Entscheidungsstichwort (Thema)

Träger der Schüler-Unfallversicherung

 

Leitsatz (amtlich)

Träger der gesetzlichen Unfallversicherung für Schüler an allgemeinbildenden Schulen, deren Sachkosten eine Gemeinde oder ein Gemeindeverband trägt, ist die Gemeinde oder der Gemeindeunfallversicherungsverband.

 

Leitsatz (redaktionell)

Träger der Unfallversicherung für Schüler während des Besuches allgemeinbildender Schulen (RVO § 539 Abs 1 Nr 14 Buchst b) sind die Gemeinden und die Gemeindeunfallversicherungsverbände, sofern ihnen die Sachkosten der Schule zur Last fallen (RVO § 657 Abs 1 Nr 5), und zwar auch dann, wenn die Personalkosten ganz oder überwiegend vom Land getragen werden; für Schüler an Privatschulen ist jedoch das Land (Landesausführungsbehörde) zuständig, in dem die Schule ihren Sitz hat.

 

Normenkette

RVO § 539 Abs. 1 Nr. 14 Buchst. b Fassung: 1971-03-18, § 657 Abs. 1 Nr. 5 Fassung: 1963-04-30

 

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt (Main) vom 25. Februar 1972 wird zurückgewiesen.

 

Gründe

I

Eine Schülerin des L-Gymnasium in F brach sich am 25. Juni 1971 im Turnunterricht den rechten Unterarm. Die Klägerin zahlte für die ärztliche Behandlung der Verletzten insgesamt 376,25 DM.

Mit ihrer Klage vom 15. November 1971 hat die Klägerin von dem beklagten Land die Übernahme dieser Heilbehandlungskosten verlangt, da das Land Hessen der für die Entschädigung zuständige Träger der gesetzlichen Unfallversicherung sei. Sie - die Klägerin - sei insbesondere nicht nach § 657 Abs. 1 Nr. 5 der Reichsversicherungsordnung (RVO) zuständig, da der Träger der Unfallversicherung für Schüler an allgemeinbildenden öffentlichen Schulen das Land sei, das die Personalkosten trage. Die Annahme einer gemeindlichen Zuständigkeit würde im Gegensatz zur grundgesetzlichen Regelung stehen, die in Art. 7 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) das gesamte Schulwesen der Aufsicht "des Staates" unterstelle. Die bisherige Zuständigkeit der Unfallversicherungsträger der Gemeinden für Schulunfälle von Schülern in Berufsschulen gehe anders als bei der Ausbildung in allgemeinbildenden Schulen davon aus, daß es sich bei dem Unterricht in Berufsschulen doch um eine besondere Art der Ausbildung handele.

Das Sozialgericht (SG) hat mit Urteil vom 25. Februar 1972 die Klage abgewiesen und zur Begründung ua ausgeführt: Die Klägerin sei nach § 657 Abs. 1 Nr. 5 RVO der zuständige Versicherungsträger. Ergänzend sei dazu für das Land Hessen in § 28 Abs. 3 Nr. 4 des Hessischen Schulverwaltungsgesetzes vom 30. Mai 1969 (GVBl S 88) ausdrücklich geregelt, daß die Beiträge von den Schulträgern aufzubringen seien. Diese Regelung sei durch das Gesetz über die Unfallversicherung für Schüler und Studenten sowie Kinder in Kindergärten vom 18. März 1971 (BGBl I 237) nicht aufgehoben, sondern nur an die Aufnahme der Schulunfälle in der gesetzlichen Unfallversicherung angepaßt worden. Nach § 10 des Hessischen Schulverwaltungsgesetzes (aaO) seien Träger der Volksschulen und der Mittelschulen die Gemeinden, Träger der Berufsschulen, der Sonderschulen und der höheren Schulen (Gymnasien), der Berufsfachschulen und der Fachschulen und der höheren Fachschulen die kreisfreien Städte und Landkreise.

Das SG hat die Berufung zugelassen.

