Verfahrensgang

LSG Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 12.10.1995; Aktenzeichen L 7 V 62/94)

 

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 12. Oktober 1995 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

 

Tatbestand

I

Bei dem Kläger wurden ab 1. Juli 1989 Schädigungsfolgen mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 30 vH anerkannt. Er macht diesen rentenberechtigenden Grad der MdE und damit Anspruch auf Beschädigtenrente bereits ab 1. April 1986 geltend.

Das Sozialgericht hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 11. Februar 1994). Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung zurückgewiesen (Urteil vom 12. Oktober 1995). Nach der Urteilsverkündung traten am 12. Oktober 1995 um 10.15 Uhr der Kläger und sein Bevollmächtigter auf. Sie legten Ladungen auf 10.15 Uhr statt auf die angesetzte und eingehaltene Terminszeit 9.30 Uhr vor.

Mit der vom Senat zugelassenen Revision rügt der Kläger als Verfahrensfehler, daß das LSG die mündliche Verhandlung vor dem in der Ladung angegebenen Termin durchgeführt habe, ohne daß der Kläger anwesend oder durch seinen Bevollmächtigten vertreten gewesen sei. Das LSG habe außerdem die in diesem Rechtsstreit eingeholten medizinischen Sachverständigengutachten fehlerhaft dahin gewürdigt, daß die Verschlimmerung der Schädigungsfolgen erst ab 1. Juli 1989 zu einer MdE um 30 vH geführt habe.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 12. Oktober 1995 und das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 11. Februar 1994 aufzuheben und den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 16. April 1986 idF des Widerspruchsbescheides vom 21. November 1986 sowie der Bescheide vom 11. Januar 1989 und vom 24. Mai 1991 zu verurteilen, ihm eine Versorgungsrente nach einer MdE um 30 vH auch für die Zeit vom 1. April 1986 bis zum 30. Juni 1989 zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Er hält die Entscheidung des LSG in der Sache für richtig.

 

Entscheidungsgründe

II

Die Revision des Klägers ist begründet, denn dem LSG ist ein wesentlicher Verfahrensfehler unterlaufen, der zur Aufhebung des Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das LSG führen muß.

Das LSG hat die mündliche Verhandlung zu einem anderen als dem in der Ladung bestimmten Zeitpunkt in Abwesenheit des Klägers und seines Bevollmächtigten durchgeführt. Dadurch ist der Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör verletzt worden (Art 103 Abs 1 Grundgesetz, § 62 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫ iVm § 153 SGG). Darüber hinaus war der Kläger iS des § 202 SGG iVm § 551 Nr 5 Zivilprozeßordnung (ZPO) „nicht nach Vorschrift der Gesetze vertreten”.

In der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) ist anerkannt, daß über § 202 SGG die absoluten Revisionsgründe des § 551 ZPO auch im Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit gelten, weil das SGG insoweit keine Vorschriften enthält und die grundsätzlichen Unterschiede der beiden Verfahrensarten die entsprechende Anwendung des § 551 ZPO nicht ausschließen. Unter diesen absoluten Revisionsgrund fällt die Ladung auf einen falschen Termin, wenn deshalb weder der Beteiligte selbst noch sein Bevollmächtigter an der mündlichen Verhandlung teilnehmen konnte (vgl Urteil vom 28. März 1984 – 9a RV 55/83 – SozSich 1984, 289; Urteil vom 15. Oktober 1986 – 5b RJ 48/85 – SozSich 1987, 156; Urteil vom 10. Dezember 1992 – 11 RAr 81/92 – HV-Info 1993, 903; Urteil vom 28. Januar 1993 – 2 RU 45/92 – HV-Info 1993, 905; vgl auch BFHE 125, 282 und BVerwGE 66, 311).

Das angefochtene Urteil beruht auch auf dem vom LSG begangenen Verfahrensfehler. Nach § 551 ZPO ist nämlich bei einem absoluten Revisionsgrund die Entscheidung als „stets auf einer Verletzung des Gesetzes beruhend anzusehen”, dh die Ursächlichkeit der Gesetzesverletzung wird unwiderleglich vermutet, ohne daß es dazu Ausführungen in der Revisionsbegründung bedarf.

Der Senat mußte den Rechtsstreit an das LSG zurückverweisen. Beim Vorliegen eines absoluten Revisionsgrundes ist eine Sachentscheidung des Revisionsgerichts grundsätzlich ausgeschlossen. § 170 Abs 1 Satz 2 SGG gilt nicht (BSGE 63, 43, 45 = SozR 2200 § 368a Nr 21). Von diesem Grundsatz läßt die Rechtsprechung zwar Ausnahmen für den Fall zu, daß ein Erfolg der Klage unter keinem denkbaren Gesichtspunkt in Betracht kommt (BSGE 75, 74, 77 = SozR 3-2500 § 33 Nr 12; Urteil vom 6. März 1996 – 9 RVg 3/94 –, unveröffentlicht; vgl dagegen Urteil vom 22. September 1993 – 12 RK 93/92 –, BB 1994, 1014). Ein derartiger Ausnahmefall liegt hier aber nicht vor.

Das LSG wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1174931

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