Leitsatz (amtlich)

Die Befreiung von der Beitragspflicht zur LAK setzt nach GAL § 9 Abs 2 Buchst b voraus, daß der Antragsteller in den letzten 5 Jahren vor der Antragstellung durchgängig landwirtschaftlicher Unternehmer iS von GAL § 1 gewesen ist und daß er in dieser Zeit mindestens 30 Kalendermonate pflichtversichert in der gesetzlichen Rentenversicherung war.

 

Normenkette

GAL § 1 Abs. 3 Fassung: 1961-07-03, § 9 Abs. 2 Buchst. b Fassung: 1961-07-03, § 1 Abs. 2 Fassung: 1961-07-03

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 9. Dezember 1964 aufgehoben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Detmold vom 28. August 1963 zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Berufungs- und Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

I

Der 1924 geborene Kläger betreibt in Bockhorst bei Bielefeld ein landwirtschaftliches Unternehmen, das eine Existenzgrundlage im Sinne von § 1 des Gesetzes über eine Altershilfe für Landwirte (GAL) darstellt. Er hatte diesen Betrieb nach dem Tode seines Vaters H B, der am 27. Mai 1968 verstorben war, übernommen. Die Mutter des Klägers lebt noch. Sie bezieht seit 1949 eine Rente aus der Rentenversicherung der Arbeiter. Der Kläger ist seit dem 1. Februar 1953 - abgesehen von einer durch den Tod des Vaters bedingten Unterbrechung vom Juni bis Oktober 1958 - regelmäßig als Kraftfahrer in einer Fleischwarenfabrik versicherungspflichtig beschäftigt. Die beklagte landwirtschaftliche Alterskasse zog ihn daher nur für die Monate der Unterbrechung zu Beitragsleistungen heran, während sie ihn für die Zeit vom 1. November 1958 bis zum 31. Dezember 1961 als nach § 8 Abs. 2 GAL 1957 von der Beitragspflicht frei behandelte. Vom 1. Mai 1963 ab hat die Beklagte den Kläger aufgrund des § 9 Abs. 2 Buchst. b (erster Halbsatz) GAL 1961 von der Beitragspflicht befreit.

Am 27. Dezember 1961 beantragte der Kläger, ihn schon ab 1. Januar 1962 nach § 9 Abs. 2 Buchst. b GAL 1961 von der Beitragspflicht zu befreien. Beigefügt war eine schriftliche Erklärung seiner Mutter, mit der diese auf Versorgung aus der landwirtschaftlichen Alterskasse verzichtete. Die Beklagte lehnte den Antrag ab (Bescheid vom 5. Februar 1962), weil § 9 Abs. 2 Buchst. b GAL 1961 für die Befreiung u. a. eine fünfjährige landwirtschaftliche Unternehmertätigkeit fordere die der Kläger erst vom 1. Mai 1963 an erfüllt habe. Widerspruch und Klage blieben erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 29. März 1962; Urteil des Sozialgerichts - SG - Detmold vom 28. August 1963).

Auf die Berufung des Klägers hob das Landessozialgericht (LSG) das erstinstanzliche Urteil auf und verurteilte die Beklagte, den Kläger für die Zeit ab 1. Januar 1962 von der Beitragspflicht zur landwirtschaftlichen Altershilfe zu befreien (LSG-Urteil vom 9. Dezember 1965). Es führte im wesentlichen zur Begründung aus:

