Entscheidungsstichwort (Thema)

Anspruch auf Kindergeld während der Ableistung eines Großküchen- und Familienpraktikums

 

Leitsatz (amtlich)

Ist nach einer Ausbildungsordnung eine vorherige praktische Tätigkeit (Vorpraktikum) Voraussetzung für die Zulassung zur Ausbildung, so ist sie (es) jedenfalls dann keine Berufsausbildung iS von § 2 Abs 2 S 1 Nr 1 BKGG, wenn auch andere Sachverhalte, bei denen keine fachbezogenen Kenntnisse und Fähigkeiten erworben werden sollen, gleichwertige Zulassungsvoraussetzungen sind.

 

Orientierungssatz

Weder das Praktikum in einer Großküche noch ein Familienpraktikum sind Teile der Ausbildung zum Beruf einer Diätassistentin oder einer Haus- und Familienpflegerin und rechtfertigen daher keine Fortzahlung des Kindergeldes über das 16. Lebensjahr hinaus.

 

Normenkette

BKGG § 2 Abs 2 S 1 Nr 1 Fassung: 1981-12-22

 

Verfahrensgang

LSG Baden-Württemberg (Entscheidung vom 12.12.1983; Aktenzeichen L 9 Kg 1281/83 - 1)

SG Mannheim (Entscheidung vom 14.04.1983; Aktenzeichen S 13 Kg 3444/82)

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Tochter Karin (K.) des Klägers als Kind bei der Bemessung des Kindergeldanspruchs auch für die Zeit seit September 1982 zu berücksichtigen ist.

K., die am 3. August 1964 geboren ist, besuchte die Realschule und leistete bis August 1982 ein vorgeschriebenes Praktikum für die Ausbildung zur Erzieherin. Die Beklagte berücksichtigte sie deshalb bis zu diesem Zeitpunkt. K. gab dieses Berufsziel auf, weil sie keine Zulassung für die Fachschule für Sozialpädagogik erhielt. Sie entschloß sich jetzt, vorzugsweise den Beruf einer Diätassistentin oder auch einer Haus- oder Familienpflegerin zu ergreifen. Vom 1. September 1982 bis 31. August 1983 leistete sie ein Praktikum in der Großküche des Jugendförderungswerks eV in W. Einen Lehrgang für Diätassistentinnen konnte sie frühestens am 1. Oktober 1984 beginnen. Sie leistete deshalb seit September 1983 ein Familienpraktikum, woraus sie Geld- und Sachbezüge von insgesamt 420,-- DM monatlich erhielt. Am 1. März 1984 wollte sie die Ausbildung an der Haus- und Familienpflegeschule in F. beginnen.

Mit ihrem Bescheid vom 11. November 1982 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 26. November 1982 lehnte die Beklagte es ab, K. ab September 1982 weiterhin bei der Gewährung des Kindergeldes für den Kläger zu berücksichtigen.

Das Sozialgericht Mannheim (SG) hat die Beklagte am 14. April 1983 verurteilt, dem Kläger über August 1982 hinaus Kindergeld für K. zu gewähren.

Die Beklagte hat während des Berufungsverfahrens mit einem weiteren Bescheid vom 6. August 1983 einen Kindergeldanspruch des Klägers unter Berücksichtigung von K. für die Zeit ab September 1983 abgelehnt.

Das Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) hat mit seinem Urteil vom 12. Dezember 1983 das Urteil des SG aufgehoben und die Klage gegen den Bescheid vom 11. November 1982 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. November 1982 abgewiesen sowie den Bescheid vom 6. August 1983 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, dem Kläger für die Dauer des am 1. November 1983 begonnenen Familienpraktikums von K. längstens bis Februar 1984 Kindergeld zu gewähren. Das Großküchenpraktikum sei keine Berufsausbildung gewesen, wohl aber das Familienpraktikum seit September 1983. Für die Ausbildung zur Diätassistentin sei in der einschlägigen Ausbildungsordnung kein Praktikum vorgeschrieben. Für den Beruf der Haus- und Familienpflegerin habe K. unter Berücksichtigung des Realschulbesuchs mindestens eine einjährige "geeignete praktische Tätigkeit" benötigt. Ein Praktikum in einer Großküche sei dazu nicht geeignet. Ein Familienpraktikum sei nicht unnötig; es sei eine Möglichkeit für die Zulassung, und deshalb eine zu berücksichtigende Zeit, wenn es - wie hier bei K. - echte Ausbildung sei. Die Berücksichtigung des Großküchenpraktikums unter den von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen bei zwangsweise unterbrochener Berufsausbildung sei, nachdem das 9. Gesetz zur Änderung des Bundeskindergeldgesetzes (BKGG) insoweit eindeutige Regelungen getroffen habe, nicht mehr möglich.