Die Klägerin hat mit Einwilligung der Beklagten Revision eingelegt.

Sie trägt vor: Das SG stütze sich zu Unrecht auf das - nicht revisible - Hessische Schulverwaltungsgesetz. Nach diesem Gesetz würden die allgemeinbildenden Schulen nicht auf Kosten der Gemeinden, sondern des Landes geführt. Das Land habe nach §§ 14 ff. dieses Gesetzes die Personalkosten zu tragen.

Die Klägerin beantragt,

das angefochtene Urteil aufzuheben und die Beklagte zur Zahlung von 376,25 DM zu verurteilen.

Das beklagte Land beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

II

Die zulässige Revision ist nicht begründet.

Die Klägerin kann die für die Heilbehandlung der während des Turnunterrichts verunglückten Gymnasiastin aufgewandten Kosten von dem beklagten Land nicht ersetzt verlangen. Das SG hat zutreffend entschieden, daß die Klägerin der für die Entschädigung der verletzten Schülerin zuständige Versicherungsträger ist.

Nach § 657 Abs. 1 Nr. 5 RVO sind die Gemeinden und die Gemeindeunfallversicherungsverbände Träger der Unfallversicherung für Versicherte in den Fällen des § 539 Abs. 1 Nr. 14 RVO, wenn das Unternehmen auf Kosten einer Gemeinde oder eines Gemeindeverbandes oder in deren Auftrag durchgeführt wird. Das SG hat nur ausgeführt, daß nach § 10 des Hessischen Schulverwaltungsgesetzes (aaO) Träger der höheren Schulen (Gymnasien) die kreisfreien Städte und Landkreise sind. Das SG hat nicht dargelegt, wer die Kosten des "Unternehmens" (hier des Gymnasiums) trägt. Der Senat kann deshalb die - an sich nicht revisiblen - Vorschriften der §§ 14, 21, 24, 25, 27, 28 des Hessischen Schulverwaltungsgesetzes anwenden, weil sie das SG unberücksichtigt gelassen hat (s. BSG 7, 122, 125; 31, 275, 278; 34, 163, 166). Die Sachkosten der Schule, in der die Verletzte war, trägt die kreisfreie Stadt Frankfurt (Main) (vgl. §§ 27, 14 des Hessischen Schulverwaltungsgesetzes aaO). Die überwiegenden Personalkosten der öffentlichen Schulen trägt das Land (§ 21 Abs. 1 Satz 1, § 28 Abs. 2 Nr. 3 des Hessischen Schulverwaltungsgesetzes aaO), jedoch haben die kreisfreien Städte, Landkreise und Schulortsgemeinden dem Land bis einschließlich Rechnungsjahr 1974 einen Teil der Aufwendungen für die Personalkosten der Lehrer und Erzieher an den Gymnasien und den Berufsschulen nach Maßgabe der §§ 24 und 25 dieses Gesetzes zu erstatten (§ 21 Abs. 1 Satz 2 des Hessischen Schulverwaltungsgesetzes).

Dem Wortlaut des § 657 Abs. 1 Nr. 5 RVO allein ist allerdings nicht zu entnehmen, ob bei den Schulen, deren Sachkosten die Gemeinde und deren Personalkosten - hier zum Teil - das Land trägt, die Gemeinde der zuständige Versicherungsträger ist. Seit dem Erlaß des Reichsarbeitsministers vom 23. Oktober 1943 (AN S. 471) wird jedoch im Rahmen der gesetzlichen Unfallversicherung als "Träger der unterrichtlichen Veranstaltung" nicht der Personalkostenträger, sondern der Sachkostenträger angesehen (vgl. BSG 17, 217, 220 und 221, 224; Brackmann aaO S. 474 u I). Auch nach dem Inkrafttreten des Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetzes vom 30. April 1963 (BGBl I 241) wird § 657 Abs. 1 Nr. 5 RVO dahin ausgelegt, daß der gemeindliche Unfallversicherungsträger für die Entschädigung der weiter schon nach § 539 Abs. 1 Nr. 14 RVO idF vor Inkrafttreten des Gesetzes über die Unfallversicherung für Schüler und Studenten sowie Kinder in Kindergärten vom 18. März 1971 (aaO) versicherten Schüler in Berufsfachschulen und Berufsschulen zuständig ist, weil die Gemeinde die Sachkosten trägt. Ein Auseinanderfallen von Sach- und Personalkostenträgern ist aber hier gleichfalls möglich (s. ua § 21 Abs. 1, §§ 27, 14 des Hessischen Schulverwaltungsgesetzes aaO).

