Entscheidungsstichwort (Thema)

Funktionsnachfolge. Unternehmensübergabe iS von § 653 Abs 3 RVO. Übergang der Unfallast

 

Orientierungssatz

1. Aus der Funktionsnachfolge folgt nicht bereits ein Übergang der Unfallast. Denn für eine Haftung unter dem Gesichtspunkt der Funktionsnachfolge ist kein Raum, wenn Voraussetzung und Umfang der Verpflichtungen des Funktionsnachfolgers gesetzlich geregelt sind (vgl BSG vom 14.12.1960 2 RU 253/57 = SozEntSch BSG 10/B c 5 § 17 Nr 17).

2. Eine Unternehmensübernahme iS des § 653 Abs 3 RVO liegt auch bei einer versicherungsrechtlichen Zuständigkeitsänderung vor. Die aufgrund einer kommunalen Neugliederung bewirkte Änderung der örtlichen Zuständigkeit für die Gemeindeunfallversicherung bedeutet deshalb eine "Übernahme" iS dieser Vorschrift.

3. Der Anwendung des § 669 RVO auf den Unternehmensübergang von einem gemeindlichen Eigenunfallversicherungsträger iS des § 656 Abs 1 RVO steht § 767 Abs 2 Nr 2 RVO nicht entgegen.

 

Normenkette

RVO § 649 Abs 1 S 1, § 653 Abs 3 S 1 Alt 1, § 657 Abs 3, § 656 Abs 1, § 769 Abs 1, § 669 Abs 1, § 767 Abs 2 Nr 2

 

Verfahrensgang

SG Düsseldorf (Entscheidung vom 16.06.1987; Aktenzeichen S 16 U 154/84)

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist der Anspruch des klagenden Gemeindeunfallversicherungsverbandes auf Feststellung umstritten, daß die beklagte Stadt als Trägerin der Eigenunfallversicherung infolge einer kommunalen Neugliederung ab 1. Januar 1975 der für die Entschädigung eines Arbeitsunfalls des Beigeladenen zuständige Versicherungsträger ist.

Der Beigeladene erlitt am 29. April 1971 als Schüler der Gemeinschaftsgrundschule Monheim-Sandberg einen Unfall, für dessen Folgen ihm der Kläger eine Dauerrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 20 vH gewährt (Bescheid vom 26. September 1972).

Im Rahmen der kommunalen Neugliederung des Landes Nordrhein-Westfalen wurde mit Wirkung vom 1. Januar 1975 die Stadt Monheim, die bis dahin Mitglied des Klägers war, mit Ausnahme bestimmter Flurstücke (die der Stadt L. zugeordnet wurden) in das Gebiet der Beklagten eingegliedert (s Landesgesetze zur Neugliederung der Gemeinden und Kreise des Neugliederungsraumes Mönchengladbach/Düsseldorf/Wuppertal vom 10. September 1974 - GV NW S 890 - Düsseldorf-Gesetz - und zur Neuregelung der Gemeinden und Kreise des Neugliederungsraumes Köln vom 5. November 1974 - GV NW S 1072 - Köln-Gesetz -). Nachdem der Verfassungsgerichtshof (VerfGH) für das Land Nordrhein-Westfalen das Düsseldorf-Gesetz, soweit es die Stadt Monheim betraf, für verfassungswidrig erklärt hatte (Urteil vom 6. Dezember 1975 - VerfGH 39/74 - GV NW S 700), wurde mit Wirkung vom 1. Juli 1976 das Gebiet der ehemaligen Stadt Monheim aus dem Gebiet der Beklagten wieder ausgegliedert und die selbständige Gemeinde mit der Bezeichnung "Stadt Monheim" gebildet (§§ 2, 3 des Landesgesetzes über Gebietsänderungen im Neugliederungsraum Düsseldorf vom 1. Juni 1976 - GV NW S 214).