Beide Beteiligten haben die von dem LSG zugelassene Revision eingelegt.

Der Kläger weist zunächst darauf hin, das LSG habe ihm in seinem Urteilsausspruch offenbar versehentlich nur Kindergeld für die Zeit ab 1. November 1983 wegen des begonnenen Familienpraktikums zugesprochen, während es in den Gründen seines Urteils zutreffend festgestellt habe, daß dieses Praktikum bereits am 1. September 1983 begonnen habe. Im übrigen habe K. die Zeit seit dem Schulabschluß bis zu dem frühestmöglichen Beginn einer Ausbildung entweder zur Diätassistentin oder zur Hauspflegerin sinnvoll mit den beiden streitigen Praktika überbrückt und damit im Sinne der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) bewiesen, daß sie in der Zwangspause eine sinnvolle und nützliche Tätigkeit ausüben wolle. Im übrigen könne aber das Großküchenpraktikum als "Berufsausbildung" für den Beruf der Diätassistentin deshalb nicht unberücksichtigt bleiben, weil ihr von einer anerkannten Schule ein solches Praktikum anempfohlen worden sei. Demgegenüber sei es nicht entscheidungserheblich, daß ein Praktikum nicht in der Ausbildungsordnung vorgeschrieben sei.

Der Kläger beantragt, 1) das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 12. Dezember 1983 aufzuheben, soweit der Berufung stattgegeben worden ist, 2) die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 14. April 1983 zurückzuweisen, soweit der Berufung stattgegeben worden ist, 3) die Revision der Beklagten zurückzuweisen.

Die Beklagte beantragt, das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 12. Dezember 1983 insoweit aufzuheben, als die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 6. August 1983 zur Gewährung von Kindergeld verurteilt wurde und die Klage auch insoweit abzuweisen sowie die Revision des Klägers zurückzuweisen.

Das Familienpraktikum sei keine Berufsausbildung der Tochter des Klägers gewesen. Nicht jede praktische Berufstätigkeit, die nach einer Ausbildungsordnung Zulassungsvoraussetzung sei, sei damit ohne weiteres Berufsausbildung. Da für die als Zulassungsvoraussetzung geforderte dreijährige praktische Tätigkeit jede Tätigkeit ausreiche, erfülle sie nicht den Tatbestand einer Berufs-"Ausbildung". Sie solle vielmehr nur eine allgemeine Lebens- und Berufserfahrung vermitteln.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers ist unbegründet. Seine Tochter K. stand während der gesamten streitigen Zeit nicht in Berufsausbildung und war deshalb nicht nach § 2 Abs 2 Satz 1 Nr 1 BKGG in der seit dem 1. Januar 1982 geltenden und deshalb hier anwendbaren Fassung des Neunten Gesetzes zur Änderung des BKGG vom 22. Dezember 1981 (BGBl I 1566 = Bekanntmachung der Neufassung vom 21. Januar 1982 -BGBl I 13-) zu berücksichtigen.

