Entscheidungsstichwort (Thema)

Übergang des Anspruchs auf Versichertenrente auf die Krankenkasse

 

Leitsatz (amtlich)

Der Anspruch auf Rente (Übergangsgeld) geht nicht auf die Krankenkasse über, solange der Rentenversicherungsträger diesen Anspruch nicht anerkannt hat und auch nicht zur Leistung verurteilt worden ist. Die Krankenkasse kann - jedenfalls wenn der Versicherte lebt - die Feststellung des Anspruchs nicht betreiben und auch keine Rechtsmittel einlegen.

 

Normenkette

RVO § 183 Abs. 3, 6, §§ 1241, 183 Abs. 7, § 1511

 

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 16. März 1972 wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

Die Klägerin macht gegen die Beklagte einen Anspruch auf Übergangsgeld (§ 1241 Abs. 1 Satz 2 Reichsversicherungsordnung - RVO -) geltend, der nach ihrer Ansicht von der Versicherten Grete W (W.) auf sie übergegangen ist, nachdem sie der Versicherten Haus- und Krankengeld gewährt hatte.

Die Versicherte bezieht von der Beklagten seit dem 1. August 1955 eine Witwenrente. Daneben hatte sie Arbeitseinkünfte. Sie war kranken- und arbeiterrentenversichert. Ab 1. oder 2. Februar 1966 war sie arbeitsunfähig krank. Die Klägerin gewährte ihr für die Zeit vom 3. bis 21. August 1966 Hausgeld und für die Zeit vom 22. August 1966 bis 17. Juni 1967 Krankengeld.

Am 31. Mai 1966 beantragte die Versicherte Rente wegen Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit. Die Beklagte veranlaßte zunächst eine Heilbehandlung, die in der Zeit vom 31. Oktober bis 12. Dezember 1967 durchgeführt wurde. Übergangsgeld erhielt die Versicherte wegen der Anrechnung ihrer Witwenrente nicht. Mit Bescheid vom 31. Juli 1968 entschied die Beklagte, daß der Versicherten auch kein "vorgezogenes" Übergangsgeld zustehe. Ihre Witwenrente sei höher als das Übergangsgeld, das an die Stelle der ihr zustehenden Zeitrente wegen Berufsunfähigkeit trete.

Die Klägerin hat die Beklagte auf Zahlung von 2.133,28 DM verklagt. Das Sozialgericht (SG) hat der Klage stattgegeben: Zu Unrecht habe die Beklagte die auf das Übergangsgeld während der Rehabilitationsmaßnahmen abstellende Vorschrift des § 1241 Abs. 3 RVO auch auf den Zeitraum zwischen dem Rentenantrag und dem Beginn der Heilmaßnahme angewandt.

Das Landessozialgericht (LSG) hat das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen. Es hat ausgeführt, wohl spreche der Wortlaut des § 1241 Abs. 3 RVO dafür, daß die Anrechnung einer von dem Versicherten bezogenen Rente nur während der Maßnahmen auf das Übergangsgeld anzurechnen sei. Es gebe aber nur ein einheitliches Übergangsgeld, dessen Beginn lediglich vorgezogen sein könne, um an die Stelle einer Rente zu treten. Daraus folge, daß § 1241 Abs. 3 RVO auch auf das vorgezogene Übergangsgeld anzuwenden sei.

Die Klägerin hat die - zugelassene - Revision eingelegt. Sie beantragt,

unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 2.133,28 DM zu zahlen.

Sie ist der Auffassung, daß eine Rente nicht auf das vorgezogene Übergangsgeld anzurechnen sei.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Die Revision ist unbegründet. Die Klägerin macht einen nach ihrer Auffassung kraft Gesetzes auf sie übergegangenen Anspruch der Versicherten auf Übergangsgeld gegen die Beklagte geltend. Ein solcher Anspruch ist jedoch nicht auf die Klägerin übergegangen.