Der Kläger hielt nicht sich, sondern die Beklagte für zuständig, den Unfall des Beigeladenen ab 1. Januar 1975 weiter zu entschädigen. Da die Beklagte dies verneinte, hat der Kläger Klage auf Feststellung erhoben, daß die Beklagte ab 1. Januar 1975 der für die Entschädigung des Beigeladenen zuständige Versicherungsträger sei.

Das Sozialgericht (SG) Düsseldorf hat durch Urteil vom 16. Juni 1987 die Zuständigkeit der Beklagten für die Entschädigung des Arbeitsunfalls ab dem 1. Januar 1975 festgestellt: Nach dem Urteil des VerfGH für das Land Nordrhein-Westfalen habe die Eingliederung der Stadt Monheim zwar gegen die Landesverfassung verstoßen, sie sei aber nicht unwirksam gewesen. Mit der Eingliederung sei deshalb die Unfallast ab dem 1. Januar 1975 gemäß § 657 Abs 1 Nr 5, Abs 3 iVm § 653 Abs 3 Reichsversicherungsordnung (RVO) auf die Beklagte übergegangen. Nach der Neubildung der Stadt Monheim am 1. Juli 1976 sei die Unfallast bei der Beklagten verblieben. § 669 RVO (iVm § 659 Abs 1 RVO), der den Übergang der Unfallast bei einem Unternehmensübergang zwischen Berufsgenossenschaften anordne, gelte gemäß § 767 Abs 2 Nr 2 RVO nicht für die Gemeinde als Träger der Unfallversicherung. Zu den darin erwähnten "Vorschriften über die Verfassung der Berufsgenossenschaften", welche auf die in § 767 Abs 1 RVO erwähnten Träger der Eigenunfallversicherung nicht anwendbar seien, gehöre gemäß dem in Klammern gesetzten gesetzlichen Hinweis "(§ 658-673)" die Vorschrift des § 669 RVO. An anderer Stelle, nämlich in § 769 Abs 2 Nr 1 RVO, habe der Gesetzgeber von den nicht für anwendbar erklärten "Vorschriften über die Verfassung der Berufsgenossenschaften" ausdrückliche einzelne Vorschriften ausgenommen, nicht aber in § 767 Abs 2 Nr 2 RVO. Außerdem wären die besonderen Vorschriften über den Übergang von Unfallasten der §§ 653 Abs 3, 657 Abs 3 überflüssig, wenn § 669 RVO generell angewandt würde.

Mit der - vom SG zugelassenen - Sprungrevision, welcher der Kläger zugestimmt hat, rügt die Beklagte eine Verletzung materiellen Rechts. Sie meint, § 767 Abs 2 Nr 2 RVO schließe die Anwendbarkeit des § 669 RVO nicht aus, da es sich nicht um eine "Vorschrift über die Verfassung" handele.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des SG vom 16. Juni 1987 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Der Beigeladene hat keinen Antrag gestellt und sich nicht zur Sache geäußert.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil einverstanden erklärt.

 

Entscheidungsgründe

Die Sprungrevision ist zum überwiegenden Teil begründet.

Der Arbeitsunfall des Beigeladenen vom 29. April 1971 ist für die Zeit vom 1. Januar 1975 bis zum 30. Juni 1976 von der Beklagten als dem zuständigen Versicherungsträger (§§ 657 Abs 1 Nr 5, 656 Abs 1 RVO) zu entschädigen. Am 1. Juli 1976 fiel die Unfallast an den Kläger zurück.

Die vom Kläger erhobene Feststellungsklage ist zulässig; es kann dahinstehen, ob sie sich auf § 55 Abs 1 Nr 1 oder Nr 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) stützt (BSGE 36, 111, 115; BSG SozR 1500 § 55 Nr 4, SozR Nr 26 zu § 55 SGG).

