Entscheidungsstichwort (Thema)

Unfallversicherungsschutz bei Ausbildungsveranstaltungen nach § 539 Abs 1 Nr 8 RVO

 

Leitsatz (amtlich)

Träger der Unfallversicherung für die nach § 539 Abs 1 Nr 8 RVO versicherten Teilnehmer an einem Lehrgang "Sofortmaßnahmen am Unfallort" ist gemäß § 653 Abs 1 Nr 4 RVO der Bund, wenn die Ausbildungsveranstaltung vom Deutschen Roten Kreuz durchgeführt wird.

 

Orientierungssatz

Der Versicherungsschutz nach § 539 Abs 1 Nr 8 RVO ist nicht auf Angehörige oder Mitglieder der Hilfeleistungsunternehmen beschränkt, er erstreckt sich vielmehr ua auch auf Personen, denen als Führerscheinbewerber die Grundzüge der Erstversorgung von Unfallverletzten im Straßenverkehr vermittelt werden sollen (§ 8a Abs 2 StVZO), damit sie die Fähigkeit erlangen, bei Unglücksfällen helfend tätig zu sein.

 

Normenkette

RVO § 539 Abs 1 Nr 8 Fassung: 1963-04-30, § 653 Abs 1 Nr 4 Fassung: 1963-04-30, § 655 Abs 2 Nr 1 Fassung: 1963-04-30

 

Verfahrensgang

LSG Baden-Württemberg (Entscheidung vom 09.03.1978; Aktenzeichen L 10 Ua 1219/77)

SG Stuttgart (Entscheidung vom 17.03.1972; Aktenzeichen S 12b U 1685/71)

 

Tatbestand

Die Beigeladene erlitt am 11. August 1970 einen Unfall auf der Fahrt von ihrem Wohnort nach R, wo sie - als Bewerberin um eine Fahrerlaubnis (Führerschein Klasse 3) - an einem vom Deutschen Roten Kreuz (DRK), Bereitschaft R, turnusmäßig angesetzten Lehrgang in "Sofortmaßnahmen am Unfallort" teilnehmen wollte. Sie war beim DRK weder beruflich noch ehrenamtlich tätig.

Der Kläger (Land Baden-Württemberg) ging als erstangegangener Versicherungsträger davon aus, daß Versicherungsschutz gemäß § 539 Abs 1 Nr 8 der Reichsversicherungsordnung (RVO) und demnach ein Arbeitsunfall vorgelegen habe. Er gewährte vorläufige Fürsorge gemäß § 1735 RVO, hielt jedoch die beklagte Bundesrepublik Deutschland für den zuständigen Versicherungsträger. Diese sah die Voraussetzungen eines Arbeitsunfalls ebenfalls für gegeben an, verneinte jedoch ihre Zuständigkeit unter Hinweis auf einen Erlaß des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung (BMA) vom 25. November 1970 (IVa 5-4416.21 - 1378/70); in diesem Erlaß vertritt der BMA ua die Auffassung, in Fällen der vorliegenden Art sei gemäß § 655 Abs 2 Nr 1 RVO das Land zuständig; die Zuständigkeit des Bundes gemäß § 653 Abs 1 Nr 4 RVO umfasse nicht das DRK in seiner Gesamtheit, sondern lediglich die in den Bereitschaften und verwandten Tätigkeitsgebieten des DRK einschließlich der Vorstände der Verbände des DRK und ihrer Verwaltungsorgane tätigen Personen.

Der Kläger hat Klage auf Feststellung erhoben, daß die Beklagte der für die Entschädigung der Beigeladenen zuständige Versicherungsträger sei.

Das Sozialgericht (SG) Stuttgart hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 17. März 1972): Der Bund sei nach § 653 Abs 1 Nr 4 RVO Träger der Versicherung nur, wenn die unfallbringende Tätigkeit objektiv im Bereich des DRK gelegen und dadurch ein konkreter Bezug zu den Bereitschaften oder verwandten Tätigkeitsgebieten des DRK bestanden habe; daran fehle es hier, weil ein Führerscheinbewerber nicht für oder bei dem DRK tätig werde und dem DRK durch die Ausbildung kein Nutzen erwachse.

Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung des Klägers zunächst zurückgewiesen (Urteil vom 30. Mai 1974), nach Zurückverweisung durch das Bundessozialgericht -BSG- (Urteil vom 25. Januar 1977) - wegen unterlassener notwendiger Beiladung der Verletzten - jedoch durch Urteil vom 9. März 1978 das Urteil des SG aufgehoben und festgestellt, daß die Beklagte der für die Entschädigung des Arbeitsunfalls der Beigeladenen zuständige Versicherungsträger ist. Zur Begründung hat es ua ausgeführt: Zuständig für die Versicherung der in einem Unternehmen zur Hilfe bei Unglücksfällen Tätigen oder Auszubildenden (§ 539 Abs 1 Nr 8 RVO) sei zwar grundsätzlich das Land (§ 655 Abs 1 Nr 2 RVO). Handele es sich jedoch um Tätigkeiten in den Bereitschaften oder verwandten Tätigkeitsgebieten des DRK, liege die Zuständigkeit gemäß § 653 Abs 1 Nr 4 RVO beim Bund. Aufgrund der weitreichenden Fassung dieser Vorschrift sei der Bund für jede dem DRK zurechenbare Tätigkeit zuständig. Deshalb seien auch die vom DRK durchgeführten Ausbildungsveranstaltungen den Bereitschaften verwandte Tätigkeitsgebiete des DRK. Die vom BMA im Erlaß vom 25. November 1970 vertretene abweichende Auffassung sei unverständlich im Hinblick darauf, daß er in einem Schreiben vom 28. April 1966 (s BKK 1966, Sp 262, 263) die Zuständigkeit des Bundes für Schwesternhelferinnen und Pflegediensthelfer bejaht habe, die vom DRK im Auftrag der Bundesregierung zur Sicherstellung von Pflegekräften im Verteidigungsfall ausgebildet wurden.

Die Beklagte hat die vom LSG zugelassene Revision eingelegt und zur Begründung ausgeführt: Die Zuständigkeit des Bundes scheide aus, weil die Beigeladene nicht im Sinne der dem DRK übertragenen Aufgaben tätig geworden sei. Sie sei weder Bedienstete des DRK noch für dieses ehrenamtlich tätig gewesen; sie habe sich auch nicht auf Aufgaben vorbereitet, die dem DRK gemäß den in Internationalen Rotkreuz-Konferenzen festgelegten Grundsätzen oblägen, vielmehr ihrerseits die Dienste des DRK in Anspruch genommen.

Die Beklagte beantragt sinngemäß,

unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die

Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG

zurückzuweisen,

hilfsweise Zurückverweisung an die Vorinstanz.

Der Kläger beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Die Beigeladene ist im Revisionsverfahren nicht vertreten.

 

Entscheidungsgründe

Der Senat hat ohne mündliche Verhandlung entschieden, da sich die Beteiligten damit einverstanden erklärt haben (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-).

Die zulässige Revision der Beklagten ist nicht begründet. Das LSG hat zu Recht festgestellt, daß die Beklagte der für die Entschädigung des Arbeitsunfalls der Beigeladenen zuständige Versicherungsträger ist.

Die Klage auf Feststellung der Beklagten als für die Entschädigung wegen der Folgen des Unfalls der Beigeladenen vom 11. August 1970 zuständigen Versicherungsträgers ist zulässig (s § 55 Abs 1 Nr 2 SGG; BSGE 15, 52, 54). Das berechtigte Interesse des Klägers an der baldigen Feststellung (§ 55 Abs 1) ist zu bejahen, weil der Kläger der beigeladenen Verletzten vorläufige Fürsorge gewährt hat, die Beklagte ihre Zuständigkeit bestreitet und davon auszugehen ist, daß die Beklagte den Anspruch des Klägers bei dessen Obsiegen auch ohne ein Leistungsurteil befriedigen wird (s BSGE 10, 21, 24; 12, 44, 46).

Zutreffend haben die beteiligten Versicherungsträger und die Vorinstanzen angenommen, daß die Beigeladene auf dem Weg zur Teilnahme an dem von der DRK-Bereitschaft angesetzten Lehrgang in "Sofortmaßnahmen am Unfallort" gemäß § 550 iVm § 539 Abs 1 Nr 8 RVO unter Versicherungsschutz gestanden hat. Nach § 539 Abs 1 Nr 8 RVO sind die in einem Unternehmen zur Hilfe bei Unglücksfällen Tätigen sowie die Teilnehmer an Ausbildungsveranstaltungen dieser Unternehmen einschließlich der Lehrenden - auch auf den damit zusammenhängenden Wegen (s ua Lauterbach, Gesetzliche Unfallversicherung, 3.Aufl, § 539 Anm 54) - gegen Arbeitsunfall versichert. Das DRK gehört zu den Hilfeleistungsunternehmen (BSGE 49, 222, 225; Urteil vom 31. Januar 1969 - 2 RU 13/65; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 1.-9. Aufl, S 472 Y; Lauterbach aaO § 539 Anm 47, 49; Vollmar, ZfS 1978, 156) und der Kursus "Sofortmaßnahmen am Unfallort" (s § 8a der Straßenverkehrszulassungsordnung - StVZO -, § 2 des Straßenverkehrsgesetzes - StVG -) zu den Ausbildungsveranstaltungen im Sinne dieser Vorschrift. Zu Recht ist im vorliegenden Verfahren auch davon ausgegangen worden, daß der Versicherungsschutz nach § 539 Abs 1 Nr 8 RVO nicht auf Angehörige oder Mitglieder der angeführten Hilfeleistungsunternehmen beschränkt ist, sich vielmehr - Wortlaut und Sinn der Vorschrift entsprechend - ua auch auf Personen erstreckt, denen als Führerscheinbewerbern die Grundzüge der Erstversorgung von Unfallverletzten im Straßenverkehr vermittelt werden soll (s § 8a Abs 2 StVZO), damit sie die Fähigkeit erlangen, bei Unglücksfällen helfend tätig zu sein (s ua BMA-Erlaß vom 25. November 1970).

