Entscheidungsstichwort (Thema)

Maßgebende Zeitpunkte

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Der durch den Berufsschadensausgleich (bzw Schadensausgleich) auszugleichende Schaden muß in der Zeit bestehen, für die der Ausgleich begehrt wird (vergleiche BSG 1970-09-16 10 RV 627/68 = BSGE 32, 2 und BSG 1972-07-06 9 RV 668/71 = VersorgB 1973 RsprNr 2).

2. Der Auffassung, maßgeblicher Zeitpunkt für die Einstufung in eine Berufs- oder Wirtschaftsgruppe sei der Monat, für den jeweils der Einkommensverlust iS des BVG § 30 Abs 4 zu ermitteln ist, kann nicht zugestimmt werden. Denn dies würde bedeuten, daß der Beschädigte auch nach 5, 10, 20 oder mehr Jahren nach der Bewilligung des Berufsschadensausgleichs ständig damit rechnen müßte, daß bei einer der regelmäßigen Neufeststellungen nicht nur sein derzeitiges Bruttoeinkommen (BVG § 30 Abs 4 S 1) sowie die eventuell erhöhten Durchschnittseinkommen (BVG § 60 Abs 2 S 4), sondern auch die nach meist langer Prüfung ermittelte Berufs- oder Wirtschaftsgruppe immer wieder abweichend festgesetzt werden könnte und müßte. Eine solche Berechnungs- und Verfahrensweise findet weder im Gesetz noch in der DV § 30 Abs 3 und 4 BVG eine Stütze. Die DV § 30 Abs 3 und 4 BVG kennt nur die Kürzung des Durchschnittseinkommens um 25 %, wenn der Beschädigte das 65. Lebensjahr vollendet. Eine wesentliche Änderung der Verhältnisse iS des BVG § 62 wird insofern in aller Regel nicht in Betracht kommen.

3. DV § 30 Abs 3 und 4 BVG § 5 vom 1968-02-28 stellt es nur auf die Schul- und Berufsausbildung ab.

 

Normenkette

BVG § 30 Abs. 4 S. 1 Fassung: 1966-12-28, § 60 Abs. 2 S. 4 Fassung: 1966-12-28, § 62 Abs. 1 Fassung: 1966-12-28, § 30 Abs. 3 DV § 5 Abs 1 Fassung: 1968-02-28

 

Tenor

Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 4. Mai 1972 wird zurückgewiesen.

Der Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.

 