Bis zu ihrer Eingliederung in die Städte Düsseldorf und Leverkusen mit Wirkung vom 1. Januar 1975 (vgl §§ 10, Abs 1, 31 Abs 1 Düsseldorf-Gesetz, 17 Abs 2 Nr 5, 30 Köln-Gesetz) war die bis dahin bestehende Stadt Monheim Mitglied des Klägers (§ 3 Abs 1 Nr 1, § 1 Abs 2 der Satzung des Klägers vom 21. Dezember 1964; § 656 Abs 2 RVO). Dieser war als Träger der gesetzlichen Unfallversicherung bis zu jenem Zeitpunkt örtlich und sachlich zuständig für die Entschädigung des Arbeitsunfalles des Beigeladenen (§ 657 Abs 1 Nr 5 iVm § 539 Abs 1 Nr 14 Buchst b RVO).

Mit der Eingliederung der Stadt Monheim in die Städte Düsseldorf und Leverkusen am 1. Januar 1975 wurden diese Rechtsnachfolger der aufgelösten Gemeinde. Zutreffend hat das SG ausgeführt, daß der Verfassungsgerichtshof für das Land Nordrhein-Westfalen zwar die Nichtvereinbarkeit des Düsseldorf-Gesetzes mit der Landesverfassung feststellte, soweit es die Eingliederung der Stadt Monheim anordnete, nicht jedoch die Nichtigkeit jenes Gesetzes. Diejenigen öffentlich-rechtlichen Rechtsstellungen, die sich auf die neugeordneten Gebiete der wirksam aufgelösten Stadt Monheim bezogen, gingen gemäß einem ungeschriebenen Rechtsgrundsatz auf die jeweiligen Gebietsnachfolger über (vgl OVG Lüneburg OVGE (Mü/Lü) 38, 401, 402 mwN). Die Rechtsnachfolge und damit die Kontinuität der kommunalen Hoheitsbefugnisse setzt der Wortlaut des § 30 Abs 2 Düsseldorf-Gesetz voraus ("unabhängig von der allgemeinen Rechtsnachfolge"). Mit der Neugliederung vom 1. Januar 1975 endete die Mitgliedschaft der Stadt Monheim beim Kläger. Örtlich zuständig für die Schülerunfallversicherung in den eingegliederten Gebietsteilen der früheren Stadt Monheim wurde die Eigenunfallversicherung der Beklagten. Diese wurde ab dem 1. Januar 1975 unfallversicherungsrechtlich Funktionsnachfolgerin des Klägers.

Aus der Funktionsnachfolge (vgl BSGE 24, 162, 169), dh aus dem Übergang der Aufgaben des Klägers auf die Beklagte in den eingegliederten Gebieten der früheren Stadt Monheim, folgt nicht bereits ein Übergang der Unfallast. Denn für eine Haftung unter dem Gesichtspunkt der Funktionsnachfolge ist kein Raum, wenn Voraussetzung und Umfang der Verpflichtungen des Funktionsnachfolgers gesetzlich geregelt sind (BSG, Urteil vom 14. Dezember 1960 - 2 RU 253/57 -; BSGE 15, 295, 298; BGHZ 16, 184, 188 f; Steinbömer, Die Funktionsnachfolge, Heidelberg 1957). Die besonderen Vorschriften über den Übergang der Unfallast im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung sind im zu entscheidenden Fall anzuwenden.

Gemäß § 649 RVO geht die Unfallast über, wenn Teile einer Berufsgenossenschaft ausscheiden, um eine andere zu bilden oder in eine andere überzugehen. § 649 RVO ist zwar auf Gemeindeunfallversicherungsverbände entsprechend anwendbar (§ 769 Abs 1 RVO), nicht jedoch auf die Eigenunfallversicherung der Beklagten (§ 767 Abs 2 Nr 1 RVO).

Der Übergang der Unfallast auf die Beklagte am 1. Januar 1975 folgt aus einer entsprechenden Anwendung der Sondervorschrift des § 653 Abs 3 Satz 1 erste Alternative RVO. Danach geht die Unfallast auf die Gemeinde über, wenn sie ein Unternehmen, das bisher bei einer Berufsgenossenschaft versichert war, in ihre eigene Zuständigkeit übernimmt. § 653 Abs 3 RVO gilt gemäß §§ 657 Abs 3, 656 Abs 1 RVO für die Gemeinde als Versicherungsträger entsprechend und nach § 769 Abs 1 RVO auch dann, wenn vorher nicht eine gewerbliche Berufsgenossenschaft, sondern ein Gemeindeunfallversicherungsverband zuständig war.

