Leitsatz (amtlich)

§ 48 Abs 1 S 2 Nr 3 Alt 1 SGB 10 gilt, soweit danach ein Leistungen gewährender Verwaltungsakt rückwirkend zu Lasten des Bescheidempfängers allein nach den Grundsätzen der "Änderung der Verhältnisse" aufgehoben werden kann, nur für Sachverhalte, in denen nach dem Inkrafttreten des SGB 10 (1.1.1981) ein anspruchsminderndes Einkommen oder Vermögen "nach Antragstellung", aber vor Erlaß des Verwaltungsakts erzielt worden ist.

 

Normenkette

SGB 10 § 48 Abs 1 S 2 Nr 3 Alt 1 Fassung: 1980-08-18; SGB 10 Art 2 § 40 Abs 2 S 1 Fassung: 1980-08-18; SGB 10 Art 2 § 40 Abs 2 S 2 Fassung: 1980-08-18

 

Verfahrensgang

LSG Rheinland-Pfalz (Entscheidung vom 27.03.1984; Aktenzeichen L 4 V 84/83)

SG Mainz (Entscheidung vom 21.04.1983; Aktenzeichen S 5 V 1/83)

 

Tatbestand

Streitig ist, ob das beklagte Land eine dem Kläger gewährte Beschädigtenversorgung rückwirkend herabsetzen und die angeblich überzahlten Bezüge zurückfordern darf.

Der 1943 geborene Kläger war von 1962 bis 1965 Zeitsoldat der Bundeswehr. Auf seinen Antrag auf Beschädigtenversorgung vom März 1974 anerkannte das Versorgungsamt (VersorgA) im Bescheid (1) vom 24. Februar 1975 ua eine schwere Niereninsuffizienz des auf eine künstliche Niere angewiesenen Klägers als wehrdienstbedingte Schädigung mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 100 vH und bewilligte ihm ab 1. März 1974 Grundrente, Schwerstbeschädigten- und Pflegezulage im Betrag von damals insgesamt monatlich 1.085,-- DM. Im Bescheid heißt es weiter: "Um prüfen zu können, ob ihnen weitere vom Einkommen abhängige Leistungen zustehen, wollen Sie bitte die beigefügten Fragebögen ausfüllen und wieder zurücksenden ...".

In der Folge bewilligte auch die Zusatzversorgungskasse der Gemeinden und Gemeindeverbände in Darmstadt (ZVK) dem Kläger mit Bescheid vom 9. September 1975 ab 1. März 1975 eine Versorgungsrente (Zusatzrente).

Mit einem Schreiben vom 16. Mai 1977, beim VersorgA eingegangen am 20. Mai 1977, meldete der Kläger, daß er auch von der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) Rente beziehe und legte ferner Ablichtung einer Mitteilung der ZVK über eine Anpassung seiner Zusatzrente im Betrag von zuletzt 437,40 DM monatlich vor. Kurz darauf, am 30. Juni 1977, reichte der Kläger dem VersorgA einen Fragebogen über seine Einkommens- und Vermögensverhältnisse ua mit der Angabe zurück, daß er ab 1. Juli 1976 Zusatzrente von der ZVK Darmstadt im Betrag von 416,-- DM monatlich beziehe.

Mit Bescheid (2) vom 14. Juni 1978 gewährte das VersorgA dem Kläger rückwirkend ab 1. März 1974 ua Berufsschadensausgleich von damals zuletzt monatlich 368,40 DM. Dabei berücksichtigte es ab 1. August 1975 anspruchsmindernd die Rente des Klägers aus der Angestelltenversicherung, nicht aber die Zusatzrente der ZVK. Diese ist im Bescheid auch sonst nicht erwähnt.

In dem Bescheid (3) vom 19. Dezember 1979 erhöhte das VersorgA die Versorgungsbezüge des Klägers - einschließlich des Berufsschadensausgleichs - ab 1. Januar 1979 nach dem Zehnten Gesetz über die Anpassung der Leistungen des Bundesversorgungsgesetzes (10. AnpG-KOV) vom 10. August 1978 (BGBl I 1217). Bei der Berechnung des Berufsschadensausgleichs ist auch diesmal nur die Angestelltenrente des Klägers, nicht die Zusatzrente der ZVK berücksichtigt. Ab 1. Januar 1981 paßte das VersorgA die Bezüge des Klägers nach dem 10. AnpG-KOV an (Mitteilung vom 10. Dezember 1980).