Das LSG hat zutreffend das Praktikum, das K. vom 1. September 1982 bis zum 31. August 1983 in einer Großküche geleistet hat, nicht als Berufsausbildung iS von § 2 Abs 2 Satz 1 Nr 1 BKGG gewertet und deshalb das der Klage stattgebende Urteil des SG zu Recht aufgehoben. Für beide von K. seinerzeit angestrebten Berufe, nämlich den einer Diätassistentin oder den einer Haus- und Familienpflegerin, gibt es Ausbildungsordnungen. Ist das jedoch der Fall, so können regelmäßig nur solche Tätigkeiten "Berufsausbildung" sein, die in den Ausbildungsordnungen vorgeschrieben sind. Andere Tätigkeiten oder Beschäftigungen fallen dagegen nicht unter den Tatbestand des § 2 Abs 2 Satz 1 Nr 1 BKGG, mögen sie auch für den angestrebten Beruf nützlich, förderlich oder gar erwünscht sein (BSG SozR 5870 § 2 Nr 29). Ein Praktikum, das nach einer für den angestrebten Beruf maßgeblichen Ausbildungsordnung nicht zwingend vorgeschrieben ist, kann deshalb jedenfalls dann nicht als "Berufsausbildung" berücksichtigt werden, wenn es nicht allgemein gefordert wird. Da die Ausbildungs- und Prüfungsordnung für Diätassistentinnen vom 12. Februar 1974 (BGBl I 163) kein Praktikum für die Zulassung voraussetzt, ist es rechtlich unerheblich, daß Ausbildungsinstitutionen solchen Bewerberinnen, deren Ausbildung erst zu einem späteren Zeitpunkt beginnen kann, für die Zwischenzeit die Ausübung einer einschlägigen Tätigkeit oder Beschäftigung anzuraten. Diese Tätigkeit war aus Gründen, die weiter unten zu erörtern sein werden, auch im Hinblick auf die später angestrebte Zulassung zur Ausbildung als Haus- und Familienpflegerin keine Berufsausbildung.

Da K. am 1. September 1982 bereits ihr 18. Lebensjahr vollendet hatte, ist die nur für 16- bis 18-jährige Kinder geltende Regelung des § 2 Abs 4 BKGG nF nicht anwendbar.

Schließlich kann diese Zeit aber auch nicht nach den von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen zur Kindergeldberechtigung bei zwangsweiser Unterbrechung der Berufsausbildung berücksichtigt werden (vgl zuletzt zusammenfassend SozR 5870 § 2 Nr 20 mwN). Diese Grundsätze sind für Sachverhalte nach dem 1. Januar 1982 wegen der Neufassung des § 2 BKGG nicht mehr anwendbar. Gerade im Hinblick auf diese Rechtsprechung des BSG hat der Gesetzgeber mit dem in Abs 2 neueingefügten Satz 4 erkennbar abschließend die Voraussetzungen geregelt, unter denen ausbildungswillige Kinder während Zwangspausen nunmehr berücksichtigt werden (vgl die Begründung zum Entwurf des 9. BKGG-ÄndG, BT-Drucks 9/795, 54 zu Buchstabe b), nämlich nur dann, wenn der nächste Ausbildungsabschnitt spätestens im vierten auf die Beendigung des vorherigen Ausbildungsabschnitts folgenden Monat beginnt; bei erfolgloser Bewerbung jedoch nur bis zum Ablauf des Monats, in dem dem Ausbildungswilligen die Ablehnung bekannt gegeben wird.

Die Revision der Beklagten ist begründet, denn das LSG hat die Beklagte zu Unrecht verurteilt, Kindergeld für die Zeit zu zahlen, in der K. ihr Familienpraktikum leistete (1. September 1983 bis zum Beginn der Ausbildung an der Haus- und Familienpflegeschule in F., längstens bis Februar 1984). Dieses Praktikum war ebenso wie die Tätigkeit in der Großküche keine Berufsausbildung für K.

