Entscheidungsstichwort (Thema)

Einstufige Juristenausbildung. Berufsausbildung. Verfassungsmäßigkeit des § 2 Abs 2 S 2 BKGG

 

Leitsatz (amtlich)

Ausbildungsbeihilfen, die in Hamburg während des zweiten Studienabschnittes der einstufigen Juristenausbildung gezahlt werden, sind Bezüge iS des § 2 Abs 2 S 2 BKGG.

 

Orientierungssatz

1. Die nach Maßgabe des Gesetzes zur Einführung der einstufigen Juristenausbildung vom 30.4.1973 - EJAG HA - (Hamburgisches Gesetz- und Verordnungsblatt S 169) erfolgende einstufige Juristenausbildung in Hamburg ist eine Berufsausbildung iS des § 2 Abs 2 S 1 Nr 1 BKGG.

2. Die Vorschrift des § 2 Abs 2 S 2 BKGG ist mit dem Gleichbehandlungsgebot des Art 3 GG vereinbar.

 

Normenkette

BKGG § 2 Abs 2 S 1 Nr 1; BKGG § 2 Abs 2 S 2; EJAG HA Art 2 § 3 Abs 1; GG Art 3 Abs 1

 

Verfahrensgang

LSG Hamburg (Urteil vom 15.08.1985; Aktenzeichen V KGBf 5/85)

SG Hamburg (Urteil vom 01.02.1985; Aktenzeichen 5 KG 104/84)

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Tochter Doris des Klägers bei der Gewährung des Kindergeldes ab Oktober 1983 nicht zu berücksichtigen ist, weil sie sich von diesem Zeitpunkt an in der zweiten Phase der einstufigen Juristenausbildung in der Hansestadt Hamburg befindet und seither eine Ausbildungsbeihilfe in Höhe von mehr als 750,-- DM bezieht.

Die Beklagte hat die Voraussetzungen des § 2 Abs 2 Satz 2 des Bundeskindergeldgesetzes (BKGG) für die Nichtberücksichtigung des Kindes als erfüllt angesehen und durch den Bescheid vom 15. Juni 1984 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. November 1984 den Leistungsbescheid vom 30. Oktober 1980 mit Wirkung ab Oktober 1983 rückwirkend aufgehoben, die Berücksichtigung des Kindes für die Zukunft abgelehnt und die überzahlten Beträge in Höhe von 450,-- DM zurückgefordert.

Das Sozialgericht (SG) Hamburg hat durch Urteil vom 1. Februar 1985 die Beklagte zur Weiterzahlung des Kindergeldes unter Berücksichtigung der Tochter Doris verurteilt. Das Landessozialgericht (LSG) hat hingegen das erstinstanzliche Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen: Die monatlichen Zahlungen, die Doris G. von der Freien und Hansestadt Hamburg erhalte, seien Bruttobezüge aus einem Ausbildungsverhältnis iS des § 2 Abs 2 Satz 2 BKGG. Gegenüber diesen Bezügen sei das Kindergeld nachrangig.

Der Kläger macht zur Begründung seiner Revision geltend, seine Tochter Doris befinde sich nicht in einem Ausbildungsverhältnis, weil sie weiterhin Studentin sei. Ebensowenig handele es sich bei der ihr gewährten Ausbildungsbeihilfe um Bruttobezüge iS des § 2 Abs 2 Satz 1 BKGG.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 15. August 1985 aufzuheben und die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision des Klägers zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend und verweist ergänzend auf das Gesetzgebungsverfahren zu § 2 Abs 2 Satz 2 BKGG.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-).

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers ist nicht begründet. Das LSG hat zutreffend entschieden, daß Doris G. gemäß § 2 Abs 2 Satz 2 BKGG (idF der Bekanntmachung vom 21. Januar 1982 - BGBl I,13 -) ab Oktober 1983 für das Kindergeld nicht mehr zu berücksichtigen ist und daß demzufolge die rückwirkende Ablehnung des Kindergeldes für Doris G. ab Oktober 1983 sowie die Rückforderung der nach September 1983 erfolgten Zahlungen im Gesamtbetrage von 450,-- DM rechtmäßig ist.