Nach § 183 Abs. 6 Satz 1 RVO entfällt der Anspruch auf Krankengeld, solange von einem Träger der Rentenversicherung Übergangsgeld gewährt wird. Das Gesetz regelt an dieser Stelle nicht ausdrücklich, wie Doppelleistungen verhindert werden sollen. Das ist eine Lücke im Gesetz, die durch die entsprechende Anwendung des § 183 Abs. 3 Sätze 2 und 3 RVO auszufüllen ist (BSG SozR RVO Nr. 14 zu § 183), der eine Regelung für das Zusammentreffen von Krankengeld mit Rente trifft. Nach § 183 Abs. 3 Satz 2 RVO geht der Anspruch auf Rente bis zur Höhe des gezahlten Krankengeldes auf die Kasse über, vorausgesetzt, daß der Anspruch auf Krankengeld deshalb entfallen ist, weil dem Versicherten Rente wegen Erwerbsunfähigkeit oder Altersruhegeld von einem Träger der Rentenversicherung zugebilligt worden ist. § 183 RVO ist auch anzuwenden auf die Fälle, in denen nicht Krankengeld, sondern Hausgeld gewährt worden ist. Bis zum Inkrafttreten des 2. Krankenversicherungsänderungsgesetzes vom 21. Dezember 1970 (BGBl I S. 1770) am 1. Januar 1971 wurde bei Krankenhausaufenthalt des Krankenversicherten nach § 186 RVO nicht Krankengeld, sondern Hausgeld gezahlt. Nach § 186 Abs. 3 RVO, der durch Gesetz zur Änderung und Ergänzung des Gesetzes zur Verbesserung der wirtschaftlichen Sicherung der Arbeiter im Krankheitsfalle vom 12. Juli 1961 (BGBl I 913) eingeführt wurde und heute noch unverändert besteht, war § 183 RVO auf das Hausgeld entsprechend anzuwenden.

Wesentlich dafür, daß die Pflicht der Klägerin auf Zahlung von Krankengeld bzw. Hausgeld wegfällt, ist die "Gewährung" (§ 183 Abs. 6 RVO) von Übergangsgeld, die "Zubilligung" durch den Rentenversicherungsträger. Erfolgt eine Zubilligung nicht, wird Übergangsgeld nicht "gewährt", so geht auch der Anspruch nicht auf die Krankenkasse über (Peters, Handbuch der Krankenversicherung, 17. Aufl., § 183 Anm. 6 a). Die Zubilligung wird durch eine Entscheidung des Versicherungsträgers nach § 1631 RVO vorgenommen. Es ist also ein Verwaltungsakt erforderlich, der nach § 77 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zumindest dem Versicherungsträger gegenüber bindend geworden ist. Das ist dann der Fall, wenn der Bescheid dem Antragsteller zugegangen ist. Daran fehlt es hier.

Das Begehren der Klägerin könnte auch dann keinen Erfolg haben, wenn es sich nicht als eine Leistungsklage, sondern als eine Anfechtungs- oder Verpflichtungsklage verstehen ließe. Denn die Klägerin kann nicht an Stelle der Versicherten den - der Versicherten erteilten - Bescheid der Beklagten anfechten oder einen neuen Bescheid begehren.

Wohl normiert die RVO in anderen Fällen, die in ihrer Interessenlage dem durch § 183 Abs. 3 RVO geregelten Fall in etwa vergleichbar sein mögen, derartige Rechte. Nach § 1538 RVO können die Träger der Sozialhilfe die Feststellung der Leistungen aus der Sozialversicherung betreiben und auch Rechtsmittel einlegen. Dem entspricht es, daß der Sozialhilfeträger nach den §§ 1531 ff RVO einen selbständigen, also in seiner Person entstandenen, Ersatzanspruch hat, wenn er einen Hilfsbedürftigen unterstützt, der seinerseits Ansprüche nach der RVO gegen eine Versicherung hat. Er kann auch dann Ersatz beanspruchen, wenn der Unterstützungsempfänger verstorben ist, ohne einen Antrag auf Rente gestellt zu haben (§ 1537 RVO). Nach § 1511 RVO kann die Krankenkasse im Verhältnis zum Unfallversicherungsträger die Feststellung der Unfallentschädigung betreiben, ist also nicht darauf angewiesen, daß der Verletzte von sich aus in dieser Weise vorgeht. Das sind Regelungen, wie sie jedoch dem Verhältnis zwischen der Krankenkasse und dem Rentenversicherungsträger fremd sind. § 183 Abs. 3 Satz 2, Abs. 5 Satz 1 RVO sieht nur vor, daß der Anspruch gegen den Rentenversicherungsträger in der Person des Versicherten entsteht und nach seiner Feststellung durch den Rentenversicherungsträger auf die Krankenkasse übergeht.