Mit der Eingliederung von Gebieten der früheren Stadt Monheim ging ein "Unternehmen", die Gemeinschaftsgrundschule, bei deren Besuch sich der Arbeitsunfall des Beigeladenen ereignete, auf die Beklagte über. Träger der Unfallversicherung für Schüler an öffentlichen allgemeinbildenden Schulen (§§ 539 Abs 1 Nr 14 Buchst b, 657 Abs 1 Nr 5 RVO) ist der Sachkostenträger (BSGE 36, 206 ff mwN). Schul- und Sachkostenträger sind im Land Nordrhein-Westfalen die Gemeinden (§§ 2, 8, 10 Abs 1 Schulverwaltungsgesetz NW vom 3. Juni 1958, GV NW S 241 und in der Fassung der Bekanntmachung vom 18. Januar 1985, GV NW S 155; § 2 Schulfinanzgesetz NW in der Fassung der Bekanntmachung vom 17. April 1970, GV NW S 288).

Eine Unternehmensübernahme iS des § 653 Abs 3 RVO liegt auch bei einer versicherungsrechtlichen Zuständigkeitsänderung vor (Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 1.-11. Aufl, S 524b, 514a). Die aufgrund der kommunalen Neugliederung bewirkte Änderung der örtlichen Zuständigkeit für die Gemeindeunfallversicherung bedeutete deshalb eine "Übernahme" iS jener Vorschrift.

Mit der abermaligen Gebietsänderung am 1. Juli 1976 und dem damit kraft Gesetzes eintretenden Wechsel der Schulträgerschaft wurde der Kläger wiederum örtlich und sachlich zuständiger Versicherungsträger für das "Unternehmen" Gemeinschaftsgrundschule der neugebildeten Stadt Monheim (s § 1 Abs 2, § 3 Abs 1 Nr 1 der Satzung der Beklagten). Mit diesem Zuständigkeitswechsel fiel die Unfallast an den Kläger zurück. Dies ergibt sich aus § 669 Abs 1 RVO. Danach gilt für den Übergang der Unfallast § 649 RVO, wenn einzelne Unternehmen von einem Träger der Unfallversicherung auf einen anderen übergehen.

Der Anwendung des § 669 RVO auf den Unternehmensübergang von einem gemeindlichen Eigenunfallversicherungsträger iS des § 656 Abs 1 RVO steht § 767 Abs 1 Nr 2 RVO nicht entgegen (so auch Brackmann aaO, S 516a; Lauterbach/Watermann, Gesetzliche Unfallversicherung, 3. Aufl, § 669 Anm 2 Buchst c; Bereiter-Hahn/Schieke/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, 4. Aufl, § 669 Anm 2, siehe auch RVA EuM 38, 41). Nach § 767 Abs 1 Nr 2 RVO gelten für den Staat oder eine Gemeinde als Eigenunfallversicherungsträger nicht "die Vorschriften über die Verfassung der Berufsgenossenschaften (§§ 658 bis 675)".

Auch aus der Entstehungsgeschichte des § 767 Abs 2 Nr 2 RVO folgt, daß der Klammerhinweis die Anwendung solcher Vorschriften nicht ausschließt, die zwar in ihm angeführt werden, inhaltlich jedoch nicht zu den "Vorschriften über die Verfassung" gehören. § 669 RVO regelt keinen Gegenstand, der zur Verfassung der Berufsgenossenschaft gehört.