Für Unternehmen zur Hilfe bei Unglücksfällen, auch wenn sie nicht für seine Rechnung gehen, ist zwar gemäß § 655 Abs 2 Nr 1 RVO grundsätzlich das Land Träger der Versicherung mit der Möglichkeit, durch Rechtsverordnung eine Gemeinde oder einen Gemeindeunfallversicherungsverband zum Versicherungsträger zu bestimmen (s § 656 Abs 4 Satz 1 RVO). § 653 Abs 1 Nr 4 RVO sieht jedoch die Zuständigkeit des Bundes für Versicherte ua in den Bereitschaften und verwandten Tätigkeitsgebieten des DRK vor. Nach dieser Vorschrift iVm § 539 Abs 1 Nr 8 RVO ist die Beklagte im vorliegenden Fall der zuständige Versicherungsträger.

Der Senat teilt nicht die Auffassung der Beklagten, § 653 Abs 1 Nr 4 RVO sei hier nicht anzuwenden, weil die Beigeladene weder als Bedienstete noch ehrenamtlich für das DRK habe tätig werden, vielmehr ihrerseits die Dienste des DRK habe in Anspruch nehmen wollen. Für die Begründung des Versicherungsschutzes nach § 539 Abs 1 Nr 8 RVO kommt es, wie auch die Beklagte nicht verkennt, nicht darauf an, ob die Teilnehmer an Ausbildungsveranstaltungen Mitglieder des jeweiligen Hilfeleistungsunternehmens oder sonst in ihm aktiv tätig sind oder werden wollen und ob dem jeweiligen Unternehmen durch die Teilnahme ein Nutzen entsteht. Dementsprechend richtet sich die Zuständigkeit der Entschädigung der nach § 539 Abs 1 Nr 8 RVO Versicherten, unabhängig von einem Nutzen für das Unternehmen und unabhängig davon, ob es sich um für das Unternehmen Tätige handelt, - wie allgemein in der Unfallversicherung - nach dem Unternehmen, das die jeweilige Ausbildungsveranstaltung durchführt (vgl Vollmar, aaO S 156, 159). Die Veranstaltung von Lehrgängen "Sofortmaßnahmen am Unfallort" liegt im Rahmen der allgemeinen Zielsetzung des DRK (s auch § 8a Abs 3 StVZO, wo ua das DRK als Unternehmen zur Durchführung dieser Unterweisungen angeführt ist). Auch bei der Breitenausbildung nimmt das DRK seine Aufgaben wahr. Die Aufgabenstellung des auf Bundesebene zusammengeschlossenen DRK war nach der Begründung des Entwurfs des Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetzes (vgl BT-Drucks IV/120 S 64) aufgrund eines Vorschlages des Bundesrates (BT-Drucks III/758 S 86 Nr 49) das Motiv dafür, daß es als notwendig und zweckmäßig erachtet wurde, "daß der Bund ... den Versicherungsschutz für das Deutsche Rote Kreuz übernimmt". Hieraus und aus der dementsprechend weitreichenden Fassung des § 653 Abs 1 Nr 4 RVO wird gefolgert, daß grundsätzlich für jedwede dem DRK zurechenbare versicherte Tätigkeit der Bund der zuständige Versicherungsträger ist (s Brackmann aaO S 523). Aber auch unabhängig davon sind keine durchgreifenden Gründe dafür erkennbar, die Zuständigkeit für die nach § 539 Abs 1 Nr 8 RVO versicherten Teilnehmer und Lehrenden an Ausbildungsveranstaltungen des DRK unter die Länder und den Bund aufzuteilen, je nachdem, ob die jeweiligen Teilnehmer dem DRK - in irgendeiner Weise - "angehören" oder nicht (ebenso Vollmar aaO). Davon geht auch das Schreiben des BMA vom 28. April 1966 (BKK 1966, Sp 262, 263) aus, das entgegen der Auffassung der Revision sich nicht auf die Personen beschränkt, die nach der Ausbildung zu Schwesternhelferinnen und Pflegediensthelfern in den Dienst des DRK treten wollen. Die diesem Schreiben zugrundeliegenden Erwägungen umfassen auch nicht nur Ausbildungsveranstaltungen für Schwesternhelferinnen und Pflegediensthelfer, sondern gelten für alle in den Bereich des DRK fallenden Ausbildungsveranstaltungen.

Das LSG hat demnach richtig entschieden. Die Revision war zurückzuweisen.

 

Fundstellen

BSGE, 176

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