Entscheidungsstichwort (Thema)

KVdR. Rahmenfrist. Vorversicherungszeit. ausländische Versicherungszeiten

 

Orientierungssatz

1. Das Merkmal "erstmalige Aufnahme einer Erwerbstätigkeit" in § 165 Abs 1 Nr 3 Buchst a RVO ist gebietsneutral zu verstehen; es umfaßt mithin jede Aufnahme einer Erwerbstätigkeit, unabhängig davon, ob sie inner- oder außerhalb des Geltungsbereichs der RVO erfolgt ist.

2. Eine Berücksichtigung ausländischer Versicherungszeiten im Rahmen des § 165 Abs 1 Nr 3 Buchst a RVO kommt nur in Betracht, soweit diese Zeiten - durch ein zwischenstaatliches Sozialversicherungsabkommen, durch überstaatliches Recht oder durch eine besondere innerstaatliche Gleichstellungsregelung - der Mitgliedschaft bei einem bundesdeutschen Träger der gesetzlichen Krankenversicherung gleichgestellt sind.

 

Normenkette

RVO § 165 Abs 1 Nr 3 Buchst a Fassung: 1977-06-27; BVFG § 90 Abs 1 Fassung: 1971-09-03

 

Verfahrensgang

Bayerisches LSG (Entscheidung vom 28.04.1982; Aktenzeichen L 4 Kr 65/81)

SG Nürnberg (Entscheidung vom 20.07.1981; Aktenzeichen S 7 Kr 88/80)

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Mitgliedschaft der Klägerin in der Krankenversicherung der Rentner (KVdR).

Die im Jahre 1920 geborene Klägerin ist Volksdeutsche aus Ungarn und lebt seit Juni 1965 im Bundesgebiet. Sie war in der Zeit vom 1. Januar 1950 bis zu ihrer Aussiedlung aus Ungarn dort über vier Jahre Mitglied der gesetzlichen Rentenversicherung. Im Bundesgebiet war sie bis zur Rentenantragstellung am 19. November 1979 (und darüber hinaus bis zum 10. Februar 1980) mehr als zwölf Jahre als Arbeitnehmerin oder Empfängerin von Arbeitslosen- oder Krankengeld Mitglied bei bundesdeutschen Krankenversicherungsträgern, zuletzt bei der Beklagten. Mit Bescheid vom 23. Januar 1980 lehnte die Beklagte den Antrag der Klägerin auf Aufnahme in die KVdR ab, weil diese die Vorversicherungszeit nach § 165 Abs 1 Nr 3 Buchst a Reichsversicherungsordnung (RVO) nicht erfüllt habe. Widerspruch (Widerspruchsbescheid vom 12. September 1980) und Klage (Urteil des Sozialgerichts -SG- Nürnberg vom 20. Juli 1981) blieben erfolglos.