§ 767 Abs 2 Nr 2 RVO entspricht dem vor Inkrafttreten des Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetzes (- UVNG - vom 30. April 1963, BGBl I S 241) geltenden § 894 RVO aF (idF des 3. ÄndG). Die bereits aufgrund § 894 RVO aF ausgeschlossene Anwendung der "Vorschriften über die Verfassung" der Berufsgenossenschaften auf Träger der Eigenunfallversicherung (mit Ausnahme der Gemeindeunfallversicherungsverbände) geht ihrerseits auf § 3 des Gesetzes über die Ausdehnung der Unfall- und Krankenversicherung vom 28. Mai 1885 (- Ausdehnungsgesetz - RGBl S 159) zurück. Ähnlich § 767 Abs 2 Nr 2 RVO, der mit seinem Klammerhinweis den Regelungsort der "Vorschriften über die Verfassung" eingrenzt, nahm § 894 RVO aF "von den Vorschriften über die Verfassung der Genossenschaften die §§ 649 bis 717" aus. Das UVNG, dem die geltende Fassung des § 767 Abs 2 Nr 2 RVO entspricht, knüpfte nicht nur an den Wortlaut des § 894 RVO aF an, sondern auch an die Auslegung des Rechtsbegriffs der "Vorschriften über die Verfassung" durch die Rechtsprechung. So hatte das Reichsversicherungsamt (RVA AN 1922, 516) entschieden, daß die von § 894 RVO aF in Bezug genommenen Vorschriften über die Verfassung nur insoweit auf staatliche Eigenunfallversicherungsträger nicht anwendbar waren, als sie materiell die berufsgenossenschaftliche Verfassung regelten. Die Verfahrensvorschriften der §§ 664 ff RVO aF (zB Kataster- und Überweisungsstreitigkeiten) seien hingegen keine "Vorschriften über die Verfassung" und deshalb auf jene Eigenunfallversicherungsträger sinngemäß anzuwenden. Die sonst auftretende Regelungslücke habe der Gesetzgeber nicht bedacht. Dies ergebe sich aus der Begründung zum Entwurf des Ausdehnungsgesetzes (vgl Verhandlungen des Reichstages, 6. Legislaturperiode, Anlage Nr 77, S 250, 256). Über diese Entscheidung hinaus wurde in der Literatur zu § 894 RVO aF teilweise vertreten, auch § 673 Abs 1 RVO aF, der im wesentlichen dem geltenden § 669 RVO entsprach, sei im Verhältnis zwischen Gebietskörperschaften und Berufsgenossenschaften anzuwenden (Lauterbach, Unfallversicherung, 2. Aufl, § 894 Anm 4). Der Fraktionsentwurf (BT-Drucks IV/120; vgl § 764 Abs 2 Nr 2 RVO) und das spätere UVNG sahen davon ab, eine von jener Rechtsprechung des RVA zu § 894 RVO aF abweichende Klarstellung in das Gesetz aufzunehmen und beließen es bei dem Klammerhinweis. Die Entwurfsbegründung (BT-Drucks IV/120, S 69) verweist auf § 894 RVO aF. Auch der weitere Gang des Gesetzgebungsverfahrens läßt nicht erkennen, daß der Gesetzgeber des UVNG in Abwendung von der Rechtsprechung des RVA alle vom Klammerhinweis umfaßten Vorschriften von der Anwendung auf Gebietskörperschaften ausschließen wollte.

Ein anderes Ergebnis fordert nicht - wie das SG meint - die ebenfalls auf dem UVNG beruhende Vorschrift des § 653 Abs 3 Satz 1 RVO, die den Übergang von Unfallasten auf Gebietskörperschaften regelt. § 653 Abs 3 RVO wird durch die Anwendung des § 669 RVO nicht überflüssig, sondern enthält eine vor dem allgemeinen Grundsatz des § 669 RVO geltende Sonderregelung. Aus den materiellen Änderungen des alten Rechts durch das UVNG folgt, daß Bestandsänderungen grundsätzlich auch dann mit dem Übergang der Unfallast verbunden sein sollten, wenn Bund, Länder oder eine Gemeinde als Träger beteiligt sind. Der für die Berufsgenossenschaften in § 669 RVO niedergelegte Grundsatz gilt nach dem UVNG für alle Träger der Versicherung. Das UVNG hat die Ausnahmen vom Übergang der Unfallast, die bis dahin für bestimmte Eigenunfallversicherungsträger bestanden, beseitigt. So erstreckte das UVNG den Anwendungsbereich des § 653 Abs 3 RVO gegenüber § 624 Abs 4 RVO aF auch auf die Fälle, in denen bei Bestandsänderungen unter Beteiligung einer Gebietskörperschaft als Versicherungsträger die Unfallast übergeht. Nicht nur bei Austritt aus einer Berufsgenossenschaft wie es noch § 624 Abs 4 RVO aF vorsah (vgl RVA AN 1921, 385), sondern auch bei sonstiger Unternehmensübernahme geht seit dem UVNG die Unfallast auf die Gebietskörperschaft über. Ferner entfiel mit dem Inkrafttreten des UVNG § 629 Abs 2 RVO aF, der bei Bestandsänderungen von Zweiganstalten einen gesetzlichen Übergang der Unfallast nicht vorsah (vgl § 629 Abs 2 Satz 4 RVO aF).

