Entscheidungsstichwort (Thema)

Leistungsabgrenzung zwischen Krankenversicherung und Unfallversicherung bei Beschädigung von Brillen

 

Leitsatz (amtlich)

1. Eine Brille ist kein Körperersatzstück oder größeres orthopädisches Hilfsmittel iS des RVO § 548 Abs 2.

2. Der Krankenkasse steht gegenüber dem Unfallversicherungsträger kein Ersatzanspruch für eine bei einem Unfall zerstörte Brille zu, wenn der Unfall zu keiner Augenschädigung bzw Sehverschlechterung geführt hat.

 

Leitsatz (redaktionell)

Die berufsgenossenschaftliche Heilbehandlung (RVO § 557) umfaßt ua die Ausstattung mit "anderen Hilfsmitteln", wozu auch Brillen gehören; im Rahmen der Heilbehandlung sind Brillen (Hilfsmittel) jedoch nur dann zu gewähren, wenn diese wegen einer durch den Arbeitsunfall verursachten Augenverletzung oder sonstigen Beeinträchtigung des Sehvermögens erforderlich sind.

 

Normenkette

RVO § 548 Abs. 2 Fassung: 1963-04-30, § 557 Abs. 1 Nr. 4 Fassung: 1974-08-07, Nr. 2 Fassung: 1963-04-30, § 556 Abs. 1 Nr. 2 Fassung: 1963-04-30, § 205 Abs. 1 S. 1 Fassung: 1970-12-21

 

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Detmold vom 20. März 1975 wird zurückgewiesen.

Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Am 10. Oktober 1973 erstattete der Ortsverein Bielefeld e. V. der Lebenshilfe für geistig Behinderte beim Beklagten eine Unfallanzeige, wonach der in der Tagesstätte Brackwede untergebrachte, damals 16-jährige Reinhard K am 9. Oktober 1973 auf dem Heimweg von der Schule von einem Pkw angefahren und verletzt wurde. Bei diesem Unfall wurde auch die Brille des Schülers, die diesem wegen eines anlagebedingten Sehfehlers verschrieben worden war, zerstört. Der Beklagte übernahm die aus Anlaß des Arbeitsunfalls (Schülerunfalls) entstandenen Heilbehandlungskosten, lehnte jedoch mit Schreiben vom 24. Januar 1974 an den Vater des Schülers, Robert K, die durch Übersendung eines Kostenvoranschlags am 2. November 1973 geltend gemachten Kosten für neue Brillengläser mit der Begründung ab, daß in der Unfallversicherung § 548 Abs. 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO) über Leistungen bei Beschädigung von Körperersatzstücken auf Brillen keine Anwendung finde. Da in der Krankenversicherung (§ 182 Nr. 1 RVO) die Krankenpflege neben der ärztlichen Behandlung auch die Versorgung mit Brillen umfasse, sei die Krankenkasse leistungspflichtig. Auf eine Anfrage vom 26. Januar 1974 teilte der Beklagte dies dem Vater des Schülers mit Schreiben vom 22. März 1974 erneut mit.

Am 2. April 1974 machte die Klägerin, bei der der Vater des Schülers Mitglied ist und die die Kosten der neuangefertigten Brille in Höhe von 78,50 DM zwischenzeitlich übernommen hatte, bei dem Beklagten den Ersatz dieses verauslagten Betrages geltend und wies darauf hin, daß gegen sie lediglich Ansprüche nach § 205 RVO bestünden. Mit Schreiben vom 1. Oktober 1974 lehnte der Beklagte eine Kostenerstattung ab und legte zur Begründung ein Exemplar der "Richtlinien für den Ersatz beschädigter oder zerstörter Brillen bei Arbeitsunfällen" bei.

