Entscheidungsstichwort (Thema)

Besonderes berufliches Betroffensein eines Richters. Durchschnittseinkommen für Berufsschadensausgleich eines Richters nach Besoldungsgruppe R 2 nur, wenn Aufstieg schädigungsbedingt verhindert

 

Orientierungssatz

1. Zur Frage, ob die MdE eines Richters in der Besoldungsgruppe R 1 wegen eines behaupteten beruflichen Betroffenseins höher zu bewerten ist.

2. Ist der berufliche Aufstieg eines Beschädigten in eine höhere Stellung innerhalb der Berufsgruppe der Richter nicht durch seine Schädigungsfolgen als wesentliche Allein- oder Mitbedingung verhindert worden, besteht kein schädigungsbedingter Einkommensverlust, die Voraussetzung für einen Berufsschadensausgleich. Ebenso wie allgemein die maßgebende Berufsgruppe nach dem wahrscheinlich ohne die Schädigung vollzogenen Berufsweg zu bestimmen ist, ihr Verfehlen also durch die Schädigungsfolgen im versorgungsrechtlichen Sinn verursacht sein muß, ist innerhalb der Berufsgruppe eine hervorgehobene Beförderungsstelle nur zu berücksichtigen, falls sie der Beschädigte ohne die Schädigung erreicht hätte.

 

Normenkette

BVG § 30 Abs 2; BVG § 30 Abs 3; BVG § 30 Abs 4; BVG § 30 Abs 5; BSchAV § 4 Abs 2

 

Verfahrensgang

LSG Niedersachsen (Entscheidung vom 26.01.1984; Aktenzeichen L 8 V 213/82)

SG Lüneburg (Entscheidung vom 26.07.1982; Aktenzeichen S 3 V 2/78)

 

Tatbestand

Der 1920 geborene Kläger bezieht Beschädigtenrente nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) wegen verschiedener Schädigungsfolgen, vor allem wegen des Verlustes des linken Unterschenkels, entsprechend einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von ursprünglich 70 vH und von 80 vH seit 1976 (Bescheid vom 14. Juni 1951, Urteil des Landessozialgerichts -LSG- vom 22. September 1983). Im Juli 1977 beantragte er eine Höherbewertung der MdE wegen besonderen Betroffenseins in seinem Beruf als Richter am Sozialgericht und einen Berufsschadensausgleich. Die Anträge sind erfolglos geblieben (Bescheide vom 7. und 8. Dezember 1977, Urteil des LSG vom 26. Januar 1984). Nach Auffassung des LSG, das im Unterschied zum Sozialgericht (SG) die Klage abgewiesen hat, ist der Kläger durch seine Schädigungsfolgen wohl in gewissem Umfang beruflich behindert, aber nicht zu außergewöhnlichen Anstrengungen gezwungen, um einen wirtschaftlichen Schaden und ein Abgleiten in seinem Beruf, den er Ende Juli 1982 aufgegeben hat, zu verhindern, und deshalb nicht iS des § 30 Abs 2 BVG besonders beruflich betroffen. Für einen Berufsschadensausgleich fehle es an der Voraussetzung, daß der Kläger durch die Schädigungsfolgen am Aufstieg in eine Richterstelle der Besoldungsgruppe R2 Bundesbesoldungsgesetz (BBesG) gehindert gewesen sein müßte. Für ein solches Amt beim LSG sei er nicht qualifiziert. Am selben SG hätte er wegen einer niedersächsischen Gepflogenheit nicht aufsichtsführender Richter werden können. Einer Bewerbung um eine solche Stelle an einem anderen SG hätten die Schädigungsfolgen nicht entgegengestanden.

Der Kläger rügt mit der - vom LSG zugelassenen - Revision in verfahrensrechtlicher Hinsicht, daß das Berufungsgericht zu Unrecht sich an die Zulassung der Berufung gebunden gefühlt habe. Außerdem habe es § 30 Abs 2 bis 5 BVG und § 4 Abs 2 der Verordnung zur Durchführung des § 30 Abs 4 bis 5 BVG (DV) verletzt. Nach seiner Auffassung steht ihm ein Berufsschadensausgleich entsprechend einem Durchschnittseinkommen der Besoldungsgruppe R2 allein wegen besonderen beruflichen Betroffenseins zu und unabhängig davon, daß er ein solches Richteramt wegen der Schädigungsfolgen nicht erreicht habe.

Der Kläger beantragt, das Urteil des LSG aufzuheben und die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des SG als unzulässig zu verwerfen oder - hilfsweise - zurückzuweisen.

Der Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers hat keinen Erfolg.