Auszugehen ist von der vom LSG unangefochten festgestellten Tatsache, daß Doris G. am 1. Oktober 1983 den zweiten Studienabschnitt der einstufigen Juristenausbildung in Hamburg begonnen hat und seither gemäß Art 2 § 3 Abs 1 des Hamburgischen Gesetzes zur Einführung der einstufigen Juristenausbildung vom 30. April 1973 (Hamburgisches Gesetz- und Verordnungsblatt S. 169) idF der Änderungsverordnung vom 21. September 1982 (Hamburgisches Gesetz- und Verordnungsblatt S. 301) eine Ausbildungsbeihilfe in Höhe von 1.100,-- DM monatlich bezieht.

Das LSG hat auch zutreffend entschieden, daß die nach Maßgabe des Gesetzes vom 30. April 1973 erfolgende einstufige Juristenausbildung in Hamburg eine Berufsausbildung iS des § 2 Abs 2 Satz 1 Nr 1 BKGG ist. Denn der Ausbildungsgang einschließlich des Prüfungsverfahrens ist in der Hamburger Juristenausbildungsordnung -JAO- vom 10. Juli 1972 (GVBl S. 133) abschließend geregelt; die einstufige Juristenausbildung nach Maßgabe der §§ 45 ff der JAO ist nur eine von mehreren eigenständigen Formen der Ausbildung.

Die an Doris G. ab Oktober 1983 gezahlten Ausbildungsbeihilfen sind Bruttobezüge aus dem Ausbildungsverhältnis iS des § 2 Abs 2 Satz 2 BKGG. Da die Monatsbeträge 750,-- DM übersteigen, ist Doris G. von der Beklagten zu Recht auch für das Kindergeld nicht berücksichtigt worden.

