Leitsatz (amtlich)

Mitglieder einer Ersatzkasse, die von ihr nach Wegfall der Versicherungspflicht als nichtversicherungspflichtige Mitglieder ohne Krankengeldberechtigung weitergeführt werden, haben auch nach Beendigung der Ersatzkassenmitgliedschaft Anspruch auf Krankengeld im Rahmen des RVO § 183 Abs 2, wenn der Versicherungsfall noch während der Zeit der Versicherungspflicht eingetreten ist. Eine Satzungsbestimmung der Ersatzkasse, wonach die Ansprüche der Mitglieder mit dem Austritt erlöschen, steht dem nicht entgegen.

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Grundsatz der Einheit des Versicherungsfalles gilt auch bei Wandlung der Mitgliedschaft in freiwillige Weiterversicherung.

2. Der Eintritt der Arbeitsunfähigkeit setzt nach RVO § 183 Abs 2 S 1 eine Kette aufeinanderfolgender 3 Jahres-Zeiträume in Gang, innerhalb derer wegen derselben Krankheit jeweils bis zu 78 Wochen Krankengeld bezogen werden kann. Dies gilt auch dann, wenn die Arbeitsunfähigkeit nach Ablauf des ersten 3 Jahres-Zeitraumes ununterbrochen fortbestanden hat.

3. Die nach SGG § 75 Abs 5 zulässige Verurteilung eines beigeladenen Versicherungsträgers ist nicht nur bei der Entscheidung über einen einzigen Anspruch, sondern auch dann möglich, wenn es sich um rechtlich verschiedene Ansprüche handelt. Eine ausdrückliche Klageänderung ist hierfür nicht erforderlich. 4. Die krankenversicherungsrechtlichen Vorschriften über die Gewährung sogenannter nachgehender Ansprüche gelten auch für ehemalige Ersatzkassen-Pflichtmitglieder. 5. Ein nicht beklagter Versicherungsträger kann nach Beiladung verurteilt werden, ohne daß es einer ausdrücklichen Klageänderung bedarf.

 

Normenkette

RVO § 183 Abs. 2 S. 1 Fassung: 1961-07-12; SGG § 75 Abs. 5 Fassung: 1953-09-03; SVAufbauV 12 Art. 2 § 4 Fassung: 1935-12-24

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten werden die Urteile des Sozialgerichts Lübeck vom 13. Dezember 1968 und des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 16. Oktober 1969 aufgehoben.

Die Beigeladene wird verurteilt, der Klägerin für die Zeit vom 7. Mai 1966 bis 6. Oktober 1966 Krankengeld zu gewähren.

Die Klage gegen die Beklagte auf Zahlung von Übergangsgeld für den gleichen Zeitraum wird abgewiesen.

Die Beigeladene hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten sämtlicher Rechtszüge zu erstatten.

Die Beklagte und die Beigeladene haben einander Kosten nicht zu erstatten.

 

Gründe

I

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte der Klägerin auch noch für die Zeit vom 7. Mai bis 6. Oktober 1966 Übergangsgeld oder aber die Beigeladene ihr für den gleichen Zeitraum Krankengeld zu gewähren hat.

Die Klägerin war vom 15. Februar 1961 bis zum 30. Juni 1963 als medizinisch-technische Assistentin beschäftigt und bei der Beklagten sowie bei der Beigeladenen renten- bzw. krankenpflichtversichert. Während ihres Beschäftigungsverhältnisses erkrankte sie am 7. Mai 1963 an aktiver behandlungsbedürftiger Lungentuberkulose und war bis zum 6. Oktober 1966 durchgehend arbeitsunfähig krank. Die Beklagte gewährte der Klägerin stationäre Heilbehandlung vom 29. Mai 1963 bis 6. Oktober 1964 und außerdem Übergangsgeld vom 1. Juli 1963 bis zum 6. Oktober 1964. Die Beigeladene gewährte ihr ärztliche Behandlung und Versorgung mit Arznei bis zum 5. November 1966, außerdem Krankengeld vom 7. Oktober 1964 bis zum 6. Mai 1966 bei zwischenzeitlicher Zahlung von Wochenhilfe.