Das LSG war an die Zulassung der Berufung gebunden (BSG SozR 1500 § 150 Nr 2). Das SG hat das Rechtsmittel zugelassen, weil unterschiedliche Entscheidungen über eine Höherbewertung der MdE und über einen Berufsschadensausgleich zu vermeiden sind. Diese sachliche Begründung schließt es aus, die Zulassung als willkürlich und damit möglicherweise als nicht bindend zu bewerten (Urteil des erkennenden Senats vom 18. Dezember 1985 - 9a RVs 8/85 -).

Auch die Sachentscheidung des LSG ist nicht zu beanstanden.

Die MdE ist nicht nach § 30 Abs 2 Satz 1 und 2 Buchstabe b BVG wegen besonderer beruflicher Belastung höher zu bewerten (vgl dazu BSG SozR 1300 § 48 Nr 6). Die tatsächliche Feststellung, daß der Kläger in seinem Richterberuf durch die Schädigungsfolgen nicht erheblich behindert gewesen sei, weil er nicht außergewöhnliche Tatkraft habe aufwenden und außergewöhnliche Anstrengungen machen müssen, ist für das Revisionsgericht verbindlich (§ 163 Sozialgerichtsgesetz -SGG-). Der Kläger hat dagegen keine Verfahrensrügen erhoben, die den gesetzlichen Anforderungen gemäß ständiger Rechtsprechung der Revisionsgerichte genügten (§ 164 Abs 2 Satz 3 SGG; BSG SozR Nr 14 zu § 103 SGG; Nr 64 zu § 162 SGG; Nr 28 zu § 164 SGG). Gleiches gilt für seinen Angriff gegen die Feststellung, dem Kläger wäre es nicht wegen seiner Schädigungsfolgen unmöglich gewesen, aufsichtsführender Richter an einem anderen SG oder Richter am LSG zu werden, weshalb er nicht schädigungsbedingt am weiteren Aufstieg gehindert gewesen sei (§ 30 Abs 2 Satz 2 Buchstabe c BVG).

Der Kläger ist auch nicht durch die Schädigungsfolgen gezwungen gewesen, sich vorzeitig in den Ruhestand versetzen zu lassen, und nicht durch einen solchen Tatbestand iS des § 30 Abs 2 BVG besonders beruflich betroffen (vgl dazu BSGE 46, 250 = SozR 3100 § 30 Nr 37). Er hat mit der Revision insoweit in tatsächlicher Hinsicht nicht formgerecht gerügt, seine Schädigungsfolgen seien die wesentliche Bedingung für seinen Antrag gewesen, auch ohne Dienstunfähigkeit vorzeitig sein aktives Richterverhältnis zu beenden.

Im übrigen ist das Ergebnis, eine besondere berufliche Betroffenheit zu verneinen, schon deshalb richtig, weil ein Schaden, der in den unterschiedlichen Vergütungen nach den Besoldungsgruppen R1 und R2 liegt, nach den einschlägigen Besoldungsgesetzen in der Zeit ab Juli 1977 weniger als 10 vH beträgt. Das Bundessozialgericht (BSG) hat früher für eine "besondere" wirtschaftliche Schädigung iS des § 30 Abs 2 Satz 2 Buchstabe c BVG einen Mindestunterschied von 20 vH festgelegt (BSGE 29, 139, 141, 143 ff = SozR Nr 37 zu § 30 BVG); dabei soll aber auch die absolute Höhe des Einkommens bedeutsam sein (BSGE 29, 145). Diese Relativierung in bezug auf die unterschiedliche Bedeutung, die ein Minderverdienst für den Betroffenen bei höherem und bei niedrigerem Einkommen hat, entspricht der Rechtsprechung des erkennenden Senats zur Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffes "nicht unerhebliche" Beeinträchtigung der Hinterbliebenenversorgung iS des § 48 Abs 1 Satz 1 BVG (BSGE 53, 169, 171 f = SozR 3100 § 48 Nr 8; SozR 3100 § 48 Nr 10). Für einen Richter wirkt sich jedenfalls eine Einkommensminderung um weniger als 10 vH, wie sie beim Kläger bestand, nicht als "besonderer" Schaden iS des § 30 Abs 2 BVG aus. Auch eine soziale Benachteiligung mit "besonderem" Ausmaß iS dieser Vorschrift (vgl BSGE 29, 142 f; 46, 1, 3 ff = SozR 3100 § 30 Nr 35; SozR 3100 § 30 Nr 36) ist bei den unterschiedlichen Stellungen von Richtern der Besoldungsgruppen R1 und R2 nicht zu erkennen.

Einen Anspruch auf Berufsschadensausgleich hat das LSG ebenfalls mit Recht verneint.

Abgesehen davon, daß der Kläger, wie dargelegt, nicht iS des § 30 Abs 2 BVG besonders beruflich betroffen war und ist, hängt der Berufsschadensausgleich entgegen seiner Rechtsansicht nicht von einem solchen beruflichen Schaden ab (BSGE 33, 60, 62 = SozR Nr 47 zu § 30 BVG; SozR 3100 § 30 Nr 47).

