den Rentenakten habe der Kläger die Geburtsurkunden seiner Kinder erst im Jahre 1949 vorgelegt; daraus folge, daß die nachzuzahlenden Kinderzuschüsse im Verhältnis 1 : 1 zu gewähren seien. Die Landesversicherungsanstalt ... habe für ihre Behauptung, der Kläger habe schon bei Stellung des Antrags auf Rente die Geburtsurkunden vorgelegt, keinen Beweis angetreten, zumal sie "die über diesen Vorgang geführte Rentenakte vernichtet hat". Die Tatsache, daß nach einer Anweisung der Britischen Militärregierung zur Zeit der Stellung des Antrags auf Rente für Kinder in der sowjetischen Besatzungszone keine Kinderzuschüsse zu zahlen gewesen seien, berechtige zu der Annahme, daß die Landesversicherungsanstalt ... damals auch urkundliche Nachweise über die Geburt der Kinder gar nicht verlangt habe.

Gegen dieses Urteil legte die Beklagte, auf die das Aufgabengebiet der Rentenversicherung der Angestellten nach den §§ 1, 26 des Gesetzes über die Errichtung der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte vom 7. August 1953, BGBl. I S. 857, inzwischen übergegangen war, mit Telegramm vom 13. August 1954, eingegangen beim Bundessozialgericht am 14. August 1954, Revision ein; in der Revisionsbegründung vom 7. September 1954 beantragte sie, das Urteil des Landessozialgerichts ... vom 29. April 1954 aufzuheben und den Bescheid der Landesversicherungsanstalt ... vom 18. Februar 1952 wieder herzustellen. Sie führte dazu aus: es sei nicht richtig, daß sie die Rentenakten des Klägers vernichtet habe, die Akten seien auf andere Weise in Verlust geraten, aus dem Verlust der Akten dürfe nicht geschlossen werden, daß sie für ihre Behauptung, der Kläger habe die Geburtsurkunden seiner Kinder schon bei der Stellung des Antrags auf Rente vorgelegt, keinen Beweis antreten könne. In seinem Schreiben vom 20. November 1951 an die Landesversicherungsanstalt ... führe der Kläger selbst aus, daß er 1946 beglaubigte Abschriften der Geburtsurkunden beschafft, der Landesversicherungsanstalt vorgelegt und seines Wissens mit dem Rentenbescheid vom 25. Januar 1947 wieder zurückerhalten habe, wobei erklärt worden sei, daß Kinderzuschüsse auf Anweisung der Britischen Militärregierung nur für Kinder in der britischen Besatzungszone gezahlt werden dürften. Es sei deshalb nicht richtig, daß der urkundliche Nachweis über die Geburten der Kinder des Klägers erst im Juli 1949 geführt worden sei. Außerdem sei es auch nicht richtig, daß der Zeitpunkt der Entstehung des Anspruchs von dem Zeitpunkt der Fälligkeit des Anspruchs getrennt werden müsse; was hierzu in der grundsätzlichen Entscheidung des Bayer. Landesversicherungsamts Nr. 24 vom 10. Februar 1950 ausgeführt sei, sei durchaus zutreffend.

Der Kläger beantragte, die Revision als unzulässig zu verwerfen, hilfsweise die Revision kostenpflichtig zurückzuweisen mit der Begründung: die Revision, die von der Beklagten durch Telegramm eingelegt worden sei, sei nicht als ordnungsmäßig anzusehen, außerdem enthalte die Revision auch nicht, wie § 164 Abs. 2 SGG zwingend vorschreibe, einen bestimmten Antrag, im übrigen liege das Vorbringen in der Revisionsbegründung auf tatsächlichem Gebiet und sei deshalb unbeachtlich; die einzige Rechtsfrage, die streitig sei, nämlich die Frage des Umstellungsverhältnisses für die nachzuzahlenden Kinderzuschüsse, sei sowohl vom Oberversicherungsamt ... als auch vom Landessozialgericht ... zutreffend entschieden worden.