Auf die Berufung der Klägerin hat das Landessozialgericht (LSG) das erstinstanzliche Urteil und die ablehnenden Bescheide der Beklagten aufgehoben und festgestellt, daß die Klägerin seit dem 11. Februar 1980 bei der Beklagten in der KVdR versichert ist. Die Halbdeckung nach § 165 Abs 1 Nr 3 Buchst a RVO sei erfüllt, weil die Klägerin seit der erstmaligen Aufnahme einer Erwerbstätigkeit im Inland am 7. Juli 1965 bis zur Rentenantragstellung überwiegend Mitglied eines Trägers der gesetzlichen Krankenversicherung gewesen sei. Es entspreche nicht dem Sinn der Neuregelung des in der KVdR pflichtversicherten Personenkreises, auch bei solchen Versicherten, die erst nach dem 1. Januar 1950 ins Bundesgebiet übergesiedelt, zuvor aber schon im Ausland erwerbstätig gewesen seien, auf die erstmalige Aufnahme einer Erwerbstätigkeit im Ausland abzustellen. Sinn dieser Neuregelung sei es vielmehr, Rentenantragsteller, die während ihres Erwerbslebens überwiegend der Solidargemeinschaft der gesetzlichen Krankenversicherung kraft Gesetzes angehört oder sich, so bald sie die Möglichkeit dazu besaßen, für die Zugehörigkeit zur Solidargemeinschaft entschieden hätten, auch nach ihrem Ausscheiden aus dem Erwerbsleben in der Solidargemeinschaft zu belassen. Der Eintritt in das Erwerbsleben sei vom Gesetzgeber nur deswegen als maßgeblich angesehen worden, weil in der Regel erstmalig zu diesem Zeitpunkt über die Zugehörigkeit einer Person zur Solidargemeinschaft der Krankenversicherung entschieden werde. Dieses Kriterium eigne sich aber wegen des Territorialitätsprinzips zur Beurteilung der Frage, ob eine Person ausreichend lange zur Solidargemeinschaft gehört oder sich, wenn sie das Recht dazu gehabt hätte, ausreichend früh für sie entschieden hätte, nur insoweit, als auf eine Erwerbstätigkeit im Inland abgestellt werde. Anderenfalls würden Personen, denen eine für sie in der Vergangenheit geltende Rechtsordnung zum Zeitpunkt der erstmaligen Aufnahme einer Erwerbstätigkeit noch gar keinen Zugang zur gesetzlichen Krankenversicherung eröffnet habe, von der KVdR ausgeschlossen werden. Für die Auffassung des LSG spreche auch die Regelung in Buchst b des § 165 Abs 1 Nr 3 RVO, denn es sei nicht anzunehmen, daß der Gesetzgeber Vertriebene, die sich länger als zehn Jahre in der Bundesrepublik aufhielten, auch für den Fall von der KVdR habe ausschließen wollen, daß sie hier überwiegend der gesetzlichen Krankenversicherung angehört hätten.

Hiergegen wendet sich die Beklagte mit der vom LSG zugelassenen Revision. Ihrer Auffassung nach kann bei der Ermittlung der Halbbelegung gemäß § 165 Abs 1 Nr 3 Buchst a RVO nicht auf die erstmalige Aufnahme einer Erwerbstätigkeit im Inland abgestellt werden. Einen derartigen Schluß lasse vor allem das vom LSG angezogene Territorialitätsprinzip nicht zu. Auch der Wortlaut des § 165 Abs 1 Nr 3 Buchst a RVO lasse eine Begrenzung auf die im Inland ausgeübten Erwerbstätigkeiten nicht erkennen. Die Auslegung des LSG führe außerdem dazu, Personen, die erstmals im Ausland eine Erwerbstätigkeit aufgenommen hätten, gegenüber denjenigen besser zu stellen, die während ihres gesamten Erwerbslebens im Inland tätig gewesen seien. Das LSG habe auch zu Unrecht darauf abgestellt, wann erstmals eine Möglichkeit zum Erwerb der Mitgliedschaft in der gesetzlichen Krankenversicherung bestanden habe. Dies sei schon deshalb kein entscheidungserhebliches Kriterium, weil es auch im Inland Erwerbstätige gebe, die nicht Mitglied der gesetzlichen Krankenversicherung werden könnten.

Die Beklagte beantragt, das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 28. April 1982 aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 20. Juli 1981 zurückzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Revision der Beklagten zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Beklagten ist unbegründet. Das LSG hat im Ergebnis zu Recht entschieden, daß die Klägerin, nachdem sie die Voraussetzungen für den Bezug einer Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung erfüllt und einen Rentenantrag gestellt hat, nach Wegfall einer anderweitigen Versicherungspflicht (10. Februar 1980) mit dem 11. Februar 1980 gemäß § 165 Abs 1 Nr 3 Buchst a RVO Pflichtmitglied der KVdR geworden ist.