Zwar verbleibt auch nach dem UVNG die Unfallast dann bei einer Gemeinde, wenn sie gemäß § 653 Abs 2 iVm § 657 Abs 3 RVO mit einem bestimmten Unternehmen der zuständigen Berufsgenossenschaft beitritt (Brackmann aaO S 524b). In diesem Fall geht die Unfallast auf die Berufsgenossenschaft jedoch deshalb nicht über, weil die Gemeinde lediglich als Unternehmer, nicht aber als bisheriger Versicherungsträger, in rechtliche Beziehungen zur Berufsgenossenschaft tritt (Brackmann aaO). Stehen sich demgegenüber - wie im zu entscheidenden Fall - die Gemeinde als Versicherungsträger und eine Berufsgenossenschaft oder ein Gemeindeunfallversicherungsverband gegenüber, dann gilt für den Unternehmensübergang die einen allgemeinen Rechtsgedanken enthaltende Vorschrift des § 669 RVO.

Auch die unterschiedliche Finanzierung von Berufsgenossenschaften einerseits und Trägern der Eigenunfallversicherung andererseits fordert kein anderes Ergebnis. Allerdings war vor Inkrafttreten des UVNG die Finanzierungsart der gesetzlichen Unfallversicherung durchaus ein Grund für Gesetzgeber und Rechtsprechung, jenen allgemeinen Grundsatz über den Übergang der Unfallast in bestimmten Fällen einzuschränken. So war bei der Versicherung von Gemeindeunternehmen durch Zweiganstalten (§ 629 RVO aF) für die Fälle einer Bestandsänderung der Zweiganstalt ein gesetzlicher Übergang der Unfallast ausgeschlossen (s § 629 Abs 2 Satz 3 RVO aF). Denn für die Versicherung von Gemeindeunternehmen durch Zweiganstalten galt der Grundsatz der Kapitaldeckung mit gleichbleibenden Prämien (vgl § 731 Abs 3 RVO aF). Bei Finanzierung der Unfallversicherung im Kapitaldeckungsverfahren, die vor Inkrafttreten des UVNG gesetzlich zwar noch vorgesehen (vgl auch § 731 Abs 2 RVO aF), wenn auch zuletzt praktisch bedeutungslos (vgl BT-Drucks IV/120, S 67) war, wurde kein Grund für den Übergang der Unfallast bei Übernahme eines Unternehmens durch die Eigenunfallversicherung einer Gebietskörperschaft gesehen (vgl RVA AN 1889, 166; AN 1914, 543, 545; Moesle/Rabeling Unfallversicherung, 3. Aufl, 1914, § 629 Anm 20 S 256 f). Mit dem Wegfall des § 731 Abs 2, 3 und des § 629 Abs 2 RVO aF aufgrund des UVNG entfiel auch dieser weitere, in der unterschiedlichen Finanzierung bestehende gesetzliche Grund, § 669 RVO nicht allgemein auf Zuständigkeitsänderungen zwischen Trägern der Unfallversicherung jeder Art anzuwenden.

Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 193 Abs 1, Abs 4 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1648551

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