Mit Schriftsatz vom 9. Oktober 1974 erhob die Klägerin zum Sozialgericht (SG) Detmold Klage mit dem Antrag, die Beklagte zu verurteilen, ihr den Betrag von 78,50 DM zu erstatten. Zur Begründung trug sie vor, daß der Schulunfall des Kindes Reinhard K von dem Beklagten dem Grunde nach als Arbeitsunfall anerkannt worden sei. Für das Kind ihres Mitglieds bestünden in diesem Falle keine versicherungsrechtlichen Ansprüche gegen sie, da der Vater lediglich Familienhilfe nach § 205 RVO geltend machen könne. Dieser Anspruch sei jedoch ausgeschlossen, wenn und soweit ein eigener gesetzlicher Anspruch auf Krankenpflege gegeben sei. Um einen solchen anderweitigen Anspruch auf Krankenpflege des Kindes handele es sich bezüglich des Arbeitsunfalls auf dem Nachhauseweg von der Schule. Die Auffassung der Beklagten, in der Unfallversicherung finde § 548 Abs. 2 RVO über Leistungen bei Beschädigung von Körperersatzstücken oder größeren orthopädischen Hilfsmitteln auf Brillen keine Anwendung und die Krankenkassen hätten daher gegen die Unfallversicherungsträger keine Ansprüche auf Ersatz ihrer Aufwendungen für die Reparatur einer beschädigten Brille oder die Neuanschaffung einer zerstörten Brille, sei nicht richtig. In der Krankenversicherung gehöre die Versorgung mit Brillen zweifelsohne zu den kleineren Hilfsmitteln im Sinne des § 182 RVO. Die gleichen Leistungen würden dem Grunde nach auch für Angehörige im Rahmen der Familienhilfe nach § 205 RVO gewährt. In § 557 RVO seien zwar die Brillen nicht ausdrücklich erwähnt, dennoch werde hier vorgeschrieben, daß zur Heilbehandlung auch die Versorgung mit anderen Heilmitteln sowie die Ausstattung mit Körperersatzstücken und orthopädischen und anderen Hilfsmitteln gehöre, die erforderlich seien, um den Erfolg der Heilbehandlung zu sichern oder die Folgen der Verletzung zu erleichtern. Auch das Ziel des § 556 Abs. 1 RVO könne der Versicherungsträger niemals erreichen, wenn er sich weigere, die Kosten für eine Brille bzw. eine Brillenreparatur im Rahmen der Heilbehandlung zu übernehmen. Eine Brille könne ohne weiteres als Hilfsmittel im Sinne der Krankenversicherung angesehen werden, weil durch sie in aller Regel eine volle Sehleistung wiedererlangt werde. Der Gesetzgeber habe diese Leistung der Krankenhilfe zuordnen wollen. Das gleiche müsse sinngemäß auch für die Unfallversicherung gelten. Wenn die Unfallversicherung entgegen der krankenversicherungsrechtlichen Regelung Brillen nicht als Heilmittel gelten lassen wollte, müsse sie sie zumindest als "andere Hilfsmittel" im Sinne des § 557 Abs. 1 Nr. 2 RVO ansehen.

Die Beklagte verblieb bei ihrer Auffassung, daß die Krankenkassen gegen den Unfallversicherungsträger keine Ersatzansprüche bei Reparatur einer beschädigten oder Neubeschaffung einer zerstörten Brille hätten, wenn - wie hier - das Sehvermögen des Verletzten durch den Unfall nicht in Mitleidenschaft gezogen worden sei. Nur wenn dies der Fall gewesen wäre, würde die Beschaffung der Brille erforderlich gewesen sein, um den Erfolg der Heilbehandlung zu sichern.

Mit Urteil vom 20. März 1975 hat das SG Detmold die Klage abgewiesen mit der Begründung, der Beklagte sei - obwohl unstreitig der zuständige Versicherungsträger für die Entschädigung des Verletzten - nicht verpflichtet, auch die Kosten für die Neuanschaffung der bei dem Unfall zerstörten Brille zu tragen. Eine Brille sei kein "Heilmittel" im Sinne des § 557 Abs. 1 Nr. 3 RVO. Dies sei daraus zu schließen, daß außer den "Heilmitteln" noch andere Mittel der Therapie genannt seien, weshalb hierunter nur Mittel der "Heilbehandlung" fielen. Dagegen seien in § 557 Abs. 1 Nr. 4 RVO Körperersatzstücke, orthopädische und "andere Hilfsmittel" genannt, mit denen der Verletzte auszustatten sei. Unter "andere Hilfsmittel" falle eine Brille. Diese sei aber nur dann ein Hilfsmittel im Sinne dieser Bestimmung, wenn der Verletzte durch den Unfall einen Schaden am Auge erlitten habe, der durch die Verschreibung einer Brille gemindert oder beseitigt werde. Denn der Unfallversicherungsträger sei für die Heilbehandlung des Unfallverletzten nur soweit zuständig, als es sich um die durch den Unfall entstandenen Verletzungen handele. Hier fehle es aber an der haftungsausfüllenden Kausalität zwischen dem Unfallereignis und der Gesundheitsschädigung. Eine Brille gehöre auch nicht zu den in § 548 Abs. 2 RVO genannten Körperersatzstücken oder größeren orthopädischen Hilfsmitteln; hierunter fielen nur Sachschäden. Die von den Spitzenverbänden der Unfallversicherungsträger herausgegebenen Richtlinien hinsichtlich des Ersatzes beschädigter oder zerstörter Brillen bei Arbeitsunfällen entsprächen der Rechtslage. Für die Entscheidung sei es unbedeutend, daß die Klägerin Krankenhilfe nicht direkt einem Mitglied gegenüber zu leisten habe, sondern im Rahmen des § 205 RVO. In jedem Fall habe der Unfallversicherungsträger nur insoweit Ersatz zu leisten, wie er dem Unfallverletzten gegenüber dazu verpflichtet sei.