Mit Schreiben vom 5. Mai 1966 erklärte die Klägerin der Beigeladenen ihren Austritt aus der Krankenversicherung zum 6. Mai 1966, weil sie in der Krankenversicherung ihres Ehemannes bei der Allgemeinen Ortskrankenkasse in Lübeck mitversichert sei. Schließlich beantragte sie am 20. Juli 1966 bei der Beklagten, ihr für die Dauer der ambulanten Tuberkulosebehandlung und Arbeitsunfähigkeit Übergangsgeld zu gewähren. In der Annahme, die Klägerin habe nur bis zum 4. Mai 1966 Anspruch auf Krankengeld gehabt, bewilligte die Beklagte ihr Übergangsgeld für den 5. und 6. Mai 1966. Für die anschließende Zeit lehnte sie die Gewährung von Übergangsgeld mit der Begründung ab, die Klägerin habe nach § 183 Abs. 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO) seit dem 7. Mai 1966 für die nächsten drei Jahre wieder gegen die Beigeladene einen Anspruch auf Krankengeld für 78 Wochen, so daß von diesem Zeitpunkt an nach § 21 a Abs. 6 Satz 3 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) der Anspruch auf Übergangsgeld ruhe. Dabei sei unerheblich, daß die Klägerin ihr Krankenversicherungsverhältnis zum 6. Mai 1966 gekündigt habe. Die Beigeladene vertrat demgegenüber die Ansicht, nach ihren hier allein maßgeblichen Versicherungsbedingungen seien sämtliche Leistungsansprüche der Klägerin ihr gegenüber mit dem Austrittstag erloschen.

Das Sozialgericht (SG) hat den Bescheid der Beklagten aufgehoben, die Beklagte verpflichtet, der Klägerin durch einen neuen Bescheid Übergangsgeld für die Zeit vom 7. Mai 1966 bis 6. Oktober 1966 zu gewähren und die Berufung zugelassen. Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung zurückgewiesen: Die Beklagte habe der Klägerin für die Zeit vom 7. Mai bis 6. Oktober 1966 Übergangsgeld zu gewähren, da die Klägerin keinen Anspruch auf Krankengeld gegen die Beigeladene für den gleichen Zeitraum gehabt habe (§ 21 a Abs. 6 Satz 3 AVG). Maßgeblich seien insoweit nach Art. 2 § 4 Abs. 2 der 12. Aufbau-Verordnung (Aufbau-VO) idF der 15. Aufbau-VO allein die Versicherungsbedingungen der Beigeladenen, nach deren Abschnitt C Ziff. 4 Satz 1 sämtliche Ansprüche der Klägerin an die Beigeladene mit dem Tage ihres Austritts aus der Beigeladenen, also mit dem 6. Mai 1966, ein für allemal erloschen seien. Die Ausnahmebestimmung des Abschnitts C Ziff. 4 Satz 2 für versicherungspflichtige Mitglieder, wonach für diese in bestimmten Rahmen ein Anspruch auf Leistungen über das Ende der Mitgliedschaft hinaus bestehe, sei auf die Klägerin schon seit dem 1. Juli 1963 nicht mehr anwendbar gewesen, weil sie nach Erlöschen ihrer Versicherungspflicht am 30. Juni 1963 nach Abschnitt D Ziff. 1 und Ziff. 3 Buchst. c der Versicherungsbedingungen der Beigeladenen als freiwillig Weiterversicherte zu der Mitgliedergruppe N (Nichtversicherungspflichtige) und nicht mehr zu der Mitgliedergruppe V (Versicherungspflichtige) gehört habe.

Mit der zugelassenen Revision wendet sich die Beklagte gegen diese Auffassung des LSG: Nach dem Grundsatz der Einheit des Versicherungsfalles für alle aus diesem sich ergebenden Ansprüche genüge es, daß der Versicherungsfall während eines Versicherungsverhältnisses mit entsprechender Anspruchsberechtigung eingetreten sei. Auch sei beim Vorliegen dieser Grundvoraussetzung der Fortbestand der einzelnen, auf demselben Versicherungsfall beruhenden Ansprüche von der Fortdauer der Mitgliedschaft zu der Kasse unabhängig. Dieser Grundsatz gelte auch für die Ersatzkassen. Die Klägerin habe somit über den 6. Mai 1966 hinaus innerhalb eines zweiten Dreijahreszeitraumes einen Anspruch auf Krankengeld für weitere 78 Wochen, so daß der Anspruch der Klägerin auf Übergangsgeld während ambulanter Maßnahmen wegen des vorrangigen Krankengeldanspruchs gemäß § 21 a Abs. 6 Satz 3 AVG ruhe.

Die Beklagte beantragt,

das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Beigeladene beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das Urteil des LSG für zutreffend.

Die Klägerin stellt keine Anträge.

II

Die Revision der Beklagten ist zulässig und begründet.