Nach § 165 Abs 1 Nr 3 RVO idF des KVKG, die seit dem 1. Juli 1977 gilt, sind kraft Gesetzes krankenversichert: Personen, welche die Voraussetzungen für den Bezug einer Rente aus der Rentenversicherung der Arbeiter oder der Rentenversicherung der Angestellten erfüllen und diese Rente beantragt haben, wenn a) sie oder die Person, aus deren Versicherung sie ihren Rentenanspruch ableiten, seit der erstmaligen Aufnahme einer Erwerbstätigkeit, jedoch frühestens seit dem 1.Januar 1950 bis zur Stellung des Rentenantrages mindestens die Hälfte der Zeit Mitglied eines Trägers der gesetzlichen Krankenversicherung waren oder mit einem Mitglied verheiratet und nicht mehr als nur geringfügig beschäftigt oder geringfügig selbständig tätig waren oder b) sie oder die Person, aus deren Versicherung sie ihren Rentenanspruch ableiten, zu den in § 1 oder § 17 Abs 1 des Fremdrentengesetzes Genannten gehören und ihren Wohnsitz innerhalb der letzten zehn Jahre vor der Rentenantragstellung in den Geltungsbereich dieses Gesetzes verlegt haben.

Die Klägerin gehört als volksdeutsche Aussiedlerin, die als Vertriebene anerkannt ist, zum Personenkreis des § 1 des Fremdrentengesetzes (FRG), dennoch ist auf sie die Regelung in Buchst b des § 165 Abs 1 Nr 3 RVO nicht anwendbar, weil sie nicht innerhalb der letzten zehn Jahre vor der Rentenantragstellung ihren Wohnsitz ins Bundesgebiet verlegt hat. Die Klägerin erfüllt jedoch die in Buchst a genannten Voraussetzungen, da die von ihr in Ungarn zurückgelegten Versicherungszeiten bei der Ermittlung der Halbbelegung zu berücksichtigen sind.

Die Erfüllung der in Buchst a des § 165 Abs 1 Nr 3 RVO geforderten Halbbelegung hängt in Fällen, in denen der Versicherte sein Erwerbsleben nicht im Geltungsbereich der RVO begonnen hat, vor allem davon ab, ob für den Beginn der Rahmenfrist erst die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit im Bundesgebiet oder schon eine zuvor im Ausland bzw in der DDR begonnene Tätigkeit maßgebend ist. Bei einer nur auf den Geltungsbereich der RVO abstellenden (gebietsbezogenen) Auslegung des Merkmals "erstmalige Aufnahme einer Erwerbstätigkeit", wie sie das LSG vertreten hat, würde die Klägerin mit den von ihr im Bundesgebiet zurückgelegten Versicherungszeiten die Halbbelegung erfüllen. In Übereinstimmung mit der Beklagten ist das genannte Merkmal jedoch gebietsneutral zu verstehen; es umfaßt mithin jede Aufnahme einer Erwerbstätigkeit, unabhängig davon, ob sie inner- oder außerhalb des Geltungsbereichs der RVO erfolgt ist (so auch: Hessisches LSG, Urteil vom 17. Februar 1982, L 8 Kr 1331/81, und LSG für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 9. Juni 1983, L 16 Kr 77/82; Kierstein/ Krückel, Die Krankenversicherung der Rentner, 1982, § 165 Anm 3.4.1.2.; Laufer/Eibs/Ott, Krankenversicherung der Rentner, 1982, § 165 Anm 3.1.; Hungenberg/Steffens, Krankenversicherung der Rentner, 3. Aufl 1983, S 31; anders: LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 8. November 1979, L 5 K 15/79, KVRS A-1500/1).

Diese Auslegung des § 165 Abs 1 Nr 3 RVO wird schon durch den Gesetzeswortlaut nahegelegt, der die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit nicht auf das Inland beschränkt. Der Begriff "Erwerbstätigkeit" ist im übrigen kein spezifisch sozialversicherungsrechtlicher; er findet sich auch in anderen Regelungen (zB §§ 1356 Abs 2, 1574 BGB) und ist dort nicht auf innerstaatliche Tatbestände festgelegt. Auch im allgemeinen Sprachgebrauch umschließt er jede sowohl im Inland wie im Ausland ausgeübte und Erwerbszwecken dienende Tätigkeit. Für eine gebietsneutrale Auslegung sprechen schließlich entscheidend die Entstehungsgeschichte und der Zweck des § 165 Abs 1 Nr 3 RVO.