Gegen dieses am 11. April 1975 zugestellte Urteil hat die Klägerin mit Schriftsatz vom 5. Mai 1975 - hier eingegangen am 6. Mai 1975 - unter gleichzeitiger Vorlage der Zustimmungserklärung des Beklagten die im Urteil zugelassene Sprungrevision eingelegt. Sie rügt die Verletzung der §§ 1504, 205 RVO und der §§ 556 Abs. 1, 557 Abs. 1 Nr. 2 RVO in der bis 30. September 1974 geltenden Fassung. Zur Begründung trägt sie u. a. vor: Bei ihrem Ersatzanspruch handele es sich um zu Unrecht erbrachte Kassenleistungen infolge irrtümlicher Leistungsgewährung. Daher könne die Vorschrift des § 1504 RVO nicht herangezogen werden, weil dort der Ersatzanspruch der Krankenkassen für zu Recht gewährte Kassenleistungen geregelt sei (Kostenverteilung zwischen Krankenversicherung und Unfallversicherung bei kassenärztlicher Behandlung). Hier könnten somit nur die Grundsätze der öffentlich-rechtlichen Erstattungsansprüche herangezogen werden. Ihr Erstattungsanspruch werde damit begründet, daß ihre Leistungspflicht schon aus dem Grunde entfalle, weil für das Kind nur Ansprüche gemäß § 205 Abs. 1 RVO aus der Mitgliedschaft des Vaters bestünden. Ein Anspruch nach § 205 RVO sei aber ausgeschlossen, wenn der berechtigte Familienangehörige einen anderweitigen gesetzlichen Anspruch auf Krankenpflege habe, wie das hier der Fall sei. Der Leistungsumfang in der gesetzlichen Unfallversicherung sei in den §§ 556 bis 635 RVO aF geregelt. Das SG habe den allgemeinen Grundsatz des § 556 Abs. 1 RVO nicht berücksichtigt. Zweifellos habe Reinhard K die Brille zur Ausübung seines "Berufs als Schüler" benötigt. Ein "Heilmittel" nach § 182 Abs. 1 RVO aF sei die Brille im Sinne der Unfallversicherung sicherlich nicht. Dagegen spreche § 557 Abs. 1 Nr. 2 RVO aF davon, daß auch die Versorgung mit "anderen Hilfsmitteln" zur Heilbehandlung gehöre. Dem Grunde nach erkenne das SG an, daß Brillen hierunter fallen. Die Auffassung, daß nur dann eine Kostenübernahme durch die Beklagte in Frage komme, wenn durch den Arbeitsunfall das Auge geschädigt und dieser Schaden durch eine Brille gemindert oder beseitigt werde, könne nicht geteilt werden. Hier müsse ein Zusammenhang zwischen dem Unfallereignis und dem vor dem Unfall bestehenden Zustand gesehen werden. Es sei Aufgabe der Unfallversicherung, den vorherigen Zustand - soweit es möglich sei - wiederherzustellen. Dazu gehöre auch, daß der Unfallversicherungsträger die Kosten der Brillenreparatur trage. Die Wechselbeziehung zwischen "altem" und "neuem" Zustand habe das SG in seinem Urteil überhaupt nicht erwähnt. Der Hinweis auf § 548 Abs. 2 RVO aF sei zwar zutreffend, gebe aber keine Begründung für eine Ablehnung der Leistung durch den Unfallversicherungsträger. In der gesetzlichen Krankenversicherung gehörten die Brillen zu den Heilmitteln. Begrifflich dürften sie jedoch den Hilfsmitteln zuzuordnen sein. Selbst wenn im Unfallversicherungsrecht Brillen überhaupt nicht namentlich aufgezählt seien, seien sie doch den Hilfsmitteln nach § 557 Abs. 1 Nr. 2 RVO aF zuzuordnen. Auch die Krankenkassen übernähmen als Versicherungsleistung keine Sachschäden. Von Sachen im Sprachgebrauch seien aber die Sachleistungen zu trennen, wie Hilfsmittel, Körperersatzstücke usw. Soweit ein sächliches Mittel nach durchgeführter Behandlung notwendig sei, um die Arbeitsfähigkeit zu erhalten oder wiederherzustellen oder die Erwerbsunfähigkeit bzw. Erwerbsminderung im Sinne der Unfallversicherung zu beseitigen oder aber eine Verschlimmerung des Leidens zu verhindern, seien sowohl die Krankenkassen als auch die Unfallversicherungen zur (ganzen oder teilweisen) Kostenübernahme verpflichtet. In einem solchen Falle sei der "Sachschaden" bei der Beurteilung der Leistungspflicht dem Personenschaden gleichzustellen. Der Hinweis des Beklagten auf seine Verwaltungspraxis führe doch dazu, daß es allein im Ermessen des Unfallversicherungsträgers liege, ob z. B. bei einem Nichtkrankenversicherten die Kosten für Brillen übernommen werden. Selbst wenn man dem Unfallversicherungsträger unterstelle, daß er sich hier um eine gerechte und finanziell tragbare Lösung für den Unfallverletzten bemühe, entstünde für den Versicherten damit noch kein Rechtsanspruch auf die Leistung, obwohl ein solcher gesetzlich vorgeschrieben sei. Durch den Unfall sei der Anspruch gemäß § 205 RVO ganz ausgeschlossen. Es sei daher nicht möglich, daß die Krankenkasse insoweit noch leiste, wie ihre Leistungen über die der Unfallversicherung hinausgingen. § 205 RVO setze nämlich nicht voraus, daß der "andere" Anspruch auf Krankenpflege ebenso umfassend sei, wie nach dem 2. Buch der RVO. Berücksichtige man dieses, dann ergäbe sich eine vom Gesetzgeber zweifellos nicht gewollte Gesetzeslücke, zumal die Leistungen der Unfallversicherung nach dem Inkrafttreten des Reha-Angleichungsgesetzes zum Teil umfassender seien als in der Krankenversicherung (z. B. Maßnahmen der Berufsförderung).

