Leitsatz (amtlich)

1. Zur Beschwer bei einer Revision gegen ein Urteil, das erst durch Konkretisierung einer vom SG ausgesprochenen unbestimmten Verurteilung des Rechtsmittelgegners dem Revisionskläger eröffnet hat, was ihm versagt worden ist.

2. Endet ein Anspruch auf Krankengeld wegen Zubilligung einer Rente wegen Erwerbsunfähigkeit auf Zeit (RVO § 183 Abs 3 S 1), so lebt er nach Wegfall der Rente wieder auf, wenn die allgemeinen Voraussetzungen für diesen Anspruch noch bestehen.

3. Zur Bezugszeit iS des RVO § 183 Abs 2 rechnen Zeiten,

a) in denen der Anspruch auf Krankengeld wegen der Fortzahlung des Arbeitsentgelts nach RVO § 189 Abs 1 S 1 ruht (Weiterentwicklung von BSG 1963-06-19 3 RK 37/59 = BSGE 19, 179),

b) für die der Versicherte vor Zubilligung der Erwerbsunfähigkeitsrente Krankengeld bezogen hat, dafür aber der Anspruch auf die niedrigere Rente voll auf die Krankenkasse übergegangen ist (RVO § 183 Abs 3 S 2 und 3).

 

Normenkette

RVO § 182 Abs. 1 Nr. 2, § 183 Abs. 3 S. 1 Fassung: 1961-07-12, S. 2 Fassung: 1961-07-12, S. 3 Fassung: 1961-07-12, Abs. 2 Fassung: 1961-07-12

 

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 12. Oktober 1965 wird zurückgewiesen.

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landessozialgerichts aufgehoben, soweit es den Anspruch auf Krankengeld auf die Zeit bis zum 1. Januar 1963 beschränkt hat. Die Beklagte wird verurteilt, Krankengeld auch für die Zeit vom 2. bis 4. Januar 1963 zu gewähren. Im übrigen wird die Revision der Klägerin zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

I

Die Beteiligten streiten darüber, ob das wegen Bezugs einer Erwerbsunfähigkeitsrente auf Zeit nach § 183 Abs. 3 der Reichsversicherungsordnung (RVO) weggefallene Krankengeld noch Ablauf dieser Rente wieder auflebt, sowie darüber, ob die Rentenbezugszeit auf die Bezugsdauer des Krankengeldes nach § 183 Abs. 2 RVO angerechnet wird.

Die Klägerin, versicherungspflichtiges Mitglied der beklagten Ersatzkasse, wurde am 5. Juli 1961 wegen Krankheit arbeitsunfähig; die Beklagte gewährte ihr nach Fortfall der Gehaltszahlung vom 16. August 1961 an Krankengeld. Bei fortbestehender Arbeitsunfähigkeit beantragte die Klägerin am 3. Oktober 1961 Rente bei der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA). Diese bewilligte ihr mit Bescheid vom 22. Juni 1962 für die Zeit vom 5. Januar bis 30. Juni 1962 Rente wegen Erwerbsunfähigkeit.

Nachdem die BfA die Rentenbewilligung der Beklagten mitgeteilt hatte, stellte diese die Krankengeldzahlung mit dem 27. Juni 1962 ein. Die Klägerin beantragte daraufhin die Weiterzahlung des Krankengeldes. Die Beklagte lehnte dies unter Hinweis auf § 183 Abs. 3 RVO mit Bescheid vom 29. August 1963 ab. Der Widerspruch wurde mit Bescheid vom 22. Oktober 1963 zurückgewiesen.

Mit ihrer Klage hat die Klägerin Krankengeld vom 1. Juli 1962 an bis zur gesetzlichen Höchstdauer erstrebt.

Das Sozialgericht (SG) hat mit Urteil vom 10. Juni 1964 den Widerspruchsbescheid vom 22. Oktober 1963 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, ab 1. Juli 1962 bis zur gesetzlichen Höchstdauer erneut Krankengeld zu gewähren.

Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen und zur Begründung ausgeführt: Die Klägerin habe vom 1. Juli 1962 erneut Anspruch auf Krankengeld für insgesamt noch 185 Tage, d.h. bis zum 1. Januar 1963. Sie sei am 1. Juli 1962 noch arbeitsunfähig krank gewesen und es bis zum 1. Januar 1963 geblieben. Ein wegen Bezugs einer Rente wegen Erwerbsunfähigkeit weggefallener Krankengeldanspruch lebe bei Fortfall der Rente wieder auf, wenn bei durchgehender Arbeitsunfähigkeit seit ihrem Beginn noch keine 78 Wochen verstrichen seien. Auch wenn der Wortlaut des § 183 Abs. 3 RVO von der Beendigung des Krankengeldes spreche, entspreche es nicht dem Sinn und Zweck dieser Vorschrift, das Krankengeld in jedem Fall zu beenden. Denn es solle nur der Doppelbezug von Leistungen mit voller Lohnersatzfunktion vermieden werden. Volle Lohnersatzfunktion hätten neben dem Krankengeld nur die Erwerbsunfähigkeitsrente sowie das Altersruhegeld, nicht aber die Berufsunfähigkeitsrente; diese schließe daher den Krankengeldbezug nicht aus, sondern mindert nur die Höhe des Krankengeldes. Wenn sich aber nach Beginn der Krankengeldzahlung ein Rentenbezug wegen Erwerbsunfähigkeit einschiebe, dem sich eine Berufsunfähigkeitsrente oder überhaupt keine Rente anschließe, sei es naheliegend, auf die Lohnersatzfunktion der Rente wieder die Lohnersatzfunktion des Krankengeldes folgen zu lassen, sobald diese Rente auf Zeit wieder weggefallen sei. Das LSG hat die Revision zugelassen.

Gegen diese Urteil haben die Beklagte und die Klägerin Revision eingelegt.

Die Beklagte trägt vor: Nach dem Wortlaut des § 183 Abs. 3 RVO ende das Krankengeld mit der Zubilligung der Rente wegen Erwerbsunfähigkeit; dies sei klar und unmißverständlich. Dabei seien unter Erwerbsunfähigkeitsrente alle Formen dieser Rente zu verstehen, ohne Rücksicht auf ihre Dauer. Diese umfassende und klare Regelung lasse nicht zu, nach Wegfall der Rente den beendeten Anspruch auf Krankengeld wieder aufleben zu lassen. Für eine Ausfüllung einer Lücke im Wege der ergänzenden Rechtsfindung sei daher kein Raum.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des LSG Hamburg vom 12. Oktober 1965 und das Urteil des SG Hamburg vom 10. Juni 1964 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin trägt vor, das LSG habe zu Unrecht in die gesetzliche Höchstdauer von 78 Wochen Krankengeld die Zeit des Rentenbezugs eingerechnet. Es müsse auch für die Zeit der Bewilligung der Zeitrente (5. Januar bis 30. Juni 1962) Krankengeld gezahlt werden. Da gemäß § 183 Abs. 3 RVO der Krankengeldanspruch für diesen Zeitraum entfallen sei, müßten diese 177 Tage an den Bezugszeitraum vom 2. Januar 1963 angehängt werden. Das ergäbe eine Bezugszeit bis einschließlich 27. Juni 1963.

Die Klägerin beantragt,

die Revision der Beklagten zurückzuweisen und unter Abänderung des Urteils des LSG Hamburg vom 12. Oktober 1965 die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin Krankengeld bis einschließlich 27. Juni 1963 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Revision der Klägerin zurückzuweisen.

II

Die Revision der Beklagten ist nicht begründet.

Nach § 183 Abs. 3 Satz 1 RVO endet der Anspruch auf Krankengeld mit dem Tage, von dem an Rente wegen Erwerbsunfähigkeit oder Altersruhegeld zugebilligt wird. Der Beklagten ist zuzugeben, daß der in diesem Zusammenhang verwandte Ausdruck "endet" die von ihr vertretene Auffassung erlaubt, mit dem Beginn einer Rente wegen Erwerbsunfähigkeit - gleichgültig, ob auf Dauer oder auf Zeit - ende das Krankengeld endgültig ohne eine Möglichkeit des Wiederauflebens. Indessen widerspräche eine solche Auslegung dem Sinn und Zweck des § 183 Abs. 3 RVO. Wie das LSG zutreffend ausgeführt hat, soll die genannte Regelung den Doppelbezug von Leistungen mit voller Lohnersatzfunktion verhüten. Solche Leistungen sind das Krankengeld einerseits, Rente wegen Erwerbsunfähigkeit und Altersruhegeld andererseits. Beginnt die Rente während des Bezugs von Krankengeld, so soll dem Versicherten grundsätzlich nur die Rente verbleiben (§ 183 Abs. 3 Satz 1 RVO).