Für die Zuordnung der Ausbildungsbeihilfe zu den Bezügen iS des § 2 Abs 2 Satz 2 BKGG kommt es - entgegen der von den Vorinstanzen und der Revision vertretenen Auffassung - nicht darauf an, ob der in Hamburg in der einstufigen Juristenausbildung befindliche Auszubildende Student im hochschulrechtlichen Sinne ist oder ob das Ausbildungsverhältnis - jedenfalls im zweiten Ausbildungsabschnitt - im Hinblick auf § 49 JAO (idF des Gesetzes vom 30. April 1973) öffentlich-rechtlicher Natur ist. Denn die hochschul- und dienstrechtliche Ausgestaltung des Ausbildungsverhältnisses im Rahmen der einstufigen Hamburger Juristenausbildung ist ohne Bedeutung, weil es auf sie bei der Inhaltsbestimmung der Begriffe "Berufsausbildung" iS des § 2 Abs 2 Satz 1 Nr 1 BKGG und "Ausbildungsverhältnis" iS des § 2 Abs 2 Satz 2 BKGG im Hinblick auf die Zielsetzung der letztgenannten Vorschrift nicht ankommt. Deshalb lassen diese Begriffe auch eine Schlußfolgerung auf die rechtliche Qualifikation des Begriffes "Bruttobezüge" nicht zu. Zu Recht haben daher das LSG auf den Wortlaut und die Beklagte in der Revisionserwiderung auf das vom Gesetzgeber mit der Vorschrift des § 2 Abs 2 Satz 2 BKGG verfolgte Ziel als geeignetere Auslegungskriterien hingewiesen. Bis zum 31. Dezember 1976 sind Bezüge aus einem Ausbildungsverhältnis für das Kindergeld ohne Bedeutung gewesen. Der Gesetzgeber hat es aber mit Rücksicht auf den Anstieg der Ausbildungsvergütungen für nicht mehr vertretbar gehalten, die in Ausbildung Stehenden ohne Rücksicht auf die Höhe der ihnen zustehenden Ausbildungsvergütung beim Familienlastenausgleich als Kinder zu behandeln (BT-Drucks 7/4243, S. 15, zu Art 42 b) und deshalb durch die Einfügung der Sätze 2 und 3 in § 2 Abs 2 BKGG (mit Art 44 des Haushaltsstrukturgesetzes vom 18. Dezember 1975 - BGBl I, 3091, 3111) ab 1. Januar 1977 die Berücksichtigung der Bezüge aus einem Ausbildungsverhältnis eingeführt. Nach der Begründung des Gesetzentwurfes ist damit letztlich nur eine Doppelbegünstigung abgebaut worden. Wie sich aus § 2 Abs 2 Satz 1, einleitender Halbsatz BKGG ergibt, werden Kinder, die das 16. Lebensjahr vollendet haben, für das Kindergeld nur dann berücksichtigt, wenn die in § 2 Abs 2 Satz 1 Nrn 1 bis 5 BKGG normierten weiteren Leistungsvoraussetzungen erfüllt sind. Mehr noch als bei Kindern unterhalb dieser Altersgrenze dient das sogenannte "Ausbildungskindergeld" dem Zweck des Familienlastenausgleichs, weil Auszubildende, die das 16. Lebensjahr vollendet haben, an sich in der Lage wären, die für ihren Unterhalt erforderlichen Mittel selbst zu erwerben. Auf den Unterhalt durch die Eltern sind sie jedoch wirtschaftlich weiterhin angewiesen, soweit sie infolge ihrer noch andauernden Ausbildung keine für ihren eigenen Unterhalt verfügbaren Einkünfte erzielen können. Dieser Zweck des Ausbildungskindergeldes entfällt aber, wenn das Kind ein aus dem Ausbildungsverhältnis fließendes Einkommen hat. Der Gesetzgeber hat deshalb die durch das Ausbildungskindergeld abzudeckende Unterhaltsbedürftigkeit eines Kindes verneint, wenn dem Kind unmittelbar aus dem Ausbildungsverhältnis wenigstens 750,-- DM brutto im Monat zufließen. Diese Zielsetzung des Gesetzgebers hat auch, wie das LSG zutreffend hervorgehoben hat, seinen Niederschlag im Wortlaut des § 2 Abs 2 Satz 2 BKGG gefunden, durch den insbesondere der Zusammenhang zwischen Ausbildungsverhältnis und Ausbildungsvergütung im weiteren Sinne hergestellt und zugleich die Berücksichtigung anderer Einkünfte des Kindes oder Leistungen für das Kind ausgeschlossen werden sollten. Die Vorschrift des § 2 Abs 2 Satz 2 BKGG ist auch mit dem Gleichbehandlungsgebot des Art 3 des Grundgesetzes (GG) vereinbar, weil der Gesetzgeber mit der unterschiedlichen Berücksichtigung der Ausbildungsvergütungen und anderer Einkünfte des Kindes unterschiedliche Sachverhalte geregelt hat. Demgemäß sind alle Leistungen, deren Gewährung in einem unmittelbaren Zusammenhang mit dem Ausbildungsverhältnis steht, Bruttobezüge iS des § 2 Abs 2 Satz 2 BKGG. Bezüge in diesem Sinne sind nicht nur Gegenleistungen im arbeitsrechtlichen Sinne, sondern alle Leistungen, die das Kind dafür erhält, daß es seine Arbeitskraft für seine Ausbildung einsetzt. Bereits aus dem Wortlaut des Art 2 § 3 des Gesetzes vom 30. April 1973 (aaO) und noch deutlicher aus der Fassung des § 3, wie die Vorschrift sie durch das Gesetz vom 26. September 1980 (Hamburgisches GVBl S. 277) und die Anpassungsverordnung vom 21. September 1982 (aa0) erhalten hat, ergibt sich, daß die hiernach zu gewährende Ausbildungsvergütung eine Art der Gegenleistung für die Tätigkeit des Kindes im Rahmen der einstufigen Juristenausbildung ist. Dementsprechend gehören auch die im zweiten Ausbildungsabschnitt der Hamburger einstufigen Juristenausbildung gezahlten Ausbildungsbeihilfen zu den Bruttobezügen iS des § 2 Abs 2 Satz 2 BKGG (vgl entsprechend BFHE 143, 572 zur Lohnsteuerpflicht für Anwärterbezüge im Rahmen der einstufigen Juristenausbildung in Niedersachsen).

Die Beklagte konnte den bisher maßgebend gewesenen Dauerleistungsbescheid vom 12. Juni 1980 auch rückwirkend ab Oktober 1983 zurücknehmen; sie hat diese Entscheidung zutreffend auf § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 3 Sozialgesetzbuch - Verwaltungsverfahren - (SGB X) gestützt; diese Vorschrift ist auch dann anzuwenden, wenn das Einkommen, das zum Wegfall der Sozialleistung führt, nicht vom Antragsteller der Sozialleistung selbst, sondern von einem Dritten - hier dem Kind - erzielt worden ist. Der Rückerstattungsanspruch der Beklagten folgt aus § 50 Abs 1 SGB X.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1662178

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