Daß zwischen den Trägern der Krankenversicherung und denen der Rentenversicherung ohne Mitwirkung des Rentenbezugsberechtigten ein unmittelbarer Ausgleich stattzufinden habe, daß die Krankenkasse selbst die Entscheidung des Rentenversicherungsträgers herbeiführen könne, steht mit dem Wortlaut und erkennbaren Sinn des § 183 RVO nicht in Einklang. Nach § 183 Abs. 7 RVO kann die Krankenversicherung dem Versicherten eine Frist zur Stellung des Rentenantrages stellen. Vorausgesetzt wird, daß der Versicherte nach ärztlichem Gutachten als erwerbsunfähig anzusehen ist. Diese Frist kann sie dem Versicherten erst nach 6 Wochen, gerechnet vom Tage der Arbeitsunfähigkeit an, setzen. Stellt der Versicherte innerhalb der Frist den Antrag nicht, so entfällt sein Anspruch auf Krankengeld nach Ablauf der Frist. Diese Regelung wäre überflüssig, wenn die Krankenversicherung nach dem Willen des Gesetzgebers das Recht haben sollte, unmittelbar einen Anspruch gegen die Rentenversicherung zu erheben. Aus § 183 Abs. 7 RVO ist auch zu schließen, daß der Versicherte mit Erfolg sich dem Versuch widersetzen kann, ihn zum Rentner zu machen, wenn er in Kauf nimmt, daß ihm (frühestens) nach 10 Wochen der Anspruch auf Krankengeld verloren geht.

§ 183 RVO verdankt seine heutige Fassung dem "Gesetz zur Änderung und Ergänzung des Gesetzes zur Verbesserung der wirtschaftlichen Sicherung der Arbeiter im Krankheitsfalle" vom 12. Juli 1961 (BGBl I 913). In den Parlamentsberatungen - Deutscher Bundestag, 3. Wahlperiode, 161. Sitzung, S. 9290 - wurde die Regelung des § 183 Abs. 7 lebhaft erörtert. Es wurde kritisiert, daß die Kasse die Rentenversicherten zwingen könne, und zwar mit einer Frist von nur 6 Wochen, einen Rentenantrag zu stellen. Die Folge wird so beschrieben: "Wird dieser Antrag nicht gestellt, weil der Betreffende weiterarbeiten möchte, um die Rente seines Lebensabends zu verbessern, soll ihm rigoros die Zahlung des weiteren Krankengeldes entzogen werden. Der Betroffene soll also gezwungen werden, gegen seinen Willen Rentner zu werden". Bei diesen Diskussionen ist keine Rede davon gewesen, daß der Krankenkasse eine eigene verfahrensrechtliche Stellung zur Durchsetzung ihres Ausgleichsinteresses gegeben werden sollte, auch nicht in der Weise, daß zwar der Antrag vom Rentenberechtigten zu stellen wäre, danach jedoch die Krankenversicherung unabhängig von dem Rentenversicherten Rechte gegen die Rentenversicherung geltend machen könne.

In der Rechtsprechung hat man ein Recht der Krankenkasse, ihrerseits das Rentenfeststellungsverfahren zu Ende zu führen, nur angenommen, wenn der Versicherte nach Stellung des Rentenantrages vor der Bescheiderteilung ohne Hinterlassung von Berechtigten im Sinne des § 1288 Abs. 2 RVO oder Erben verstorben ist (BSG SozR Nr. 26 und 28 zu § 183 RVO). Sonst fehlt es an einem Adressaten des Bescheides. Dem ist der Fall gleichgestellt worden, daß nach dem Tode des Versicherten der Berechtigte nach § 1288 Abs. 2 RVO oder der Erbe das Verfahren nicht betrieben hat (BSG DOK 1974, 540). So ist es hier jedoch nicht.

Da es an der "Gewährung", an der "Zubilligung" des von der Klägerin begehrten Übergangsgeldes fehlt und die Klägerin auch eine Änderung des der Versicherten erteilten Bescheides nicht herbeiführen kann, liegt die Voraussetzung nicht vor, unter der allein ein Anspruch auf die Klägerin hätte übergehen können.

Die Klägerin hat daher nicht den von ihr erhobenen Anspruch gegen die Beklagte. Das Urteil des LSG ist deshalb im Ergebnis zutreffend.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 193 Abs. 4 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1646922

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