Der Berufsschadensausgleich setzt gemäß § 30 Abs 3 BVG einen schädigungsbedingten Einkommensverlust, der im einzelnen in den Absätzen 4 ff geregelt ist, schon für den Anspruch dem Grunde nach voraus (BSG SozR 3100 § 30 Nr 47). Einen derartigen Einkommensverlust hat der Kläger in den Jahren 1977 bis 1982 nicht allein deshalb erlitten, weil er nicht die Dienstbezüge eines Richters in der Besoldungsgruppe R2 erreicht hat.

Nach dieser Besoldungsgruppe bemißt sich gemäß § 4 Abs 2 DV zu § 30 Abs 3 bis 5 BVG idF seit dem 18. Januar 1977 -BGBl I 162- das pauschalierte Vergleichseinkommen der Richter und Staatsanwälte vom vollendeten 47. Lebensjahr ab; seit August 1982 kommt es für den Vergleich auf das um 25 vH gekürzte Durchschnittseinkommen an (§ 8 Abs 2 DV 1977; § 8 Abs 1 Nr 2 DV zu § 30 Abs 3 bis 6 BVG vom 29. Juni 1984 -BGBl I 861-). Als Einkommensverlust gilt aber nach § 30 Abs 4 Satz 1 BVG (idF vom 22. Juni 1976 -BGBl I 1633-/27. Juni 1977 -BGBl I 1037-/22. Dezember 1981 -BGBl I 1523-) nur unter bestimmten Voraussetzungen der Unterschied zwischen dem derzeitigen Bruttoeinkommen aus derzeitiger oder früherer Tätigkeit zuzüglich der Ausgleichsrente und dem höheren Vergleichseinkommen (Durchschnittseinkommen). Für den Vergleich maßgebend ist allein das Durchschnittseinkommen der Berufs- oder Wirtschaftsgruppe, der der Beschädigte ohne die Schädigung nach seinen Lebensverhältnissen, Kenntnissen und Fähigkeiten sowie dem bisher betätigten Arbeits- und Ausbildungswillen wahrscheinlich angehört hätte (§ 30 Abs 4 und 8 BVG 1976 und 1977, § 30 Abs 4 Satz 1 und 5 BVG 1981; § 1 Abs 1, § 2 Abs 1 DV). Das ist im Fall des Klägers der Beruf des Richters (vgl zu dessen Durchschnittseinkommen: BSGE 27, 119, 121 = SozR Nr 3 zu § 40a BVG; zum früheren Recht: SozR Nr 2 zu § 4 DVO zu § 30 Abs 3 und 4 BVG 1968). In diese Berufsgruppe ist der Kläger trotz seiner Schädigungsfolgen tatsächlich gelangt. Nach § 2 Abs 3 Satz 1 DV ist indes das Vergleichseinkommen gemäß den genannten Vorschriften auch dann festzulegen, wenn der Beschädigte "die nach diesen Vorschriften in Betracht kommende Tätigkeit ausübt", wie es beim Kläger der Fall war. Nach § 2 Abs 3 Satz 2 DV ist dann vor allem die schädigungsbedingte Verhinderung eines Aufstiegs im Beruf zu berücksichtigen (vgl dazu BSG SozR Nr 28 zu § 30 BVG; 3100 § 30 Nr 28). Aber auch im Vergleich mit dem realen Einkommen der Besoldungsgruppe R2 bestimmter aufsichtsführender Richter am SG und der Richter am LSG, die noch vom pauschalierten Durchschnittseinkommen umfaßt wird, bestand und besteht kein schädigungsbedingter Einkommensverlust, die Voraussetzung für einen Berufsschadensausgleich. Denn nach den bindenden Feststellungen des LSG ist ein Aufstieg des Klägers in eine solche höhere Stellung innerhalb der Berufsgruppe der Richter nicht durch seine Schädigungsfolgen als wesentliche Allein- oder Mitbedingung verhindert worden. Ebenso wie allgemein die maßgebende Berufsgruppe nach dem wahrscheinlich ohne die Schädigung vollzogenen Berufsweg zu bestimmen ist, ihr Verfehlen also durch die Schädigungsfolgen im versorgungsrechtlichen Sinn verursacht sein muß (stRspr, zB BSGE 54, 79, 81 = SozR 3100 § 30 Nr 56; SozR 3641 § 7 Nr 1), ist innerhalb der Berufsgruppe eine hervorgehobene Beförderungsstelle nur zu berücksichtigen, falls sie der Beschädigte ohne die Schädigung erreicht hätte. Das war beim Kläger nicht der Fall.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1657082

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