"Vorpraktika" sind nicht grundsätzlich der Berufsausbildung zuzurechnen, wenn sie zwingende Zulassungsvoraussetzung sind, sondern allenfalls, wenn sie nach der Ausbildungsordnung als Teil der Ausbildung anzusehen sind, weil die dort zu erwerbenden Kenntnisse und Fertigkeiten als notwendige fachliche Voraussetzungen für die eigentliche Ausbildung und damit für den angestrebten Beruf gefordert werden. Andere Zulassungsvoraussetzungen dagegen, die ebenfalls als notwendige Vorbedingung für eine Ausbildung erachtet werden, bei denen aber keine fachlichen Kenntnisse und Fertigkeiten erworben werden, sind keine Berufs-"Ausbildung", sondern andersartige Eignungskriterien, wie etwa ein bestimmtes Lebensalter, gewisse Lebenserfahrung, Einblick auch in andere Berufszweige oder allgemein eine gewisse Reife. Die Verordnung der Landesregierung von Baden-Württemberg über die Schulen für Altenpflege und für Haus- und Familienpflege vom 7. Mai 1980 (GBl 298) fordert in § 5 als Zulassungsvoraussetzungen für die Ausbildung: 1) den Hauptschulabschluß oder einen gleichwertigen Bildungsstand und 2) eine abgeschlossene mindestens zweijährige Berufsausbildung oder eine mindestens dreijährige geeignete praktische Tätigkeit. Nach § 5 Abs 2 kommt als geeignet jede Tätigkeit in Betracht, soweit sie der Ausbildung förderlich ist, insbesondere eine berufliche, hauswirtschaftliche oder pflegerische Tätigkeit oder ein freiwilliges soziales Jahr. Auf die praktische Tätigkeit kann bei Bewerbern mit Realschulabschluß oder bei vorherigem Besuch einer berufsbildenden Vollzeitschule der Schulbesuch bis zur Dauer von zwei Jahren angerechnet werden. K. hätte also, weil sie einen Realschulabschluß aber keine abgeschlossene Berufsausbildung hatte, mindestens eine einjährige geeignete praktische Tätigkeit leisten müssen. Es mag sein, daß das Familienpraktikum und auch das früher geleistete Praktikum für die Ausbildung zur Erzieherin - wie das LSG annimmt - eine in diesem Sinne geeignete praktische Tätigkeit war, so daß der Zulassung zur Ausbildung als Haus- und Familienpflegerin zum 1. März 1984 nichts im Wege stand. Die genannten Zulassungsvoraussetzungen zeigen jedoch, daß nicht nur vorher erworbene bestimmte fachbezogene Kenntnisse und Fertigkeiten den Zugang zur Ausbildung eröffnen, denn neben dem Hauptschulabschluß genügt eine abgeschlossene, mindestens zweijährige Berufsausbildung, dh jegliche und nicht etwa nur eine fachbezogene oder -verwandte Berufsausbildung. Die anstelle der Berufsausbildung mögliche dreijährige praktische Tätigkeit muß allerdings geeignet sein. Da aber neben hauswirtschaftlichen und pflegerischen Tätigkeiten auch eine (allgemeine) berufliche Tätigkeit als förderlich genannt ist, ist auch hier der Erwerb von fachlichen Kenntnissen nicht notwendige Zulassungsvoraussetzung. Hieran wird besonders deutlich, daß eine Zulassung auch ohne vorher erworbene fachliche Kenntnisse und Fertigkeiten möglich, dh neben der Schulausbildung eine weitere vorherige "Ausbildung" nicht notwendige Zulassungsvoraussetzung ist. Es kommt daher nicht darauf an, ob das Familienpraktikum, das K. tatsächlich geleistet hat, für die angestrebte Ausbildung und damit auch für den angestrebten Beruf nützlich oder förderlich war, ob K. tatsächlich ausgebildet worden ist und auch nützliche Kenntnisse erworben hat. Eine derartige Ausbildung ist nur eine Möglichkeit, die Zulassungsvoraussetzungen zu erfüllen. Da daneben aber weitere Möglichkeiten bestehen, die als gleichwertige Tatbestände gelten, aber nicht Ausbildung für diesen Beruf sind, kann auch ein Praktikum nicht als Berufsausbildung iS von § 2 Abs 2 Satz 1 Nr 1 BKGG gelten, selbst wenn das Kind durch das Praktikum nützliche Kenntnisse und Fertigkeiten erwirbt.

Das Familienpraktikum kann auch nicht als Teil einer Berufsausbildung für einen anderen Beruf gelten. Für sich allein betrachtet stellt es keine Stufe einer mehrstufigen Berufsausbildung dar, denn es ist nicht erkennbar, für welchen anderen Beruf, der im übrigen von K. auch gar nicht angestrebt wurde, es Teil einer Berufsausbildung hätte sein können. Aus den gleichen Gründen kann daher auch das Praktikum in der Großküche nicht Berufsausbildung im Hinblick auf die Zulassung zur Ausbildung als Haus- und Familienpflegerin oder für einen anderen Beruf sein.

Da somit K. während der gesamten streitigen Zeit vom 1. September 1982 bis 29. Februar 1984 nicht in Berufsausbildung stand, zu Beginn dieses Zeitraums bereits ihr 18. Lebensjahr vollendet hatte und die Voraussetzungen des § 2 Abs 2 Satz 4 BKGG nF nicht vorliegen, so daß sie durchgehend für den Kindergeldanspruch des Klägers in dieser Zeit nicht zu berücksichtigen ist, bedurfte es angesichts der gebotenen Klageabweisung auch keiner Berichtigung oder Änderung des Urteilsausspruchs des angefochtenen Urteils hinsichtlich der Zeit vom 1. September bis zum 1. November 1983.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1660281

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