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des SG Detmold vom 20. März 1975 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, ihr den Betrag von 78,50 DM zu erstatten.

Der Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend und führt aus: Brillen gehörten weder zu den Körperersatzstücken noch zu den größeren orthopädischen Hilfsmitteln im Sinne des § 557 Abs. 1 RVO, soweit es sich um den Ersatz von Brillen handele, die bei einem Unfall beschädigt worden seien. Der Unfallverletzte habe die Brille aufgrund eines anlagebedingten Leidens und nicht wegen eines bei einem Arbeitsunfall erlittenen Augenleidens getragen. Das SG habe zu Recht auf die Vorschrift des § 548 Abs. 2 RVO verwiesen. Mit dem SG sei er der Auffassung, daß in diesem Rechtsstreit der in der Unfallversicherung allgemein anerkannte Grundsatz des zweifachen ursächlichen Zusammenhangs zu gelten habe, nämlich die haftungsbegründende und die haftungsausfüllende Kausalität. Die haftungsausfüllende Kausalität, also der Zusammenhang zwischen dem Unfallereignis und der Gesundheitsstörung, sei aber hier nicht gegeben.

 

Entscheidungsgründe

Die durch Zulassung statthafte sowie form- und fristgerecht eingelegte und begründete Revision (Sprungrevision) ist zulässig (§§ 161 Abs. 1, 164, 166 Abs. 1 SGG); sie ist jedoch nicht begründet.

Der Revision ist zwar insoweit zuzustimmen, als der streitige Anspruch nicht einen Erstattungsanspruch nach § 1504 Abs. 1 RVO darstellen kann. Die Klägerin begehrt vom Beklagten den Ersatz einer von ihr erbrachten Leistung, zu der sie nach ihrer Auffassung auch im Wege der Vorleistung rechtlich nicht verpflichtet gewesen sein will, weil ein die Krankenpflege nach § 205 RVO ausschließender anderweitiger Anspruch des familienkrankenversicherten Verletzten auf Krankenpflege gegen den beklagten Unfallversicherungsträger bestanden habe, von der auch die Versorgung mit einer Brille umfaßt sei. Es handelt sich somit - da auch die Voraussetzungen der §§ 1509 und 1510 RVO nicht vorliegen - um einen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch (vgl. dazu BSG 29, 164, 165; 22, 136, 137; 16, 151; 16, 222, 225). Nach ihrer Behauptung will die Klägerin die dem Unfallverletzten gewährte Leistung irrtümlich für den Beklagten als den zur Leistung Verpflichteten erbracht haben und fordert diese angeblich ohne Rechtsgrund erbrachte Leistung im Wege der Erstattung von der Beklagten zurück.