Nachdem der Kläger dem VersorgA unter dem 11. November 1980 auf Fragebogen-Anfrage erneut den Bezug der Rente der ZVK mitgeteilt hatte, leitete dieses nunmehr Ermittlungen ein und stellte mit Bescheid (4) vom 22. April 1981 die Versorgungsbezüge des Klägers "zunächst mit Wirkung für die Zukunft", nämlich ab 1. Mai 1981 unter Berücksichtigung auch der Zusatzrente neu auf einen geringeren Betrag fest. Hiergegen legte der Kläger keinen Rechtsbehelf ein, hielt aber dem VersorgA am 20. Oktober 1981 vor, daß er ihm ua den Rentenbescheid der ZVK unverzüglich zur Verfügung gestellt habe.

Mit dem streitigen Bescheid (5) vom 27. Oktober 1981 schließlich hob das VersorgA ua die Bescheide 2 und 3 sowie die Anpassungsmitteilung vom 10. Dezember 1980 auf "insoweit ..., als sie bei der Berechnung des Berufsschadensausgleichs nach § 30 Abs 3 bis 5 BVG die Zusatzrente in der ab 1. März 1975 gezahlten Höhe unberücksichtigt lassen". Zugleich forderte das VersorgA von dem Kläger einen für die Zeit vom 1. März 1975 bis 30. November 1981 gewährten Berufsschadensausgleich vom 13.478,-- DM als zuviel gezahlt zurück. Den vom Kläger hiergegen eingelegten Widerspruch wies das Landesversorgungsamt (LVersorgA) zurück (Widerspruchsbescheid vom 7. Dezember 1982).

Dagegen hatte der Kläger in den Vorinstanzen Erfolg. Das Sozialgericht (SG) hat mit Urteil vom 21. April 1983 den streitigen Bescheid 5 in der Gestalt des bestätigenden Widerspruchsbescheides "hinsichtlich der rückwirkenden Neufeststellung und Rückforderung des Berufsschadensausgleichs für den Zeitraum vom 1. März 1975 bis 31. Dezember 1980" aufgehoben. In der angefochtenen Entscheidung vom 27. März 1984 hat das Landessozialgericht (LSG) die Berufung der Beklagten hiergegen zurückgewiesen. In der Begründung heißt es, das VersorgA habe die Rücknahme seiner Bescheide nicht auf § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 3 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB 10) stützen können. Die Zusatzrente der ZVK sei nicht erst nach Erlaß des Bescheids 2 vom 14. Juni 1978, sondern bereits vorher entstanden. Dieser Bescheid und die Folgebescheide vom 19. Dezember 1979 und 10. Dezember 1980 seien in Ansehung der Zusatzrente nicht mehr von einer Änderung der Einkommensverhältnisse betroffen gewesen. Auf die Rücknahme von Bescheiden anwendbar sei vielmehr nur § 45 SGB 10. Es könne aber nicht festgestellt werden, daß der Kläger erkannt habe, daß das VersorgA sein anrechenbares Renteneinkommen ohne Berücksichtigung der Zusatzrente, also in zu geringer Höhe angesetzt hatte. Der Kläger habe in dieser Beziehung auch nicht grob fahrlässig gehandelt. Er habe davon ausgehen dürfen, daß mit der vom VersorgA im Bescheid 2 angerechneten Erwerbsunfähigkeitsrente auch die Zusatzrente erfaßt worden sei.

Das LSG hat in diesem Urteil die Revision zugelassen.