Gründe

Der am 8. Juli 1915 geborene Kläger, der wegen verschiedener Schädigungsfolgen Rente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 50 v. H. bezieht, machte nach den unangegriffenen Feststellungen des Landessozialgerichts (LSG) im Anschluß an den Volksschulbesuch (1921 bis 1929) in der Lohnweberei seiner Eltern, die über 2 Webstühle verfügten, von 1929 bis 1932 eine Lehre durch, war in den Jahren 1934 und 1935 als Praktikant in einer Lohnweberei (jetzt Tuchfabrik) in R tätig und arbeitete anschließend - mit kurzfristiger Unterbrechung durch Ableistung des Reichsarbeitsdienstes - bis zu seiner Einberufung zum Wehrdienst am 1. November 1937 in diesem Betrieb als Weber. Vom März 1949 bis zum 30. Mai 1958 war er in einer anderen Tuchfabrik als Lagerist beschäftigt. Dann trat er in den Dienst der Kreispolizeibehörde M. ein, wo er zur Zeit als technischer Angestellter tätig ist und nach der Vergütungsgruppe BAT VII besoldet wird. Sein am 7. Juli 1965 gestellter Antrag auf Gewährung von Berufsschadensausgleich wurde mit Bescheid vom 29. September 1966 abgelehnt, weil er ohne die Schädigungsfolgen wahrscheinlich unselbständig als Weber tätig und somit in die gegenüber seinem jetzigen Einkommen niedrigere Leistungsgruppe 2 der Arbeiter in der Textilindustrie (Weberei) einzustufen wäre. Der Widerspruch wurde am 15. Mai 1968 mit der Begründung zurückgewiesen, das Einkommen des Klägers als Polizeiangestellter sei wesentlich höher als das, was er bei Übernahme des elterlichen Betriebs (Lohnweberei mit 2 Webstühlen) erhalten hätte. Das Sozialgericht (SG) hat durch Urteil vom 27. August 1969 den Beklagten verurteilt, dem Kläger Berufsschadensausgleich unter Eingruppierung in die Besoldungsgruppe A 7 zu gewähren; im übrigen hat es die in erster Linie auf Einstufung in die Gruppe A 9 gerichtete Klage abgewiesen. Das LSG hat die Berufung des Beklagten mit Urteil vom 4. Mai 1972 mit der Maßgabe zurückgewiesen, daß Berufsschadensausgleich ab 1. Januar 1964 zu gewähren ist. Es hat u. a. ausgeführt, die Frage, ob das Erwerbseinkommen des Klägers durch die Schädigungsfolgen gemindert sei, bestimme sich nicht nach den individuellen, konkreten Einkommensverhältnissen, sondern ebenso wie die Höhe des Berufsschadensausgleichs nach der generalisierenden Berechnungsweise des § 30 Abs. 4 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG); diese stelle eine Legaldefinition des Einkommensverlustes dar (BSG in SozR Nr. 47 zu § 30 BVG). Der Kläger hätte ohne die Schädigung die elterliche Lohnweberei nach dem Kriege übernommen. Als Inhaber dieser Lohnweberei wäre er im Sinne der §§ 2, 5 der Durchführungsverordnung (DVO) zu § 30 Abs. 3 und 4 BVG - DVO - selbständig tätig gewesen. Nach den Ausführungen des Sachverständigen S seien die Verdienstmöglichkeiten der Lohnweber anfänglich, d. h. insbesondere in der Zeit nach der Währungsreform bis in die 60er Jahre, sehr gut gewesen. Diese Bekundungen würden auch durch die Auskunft der Außenstelle M der Oberkreisdirektion des Kreises A bestätigt. Daher sei es wahrscheinlich, daß der Kläger den elterlichen Betrieb fortgeführt hätte. An der Übernahme und Fortführung des elterlichen Betriebes sei der Kläger aber durch die Schädigungsfolgen gehindert gewesen. Allerdings habe der Senat nicht feststellen können, daß der Kläger ohne die Schädigung wahrscheinlich auch noch im Zeitpunkt der Antragstellung (Juli 1965) und bis zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung eine Lohnweberei betrieben hätte. Das sei zwar durchaus möglich, weil auch jetzt noch Lohnwebereien bestünden, aber angesichts der bekannt gewordenen Entwicklung nicht wahrscheinlich gemacht. Daran scheitere jedoch das Begehren des Klägers nicht. Die Anspruchsvoraussetzung des § 30 Abs. 3 BVG - schädigungsbedingter Einkommensverlust - müsse zwar grundsätzlich im Zeitpunkt der Antragstellung wie auch noch im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung gegeben sein. Daraus folge aber nicht ohne weiteres, daß die Wahrscheinlichkeit dafür gegeben sein müsse, daß der Beschädigte die Stellung noch innehätte. Für die Frage, welche Stellung der Kläger ohne die Schädigungsfolgen erreicht hätte, sei zunächst auf den Zeitpunkt der Schädigung bzw. ihrer Auswirkungen auf den Beruf abzustellen. Wie das Bundessozialgericht (BSG) im Urteil vom 17. März 1970 (SozR Nr. 41 zu § 30 BVG) zu Recht ausgeführt habe, würde § 6 DVO in Widerspruch zu § 30 Abs. 4 BVG stehen, wenn nur die derzeitigen Verhältnisse berücksichtigt werden dürften. Ein durch die Schädigung erlittener Berufsschaden dürfe nicht deshalb unberücksichtigt bleiben, weil er schon in der Vergangenheit eingetreten sei und evtl. heute nicht mehr vorliege. Deshalb dürfe auch nicht geprüft werden, ob spätere Ereignisse den durch die Schädigung verursachten Berufsschaden beseitigt, d. h. überholt hätten. Zwar beziehe sich die genannte BSG-Entscheidung auf einen Fall, in dem der Beschädigte durch die Schädigungsfolgen völlig erwerbsunfähig geworden sei und dadurch seine schon damals erreichte Berufsstellung verloren habe. Gleichwohl müßten aber auch im vorliegenden Fall die vom BSG entwickelten Grundsätze angewendet werden. Wie bedenklich eine gegenteilige Auffassung sei, die allein auf die Verhältnisse im Zeitpunkt der Antragstellung und danach abstelle, zeigten die Ausführungen des Sachverständigen über den wirtschaftlichen Status der Lohnweber, die inzwischen wegen der Strukturkrise ihren Betrieb aufgegeben hätten. Danach hätten es die Weber, die nach dem Kriege eine Lohnweberei aufgebaut haben, alle "zu etwas gebracht". Sie lebten jetzt von dem "Erwirtschafteten", teilweise unter anderweitiger Ausnutzung der Betriebsanlagen. Es könne dahinstehen wie zu entscheiden wäre, wenn feststünde, daß der Kläger heute keinesfalls eine selbständige Tätigkeit ausüben würde. Denn da immerhin noch 2 Lohnwebereien in Roetgen bestünden und außerdem auch in der Nachbargemeinde Höfen einige Lohnwebereien betrieben würden, könne jedenfalls die gute Möglichkeit nicht ausgeschlossen werden, daß der Kläger ohne die Schädigung auch heute noch eine Lohnweberei unterhalten würde. Jedenfalls in einem solchen Fall könnten spätere schädigungsunabhängige Ereignisse wie Strukturkrise und Wirtschaftsflaute nicht generell dazu führen, die Entschädigung eines zunächst eingetretenen Berufsschadens abzulehnen.

Mit der zugelassenen Revision rügt der Beklagte Verletzung des § 30 Abs. 3 und 4 BVG sowie der §§ 2, 5 der hierzu ergangenen DVO von 1964 und 1968. Gemäß § 30 Abs. 4 BVG müsse Monat für Monat festgestellt werden, ob und ggf. in welcher Höhe ein Einkommensverlust vorliege. Wenn sich auch die für die Einstufung gemäß § 30 Abs. 4 BVG bedeutsamen Verhältnisse nicht allzu oft änderten, so sei doch der maßgebliche Zeitpunkt für die Einstufung in eine Berufs- oder Wirtschaftsgruppe der Monat, für den jeweils der Einkommensverlust im Sinne dieser Vorschrift zu ermitteln sei. Das heiße, die ganze Entwicklung, wie sie ohne die Schädigung vom Zeitpunkt der Schädigung an bis zu diesem Monat wahrscheinlich verlaufen wäre, müsse berücksichtigt werden. Es komme sonach auf das Durchschnittseinkommen der Berufs- oder Wirtschaftsgruppe an, der der Beschädigte ohne die Schädigung in dem jeweiligen Monat angehört hätte. Aus den vom LSG getroffenen Feststellungen folge, daß der Kläger jedenfalls für die streitigen Leistungszeitabschnitte ab 1. Juli 1965 bis zur mündlichen Verhandlung am 4. Mai 1972 nicht als Inhaber einer Lohnweberei in eine der Berufsgruppen des § 5 DVO eingestuft werden könne. Für die Zeit von Januar 1964 bis Juni 1965 habe das LSG die Frage, ob der Kläger wahrscheinlich noch eine Lohnweberei betrieben hätte, offengelassen. Hätte es diese Frage entschieden, so hätte es eine wahrscheinliche selbständige Tätigkeit auch für diese Zeit verneint. Die Möglichkeit einer Betriebsaufgabe vor dem Zeitpunkt der Antragstellung habe es im Urteil übrigens auch in Betracht gezogen. Nach der Rechtsprechung des BSG müsse der Schaden für die Zeit entstanden sein, für die der Schadensausgleich begehrt werde. Dieser werde für einen Schaden gewährt, welcher in dem betreffenden Monat bestehe und für diesen Monat zu berechnen sei. Der 9. Senat des BSG habe mit seinen beiden Urteilen vom 6. Juli 1972 seine im Urteil vom 17. März 1970 vertretene Auffassung, auf die sich das LSG bezogen habe, aufgegeben. In der Streitsache 9 RV 668/71 habe der 9. Senat ua. ausgeführt, die zu vergleichende Berufsstellung könne vernünftigerweise nicht eine solche sein, die der Beschädigte vor der Zeit, für die er den Berufsschadensausgleich begehre, durch andere Umstände verloren habe, sondern die Berufsstellung, die er zur selben Zeit innehätte. Auch die vergleichbare Vorschrift des § 252 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) erfordere zur Ermittlung des entgangenen Einkommens (Gewinns) die Feststellung eines hypothetischen Geschehensablaufs, der mit einem schadensstiftenden Ereignis beginne und der nicht nur die Zeit unmittelbar nach Eintritt dieses Ereignisses betreffe. Den Ausführungen des Berufungsgerichts zur Frage des Nachweises eines konkreten Einkommensverlustes könne nicht zugestimmt werden, obwohl es zutreffe, daß nach der Rechtsprechung des BSG der Einkommensverlust im Sinne des § 30 Abs. 3 BVG mit demjenigen identisch sei, den § 30 Abs. 4 BVG definiere.

