Leitsatz (amtlich)

1. Zum Unterhalt iS von RVO § 1265 zählen auch Aufwendungen für eine angemessene Krankenversicherung.

2. Bei der für den Anspruch aus RVO § 1265 erforderlichen Unterhaltsleistung in Höhe von etwa 25 vH des notwendigen Mindestbedarfs handelt es sich nicht um einen absoluten Grenzwert.

3. Als Mindestbedarf sind neben den Regelsätzen die Unterkunftsleistungen der Sozialhilfe ohne Zuschläge für Heizung und Gebrauchswasser zugrunde zu legen (Anschluß und Fortführung von BSG 1975-06-25 4 RJ 209/74 = BSGE 40, 79 und BSG 1977-03-16 1 RA 69/76).

 

Normenkette

RVO § 1265 S 1 Fassung: 1957-02-23; BGB § 1578 Abs 2 Fassung: 1976-06-14; BGB § 1578 Abs 3 Fassung: 1976-06-14

 

Verfahrensgang

LSG Nordrhein-Westfalen (Entscheidung vom 11.06.1979; Aktenzeichen L 1 (14) J 228/78)

SG Dortmund (Entscheidung vom 12.10.1978; Aktenzeichen S 2 J 94/78)

 

Tatbestand

In diesem Rechtsstreit geht es um die Aufteilung der Hinterbliebenenrente nach § 1268 Abs 4 Reichsversicherungsordnung (RVO) und um die Frage, ob die Beigeladene iS dieser Vorschrift Berechtigte nach § 1265 RVO ist.

Der Versicherte H O ist am 11. August 1977 verstorben. Er war mit der Beigeladenen vom 12. Juni 1942 bis zur Scheidung der Ehe ohne Schuldausspruch gemäß § 48 Ehegesetz (EheG) durch Urteil des Landgerichts Marburg vom 14. Juni 1950 verheiratet. Die Parteien des Scheidungsverfahrens schlossen einen Vergleich, in dem sich der Versicherte ua verpflichtete, die Prämie für die freiwillige Krankenversicherung der Beigeladenen zu tragen und ihr einen monatlichen Unterhaltsbetrag von 50,-- DM zu zahlen. Am 18. November 1950 heirateten der Versicherte und die Klägerin. Aus dieser Ehe entstammen zwei Kinder. Ab 1. November 1955 wurde in einem vor dem Amts- und dem Landgericht Siegen geführten Rechtsstreit der monatliche Unterhaltsbetrag gerichtlich auf 15,-- DM festgesetzt. Diesen Betrag zahlte der Versicherte bis zu seinem Tode an die Beigeladene und daneben den Beitrag zur Krankenversicherung der 1976 monatlich 80,19 DM und 1977 89,10 DM betrug.

Die Beklagte gewährte der Klägerin im Bescheid vom 23. September 1977 zunächst die ungekürzte Witwenrente in Höhe von 860,10 DM. Auf den Antrag der Beigeladenen vom 15. September 1977 gewährte sie dieser Hinterbliebenenrente gemäß § 1265 RVO mit monatlich 198,30 DM ab 1. Oktober 1977 (Bescheid vom 16. Februar 1978). Daraufhin stellte sie im Bescheid vom 22. Februar 1978 die Witwenrente der Klägerin in Höhe von 691,19 DM ab 1. April 1978 neu fest.

Dagegen hat die Klägerin Klage erhoben. Das Sozialgericht (SG) hat die Bescheide vom 16. und 22. Februar 1978 aufgehoben, weil sie unter Verletzung der Anhörungspflicht des § 34 Sozialgesetzbuch - Allgemeiner Teil - (SGB 1) ergangen seien (Urteil vom 12. Oktober 1978). Die Beklagte hat Berufung eingelegt. Sie hat sodann die bislang unterlassene Anhörung durchgeführt und am 24. November 1978 zwei Bescheide erteilt, in denen sie der Beigeladenen Rente gemäß § 1265 RVO ab 1. Oktober 1977 gewährt und die Witwenrente der Klägerin ab 1. Januar 1979 gekürzt hat.

Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG zurückgewiesen und die gegen die Bescheide vom 24. November 1978 gerichtete Klage der Klägerin abgewiesen (Urteil vom 11. Juni 1979). Es hat ausgeführt, die Beklagte hätte die Klägerin gemäß § 34 Abs 1 SGB 1 anhören müssen, ehe sie mit den Bescheiden vom 16. Februar 1978 der Beigeladenen Rente bewilligte und vom 22. Februar 1978 die Witwenrente der Klägerin entsprechend kürzte. Diese Bescheide seien daher rechtswidrig und hätten aufgehoben werden müssen. Die Bescheide vom 24. November 1978 seien nach § 96 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Gegenstand des Verfahrens geworden. Der Beigeladenen stehe die Rente nach § 1265 RVO zu. Zwar hätten im letzten Jahr vor seinem Tode die Unterhaltsleistungen des Versicherten einschließlich des von ihm getragenen Beitrags zur Krankenversicherung nicht 25 sondern nur 23,5 vH des Mindestbedarfs ausgemacht. Bei den von der Rechtsprechung geforderten 25 vH handele es sich nur um einen Annäherungswert, wobei auch der absolute Betrag in der Bewertung einbezogen werden müsse. Die durchschnittlichen monatlichen Unterhaltsleistungen von 100,39 DM lägen nur um 6,-- DM unter 25 vH des durchschnittlichen Mindestbedarfs von 427,63 DM. Deshalb habe die Beklagte auch zu Recht die Witwenrente der Klägerin gekürzt.

Die Klägerin hat dieses Urteil mit der vom LSG zugelassenen Revision angefochten. Bei der Zahlung von monatlich 15,-- DM handelte es sich nicht um eine Unterhaltsleistung. Selbst wenn man beide Beträge, den Beitrag zur Krankenversicherung und die erwähnten 15,-- DM, als Unterhalt ansehe, so würden 25 vH des Mindestbedarfs nicht erreicht, die aber in jedem Falle Voraussetzung für einen Rentenanspruch der Beigeladenen wären.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

das angefochtene Urteil des LSG und die Bescheide

der Beklagten vom 24. November 1978 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält die Entscheidung des LSG, soweit die Klägerin dadurch beschwert ist, für zutreffend.

Die Beigeladene ist im Revisionsverfahren nicht vertreten. Die Beteiligten haben sich sämtlich mit einer Entscheidung des Rechtsstreits ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 SGG).

 

Entscheidungsgründe

Die zulässige Revision der Klägerin ist nicht begründet. Der Beigeladenen steht Hinterbliebenenrente zu. Somit ist außer der Klägerin als Empfängerin von Witwenrente gemäß § 1264 RVO aus der Versicherung ihres verstorbenen Ehemannes mit der Beigeladenen eine weitere Berechtigte gemäß § 1265 RVO vorhanden. Deshalb enthält jede von ihnen nur den Teil der Hinterbliebenenrente, der im Verhältnis zur anderen Berechtigten der Dauer ihrer Ehe mit dem Versicherten entspricht (§ 1268 Abs 4 RVO).

Gegenstand des Revisionsverfahrens ist nur noch die Aufteilung der Hinterbliebenenrente für die Zeit ab 1. Januar 1979, da die Klägerin nur insoweit durch das Urteil des LSG beschwert ist und nur sie Revision eingelegt hat. Zutreffend ist das LSG davon ausgegangen, daß die Bescheide der Beklagten vom 24. November 1978 gemäß § 96 SGG Gegenstand des Berufungsverfahrens geworden sind. Nach der Rechtsprechung des Senats (SozR 1200 § 34 Nr 6) wird zwar ein Verwaltungsakt, der nur "vorsorglich" für den Fall erteilt wird, daß ein früherer Bescheid gerichtlich aufgehoben wird und der spätere Verwaltungsakt erst dann Rechtswirkungen entfalten soll, nicht aufgrund der genannten Vorschrift Gegenstand des Verfahrens. Das trifft aber auf die Bescheide vom 24. November 1978 nicht zu, die nicht in diesem Sinne "vorsorglich" erteilt worden sind, sondern die zunächst erlassenen Verwaltungsakte vom 16. und 22. Februar 1978 ersetzt haben. Zu Recht hat das LSG auch den der Beigeladenen am 24. November 1978 erteilten Bescheid als mitangefochten angesehen und deren Anspruchsberechtigung nachgeprüft (vgl BSG in SozR Nrn 3 und 5 zu § 1268 RVO).