Das beklagte Land hat die Revision eingelegt. Es bringt vor: § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 3 SGB 10 sei sehr wohl einschlägig. Die ZVK habe dem Kläger zwar die Zusatzrente schon vor Erlaß des Bescheids 2, aber erst nach Antragstellung am 22. März 1974 bewilligt; dies aber genüge nach dem Gesetz. Auf Bös- oder Gutgläubigkeit komme es im übrigen nicht an. Die Verweisung in § 48 Abs 4 SGB 10 auf § 45 Abs 3 Satz 3 und Abs 4 aaO beziehe sich nur auf die dort genannten Fristen. Besondere Gründe, die es rechtfertigen könnten, von der Aufhebung der Bewilligungsbescheide für die Vergangenheit abzusehen, lägen nicht vor.

Der Beklagte beantragt, die Urteile des Sozialgerichts Mainz vom 21. April 1983 und des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 27. März 1984 aufzuheben und die Klage gegen den Bescheid des Versorgungsamts Mainz vom 27. Oktober 1981 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 7. Dezember 1982 abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Er ist der Auffassung, daß das LSG zu Recht einen Anwendungsfall des § 48 SGB 10 verneint habe. Bei allen Fallgestaltungen des § 48 Abs 1 SGB 10 trete die Rechtsfolge - Aufhebung mit Wirkung für die Vergangenheit und/oder für die Zukunft - nur ein, wenn nachträglich, also nach Erlaß des Verwaltungsakts eine Änderung in den Verhältnissen eingetreten sei. Dagegen sei § 48 SGB 10 nicht einschlägig, wenn die Verwaltung einen ihr bei Erlaß des Verwaltungsakts unterlaufenen Fehler korrigieren wolle. Von Anfang an fehlerhafte Verwaltungsakte könnten nur im Rahmen der §§ 44, 45 SGB 10 zurückgenommen werden. Insbesondere stelle § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 3 SGB 10 keine Spezialregelung zu § 45 SGB 10 dar. Von dem Fall der nachträglichen rückwirkenden Zuerkennung eines anrechenbaren Einkommens sei klar der Fall zu unterscheiden, in dem bereits vor Erlaß des Bewilligungsbescheids ein solches Einkommen bezogen werde und diese Tatsache der Verwaltung bekannt sei, bei ihrer Entscheidung aber keine Berücksichtigung finde. Bei rechtmäßigem Handeln der Verwaltung hätte es erst gar nicht zur Überzahlung kommen können. Wenn die Verwaltung gleichwohl den Anspruch auf einkommensabhängige Sozialleistungen anerkannt habe, habe sie ohne Rechtsgrund geleistet. Nach Entstehungsgeschichte, Wortlaut und Sinn des § 48 SGB 10 sei im übrigen nicht davon auszugehen, daß nach dieser Vorschrift ein von Anfang an rechtswidriger Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit unter Umgehung des Vertrauensschutzes korrigiert werden könne. Das wäre ein Verstoß gegen das Prinzip der Rechtssicherheit, das dem Rechtsstaatsprinzip immanent sei. Die Beseitigung des Schutzes des Vertrauens des Bürgers in das rechtmäßige Handeln der Verwaltung bei einkommensabhängigen Sozialleistungen wäre überdies eine sachwidrige Ungleichbehandlung und deshalb wegen Verstoßes gegen Art 3 Abs 1 des Grundgesetzes (GG) verfassungswidrig. Nach den Feststellungen des LSG habe der Kläger in vollem Umfang zutreffende Angaben über sein Einkommen gemacht. Ihm sei auch nicht erkennbar gewesen, daß das VersorgA die Zusatzrente nicht berücksichtigt habe.

Für die Beigeladene beantragt der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung, unter Aufhebung des Urteils des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 27. März 1984 die Klage auch hinsichtlich der rückwirkenden Neuberechnung des Berufsschadensausgleichs für die Zeit vom 1. März 1975 bis zum 31. Dezember 1980 abzuweisen.