Der Beklagte beantragt,

unter Abänderung der Urteile des Landessozialgerichts und des Sozialgerichts die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Dem angefochtenen Urteil sei zuzustimmen. Für die Zeit ab Juli 1965 könne der Nachweis einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse im Sinne des § 62 BVG zu Lasten des Klägers nicht geführt werden.

Die durch Zulassung statthafte Revision ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden und deshalb zulässig (§§ 162 Abs. 1 Nr. 1, 164, 166 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -). Sachlich konnte sie keinen Erfolg haben.

Das LSG hat festgestellt, daß der Kläger "ohne die Schädigung die elterliche Lohnweberei nch dem Kriege übernommen und fortgeführt hätte", und daß er als Inhaber dieser Lohnweberei im Sinne der §§ 2, 5 DVO zu § 30 Abs. 3 und 4 BVG (vom 30. Juli 1964, BGBl I, 574) - DVO - selbständig tätig gewesen wäre. Dagegen sind von der Revision keine substantiierten Verfahrensrügen erhoben worden. Zeitlich einschränkend hat das LSG nicht festzustellen vermocht, daß der "Kläger ohne die Schädigung wahrscheinlich auch noch im Zeitpunkt der Antragstellung (Juli 1965) und bis zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung...eine Lohnweberei betrieben hätte". Das LSG hat das Vorliegen der Voraussetzungen des § 30 Abs. 4 BVG für die Zeit ab 1. Januar 1964 bis Ende Juni 1965 somit nicht "offengelassen", wie die Revision ausführt. Die vom LSG angedeutete Möglichkeit der Aufgabe des Betriebes aus konjunkturellen Gründen, auf die sich die Revision beruft, bezieht sich sinngemäß auf den Zeitpunkt der Antragstellung im Juli 1965. Das LSG hat die Weiterführung des Betriebes auch für die Zeit danach als durchaus möglich, aber nicht wahrscheinlich angesehen. Eine weitere Klärung dieser Frage hat das LSG mit Rücksicht auf das Urteil des BSG vom 17. März 1970 (SozR Nr. 41 zu § 30 BVG) nicht für erforderlich gehalten, weil spätere Ereignisse den durch die Schädigung verursachten Berufsschaden nicht beseitigen oder überholen könnten. Die Revision weist allerdings zutreffend darauf hin, daß der 9. Senat des BSG in seinen beiden späteren Entscheidungen vom 6. Juli 1972 (Az. 9 RV 484/70 und 9 RV 668/71) seine im Urteil vom 17. März 1970 vertretene Auffassung aufgegeben habe. Dieser Umstand führt jedoch im vorliegenden Fall zu keinem anderen Ergebnis.