Der Beigeladenen steht Hinterbliebenenrente nach § 1265 Satz 1 RVO zu, weil der Versicherte seiner früheren Ehefrau im letzten Jahr vor seinem Tode regelmäßig und ununterbrochen Unterhalt geleistet hat. An dem Unterhaltscharakter dieser Zahlungen fehlt es auch nicht deshalb, weil der Versicherte es übernommen hatte, die Prämie für die freiwillige Krankenversicherung der Beigeladenen zu tragen. Zum Lebensbedarf gehören nach § 1578 Abs 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) idF des Ersten Gesetzes zur Reform des Ehe- und Familienrechtes (1. Ehe RG) vom 14. Juni 1976 (BGBl I 1421) auch die Kosten einer angemessenen Versicherung für den Fall der Krankheit. Ob die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG E 46, 11, 12 = SozR 2200 § 1265 Nr 29, Urteil des 1. Senats vom 3. Oktober 1979, SozR aaO Nr 45), wonach zum Unterhalt iS des § 1265 RVO nicht Aufwendungen für die Alterssicherung zählen, im Hinblick auf § 1578 Abs 3 BGB nun überholt ist, kann hier dahingestellt bleiben. Jedenfalls gehörten die Kosten einer ausreichenden Absicherung gegen das Risiko der Erkrankung auch schon vor dem Inkrafttreten des 1. Ehe RG zu den Kosten des laufenden Lebensunterhalts.

Nicht jeder Betrag den ein Versicherter für seine frühere Ehefrau geleistet hat, ist als Unterhalt iSd § 1265 RVO anzusehen, sondern nur Zahlungen, die nominell und wirtschaftlich ins Gewicht fallen. Das ist dann bejaht worden, wenn die betreffenden Leistungen "in der Regel etwa 25 vH" oder "wenigstens 25 vH" des nach den Sozialhilfegrundsätzen zu bestimmenden zeitlich und örtlich notwendigen Mindestbedarfs der geschiedenen Ehefrau ausgemacht haben (vgl Urteil des Senats vom 28. Mai 1980 - 5 RKn 29/78 - mwN). Nach den Feststellungen des LSG hat der Versicherte in der Zeit von August bis Dezember 1976 monatlich 95,19 DM (= 15,-- DM zuzüglich 80,19 DM) und von Januar bis Juli 1977 104,10 DM (= 15,-- DM zuzüglich 89,10 DM) gezahlt. Daraus hat das LSG den durchschnittlichen Betrag von 100,39 DM ermittelt. Solche Durchschnittsbildungen sind zulässig im Fall einer ununterbrochen fortlaufenden, der Höhe nach aber unterschiedlichen Unterhaltszahlung während des gesamten letzten Jahres vor dem Tode des Versicherten (so BSGE 43, 218, 222 = SozR 2200 § 1265 Nr 26; Urteil des 1. Senats vom 3. Oktober 1979 aaO). Der Mindestbedarf der Beigeladenen belief sich nach den Feststellungen des Berufungsgerichts von August 1976 bis März 1977 auf monatlich 419,84 DM (= 270,-- DM Regelsatz der Sozialhilfe zuzüglich 149,84 DM Kosten der Unterkunft) und von April bis Juli 1977 auf 443,21 DM (= 290,-- DM zuzüglich 153,21 DM). Daraus hat das LSG nun wiederum einen Durchschnitt von 427,63 DM errechnet, so daß die durchschnittlichen Unterhaltsleistungen von 100,39 DM sich auf 23,5 vH des notwendigen Unterhalts belaufen hätten. Es kann in diesem Rechtsstreit unentschieden bleiben, ob auch bei der Änderung des Mindestbedarfs Durchschnittssätze gebildet werden dürfen. In jedem Fall ist hier der vom Versicherten im letzten Jahr vor seinem Tode für die Beigeladene aufgewendete Betrag als Unterhalt zu werten.

Geht man - wie das LSG - von den durchschnittlichen Summen aus, so steht dem Rentenanspruch der Beigeladenen nicht entgegen, daß die Leistungen des früheren Ehemannes lediglich 23,5 vH des Mindestbedarfs ausmachen. Wie der Senat im Urteil vom 28. Mai 1980 (aaO) entschieden hat, besteht keine Notwendigkeit, den Wert von 25 vH als exakt genaue Prozentzahl anzusehen. Auch hier hält sich die Unterschreitung der 25 vH noch im Rahmen dessen, was es nicht zuläßt, die Unterhaltsleistung als wirtschaftlich nicht ins Gewicht fallend zu charakterisieren. Immerhin sind in diesem Zusammenhang bei der Ermittlung des Mindestbedarfs die sehr unterschiedlichen Kosten der Unterkunft und auch die nicht einheitlichen Regelsätze der Sozialhilfe von ausschlaggebender Bedeutung. Bei diesen Bezugsgrößen, die von Zufälligkeiten abhängen können, sind Korrekturmöglichkeiten unentbehrlich, und es kann eine Bewertung der absoluten Höhe der Unterhaltsleistung nicht unterbleiben. Der hier gezahlte Betrag von durchschnittlich rd 100,-- DM in den Jahren 1976, 1977 stellt bei den Lebensbedingungen der Beteiligten auch bei geringfügiger Unterschreitung des Richtwertes von 25 vH, eine ins Gewicht fallende Unterhaltsleistung dar. Ob das bei wirtschaftlich besser gestellten Beteiligten anders zu beurteilen ist, kann offen bleiben.

Läßt man die Durchschnittsbildung bei der Ermittlung des Mindestbedarfs nicht zu, so verringert sich der Anteil der durchschnittlichen Unterhaltszahlungen des Versicherten von 100,39 DM in der Zeit von April bis Juli 1977 auf 22,7 vH des Mindestbedarfs von 443,21 DM. Abgesehen davon, daß auch hier noch in Anbetracht der Aufwendungen zugunsten der Beigeladenen von rd 100,-- DM monatlich durchaus noch von ins Gewicht fallenden Unterhaltsleistungen gesprochen werden kann, greift die Gegenrüge der Beklagten durch, wonach das LSG den Mindestbedarf zu hoch angesetzt hat. Entgegen der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) Urteil vom 16. März 1977 - 1 RA 69/76 - unter Hinweis auf BSG in SozR 2200 § 1265 Nr 5) hat das Berufungsgericht einen Zuschuß für Heizung in die Kosten der Unterkunft einbezogen, der nicht berücksichtigt werden darf. Da die Beigeladene während des maßgebenden Zeitraums 1976/77 Hilfe zum Lebensunterhalt vom Sozialamt bezogen hat, hat das Berufungsgericht den Mindestbedarf anhand der Akten des Sozialamtes, die beigezogen worden sind, deren Inhalt zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht worden ist und worauf das LSG Bezug genommen hat, festgestellt. Zu Recht rügt die Beklagte jedoch, daß ua in der Zeit ab April 1977 als Kosten der Unterkunft nicht 153,21 DM angesetzt werden durften, sondern ohne Berücksichtigung von Heizung und Gebrauchswasser nur 125,35 DM. Demgemäß war dem Mindestbedarf von 415,35 DM (= 290,-- DM Regelsatz zuzüglich 125,35 DM für Unterkunft) eine Unterhaltsleistung von 100,39 DM gegenüberzustellen, was 24,2 vH entspricht.

Ebenso erhöht sich dann auch der Prozentsatz für die Zeit vorher.

Da die Beklagte somit der Beigeladenen zu Recht Hinterbliebenenrente gemäß § 1265 RVO zuerkannt hat, mußte die Rente zwischen ihr und der Klägerin gemäß § 1268 Abs 4 RVO aufgeteilt werden. Die demnach unbegründete Revision der Klägerin war zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

BSGE, 210

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