Das Gesetz verlange für die Beitragsbefreiung nicht, daß die landwirtschaftliche Unternehmerstellung während des ganzen Fünfjahreszeitraumes bestanden habe. Zwar sei der Wortlaut des § 9 Abs. 2 Buchst. b GAL 1961 nicht eindeutig. Doch verdiene die Auslegung des Klägers, es genügten 30 Monate landwirtschaftliche Unternehmertätigkeit neben einer gleichzeitigen 30monatigen Versicherungspflicht in der Arbeiterrentenversicherung den Vorzug, weil sie dem natürlichen Sprachgebrauch, der Logik der Wortbedeutungen und der auch sonst gebräuchlichen Formulierungstechnik des Gesetzgebers im positiven Sozialrecht folge. Interessenlage und Normzweck stimmten ebenfalls mit dieser Auslegung überein. Eine Entlassung aus der landwirtschaftlichen Altershilfe halte der Gesetzgeber ersichtlich dort für vertretbar, wo eine anderweitige Sicherung im Alter gewährleistet oder zumindest zu erwarten sei. Der Erwerb von Rechten in der Altershilfe für Landwirte (vorgezogenes Altersgeld, freiwillige Weiterversicherung) spreche nicht gegen, sondern für die Auslegung des Berufungsgerichts. Schließlich erfordere der Schutz der befreiungswilligen Landwirte vor übereilter Entschließung keine fünfjährige Überlegungszeit, da gerade sie erfahrungsgemäß besonnene und leistungsbedachte Personen seien. Bei Würdigung aller Umstände für eine praktikable Gesetzesanwendung reiche eine gleichzeitige 30monatige landwirtschaftliche Unternehmertätigkeit und eine 30monatige versicherungspflichtige Beschäftigung zur Erfüllung des § 9 Abs. 2 Buchst. b GAL 1961 aus.

Revision wurde zugelassen.

Die Beklagte legte Revision ein und beantragt,

unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Berufung gegen das Urteil des SG Detmold vom 28. August 1963 zurückzuweisen.

Nach Auffassung der Beklagten hat die Befreiung nach § 9 Abs. 2 Buchst. b GAL 1961 eine fünfjährige Tätigkeit als landwirtschaftlicher Unternehmer zur zwingenden Voraussetzung. Die durch diese Vorschrift geschaffene Befreiungsmöglichkeit sei eine Ausnahme von der Regel, daß jeder landwirtschaftliche Unternehmer im Sinne des GAL beitragspflichtig sei. Nach dem Willen des Gesetzgebers solle der Landwirt zunächst fünf Jahre in seiner Solidargemeinschaft verbleiben. § 8 Abs. 2 und 3 GAL 1957 sei wenig praktikabel gewesen. Die Alterskassen hätten jedes Jahr die Beitragspflicht von neuem überprüfen müssen. Dem habe der Gesetzgeber durch die Neufassung abhelfen wollen, wie aus dem schriftlichen Bericht des Ausschusses für Sozialpolitik (BT-Drucks. III/2695) zu entnehmen sei. Die Fünfjahresfrist diene als Filter, um den in Betracht zu ziehenden Personenkreis vor übereilten Schritten zu schützen. Der Fünfjahreszeitraum sei im übrigen im Sozialversicherungsrecht nichts Ungewöhnliches; erst nach 60 Monaten erfülle ein Versicherter die Wartezeit für die Rente wegen Erwerbsunfähigkeit in der Rentenversicherung der Arbeiter (§ 1247 Abs. 3 der Reichsversicherungsordnung - RVO -). Dann aber sei eine Rentenaufbesserung durch ein vorzeitiges Altersgeld aus der landwirtschaftlichen Altershilfe nach fünfjähriger Beitragspflicht sozial wünschenswert und förderlich.

Der Kläger ist im Revisionsverfahren nicht vertreten und hat Erklärungen nicht abgegeben.

II

Die durch Zulassung statthafte (§ 162 Abs. 1 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -) Revision der Beklagten ist form- und fristgerecht (§ 164 SGG) eingelegt worden.

Sie ist auch begründet.

Entgegen der Auffassung des LSG hat der Kläger die Voraussetzungen für eine Befreiung von der Beitragspflicht zur Altershilfe für Landwirte in der Zeit vom 1. Januar 1962 bis 30. April 1963 nicht erfüllt, weil er bis dahin noch nicht fünf Jahre lang als landwirtschaftlicher Unternehmer tätig gewesen war.