Die beiden genannten Entscheidungen des 9. Senats betrafen Fälle, in denen der Beschädigte als Vertriebener in die Bundesrepublik Deutschland gelangte und dort Berufsschadensausgleich beantragte. Ein solcher Fall liegt hier nicht vor. Darüber hinaus hatte der Vertriebene in der Sache 9 RV 484/70 nach der Vertreibung als Schleifer gearbeitet und den vollen Tariflohn verdient. Auch in der Sache 9 RV 668/71 war der Beschädigte danach bei einer ursprünglich mit 70 v. H. bewerteten MdE als Elektroschweißer im Volkswagenwerk beschäftigt. Die Entscheidung des 9. Senats vom 17. März 1970 - 9 RV 328/68 - (SozR Nr. 41 zu § 30 BVG) betraf jedoch insofern einen Sonderfall, als dort der Beschädigte wegen der Schädigungsfolgen bereits vor der Vertreibung (aus Ostpreußen) völlig erwerbsunfähig war und auch geblieben ist. Nur dieser Sonderfall, nicht aber Fälle, wie sie der 9. Senat am 6. Juli 1972 zu entscheiden hatte, wurde mit Urteil vom 17. März 1970 entschieden. In den Gründen dieses Urteils heißt es demgemäß auch:

Hat die Schädigung nur eine teilweise Einbuße der Erwerbsfähigkeit zur Folge gehabt, so daß der Beschädigte - auch nach der Vertreibung - weiterhin berufstätig sein konnte, so wird es bei der nach § 30 Abs. 4 BVG anzustellenden Prüfung allerdings darauf ankommen, ob und inwieweit ein Kausalzusammenhang zwischen Schädigung und der nach der Vertreibung erlangten beruflichen Position gegeben ist... Soweit hier Vertreibungsschäden hineinspielen und im wesentlichen allein dafür verantwortlich zu machen sind, daß die spätere Berufsstellung an die früher bereits innegehabte nicht heranreicht, können diese versorgungsrechtlich nicht zu entschädigenden Vertreibungsfolgen beim Berufsschadensausgleich grundsätzlich nicht berücksichtigt werden, es sei denn, daß § 6 DVO zum Zuge kommt. Anders ist es jedoch, wenn der Beschädigte bereits vor der Vertreibung völlig erwerbsunfähig war, deshalb seinen erlernten oder selbständig ausgeübten Beruf nicht mehr ausüben konnte und insoweit später keine Änderung mehr eingetreten ist.

Bei näherer Prüfung ergibt sich sonach, daß die späteren Entscheidungen des 9. Senats vom 6. Juli 1972 andere Sachverhalte betrafen und insbesondere von der Begründung der Entscheidung vom 17. März 1970 im wesentlichen nicht erkennbar abweichen. Ob deshalb die vom 9. Senat am 6. Juli 1972 ausgesprochene Aufgabe seiner früher im Urteil vom 17. März 1970 vertretenen Rechtsauffassung durch die am 6. Juli 1972 ergangenen Entscheidungen, die anders gelagerte Fälle betrafen, getragen wird, konnte hier dahinstehen. Denn auch der vorliegende Fall ist mit dem vom 9. Senat am 17. März 1970 entschiedenen Fall nicht ohne weiteres vergleichbar, wie das LSG zutreffend erkannt hat.

Nach der zitierten neueren Rechtsprechung des 9. Senats, bei der sich dieser die Auffassung des 10. Senats im Urteil vom 16. September 1970 (BSG 32, 1) zu eigen gemacht hat, muß der durch den Berufsschadensausgleich (bzw. Witwenschadensausgleich) auszugleichende Schaden in der Zeit bestehen, für die der Ausgleich begehrt wird (BSG 32, 2). Der Berufsschadensausgleich ist hiernach nach dem Vergleichseinkommen in demjenigen Beruf zu bemessen, dem der Beschädigte in der Zeit, für die er die Leistung begehrt , ohne die Schädigung angehört hätte (BSG 32, 4). Der 9. Senat führt dazu aus, daß die fiktive Berufsstellung nicht eine solche sein könne, die der Antragsteller vor der Zeit, für die er den Berufsschadensausgleich begehrt , durch andere Umstände verloren hatte; der Einkommensverlust müsse in der Zeit, für die Berufsschadensausgleich begehrt werde, in der Regel zur Zeit des Antrags und danach (§ 60 BVG) bestehen.