Die Klägerin hat für die streitige Zeit vom 7. Mai bis zum 6. Oktober 1966 keinen Anspruch gegen die Beklagte auf Übergangsgeld, wohl aber einen solchen auf Krankengeld gegen die Beigeladene. Der an sich gemäß § 21 a Abs. 6 Buchst. b, 1. Alternative AVG bestehende Anspruch auf Übergangsgeld ruht gemäß § 21 a Abs. 6 Satz 3 AVG, weil die Klägerin für den gleichen Zeitraum gegen die Beigeladene einen Anspruch auf Krankengeld hat. Die Klägerin erkrankte nach den vom LSG getroffenen, von der Revision nicht angegriffenen und daher gemäß § 163 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) für den Senat bindenden Feststellungen am 7. Mai 1963 an aktiver behandlungsbedürftiger Lungentuberkulose, schied am 30. Juni 1963 aus ihrem versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis aus und war vom 7. Mai 1963 bis zum 6. Oktober 1966 durchgehend arbeitsunfähig krank.

Ob sie, wie die beigeladene ErsK meint, seit dem Ausscheiden aus der versicherungspflichtigen Beschäftigung trotz Fortdauer der Arbeitsunfähigkeit kein versicherungspflichtiges Mitglied der Beigeladenen mehr war, kann dahinstehen. Die Beigeladene hat insoweit auf Abschnitt E ihrer Versicherungsbedingungen - Sonderbestimmungen für arbeitslose Mitglieder - verwiesen; danach hätte indessen die Klägerin nach dem Ausscheiden aus ihrer Beschäftigung nur dann zu den arbeitslosen und deshalb nichtversicherungspflichtigen Mitgliedern gehören können, wenn sie sich bis zum Ablauf von 22 Tagen nach dem Ausscheiden beim Arbeitsamt als Arbeitssuchende gemeldet hätte. Ob dies zutrifft, braucht nicht festgestellt zu werden. Selbst wenn sie nämlich seit dem 1. Juli 1963 nichtversicherungspflichtiges Mitglied der Beigeladenen gewesen sein sollte, hätte sie - trotz des Austritts zum 6. Mai 1966 - für die streitige Zeit (7. Mai bis 6. Oktober 1966) Anspruch auf Krankengeld gegen die Beigeladene.

Deren Versicherungsbedingungen bestimmen zwar, daß mit dem Austritts- oder Ausschlußtag die Ansprüche der Mitglieder an die Kasse erlöschen; Einschränkungen bestehen lediglich für versicherungspflichtige Mitglieder (Abschnitt C Ziff. 4). Zur autonomen Regelung der Versicherungsverhältnisse ihrer Mitglieder ist die Beigeladene jedoch nur insoweit ermächtigt, als es sich um die "Versicherung nach dem Ausscheiden aus der Versicherungspflicht" handelt (Art. 2 § 4 Abs. 2 der 12. AufbauVO vom 24. Dezember 1935, RGBl I, 1537; vgl. BSG 25, 195, 197). Diese Ermächtigung schließt deshalb nicht die Befugnis ein, auch solche Leistungsansprüche ihrer Mitglieder selbständig zu regeln, die noch auf Versicherungsfällen beruhen, die während der Zeit der Versicherungspflicht eingetreten sind. In diesem Sinne ist auch die angeführte Bestimmung der Beigeladenen über das Erlöschen der Ansprüche bei Austritt oder Ausschluß zu verstehen. Aus ihr ist mithin nicht zu entnehmen, daß "nachgehende" Ansprüche aus einem früheren Verhältnis als versicherungspflichtiges Mitglied mit dem Ausscheiden bei der Beigeladenen erlöschen. Wenn deren Versicherungsbedingungen im übrigen für versicherungspflichtige Mitglieder ausdrücklich vorsehen, daß Leistungsansprüche nach bestimmten gesetzlichen Vorschriften (zu denen auch § 183 Abs. 2 RVO gehört, vgl. BSG 26, 243, 244) "über das Ende der Mitgliedschaft hinaus" bestehen bleiben, dann muß dies erst recht gelten, wenn die Mitgliedschaft bei der Beigeladenen nicht endet, sondern sich nur aus einer versicherungspflichtigen in eine nichtversicherungspflichtige wandelt.

Im vorliegenden Fall ist die Klägerin noch während ihrer versicherungspflichtigen Mitgliedschaft bei der Beigeladenen arbeitsunfähig erkrankt. Damit war der Versicherungsfall eingetreten, aus dem der streitige Anspruch auf Krankengeld hergeleitet wird. Dieser Anspruch ist deshalb weder durch eine etwaige Änderung im Mitgliedschaftsverhältnis der Klägerin noch durch ihren Austritt bei der Beigeladenen berührt worden (vgl. auch Urteil des Senats vom 18. November 1969, SozR Nr. 43 zu § 183 RVO).