Nach dem hier allein maßgeblichen § 9 Abs. 2 Buchst. b GAL (erster Halbsatz) in der Fassung vom 3. Juli 1961 (BGBl 845 = GAL 1961) - jetzt § 14 Abs. 2 Buchst. b GAL in der Fassung vom 14. September 1965 (BGBl I 1449 = GAL 1965) - sind landwirtschaftliche Unternehmer auf Antrag von der Beitragspflicht zu befreien, wenn sie innerhalb der letzten fünf Jahre vor der Antragstellung neben der Tätigkeit als landwirtschaftlicher Unternehmer im Sinne des § 1 mindestens 30 Kalendermonate versicherungspflichtig in der Rentenversicherung der Arbeiter ... waren ... und die Vorgänger im Unternehmen und deren Ehegatte verstorben sind oder schriftlich erklären, daß sie auf Altersgeldansprüche verzichten.

Nach Wortlaut, Sinn und Entstehungsgeschichte dieser Befreiungsvorschrift sowie unter Beachtung des allgemein im Bereich des deutschen Sozialrechts geltenden Grundsatzes der sozialen Sicherheit (erwachsen aus Art. 20 Abs. 1 des Grundgesetzes - GG -) ist davon auszugehen, daß der Antragsteller in den letzten fünf Jahren vor seinem Befreiungsantrag tatsächlich landwirtschaftlicher Unternehmer gewesen sein muß. Der Gesetzgeber hatte die ursprünglich an besondere zeitliche Bedingungen nicht gebundene Befreiung von landwirtschaftlichen Unternehmern, die überdies wegen einer regelmäßigen anderen Beschäftigung in der gesetzlichen Rentenversicherung pflichtversichert sind (§ 8 GAL 1957), wie den Gesetzesmaterialien zu entnehmen ist (vgl. BT-Drucks. III/1110 S. 10 ff u. III/2695 S. 3 ff; ferner auch BSG 24, 54 ff), sowohl zur Behebung verwaltungsmäßiger Schwierigkeiten als insbesondere auch aus finanziellen Erwägungen zugunsten des berufsständischen Versicherungswerkes und zugleich wegen eines besseren sozialen Schutzes der Betroffenen aufgegeben. Bei der mit Wirkung vom 1. Januar 1962 an neu eingeführten Befreiung auf Antrag (§ 9 Abs. 2 Buchst. b GAL 1961) wurde deshalb zusätzlich zu einer 30monatlichen Pflichtversicherung in der gesetzlichen Rentenversicherung eine fünfjährige landwirtschaftliche Unternehmereigenschaft zur Befreiungsvoraussetzung gemacht. Den grammatikalischen (sprachlichen) Schlußfolgerungen, die das LSG bei seiner Auslegung dieser Vorschrift aus dem Gebrauch der Worte "innerhalb" oder "neben" ziehen will, ist nicht zu folgen. Das Ereignis (Tatbestandsmerkmal) das in den mit "innerhalb" umschriebenen und abgegrenzten (auf fünf Jahre bemessenen) Zeitraum fällt, ist die 30monatige Versicherungspflicht in der Rentenversicherung, nicht aber die Dauer der landwirtschaftlichen Unternehmertätigkeit. Das Wort "neben" könnte sich allerdings sowohl auf die Fünfjahresfrist als auch auf die 30 Monate anderweitige Versicherungspflicht beziehen. Bei der kraft Gesetzes geltenden Fassung ist indessen der Auslegung der Vorzug zu geben, die auf fünf Jahre Tätigkeit als landwirtschaftlicher Unternehmer abstellt. Wenn der Gesetzgeber schon eine landwirtschaftliche Unternehmertätigkeit von 30 Monaten (2 1/2 Jahren) für ausreichend gehalten hätte, wäre die im Gesetzestext vorausgestellte Fassung "innerhalb der letzten fünf Jahre vor der Antragstellung neben der Tätigkeit als landwirtschaftlicher Unternehmer" (nicht etwa "einer") im Hinblick auf die im Wortlaut der Vorschrift dann noch folgende (zweite) Zeitbedingung von "mindestens 30 Kalendermonaten versicherungspflichtig in der Rentenversicherung" überflüssig gewesen.

Folglich sind aufgrund von § 9 Abs. 2 Buchst. b GAL 1961 (jetzt: § 14 Abs. 2 Buchst. b GAL 1965) für eine Befreiung von der Beitragspflicht gleichzeitig Voraussetzungen

a) die tatsächliche landwirtschaftliche Unternehmertätigkeit fünf Jahre hindurch vor der Antragstellung,

b) mindestens 30 Kalendermonate Pflichtversicherung in einem Zweig der gesetzlichen Rentenversicherung.

Gegen diese Rechtslage spricht - entgegen der Auffassung des LSG - auch nicht etwa der Umstand, daß der landwirtschaftliche Unternehmer alsdann erst von der Beitragspflicht befreit werden kann, wenn er im Bereich der landwirtschaftlichen Altershilfe bereits Ansprüche (vorzeitiges Altersgeld; Recht auf freiwillige Weiterversicherung) erworben hat, ohne daß ihm nun geleistete Beiträge zurückerstattet werden. Ein solches - nur scheinbar widerspruchsvolles - Ergebnis steht durchaus im Einklang mit der im Sozialrecht seit geraumer Zeit allgemein bekundeten Tendenz des Gesetzgebers, die Versicherungsträger durch Ausweitung des versicherungspflichtigen Personenkreises oder durch Einbehalten geleisteter Beiträge finanziell zu stärken. Als gesetzliche Maßnahmen dieser Art sind beispielsweise zu erwähnen die Aufhebung der Jahresarbeitsverdienstgrenze in der Angestelltenversicherung und die Einbeziehung aller Angestellten in die Rentenversicherung aufgrund des Finanzänderungsgesetzes vom 31. Dezember 1967 (BGBl I 1259) sowie der Wegfall der Beitragsrückerstattung bei Heirat weiblicher Arbeitnehmer (Streichung der §§ 1304 RVO, 83 des Angestelltenversicherungsgesetzes, 96 des Reichsknappschaftsgesetzes) durch dasselbe Gesetz.

Schließlich hat der Fünfjahreszeitraum des § 9 Abs. 2 Buchst. b GAL 1961 (jetzt: § 14 Abs. 2 Buchst. b GAL 1965) für den landwirtschaftlichen Unternehmer das gleiche Ausmaß wie die Wartezeit des Versicherten (60 Kalendermonate) für die Rente wegen Berufsunfähigkeit (§ 1246 Abs. 3 RVO) oder wegen Erwerbsunfähigkeit (§ 1247 Abs. 3 RVO) und hierin ist - über die durchaus beachtenswerte Überlegungs- und Entscheidungsmöglichkeit für die Betroffenen hinaus - ebenfalls eine soziale Schutzfunktion zu finden, wenn man erwägt, daß ein landwirtschaftlicher Unternehmer nach diesem Zeitablauf bereits Anspruch auf vorzeitiges Altersgeld wegen Erwerbsunfähigkeit (§ 2 Abs. 2 GAL) erworben hat.

Da nach alledem eine Befreiung von der Beitragspflicht zur Alterskasse der Landwirte gemäß § 9 Abs. 2 Buchst b GAL 1961 erst nach Ablauf einer fünfjährigen tatsächlichen landwirtschaftlichen Unternehmertätigkeit im Sinne des § 1 GAL 1961 möglich und zulässig war, ist auf die Revision der Beklagten hin das angefochtene Urteil aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG zurückzuweisen (§ 170 Abs. 2 Satz 1 SGG).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2324363

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