Wendet man diese Grundsätze auf den vorliegenden Fall an, so ist festzustellen, daß der Kläger Berufsschadensausgleich für die Zeit ab 1. Januar 1964 begehrt , und zwar in zeitlicher Hinsicht zu Recht, weil sein am 6./7. Juli 1965 gestellter Antrag gemäß Art. VI § 1 Abs. 2 des Zweiten Neuordnungsgesetzes vom 21. Februar 1964 BGBl I, 85, 99 (2. NOG) aufgrund der am 7. August 1964 verkündeten DVO vom 30. Juli 1964 (BGBl I, 574) bis zum 1. Januar 1964 zurückwirkte. Da das LSG nur für die Zeit ab Antragstellung (Juli 1965) und danach die Frage in Zweifel gezogen hat, ob der Kläger die Lohnweberei wahrscheinlich weiterbetrieben hätte, ist die Voraussetzung, daß er ohne die Schädigungsfolgen der Berufs- oder Wirtschaftsgruppe der selbständig Tätigen als Inhaber einer Lohnweberei "wahrscheinlich angehört hätte" (vgl. § 30 Abs. 4 Satz 1 BVG idF des 2. NOG), jedenfalls für die Zeit vom 1. Januar 1964 bis Ende Juni 1965 auch nach der oben zitierten Rechtsprechung des 9. und 10. Senats des BSG erfüllt. Das LSG hat somit zumindest für diese Zeit der Berechnung des Berufsschadensausgleichs gemäß §§ 2, 5 DVO das Durchschnittseinkommen aus selbständiger Tätigkeit, d. h. das Endgehalt der Besoldungsgruppe A 7 - insoweit besteht kein Streit mehr - zugrunde legen dürfen.