Er bringt vor, nach seiner Auffassung sei eine in die Vergangenheit wirkende Neuberechnung des Berufsschadensausgleichs nach § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 3 SGB 10 zulässig, da nach der Antragstellung, jedoch vor Erteilung des Bescheids 2 vom 14. Juni 1978, Einkommen in Form einer Zusatzrente erzielt worden sei. AaO werde auch auf bereits nach der Antragstellung erzieltes Einkommen oder Vermögen abgehoben. Das stelle zwar eine Ausnahme von dem in § 48 aaO enthaltenen Grundsatz dar, jedoch sei die Einbeziehung von nach Antragstellung erzieltem anrechnungspflichtigen Einkommen oder Vermögen ganz bewußt geschehen. Im Rahmen des Satzes 2 Nr 3 aaO komme es nicht auf ein dem Leistungsempfänger zuzurechnendes Verhalten an. Der gegenständliche Streitfall könne nicht so behandelt werden, als seien schlechthin die sachlichen Voraussetzungen einer Rücknahme begünstigender Verwaltungsakte nach § 45 SGB 10 zu prüfen. Eine solche Prüfung würde das vom Gesetzgeber in § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 3 SGB 10 verfolgte Ziel vereiteln. Abs 4 Satz 1 aaO verweise hinsichtlich des § 45 aaO nur auf Rechtsfolgen, nämlich auf bestimmte Fristen zu Gunsten des Leistungsempfängers.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Beklagten ist zulässig, in der Sache aber nicht begründet.

Zu Unrecht stützt der Beklagte den streitigen Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid auf § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 3 SGB 10.

Nach Abs 1 Satz 1 dieser Vorschrift ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlaß eines Verwaltungsakts mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Satz 2 aaO ergänzt diese Regelung für bestimmte Fälle dahin, daß der - begünstigende oder belastende - Verwaltungsakt darüber hinaus nicht erst für die Zukunft, sondern "mit Wirkung vom" - bereits in der Vergangenheit liegenden - "Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse", also rückwirkend "aufgehoben werden .... soll". Unter diese Fallgruppe fällt nach Satz 2 Nr 3 aaO ua ein Sachverhalt, in dem "nach Antragstellung oder Erlaß des Verwaltungsakts" Einkommen oder Vermögen erzielt worden ist, das zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs geführt haben würde. Ergänzend hierzu bestimmt Satz 3 aaO, daß in diesen Fällen der Erzielung anrechnungspflichtigen Einkommens oder Vermögens für einen bereits in der Vergangenheit liegenden Zeitraum "der Beginn des Anrechnungszeitraums" als Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse gilt.

Nach Satz 2 aaO mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse "aufzuhebender" Verwaltungsakt mit Dauerwirkung ist nach Auffassung des Beklagten und der Beigeladenen der Bescheid 2 vom 14. Juni 1978 samt den späteren, auf ihm beruhenden Leistungsbescheiden. Die Zusatzrente, die der Beklagte dem Kläger in bezug auf den Berufsschadensausgleich anspruchsmindernd anrechnen möchte, hat die ZVK Darmstadt dem Kläger aber schon vor dem angeblich aufzuhebenden Bescheid 2, nämlich mit einem Bescheid vom 9. September 1975 ab 1. März 1975 bewilligt. Als schon vor Erlaß des gegebenenfalls aufzuhebenden Bescheids eingetretener Umstand kann der Bezug der Zusatzrente von der ZVK keine Änderung der Verhältnisse erst "nach ...Erlaß des Verwaltungsakts" iS der 2. Alternative der Nr 3 aaO sein; der Bescheid 2 des Beklagten ist vielmehr auch aus dessen Sicht ein von Anfang an rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt (vgl dazu die Entscheidung des 9a Senats des Bundessozialgerichts -BSG- vom 13. Dezember 1984 -9a RV 40/83-). Hiernach könnte der streitige Aufhebungsbescheid 5 des Beklagten nur aufgrund der 1. Alternative der Nr 3 aaO - Erzielung von anspruchsminderndem Einkommen "nach Antragstellung", aber vor Erlaß des Leistungen bewilligenden Verwaltungsakts mit Dauerwirkung - gerechtfertigt sein.

Es kann dahinstehen, wieweit diese 1. Alternative aaO sachlich- rechtlich mit § 45 SGB 10 in Einklang zu bringen ist, welcher die Rücknahme eines von Anfang an rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsakts regelt (vgl BSGE aaO). Der Beklagte und die Beigeladene haben übersehen, daß die 1. Alternative aaO den vorliegenden Sachverhalt bereits nach ihrem zeitlichen Geltungsbereich nicht erfassen kann.