Die Gesetzessystematik läßt ebenfalls erkennen, daß in den Fällen, in denen Sach- und Personalkosten von verschiedenen Stellen getragen werden, der Sachkostenträger zugleich der Träger der Unfallversicherung für Schüler an allgemeinbildenden öffentlichen Schulen ist. Obgleich die Möglichkeit, daß die Gemeinde nur die Sachkosten, nicht aber auch die Personalkosten - ganz oder überwiegend - aufzubringen hat, schon lange vor Inkrafttreten des Gesetzes über die Unfallversicherung für Schüler und Studenten sowie Kinder in Kindergärten vom 18. März 1971 (aaO) bestanden hat, sind die für die Personalkosten regelmäßig in Betracht kommenden Länder nicht auch als Träger der Unfallversicherung für Schüler an diesen öffentlichen Schulen, sondern nur für Schüler an privaten allgemeinbildenden Schulen bestimmt worden. Für öffentliche allgemeinbildende Schulen ist eine Zuständigkeit gemäß § 655 Abs. 1 iVm § 653 Abs. 1 Nr. 5 RVO des Landes nur gegeben, wenn es Unternehmen des Landes sind. Schulträger der öffentlichen Gymnasien ist in Hessen, wie das SG dargelegt hat, jedoch nicht das Land.