In der mündlichen Verhandlung vor dem Bundessozialgericht erklärte der Vertreter der Beklagten, die Beklagte sei bereit, dem Kläger die Kinderzuschüsse noch für Juni 1948 im Umstellungsverhältnis 1 : 1 zu zahlen, er beantrage deshalb, das Urteil des Landessozialgerichts ... vom 29. April 1954 und das Urteil des Oberversicherungsamts ... vom 16. Juni 1952 insoweit aufzuheben, als die Bundesversicherungsanstalt verurteilt worden sei, dem Kläger Kinderzuschüsse für die Zeit vom 1. August 1945 bis 31. Mai 1948 im Umstellungsverhältnis 1 : 1 zu zahlen.

II

Die Revision ist statthaft, weil sie das Landessozialgericht zugelassen hat (§ 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG). Die Revision ist auch form- und fristgerecht eingelegt. Dabei kommt es auf die Frage, ob schon das Telegramm der Beklagten vom 13. August 1954 eine ordnungsmäßige Revisionsschrift darstellt, nicht an; die Revisionsbegründung vom 7. September 1954, die den Antrag enthält und von einem Mitglied der Geschäftsführung unterzeichnet ist, nimmt ausdrücklich auf das Telegramm vom 13. August 1954 Bezug und ist deshalb zugleich auch als Revisionsschrift anzusehen. Diese Revisionsschrift, die das Bundessozialgericht am 14. September 1954 erhalten hat, ist auch noch fristgerecht eingegangen. Das Urteil des Landessozialgerichts ist der Beklagten am 14. Juli 1954 zugestellt worden; die Rechtsmittelbelehrung, die es enthält, ist unvollständig, weil sie keinen Hinweis auf das Erfordernis des bestimmten Antrags (§ 164 Abs. 2 Satz 1 SGG) enthält (vgl. Urteil des Bundessozialgerichts vom 23. September 1955 - 3 RJ 26/55 -). Mit der Zustellung des Urteils ist deshalb nicht die Monatsfrist des § 164 Abs. 1 Satz 1 SGG, sondern nur die Jahresfrist des § 66 Abs. 2 Satz 1 SGG in Lauf gesetzt worden. Diese Frist ist gewahrt. Die Revision vom 13. August/7. September 1954 ist hiernach zulässig.

Die Revision ist auch begründet. Das Landessozialgericht hat mit Recht in der Sache entschieden. Die Zulässigkeit der vom Oberverwaltungsgericht in ... auf das Landessozialgericht übergegangenen Berufung richtet sich nach dem Sozialgerichtsgesetz (§ 215 Abs. 8 SGG). Da die Kinderzuschüsse ein Teil des Ruhegeldes und hier nur für die Zeit bis zur Währungsreform streitig sind, handelt es sich um einen Rechtsstreit über Rententeile für bereits abgelaufene Zeiträume. Bei einem solchen Streit ist die Berufung grundsätzlich ausgeschlossen (§ 146 SGG). Ist aber vor dem Inkrafttreten des Sozialgerichtsgesetzes in zulässiger Weise gegen die Entscheidung eines Oberversicherungsamts beim Oberverwaltungsgericht Berufung eingelegt worden, die nach § 215 Abs. 8 SGG auf das zuständige Landessozialgericht übergegangen ist, dann bleibt dieses Rechtsmittel trotz der Vorschriften der §§ 143 bis 149 SGG zulässig, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat und die Berufung nach § 150 Nr. 1 SGG zuzulassen gewesen wäre (ebenso der 8. Senat des Bundessozialgerichts in seinem Urteil vom 16. Juni 1955 - 8 RV 461/54 - für den ähnlich gelagerten Fall des § 215 Abs. 3 SGG und der 9. Senat des Bundessozialgerichts in seinem Urteil vom 20. September 1955 - 9 RV 78/54 - für den ähnlich gelagerten Fall des § 218 Abs. 6 SGG). Dies ist hier der Fall, so daß die Berufung zulässig ist. Streitig ist in sachlicher Hinsicht allein, ob die Kinderzuschüsse für die Zeit vor dem 30. Juni 1948 im Verhältnis 10 : 1 oder im Verhältnis 1 : 1 auf DM umzustellen sind. Diese Frage ist nicht nach § 23 des Umstellungsgesetzes, sondern nach § 18 des genannten Gesetzes zu beurteilen; § 23 UmstG betrifft nur die für die Zeit nach der Währungsreform geschuldeten Versicherungsleistungen. In § 18 Abs. 1 UmstG ist als Ausnahme von dem allgemeinen Grundsatz des § 16 UmstG - Umstellung im Verhältnis 10 : 1 - für bestimmte, im einzelnen aufgeführte Verbindlichkeiten die Umstellung im Verhältnis 1 : 1 vorgeschrieben; nach Nr. 1 des Abs. 1 gehören dazu u. a. auch Renten, "die nach dem 20. Juni 1948 fällig geworden sind oder fällig werden". § 18 Abs. 2 UmstG bestimmt, daß Abs. 1 keine Anwendung findet auf wiederkehrende Leistungen, "die für einen vor dem 1. Juni 1948 liegenden Zeitraum geschuldet werden". Dieser Fall ist nach der Überzeugung des Senats hier gegeben. Die Kinderzuschüsse sind wie das Ruhegeld, zu dem sie gehören, wiederkehrende Leistungen; soweit sie hier streitig sind, sind sie auch für Zeiträume vor dem 1. Juni 1948 geschuldet. Die Ansicht des Landessozialgerichts ... und des Oberversicherungsamts ... der Fall des § 18 Abs. 2 UmstG liege nicht vor, weil der Anspruch auf die Kinderzuschüsse erst nach Vorlage der urkundlichen Nachweise über die Geburt der Kinder im Jahre 1949 fällig geworden sei, kann der Senat nicht teilen. § 18 Abs. 2 UmstG hebt nicht auf die Fälligkeit der Leistungen ab, entscheidend ist vielmehr, ob die Leistungen für einen Zeitraum vor dem 1. Juni 1948 geschuldet werden. Dieser Auffassung entsprechen auch die Ausführungen von Harmening-Duden , Die Währungsgesetze, 1949, S. 263, Anm. 33 zu § 18; dort heißt es: "Durch Abs. 2 ist in erster Linie für den Fall des § 18 Abs. 1 Nr. 1 die dort aufgestellte Regel, daß es für die Umstellung von regelmäßig wiederkehrenden Zahlungen auf den Zeitpunkt der Fälligkeit der einzelnen Raten ankommt, dahin eingeschränkt, daß nach dem Währungsstichtage fällige Zahlungen insoweit nicht 1 : 1, sondern 10 : 1 umgestellt werden, als sie für einen Zeitraum vor dem 1. Juni 1948 geschuldet sind." Im vorliegenden Fall handelt es sich um Zahlungen, die für einen Zeitraum vor dem 1. Juni 1948 geschuldet sind, denn hinsichtlich der Kinderzuschüsse ist die Schuld des Versicherungsträgers jedenfalls dem Grunde nach zugleich mit der Anerkennung des Anspruchs auf Rente entstanden. Der Kläger hat auch, wie sein Schreiben vom 20. November 1951 an die Landesversicherungsanstalt ... beweist, schon damals die Zahlungen dieser Schuld verlangt . Daß die Landesversicherungsanstalt ... mit Rücksicht auf die Anweisung der Britischen Militärregierung die Zahlung damals nicht für möglich gehalten hat, schließt das Bestehen der Schuld nicht aus. Die Kinderzuschüsse für die Zeit vor dem 1. Juni 1948 sind deshalb nach § 18 Abs. 2 in Verbindung mit § 16 UmstG im Verhältnis 10 : 1 umzustellen. Dem Antrag der Beklagten, das Urteil des Landessozialgerichts ... vom 29. April 1954 und das Urteil des Oberversicherungsamts ... vom 16. Juni 1952 insoweit aufzuheben, als sie dadurch verurteilt worden ist, dem Kläger Kinderzuschüsse für die Zeit vom 1. August 1945 bis 31. Mai 1948 im Umstellungsverhältnis 1 : 1 zu zahlen, ist hiernach stattzugeben.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf den §§ 193, 202 SGG, 91, 92 ZPO.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2253202

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