Nach § 183 Abs. 2 Satz 1 RVO haben Versicherte Anspruch auf Krankengeld ohne zeitliche Begrenzung, für den Fall der Arbeitsunfähigkeit wegen derselben Krankheit jedoch für höchstens 78 Wochen innerhalb von je drei Jahren, gerechnet vom Tage des Beginns der Arbeitsunfähigkeit an. Der hierbei festgelegte Zeitraum "von je drei Jahren" setzt eine Kette aufeinanderfolgender Dreijahreszeiträume in Gang, innerhalb derer jeweils bis zu 78 Wochen Krankengeld bezogen werden kann (BSG 31, 125, 130). Dies gilt auch dann, wenn - wie hier vom 7. Mai 1963 bis zum 6. Oktober 1966 - die Arbeitsunfähigkeit nach Ablauf des ersten Dreijahreszeitraumes ununterbrochen fortbestanden hat (BSG 26, 243 und Urteil vom 20. März 1969 - 3 RK 34/67 - WzS 1969, 241); in diesen Fällen kommt es auf die Art der Berechnung der Frist (gleitende oder starre (Block-) Frist) nicht an, weil beide Berechnungen zum selben Ergebnis führen (BSG 30, 144, 147 f).

Nach diesen Grundsätzen hatte die Beigeladene der Klägerin mit Beginn des ab 7. Mai 1966 laufenden zweiten Dreijahreszeitraumes für wiederum 78 Wochen, d.h. auch für die Zeit vom 7. Mai 1966 bis zum 6. Oktober 1966, Krankengeld zu gewähren. Ein Anspruch der Klägerin auf Übergangsgeld gegen die Beklagte für den gleichen Zeitraum ruhte somit gemäß § 21 a Abs. 6 Satz 3 AVG. Die Urteile des SG und des LSG waren deshalb, soweit sie eine Verurteilung der Beklagten zur Zahlung von Übergangsgeld aussprechen, aufzuheben.

Der Senat war auch befugt, die nicht verklagte, aber gemäß § 75 Abs. 1 SGG beigeladene Deutsche Angestellten-Krankenkasse zur Zahlung von Krankengeld für den streitigen Zeitraum zu verurteilen, ohne daß es hierzu einer ausdrücklichen Klagänderung durch die Klägerin bedurfte. § 75 Abs. 5 SGG eröffnet den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit aus prozeßökonomischen Gründen die Möglichkeit, in Fällen, in denen der Kläger einen nicht leistungspflichtigen Versicherungsträger verklagt, den in Wirklichkeit leistungspflichtigen, aber nicht verklagten Versicherungsträger nach Beiladung zu verurteilen, um einen neuen Rechtsstreit und damit auch die Möglichkeit sich widersprechender Urteile verschieden besetzter Spruchkörper zu vermeiden. Dies gilt sowohl für Fälle, in denen nur über einen einzigen Anspruch zu entscheiden ist, wie auch für solche, in denen es sich - wie hier beim Anspruch auf Übergangsgeld und auf Krankengeld - um rechtlich verschiedene Ansprüche handelt, und in denen daher verschiedene und sich im Ergebnis widersprechende Entscheidungen möglich sind (BSG 9, 67, 69). Das Urteil gegen die leistungspflichtige, zum Verfahren beigeladene Deutsche Angestellten-Krankenkasse war aus den gleichen Gründen auch nicht von einer ausdrücklichen Änderung der Klage abhängig (s. das Urteil des erkennenden Senats vom 30. Juni 1964, SozR Nr. 26 zu § 75 SGG), das Gesetz geht vielmehr davon aus, daß die Klägerin zwar in erster Linie die Verurteilung der beklagten Bundesversicherungsanstalt für Angestellte zur Zahlung von Übergangsgeld, hilfsweise aber auch die der durch Beiladung zum Verfahren beteiligten Deutschen Angestellten-Krankenkasse zur Zahlung von Krankengeld für den gleichen Zeitraum erstrebte.

Nach allem waren die Urteile des SG und des LSG aufzuheben und die Beigeladene zur Zahlung von Krankengeld für die Zeit vom 7. Mai bis zum 6. Oktober 1966 zu verurteilen. Die Klage auf Zahlung von Übergangsgeld für den gleichen Zeitraum war dagegen abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 2 und 4 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1669484

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