Die Entstehungsgeschichte des Gesetzes vom 18. März 1971 (aaO) bestätigt die sich aus dem Gesetzeswortlaut und der Gesetzessystematik ergebende Zuständigkeitsregelung. In der amtlichen Begründung dieses Gesetzes ist ausgeführt (s. Bundestagsdrucksache VI/1333, S. 3): "Mit Ausnahme der Schüler an Privatschulen soll sich die Zuständigkeit der Versicherungsträger wie schon bisher bei den Berufs- und Fachschulen danach richten, wer Sachkostenträger der Schule ist. Für Schulen von Gemeinden oder Gemeindeverbänden soll die gemeindliche Unfallversicherung und für staatliche Schulen das Land als Unfallversicherungsträger zuständig sein". Der Gesetzgeber wollte somit die Regelung übernehmen, wie sie für die Zuständigkeit der Versicherungsträger für die bereits vor diesem Gesetz schon versicherten Schüler bestanden hat. Die Zuständigkeit für die Entschädigung der nach § 537 Nr. 11 RVO aF und § 539 Abs. 1 Nr. 14 RVO idF bis zum Inkrafttreten des Gesetzes vom 18. März 1971 (aaO) versicherten Personen bestimmte sich aber - wie bereits aufgezeigt - nach dem Träger der unterrichtlichen Veranstaltung (Sachkostenträger). Bei der Anhörung von Sachverständigen durch den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung des Deutschen Bundestages in seiner 40. Sitzung am 10. Dezember 1970 hat der Vertreter der Bundesvereinigung der kommunalen Spitzenverbände (s. S. 48 des Sitzungsprotokolls) sich dagegen gewandt, daß als Unternehmer im Sinne der gesetzlichen Unfallversicherung bei allgemeinbildenden öffentlichen Schulen der Sachkostenträger angesehen werde. Trotz dieser Gegenvorstellung, die nicht notwendig gewesen wäre, wenn sich nicht bereits nach dem Gesetzentwurf aus der Sachkostenträgerschaft die Zuständigkeit der gemeindlichen Unfallversicherungsträger ergeben hätte, hat der Gesetzgeber den Gesetzentwurf insoweit nicht geändert. Das Schrifttum ist deshalb ebenfalls - soweit ersichtlich - einhellig der Auffassung, daß Träger der Unfallversicherung für Schüler an öffentlichen allgemeinbildenden Schulen der Sachkostenträger ist (Brackmann aaO S. 474 u II; Dörner/Schmidt, Unfallversicherungsschutz für Schüler und Studenten, 1971, S. 52; Lauterbach, Gesetzliche Unfallversicherung, 3. Aufl., § 539 Anm. 88; Miesbach/Baumer, Die gesetzliche Unfallversicherung, 2. Aufl., 1971, § 539 Anm. 31; Vollmar, Unfallversicherung für Schüler und Studenten sowie Kinder in Kindergärten, 1972, S. 92; Holler, BG 1970, 385, 386; Boller, Sozialversicherung 1971, 97, 101; Breitbach, Soziale Sicherheit in der Landwirtschaft 1971, 155, 158; Burke/Peters, Kompaß 1971, 97, 98; Dörner, Ersatzkasse 1971, 159, 160; Engelmann, DOK 1971, 220, 222; Nolte, Krankenversicherung 1971, 67, 69; Schöppner, Unfallversicherung für Schüler, Studenten, Sonderdruck des Mitteilungsblattes "Die Gemeindeunfallversicherung" 1971, S. 14; Wendland, BABl 1971, 749, 750; Wolber, BG 1971, 347, 350; Wittmann, SGb 1973, 166, 167; ebenso allgemein ohne Hinweis auf die Sachkostenträgerschaft für eine Zuständigkeit der gemeindlichen Unfallversicherungsträger: Figge, Blätter für Steuerrecht 1971, 197, 198; Hufer, BKK 1971, 70, 72; ohne Verfasserangabe WzS 1971, 132, 134).

Ob es Sinn und Zweck der gesetzlichen Unfallversicherung ebenso oder sogar besser entspräche, den Träger der Personalkosten auch als Träger der gesetzlichen Unfallversicherung für Schüler an allgemeinbildenden Schulen anzunehmen, bedarf in Anbetracht des sich aus dem Gesetzeswortlaut, der Gesetzessystematik und der Entstehungsgeschichte des Gesetzes vom 18. März 1971 (aaO) ergebenden Regelung des Gesetzgebers somit keiner Entscheidung.

Die sich aus § 657 Abs. 1 Nr. 5 RVO ergebende gesetzliche Regelung steht entgegen der Auffassung der Klägerin auch nicht im Widerspruch zu der in Art. 7 Abs. 1 GG festgelegten Aufsicht des Staates über das Schulwesen. Diese Staatsaufsicht verbietet es auch nach der Auffassung des Beklagten nicht, die Gemeinden an den Kosten des Schulwesens zu beteiligen, insbesondere dadurch, daß sie die Sachkosten zu tragen haben. Es ist nicht ersichtlich, weshalb es dagegen dem Grundgesetz widersprechen sollte, daß die Gemeinden die Beiträge zur gesetzlichen Unfallversicherung für die Schüler der allgemeinbildenden öffentlichen Schulen tragen. Auch vor Inkrafttreten des Gesetzes vom 18. März 1971 (aaO) hatten zB in Hessen, wie das SG dargelegt hat, die Sachkostenträger die Beiträge für eine Unfallversicherung oder einen versicherungsähnlichen Schutz im Sinne des § 43 des Hessischen Schulverwaltungsgesetzes (aaO) zu tragen (s. § 28 Abs. 3 Nr. 4 dieses Gesetzes).

Die Beteiligten haben sich die Kosten nicht zu erstatten (§ 193 Abs. 4 SGG).

 

Fundstellen

BSGE, 206

NJW 1974, 206

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