Nach Art II § 40 Abs 1 des Gesetzes vom 18. August 1980 (BGBl I S 1469, ber.S 2218) treten ua die §§ 44 bis 49 SGB 10 am 1. Januar 1981 in Kraft, soweit in den Absätzen 2 bis 7 nichts anderes bestimmt ist. Nach Abs 2 Satz 1 aaO sind die §§ 44 bis 49 aaO erstmals anzuwenden, wenn ein Verwaltungsakt nach dem 31. Dezember 1980 aufgehoben wird. Das gilt auch dann, wenn der aufzuhebende Verwaltungsakt vor dem 1. Januar 1981 erlassen worden ist (Satz 2 aaO). Diese Bestimmung trifft den vorliegenden Fall nur scheinbar. Die nähere Prüfung ergibt nämlich:

Nach der ständigen Rechtsprechung sowohl des Reichsversicherungsamts (RVA) wie des BSG beurteilt sich eine Berechtigung - hier: des Beklagten auf rückwirkende Aufhebung eines rechtsbeständigen begünstigenden Verwaltungsakts - grundsätzlich nach dem Recht, das im Zeitpunkt des Entstehens des anspruchsbegründenden Ereignisses oder Umstands gegolten hat, soweit nicht das Gesetz ausdrücklich oder sinngemäß anderes bestimmt (vgl zB mit weiteren Nachweisen BSG in BSGE 45, 213, 214 = SozR 2200 § 182 Nr 29). Die vom beklagten Land in Anspruch genommene Berechtigung zur rückwirkenden Aufhebung eines begünstigenden Verwaltungsakts nach § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 3 Alternative 1 SGB 10 wird durch das "Erzielen" von anrechnungspflichtigem Einkommen oder Vermögen begründet. Da der Anrechnungszeitraum im konkreten Fall mit dem 1. März 1975 vor dem Inkrafttreten des § 48 SGB 10 am 1. Januar 1981 beginnt, könnte der Beklagte zur Aufhebung eines Leistungen bewilligenden Bescheids nach der genannten Vorschrift nur berechtigt sein, wenn Art II § 40 Abs 2 Satz 2 des Gesetzes vom 18. August 1980 (aaO) auch den vorliegenden Sachverhalt träfe. Das ist aber deswegen nicht der Fall, weil in bezug auf diese Vorschrift "die Grenze der rückwirkenden Anwendung neuen Rechts dort (liegt), wo schon nach früheren Rechtsvorschriften die Aufhebung eines Bescheids nicht mehr bewirkt werden konnte" (so der Große Senat des BSG in BSGE 54, 223, 231 = SozR 1300 Nr 3 zu § 44). Entsprechend ist bei der Auslegung des Art II § 40 Abs 2 aaO zu beachten, daß der Gesetzgeber den Adressaten eines begünstigenden bindenden Verwaltungsakts nicht in der Weise belasten wollte, daß er einen bereits abgeschlossen in der Vergangenheit liegenden Sachverhalt des "Erzielens" anrechnungspflichtigen Einkommens oder Vermögens zu dessen Nachteil rückwirkend einer rechtlich ungünstigeren als bis zum 31. Dezember 1980 geltenden Regelung zuführte (vgl hierzu den Großen Senat des BSG aaO S 230 unter Berufung auf BVerfGE 13, 261, 271f und ständige Rechtsprechung).

Eine dem § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 3 Alternative 1 SGB 10 vergleichbare Regelung mit dem Inhalt, wie ihn der Beklagte und die Beigeladene der Vorschrift beilegen, hat vor dem Inkrafttreten des SGB 10 nicht bestanden:

Eine rückwirkende Herabsetzung der Beschädigtenversorgung wäre in einem Sachverhalt der vorliegenden Art nach § 62 Abs 1 Satz 1 und 2 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) idF des Gesetzes vom 22. Juni 1976 (BGBl I S 1633), aufgehoben ab 1. Januar 1981 (Art II § 15 des Gesetzes vom 16. August 1980 aaO), nicht möglich gewesen. Nach dieser Vorschrift war der Versorgungsanspruch ausschließlich wegen einer nach Erlaß des Bescheides eingetretenen nachträglichen Änderung der Verhältnisse neu festzusetzen. Zwar kam damals eine rückwirkende Herabsetzung der Beschädigtenversorgung nach § 41 oder nach § 42 des Gesetzes über das Verwaltungsverfahren in der Kriegsopferversorgung (VfG-KOV) idF vom 6. Mai 1976 (BGBl I S 1169) in Betracht. Indessen war die Aufhebbarkeit nach diesen Vorschriften gegenüber § 62 BVG aF, dem der jetzige § 48 SGB 10 entspricht, erheblich schwieriger: Nach § 41 VfG-KOV war eine Aufhebung nur zulässig, wenn außer Zweifel stand, daß die frühere Entscheidung unrichtig war; § 42 Abs 1 aaO stellte im Gegensatz zu § 41 aaO nicht auf die sachliche Unrichtigkeit der Entscheidung selbst ab, sondern auf Mängel bei deren Zustandekommen. Zudem war der gutgläubige Leistungsempfänger bei der Rückforderung durch § 47 VfG-KOV geschützt. Dies ist deswegen von Belang, weil Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid einheitlich entweder nach neuem oder nach altem Recht beurteilt werden müssen (vgl hierzu die Entscheidungen des BSG vom 21. Februar 1985 -4 RJ 103/83-; vom 22. August 1984 -7 RAr 46/84- und vom 19. Mai 1981 in SozR 2250 § 1301 Nr 14).

Aus alledem ergibt sich, daß Art II § 40 Abs 2 Satz 2 aaO den bereits vor dem Inkrafttreten des SGB 10 am 1. Januar 1981 abgeschlossen vorliegenden Umstand, daß damals schon vor dem Erlaß des angeblich aufzuhebenden Verwaltungsakts mit Dauerwirkung anrechnungspflichtiges Einkommen oder Vermögen erzielt worden war, nicht rückwirkend der neuen, zu Lasten des Leistungsempfängers im Vergleich mit dem bis zum 31. Dezember 1980 geltenden Recht erheblich verschärften Regelung des § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 3 Alternative 1 SGB 10 unterwerfen will. Diese neue verschärfte Regelung gilt vielmehr ohne belastende Rückwirkung nur für Fälle, in denen der Leistungsempfänger das anrechnungspflichtige Einkommen erstmals nach dem 31. Dezember 1980 erzielt. Damit bedarf keiner Erörterung, wieweit der von dem Beklagten mit dem streitigen Bescheid ebenfalls aufgehobene Leistungsbescheid 3 und die Anpassungsmitteilung vom 10. Dezember 1980 überhaupt unter Nr 3 Alternative 1 aaO fallen könnte, obwohl damals der Leistungsantrag des Klägers vom März 1974 durch den Bescheid 2 bereits bindend "erledigt" war, also die Zusatzrente nicht "nach Antragstellung" erzielt worden ist.

Hiernach hat das LSG jedenfalls im Ergebnis den vorliegenden Sachverhalt unter Berücksichtigung von Art II § 40 Abs 2 Satz 1 und 2 aaO nach § 45 SGB 10, also nach der Regelung über die Aufhebung bereits von Anfang an rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakte beurteilt. Nach Abs 2 Satz 1 aaO darf ein solcher bereits anfänglich unrichtiger Verwaltungsakt nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsakts vertraut hat, es sei denn, der Leistungsempfänger sei iS des Satz 3 aaO bösgläubig gewesen. Das LSG hat hierzu im angefochtenen Urteil ausdrücklich ausgeführt, daß der Kläger nach den Tatumständen des konkreten Falles davon habe ausgehen und darauf vertrauen dürfen, daß das VersorgA bei Bewilligung der Leistung seine Zusatzrente zusammen mit der Rente von der BfA bereits berücksichtigt und erfaßt habe. Diese nicht angegriffenen tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts binden den erkennenden Senat (§ 163 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-).

Hat aber das LSG im angefochtenen Urteil zutreffend den streitbefangenen Aufhebungsbescheid 5 des Beklagten - einschließlich des Ausspruchs über die Rückforderung von Leistungen - aufgehoben so mußte die Revision des Beklagten als unbegründet zurückgewiesen werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1656201

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