Im Ergebnis hat jedoch das SG einen Anspruch der Klägerin gegen den Beklagten auf Ersatz der von ihr aufgewendeten Kosten für eine neue Brille des Schülers Reinhard K zu Recht verneint. Dieser hat nämlich aus Anlaß des anerkannten Arbeitsunfalles vom 9. Oktober 1973 keinen Anspruch auf eine Entschädigungsleistung wegen der durch den Unfall zerstörten Brille gegen den Beklagten. Ein solcher Anspruch ergibt sich weder aus § 548 Abs. 2 RVO - was nun auch von der Klägerin eingeräumt wird - noch aus den §§ 556 und 557 RVO in der bis ... 30. September 1974 geltenden Fassung. Die ab 1. Oktober 1974 geltenden Neufassungen dieser Vorschriften (§ 21 Nrn. 41 und 42, § 45 Abs. 1 des Gesetzes über die Angleichung der Leistungen zur Rehabilitation - Reha-AnglGes - vom 7. August 1974 - BGBl I S. 1881 -) kommen für den vorliegenden Fall nicht in Betracht, da die Voraussetzungen des § 45 Abs. 2 des Reha-AnglGes nicht gegeben sind. Im übrigen enthalten die Neufassungen keine für den vorliegenden Fall bedeutsamen Änderungen.

In der gesetzlichen Unfallversicherung werden grundsätzlich nur Körperschäden, also keine Sachschäden entschädigt. Eine Ausnahme enthält § 548 Abs. 2 RVO, der die Beschädigung eines Körperersatzstückes oder eines größeren orthopädischen Hilfsmittels dem Körperschaden gleichstellt, also die Entschädigung für solche Sachschäden vorschreibt (vgl. Lauterbach, Unfallversicherung, Stand Mai 1975, Anm. 89 zu § 548 RVO; Anm. 6 zu § 537 RVO mit weiteren Hinweisen; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, Stand März 1975, Bd. II S. 557). Brillen gehören weder zu den Körperersatzstücken noch zu den größeren orthopädischen Hilfsmitteln (Brackmann, aaO S. 562 a mit weiteren Hinweisen). Diese Auffassung ist bisher in der Rechtsprechung ersichtlich nicht infrage gestellt worden (vgl. hierzu auch Urteil des LSG NRW vom 25. April 1961 - Breithaupt 1964 S. 1041 - und die zustimmenden Bemerkungen hierzu von Podzun in WzS 1969 S. 233, 234). Auch Vollmar (SozVers 1973 S. 186) stellt in seinen beachtenswerten kritischen Ausführungen letztlich nicht in Zweifel, daß sich eine Entschädigungspflicht des Unfallversicherungsträgers bei Beschädigung oder Zerstörung einer Brille durch den Arbeitsunfall aus der eindeutigen gesetzlichen Bestimmung des § 548 Abs. 2 RVO nicht ergeben kann. Sein Hinweis, daß der gegenwärtige Rechtszustand unbefriedigend sei und eine dem Betroffenen oft nur schwer begreiflich zu machenden Lücke bestehe, kann u. U. als Anregung für den Gesetzgeber verstanden werden. Das gleiche gilt wohl auch für die ebenfalls kritischen Anmerkungen von Lohmar in BG 1953 S. 239 bis 241, der Brillen als "Körperergänzungsstücke" bewertet und diese den Körperersatzstücken gleichgestellt sehen möchte. Da die Vorschrift des § 548 Abs. 2 RVO schon von ihrem klaren Wortlaut her eine Auslegung nicht zuläßt, nach der ausdehnend auch Brillen als den Körperersatzstücken oder den größeren orthopädischen Hilfsmitteln zugehörig betrachtet werden könnten, und es andererseits durchaus dem System der gesetzlichen Unfallversicherung entspricht, daß den gesetzlichen Krankenkassen nicht alle aus Anlaß des Arbeitsunfalls entstandenen Kosten erstattet werden (vgl. § 1504 Abs. 1 RVO), und schließlich § 548 Abs. 2 RVO eine der extensiven Auslegung nicht zugängliche Ausnahmevorschrift (ausnahmsweise Erstreckung der grundsätzlich nur für Körperschäden vorgesehenen Entschädigungspflicht auf genau bezeichnete Sachschäden) darstellt, kann es - soweit es überhaupt sozialpolitisch geboten erscheint - nur dem Gesetzgeber vorbehalten sein, gegebenenfalls eine Änderung der Rechtslage herbeizuführen.