Soweit es sich um den Anspruch für die spätere Zeit handelt, kann zunächst der Auffassung des Beklagten, maßgeblicher Zeitpunkt für die Einstufung in eine Berufs- oder Wirtschaftsgruppe sei "der Monat, für den jeweils der Einkommensverlust im Sinne des § 30 Abs. 4 BVG zu ermitteln ist", nicht zugestimmt werden. Denn dies würde bedeuten, daß der Beschädigte auch nach 5, 10, 20 oder mehr Jahren nach der Bewilligung des Berufsschadensausgleichs ständig damit rechnen müßte, daß bei einer der regelmäßigen Neufeststellungen nicht nur sein derzeitiges Bruttoeinkommen (§ 30 Abs. 4 Satz 1 BVG) sowie die evtl. erhöhten Durchschnittseinkommen (§ 60 Abs. 2 Satz 4), sondern auch die nach meist langer Prüfung ermittelte Berufs- oder Wirtschaftsgruppe, der er ohne die Schädigung wahrscheinlich angehört hätte (mit dem daraus sich ergebenden schematischen Vergleichseinkommen), immer wieder abweichend - insbesondere auch zu seinem Nachteil - festgesetzt werden könnte und müßte. Ob ein solches Vorgehen schon daran scheitern müßte, daß die Einstufung bzw. Eingruppierung in eine Berufs- oder Wirtschaftsgruppe möglicherweise einen selbständigen feststellenden Verwaltungsakt darstellt, der der Bindung nach §§ 77 SGG, 24 Verwaltungsverfahrensgesetz fähig ist (vgl. Urteile des erkennenden Senats vom 27. März 1969 in SozR Nr. 38 zu § 30 BVG sowie des 10. Senats vom 12. Oktober 1972 - 10 RV 744/71), kann hier dahinstehen. Denn eine solche Berechnungs- und Verfahrensweise, die überdies auch deshalb zu einer außerordentlichen Verwaltungsmehrarbeit führen müßte, weil jeder Beschädigte bei der kalenderjährlichen Neufestsetzung des Berufsschadensausgleichs (vgl. § 60 a Abs. 4 und 10 BVG) ohne Rücksicht auf frühere rechtskräftige Entscheidungen erneut eine ihm günstigere Einstufung begehren könnte, findet weder im Gesetz noch in der DVO eine Stütze. Die DVO kennt nur die Kürzung des Durchschnittseinkommens um 25 v. H., wenn der Beschädigte das 65. Lebensjahr vollendet (§ 3 Abs. 5, § 4 Abs. 5, § 5 Abs. 2, § 6 Abs. 3 und § 7 Abs. 2). Eine wesentliche Änderung der Verhältnisse im Sinne des § 62 BVG wird insoweit in aller Regel nicht in Betracht kommen, weil es sich dabei um eine tatsächliche Veränderung im Einzelfall handeln muß. Eine solche kann bei einer nur fiktiven Einreihung in eine Berufs- oder Wirtschaftsgruppe, der der Beschädigte wegen der Schädigungsfolgen in Wirklichkeit nicht angehört, kaum eintreten. Der denkbare Nachweis, daß ein vergleichbarer anderer Unternehmer seinen Betrieb etwa aus konjunkturbedingten Gründen im Zeitpunkt einer Neufeststellung habe aufgeben müssen, reicht nicht aus, um eine wesentliche Änderung in den für den Beschädigten maßgebenden konkreten Verhältnissen anzunehmen. Dafür können nur seine eigenen Lebensverhältnisse (vgl. § 30 Abs. 4 Satz 1 BVG und Urteil des 9. Senats vom 6. Juli 1972 - 9 RV 668/71), die vor einer Entscheidung über die Einordnung in eine bestimmte Berufs- oder Wirtschaftsgruppe zu würdigen sind, maßgebend sein.

Ob etwas anderes dann zu gelten hat, wenn die Prüfung der konkreten Lebensverhältnisse ergibt, daß zur Zeit des - nicht rückwirkenden - Antrags und danach bis zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Tatsachengericht schon gewisse Zweifel darüber bestehen, ob die selbständige Tätigkeit zu dieser Zeit noch ausgeübt worden wäre, d. h. hier, ob der Kläger bis dahin noch eine Lohnweberei wahrscheinlich "betrieben hätte", konnte der Senat unerörtert lassen. Das gleiche gilt für die vom LSG angedeutete Frage, was zu gelten hätte, wenn "feststünde", daß der Kläger heute keinesfalls eine selbständige Tätigkeit ausübte. Denn nach § 30 Abs. 4 BVG ist nur festzustellen, welcher Berufs- oder Wirtschaftsgruppe der Beschädigte ohne die Schädigung wahrscheinlich " angehört hätte" . Aus den unangegriffenen Feststellungen des LSG folgt aber, daß der Kläger auch nach der Antragstellung und der letzten mündlichen Verhandlung noch der Berufsgruppe der selbständig Tätigen "angehört hätte". Wie sich aus den Urteilsgründen ergibt, wollte das LSG den Kläger bei seiner Wahrscheinlichkeitsprüfung für die Zeit ab Juli 1965 so behandelt wissen, wie die Mehrzahl der anderen Lohnwebereibetriebe, die "inzwischen wegen der Strukturkrise ihren Betrieb aufgegeben haben". Daß diese selbständigen Unternehmer nach der Strukturkrise (1964/1965) etwa abhängige Arbeitnehmer geworden sind, hat das LSG nicht festgestellt. Vielmehr hat es die Feststellung getroffen, daß die Weber, die nach dem Kriege eine Lohnweberei aufgebaut haben, es alle "zu etwas gebracht" haben, daß sie jetzt von dem "Erwirtschafteten" leben, und zwar teilweise "unter anderweitiger Ausnutzung der Betriebsanlagen". Sie gehörten sonach auch weiterhin keiner anderen Berufsgruppe als der der Selbständigen an, sie waren insbesondere nicht zu unselbständig Tätigen geworden. Demgemäß hat das LSG auch im Falle des Klägers nicht festgestellt, daß er ohne die Schädigungsfolgen mit Wahrscheinlichkeit (ab Juli 1965) eine unselbständige Tätigkeit in der privaten Wirtschaft (§ 3 DVO) oder im öffentlichen Dienst (§ 4 DVO) ausgeübt hätte. Wollte man daher die Anwendung des § 5 DVO im vorliegenden Fall verneinen, so würde es - nach den Feststellungen des LSG - überhaupt an einer Berufs- oder Wirtschaftsgruppe, die für den Kläger in Betracht kommt, fehlen.