Wenn aber allein der Bezug von Rente wegen Erwerbsunfähigkeit oder von Altersruhegeld das Hindernis für die Weitergewährung des Krankengeldes ist, so wäre es mit der Zwecksetzung des § 183 Abs. 3 RVO unvereinbar, wenn dem Versicherten das Krankengeld bei Wegfall der Rente und Fortbestehen der Voraussetzungen für den Anspruch auf Krankengeld vorenthalten würde. Der innere Grund für die Ausnahmeregelung in Gestalt der Versagung des Krankengeldes ist weggefallen. Ob der Gesetzgeber bei der Regelung des Zusammentreffens von Krankengeld und Rente wegen Erwerbsunfähigkeit in § 183 Abs. 3 RVO nur den Fall vor Augen gehabt hat, daß die Rente auf Dauer gewährt wird, oder nur ein redaktionelles Versehen vorliegt, kann dabei offen bleiben. Jedenfalls kann § 183 Abs. 3 Satz 1 RVO nach dem Sinnzusammenhang nur dahin verstanden werden, daß das Enden des Krankengeldes bei Beginn der Rente seinem Wiederaufleben bei Wegfall der Rente nicht entgegensteht. Voraussetzung ist dafür, daß noch Arbeitsunfähigkeit vorliegt und daß die Bezugsfrist von 78 Wochen innerhalb von drei Jahren noch nicht abgelaufen ist. Das ist im vorliegenden Fall nach den Feststellungen des LSG der Fall. Demnach sind die Vorinstanzen mit Recht davon ausgegangen, daß der Anspruch der Klägerin auf Krankengeld am 1. Juli 1962 wiederaufgelebt ist.

Die Revision der Beklagten muß daher zurückgewiesen werden.

Die Revision der Klägerin ist zulässig. Das ist deshalb nicht unzweifelhaft, weil die Klägerin auf den ersten Blick durch das angefochtene Urteil nicht beschwert erscheint. Das SG hatte die Beklagte verurteilt, vom 1. Juli 1962 an erneut Krankengeld "bis zur gesetzlichen Höchstdauer" zu gewähren, ohne auch nur in den Gründen einen Anhalt dafür zu geben, was hierunter im Streitfall zu verstehen ist. Das LSG hatte die Berufung der Beklagten zurückgewiesen, dabei aber in den Gründen seines Urteils die vom SG unterlassene - aber notwendige - Konkretisierung nachgeholt, was "gesetzliche Höchstdauer" im Streitfall bedeutet, und den 1. Januar 1963 als Endzeitpunkt des Krankengeldbezugs festgelegt. Erst hiermit wurde der Klägerin genau eröffnet, was ihr auf ihre Klage hin zugesprochen war, aber auch, was ihr versagt worden war. Sie ist mithin durch das angefochtene Urteil beschwert.

Das Rechtsmittel ist aber nur teilweise begründet. Auch die Zeit, in der der Klägerin das Krankengeld nach § 183 Abs. 3 Sätze 2 und 3 RVO in vollem Umfange geblieben ist, der Anspruch auf die geringere Rente aber auf die Krankenkasse übergegangen ist, muß auf die Bezugszeit des Krankengeldes angerechnet werden. Wenn sogar Zeiten des Ruhens des Krankengeldes Bezugszeiten im Sinne dieser Vorschrift sind (vgl. BSG 19, 179, 182 für den vergleichbaren Fall der Aussteuerung nach früherem Recht), so müssen erst recht solche Zeiten in die Bezugszeit einbezogen werden, in denen - wie hier - infolge des Übergangs der Rente auf die Krankenkasse diese im Endergebnis mit einem Teilbetrag des Krankengeldes belastet bleibt. Auch eine nur teilweise Zahlung des Krankengeldes steht der Anrechnung dieser Zeiten auf die Höchstdauer des Krankengeldbezuges nicht entgegen (ebenso Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, Stand: 15. Juni 1966, Bd. II S. 396 a). Die Zeit vom 5. Januar bis 27. Juni 1962 ist daher gleichfalls Bezugszeit im Sinne des § 183 Abs. 2 RVO.

Insgesamt waren daher bis zum 27. Juni 1962, dem Zeitpunkt der Einstellung der Krankengeldzahlung, folgende Zeiten auf die Bezugszeit (78 Wochen = 546 Tage) anzurechnen:

1.)

Gehaltsfortzahlung vom 5. Juli bis 15. August 1961

= 42 Tage

2.)

Krankengeldzahlung vom 16. August 1961 bis 27. Juni 1962

= 316 Tage

insgesamt

358 Tage.

In der Zeit vom 28. bis 30. Juni 1962 hat die Klägerin nur Rente erhalten. Diese Zeit ist somit nicht Bezugszeit im Sinne des § 183 Abs. 2 RVO, was das LSG anscheinend bei der Errechnung der Bezugszeit übersehen hat. Die Klägerin hat somit vom 1. Juli 1962 an noch Anspruch auf 188 Tage Krankengeld (nicht 185 Tage, wie das LSG angenommen hat). Da nach den Feststellungen des LSG davon auszugehen ist, daß die Klägerin auch noch nach dem 1. Januar 1963 arbeitsunfähig erkrankt war, hat sie über den vom LSG festgelegten Zeitpunkt hinaus (1. Januar 1963) noch Anspruch auf Krankengeld vom 2. bis zum 4. Januar 1963. Insoweit war ihrer Revision stattzugeben, im übrigen war sie zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung ergeht nach § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.

 

Fundstellen

BSGE, 66

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