Eine Pflicht des Beklagten, die Kosten für die Reparatur der beim Unfall beschädigten Brille bzw. für die Neuanschaffung zu tragen, folgt auch nicht aus §§ 556, 557 RVO aF. Die berufsgenossenschaftliche Heilbehandlung, deren Umfang sich aus § 557 Abs. 1 RVO aF ergibt, und zu der nach Nr. 2 auch die Ausstattung mit "anderen Hilfsmitteln", also auch mit Brillen gehört, setzt gemäß § 556 Abs. 1 Nr. 1 RVO aF voraus, daß mit ihr die durch den Arbeitsunfall verursachte Körperverletzung oder Gesundheitsstörung und Minderung der Erwerbsfähigkeit beseitigt und eine Verschlimmerung der Unfallfolgen verhütet wird (ähnlich, wenn auch geringfügig im Wortlaut erweitert, die neuen ab 1. Oktober 1974 geltenden Vorschriften des § 556 Abs. 1 Nr. 1 und des § 557 Abs. 1 Nr. 4 RVO). Sie beschränkt sich also ausdrücklich auf die Behandlung und Versorgung der durch den Unfall verursachten Körperschäden. Dies bedeutet eine zweifache Abgrenzung. Zum einen kann eine über die Vorschrift des § 548 Abs. 2 RVO hinausgehende weitere Entschädigung von Sachschäden, d. h. von Schäden an anderen Hilfsmitteln, hiernach nicht erfolgen. Zum anderen erfordert die Heilbehandlung des Unfallversicherungsträgers einen durch den Arbeitsunfall verursachten Körperschaden. Hieraus folgt, daß eine gesetzliche Verpflichtung des Unfallversicherungsträgers auf Versorgung mit einer Brille nur dann gegeben ist, wenn diese wegen einer durch den Arbeitsunfall verursachten Augenverletzung oder sonstigen Beeinträchtigung des Sehvermögens erforderlich wird (haftungsausfüllende Kausalität), wie das SG zu Recht ausgeführt hat. Das gleiche gilt sinngemäß auch für die Berufshilfe nach § 556 Abs. 1 Nr. 2 RVO aF, zumal die Verordnung einer Brille wegen eines anlagebedingten Sehfehlers nicht als "Berufshilfe" im Sinne der genannten Vorschrift angesehen werden kann. Deshalb können auch hier die von der Revision vorgebrachten Erwägungen nicht Platz greifen.

Die von den Spitzenverbänden der Unfallversicherungsträger beschlossenen Richtlinien über den Ersatz beschädigter oder zerstörter Brillen bei Arbeitsunfällen (vgl. Lauterbach aaO, Anm. 7 zu § 557 RVO) stehen daher insoweit in Übereinstimmung mit der Rechtslage, als es sich um Unfälle handelt, bei denen das Auge oder das Sehvermögen des Verletzten durch den Unfall nicht in Mitleidenschaft gezogen worden ist. Nach alledem ... findet in der Unfallversicherung § 548 Abs. 2 RVO auf Brillen keine Anwendung, und die Krankenkassen haben in einem Fall der vorliegenden Art gegen die Unfallversicherungsträger keinen Anspruch auf Ersatz ihrer Aufwendungen für die Reparatur einer beschädigten oder die Neuanschaffung einer zerstörten Brille.

Da dem Verletzten bzw. dessen Vater somit gegen den zuständigen Unfallversicherungsträger hinsichtlich der Neubeschaffung der Brille kein Ersatzanspruch zusteht, ist auch die Voraussetzung eines anderweitigen "gesetzlichen Anspruchs auf Krankenpflege" im Sinne des § 205 RVO nicht gegeben, weshalb die Annahme der Revisionsklägerin, der Versicherte erhalte im vorliegenden Fall überhaupt keine Sachleistung - worin sie eine Gesetzeslücke erblicken will - nicht hinreichend begründet erscheint. Sonach ist das angefochtene Urteil des SG zu Recht ergangen; die Revision konnte daher keinen Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

BSGE, 61

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge