Kindergeld: Praxisjahr zur Vorbereitung auf Abschluss

Der BFH hat seine Rechtsprechungsgrundsätze zur kindergeldrechtlichen Erstausbildung über die Jahre fortentwickelt und präzisiert. Es gibt aber weiterhin einige Sachverhalte, deren rechtliche Beurteilung noch immer nicht eindeutig ist.

Solange sich ein Kind sich in einer erstmaligen Berufsausbildung oder in einem Erststudium befindet, kann es kindergeldrechtlich bis zum 25. Lebensjahr berücksichtigt werden. Nach Abschluss einer erstmaligen Berufsausbildung oder eines Erststudiums kann in Kind, welches für einen Beruf ausgebildet wird, nur noch weiter kindergeldrechtlich berücksichtigt werden, wenn es keiner schädlichen Erwerbstätigkeit (über 20 Stunden regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit) nachgeht. Das ergibt sich aus § 32 Abs. 4 EStG.

Rechtsprechungsgrundsätze zur einheitlichen Erstausbildung

Liegen mehrere Ausbildungsabschnitte vor, können diese (kindergeldrechtlich) noch eine einheitliche Erstausbildung darstellen, wenn sie zeitlich und inhaltlich so aufeinander abgestimmt sind, dass die Ausbildung nach Erreichen des ersten Abschlusses fortgesetzt werden soll und das vom Kind angestrebte Berufsziel erst über den weiterführenden Abschluss erreicht werden kann.

ie einzelnen Ausbildungsabschnitte müssen sich als integrativer Bestandteil eines einheitlichen Ausbildungsgangs darstellen. Insoweit kommt es vor allem darauf an, ob die Ausbildungsabschnitte in einem engen sachlichen Zusammenhang (z.B. dieselbe Berufssparte, derselbe fachliche Bereich) zueinanderstehen und in engem zeitlichen Zusammenhang durchgeführt werden.

An einer Ausbildungseinheit fehlt es dagegen, wenn die Aufnahme des zweiten Ausbildungsabschnitts eine berufspraktische Tätigkeit voraussetzt oder das Kind nach dem Ende des ersten Ausbildungsabschnitts eine Berufstätigkeit aufnimmt, die nicht nur der zeitlichen Überbrückung bis zum nächsten Beginn des weiteren Ausbildungsabschnitts dient.

Fortentwickelte Rechtsprechung: Gesamtwürdigung der Verhältnisse

An einer einheitlichen Erstausbildung kann es aber fehlen, wenn das Kind nach Erlangung des ersten Abschlusses in einem öffentlich-rechtlich geordneten Ausbildungsgang eine Berufstätigkeit aufnimmt und die daneben in einem weiteren Ausbildungsabschnitt durchgeführten Ausbildungsmaßnahmen gegenüber der Berufstätigkeit in den Hintergrund treten. Ob die nach Erlangung des Abschlusses aufgenommene Berufstätigkeit die Hauptsache und die weitere Ausbildungsmaßnahme eine nebensächliche Weiterbildung in dem bereits aufgenommenen Berufszweig darstellt, ist anhand einer Gesamtwürdigung der Verhältnisse zu entscheiden. Hierfür sind insbesondere folgende Kriterien von Bedeutung:

  • Handelt es sich um zeitlich unbefristetes oder auf mehr 26 Wochen befristetes Arbeitsverhältnis?
  • Liegt eine vollzeitige oder nahezu vollzeitige Beschäftigung vor?
  • Setzt das Arbeitsverhältnis den ersten Berufsabschluss voraus?
  • Passt sich die Berufstätigkeit dem jeweiligen Ausbildungsplan an oder findet die Ausbildung neben der Berufstätigkeit statt?

FG Münster bezieht sich auf fortentwickelte Rechtsprechung

Das FG Münster hat nach der Fortentwicklung der Rechtsprechung entschieden, dass das Praxisjahr zur Vorbereitung auf den Abschluss als "Staatlich geprüfter Agrarbetriebswirt" Teil einer einheitlichen erstmaligen Berufsausbildung ist. Das Kind erlangte im Juli 2017 den Abschluss im Ausbildungsberuf "Landwirt". Noch im selben Monat meldete er sich für den weiteren Abschluss "Staatlich geprüfter Agrarbetriebswirt" an einer Fachschule an. Da hierfür ein Praxisjahr zwingend vorgeschrieben ist, konnte er hiermit erst im Juli 2018 beginnen. In der Zwischenzeit absolvierte er das Praxisjahr in drei verschiedenen landwirtschaftlichen Betrieben.

Die Familienkasse lehnte den Antrag der Klägerin auf Festsetzung von Kindergeld ab August 2017 ab und führte zur Begründung aus, dass die Erwerbstätigkeit im Rahmen des Praxisjahres nach Erlangung eines Abschlusses schädlich sei. Eine einheitliche Ausbildung liege nicht vor, da durch das Praxisjahr eine Zäsur eintrete.

Das FG Münster war dagegen der Auffassung (Urteil v. 8.8.2019, 4 K 3925/17 Kg), dass der Sohn der Klägerin sich auch während des Praxisjahres noch in einer einheitlichen mehraktigen Berufsausbildung befunden habe. Die Ausbildungstätigkeit habe während der Praktika im Vordergrund gestanden. Die Arbeitstätigkeit sei den Ausbildungsmaßnahmen während der jeweils zeitlich befristeten Praktika untergeordnet gewesen. Die Praktika seien vielmehr auf den angestrebten Abschluss zeitlich und inhaltlich abgestimmt worden. Die Praktikantenverträge hätten auf die angestrebte Ausbildung auch ausdrücklich Bezug genommen.

Aktualisierung: Zurückverweisung an FG Münster

Der BFH hat mit Urteil v. 23.3.2022, III R 41/20, die Sache an das FG Münster zurückverwiesen, weil das FG im zweiten Rechtsgang insbesondere bei zwei ausgeübten Tätigkeiten zu prüfen habe, ob jeweils die Erlangung beruflicher Qualifikationen (Ausbildungscharakter) oder die Erbringung bezahlter Arbeitsleistungen (Erwerbscharakter) im Vordergrund stand.

Das FG sei zu dem Ergebnis gelangt, dass eine Berufsausbildung vorliege, weil das Kind zur Erlangung seines Berufsziels (staatlich geprüfter Agrarbetriebswirt) in verschiedenen Betrieben eingesetzt worden sei und dort ausweislich der jeweiligen Praktikumsbescheinigungen dafür notwendige Kenntnisse, Fähigkeiten und Erfahrungen erworben habe. Es handele sich auch nicht um eine schädliche Erwerbstätigkeit nach Abschluss einer erstmaligen Berufsausbildung, denn es lägen mehrere Ausbildungsabschnitte vor. Die Praktikantentätigkeit sei insbesondere angesichts des Zeitpunkts ihrer Ableistung, ihrer zeitlichen Befristung sowie ihres zeitlichen Umfangs von insgesamt einem Jahr im Verhältnis zu den Ausbildungsmaßnahmen des nächsten Ausbildungsabschnitts (zwei Jahre Fachschule) als untergeordnete Tätigkeit anzusehen. Zudem sei die geforderte Berufspraxis als vorgeschriebenes Praktikum i.S. von Kapitel A 15.8 Abs. 2 Satz 1 DA-KG anzusehen.

Damit habe das FG zwar festgestellt, dass das Kind im Streitzeitraum im Hinblick auf die für den Berufsabschluss "staatlich geprüfter Agrarbetriebswirt" nötige praktische Tätigkeit in einem Agrar- und einem Forstbetrieb beschäftigt war und dabei Kenntnisse, Fähigkeiten und Erfahrungen gewonnen hat. Aber zu den außerdem maßgeblichen und in die Gesamtwürdigung einzustellenden Tatsachen, ob das Kind jeweils in Tätigkeiten unterwiesen wurde, die qualifizierte Kenntnisse und/oder Fertigkeiten erfordern, ob jeweils ein Ausbildungsplan vorhanden war und in welcher Höhe das Kind ein Entgelt erhielt, aber nicht.

Kriterien, die bei der innerhalb eines Arbeits- oder Dienstverhältnisses ausgeübten Tätigkeit im Rahmen einer Gesamtwürdigung der Umstände für einen im Vordergrund stehenden Ausbildungscharakter sprechen können, seien nämlich etwa das Vorhandensein eines Ausbildungsplans, die Unterweisung in Tätigkeiten, welche qualifizierte Kenntnisse und/oder Fertigkeiten erfordern, die Erlangung eines die angestrebte Berufstätigkeit ermöglichenden Abschlusses und ein gegenüber einem normalen Arbeitsverhältnis geringeres Entgelt.
 
Im Streitfall seien daher die jeweils auf die Arbeitstätigkeit und auf die Ausbildungsmaßnahmen entfallenden Zeitanteile der Beschäftigungsverhältnisse gegenüberzustellen. Die Abgrenzung von Hauptsache und Nebensache ist dabei auf den jeweiligen Ausbildungsabschnitt bezogen und nicht abschnittsübergreifend vorzunehmen. Entgegen der vom FG vertretenen Auffassung komme es dabei auf die Dauer des Praxisjahres im Verhältnis zur Dauer der Fachschulausbildung nicht an. Solange ein im Vordergrund stehender Ausbildungscharakter nicht feststeht, könne die Tätigkeit in den land- bzw. forstwirtschaftlichen nicht als Praktikum eingeordnet werden. In vergleichbaren Fällen sollte daher (weiterhin) ein Ruhen des Verfahrens angestrebt werden.

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