Nach dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe hätte der Kläger sonach ohne die Schädigungsfolgen "die elterliche Lohnweberei nach dem Kriege übernommen und fortgeführt" - dies stand für das LSG "fest" - und hätte es auch nach einer nur möglichen Schließung des Betriebes in Roetgen (1965) - wie die anderen Inhaber von Lohnwebereien - "zu etwas gebracht", indem er von dem Erwirtschafteten gelebt und etwa seine Betriebsanlagen anders ausgenutzt, z. B. seine Hallen verpachtet hätte. Damit hätte der Kläger, wie die anderen Lohnwebereiinhaber, auch noch nach Juli 1965 wahrscheinlich keiner anderen Berufsgruppe als derjenigen der selbständig Tätigen (§ 5 DVO) angehört. Daneben besteht nach den Feststellungen des LSG für die Annahme, daß der Kläger "auch heute noch eine Lohnweberei unterhalten würde", vor allem deshalb eine "gute Möglichkeit", weil "immerhin noch 2 Lohnwebereien in Roetgen bestehen und darüber hinaus auch in der Nachbargemeinde Höfen einige Lohnwebereien betrieben werden". Ob das LSG daraus nicht ohnehin auf eine Wahrscheinlichkeit des weiteren Betriebes auch der Lohnweberei des Klägers hätte schließen müssen, war nicht zu erörtern, da insoweit keine Verfahrensrüge erhoben wurde. Dies konnte aber aus den obigen Gründen dahinstehen. Der Umstand, daß die Einkünfte des Klägers (etwa aus Verpachtung usw.) nach einer möglichen Schließung des eigentlichen Lohnwebereibetriebes wohl niedriger gewesen wären, spielt bei der Anwendung des § 5 DVO keine Rolle, weil danach nicht auf die Höhe der Einkünfte, sondern nur auf die Schul- und Berufsausbildung abgestellt und ein einheitliches Vergleichseinkommen zugrundegelegt wird.

Da die Ermittlung des Einkommensverlustes, die das LSG nach dem Urteil des BSG vom 6. Juli 1971 (SozR Nr. 47 zu § 30 BVG) vorgenommen hat, von der Revision nicht angegriffen, sondern im Grundsatz gebilligt worden ist, erübrigen sich dazu nähere Ausführungen. Die von der Revision in diesem Zusammenhang "nur am Rande" gemachte Bemerkung, daß die Frage, ob die Schädigungsfolgen wesentliche Mitbedingung und damit Ursache im versorgungsrechtlichen Sinne sind, durchaus vom Vorliegen bzw. vom Umfang eines "konkreten Einkommensverlustes" abhängen könne, wenn die Schädigungsfolgen nicht allein, sondern zusammen mit anderen Bedingungen den Beschädigten in eine Lage gebracht haben, in der sich nach § 30 Abs. 4 BVG ein Einkommensverlust ergibt, hat den Senat zu weitergehenden Ausführungen nicht veranlaßt, da nicht recht ersichtlich ist, inwiefern sie für den vorliegenden Fall von Bedeutung sein sollte. Das gleiche gilt für die von der Revision zitierte allgemeine Vorschrift des § 252 BGB.

Da das angefochtene Urteil nach alledem im Ergebnis nicht zu beanstanden ist, war die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1670398

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