Bei der Neufassung dieser Vorschrift durch das KVKG war zunächst eine feste Vorversicherungszeit von 20 Jahren - mit Ausnahmen für Frührentner und Umsiedler - vorgesehen gewesen (BT-Drucks 8/166, S 4 und S 24). Auf Anregung des Bundesrates (BT-Drucks 8/173, S 2, und 8/338, S 5f und 60) wurde dann das Halbbelegungserfordernis eingeführt, das im späteren Gesetzgebungsverfahren lediglich insofern ergänzt wurde, als die Rahmenfrist für die Halbbelegung "aus verwaltungs- und beweistechnischen Gründen" frühestens am 1. Januar 1950 beginnt (BT-Drucks 8/338, S 60). Der Bundesrat hatte allerdings mit seiner Anregung ursprünglich nur einen weiteren Tatbestand für die Begründung der Versicherungspflicht in der KVdR - neben der im Gesetzentwurf der Bundesregierung vorgeschlagenen zwanzigjährigen Vorversicherungszeit - schaffen wollen, um den nach dem Regierungsentwurf zu erwartenden zahlreichen Härtefällen zu begegnen. Bei den Ausschußberatungen ist dann jedoch die Forderung nach einer zwanzigjährigen Vorversicherungszeit gänzlich fallengelassen worden.

Das somit allein maßgebend gebliebene Halbbelegungserfordernis ist nach Ansicht des Bundesrates dahin zu verstehen, daß "der Betreffende oder seine Bezugsperson mindestens die Hälfte seines (ihres) Erwerbslebens bei einem Träger der gesetzlichen Krankenversicherung versichert war" (BT-Drucks 8/173 aa0). Welche Erwägungen dabei den Gesetzgeber bestimmt haben, nur noch Rentner mit einer (zunächst fest, später variabel ausgestalteten) Vorversicherungszeit in die KVdR aufzunehmen, ergibt sich aus dem Gesetzesentwurf der Bundesregierung; diese hatte nämlich ihren Entwurf vor allem damit begründet, daß nur die genannten Personen "eine angemessene Zeit in der gesetzlichen Krankenversicherung versichert und damit am Solidarausgleich für die Krankenversicherung der Rentner ausreichend beteiligt waren"; es sei nicht vertretbar, auch solche Personen zu versichern, "die als Erwerbstätige nicht am Solidarausgleich teilgenommen" hätten (BT-Drucks 8/166, S 24).

Auszugehen ist hiernach bei der Auslegung des § 165 Abs 1 Nr 3 Buchst a RVO von der Absicht des Gesetzgebers, in die KVdR nur Rentner einzubeziehen, die während mindestens der "Hälfte ihres Erwerbslebens" Mitglied eines Trägers der gesetzlichen Krankenversicherung waren, wobei die Art der Versicherung - Pflicht- oder freiwillige Versicherung - unerheblich ist. Daß der Gesetzgeber sich entgegen der zunächst vorgesehen gewesenen zwanzigjährigen Vorversicherungszeit allgemein mit einer Halbbelegung begnügt hat, andererseits jedoch - im Unterschied etwa zu der für Ausfallzeiten in der Rentenversicherung vorgesehenen Halbbelegung (§ 1259 Abs 3 RVO) - einen Abzug bestimmter Zeiten von der Rahmenfrist nicht zugelassen hat (vgl § 1259 Abs 3 Satz 2 RVO), zwingt zu dem Schluß, daß die Rahmenfrist des § 165 Abs 1 Nr 3 Buchst a RVO in jedem Fall das gesamte "Erwerbsleben" (BT-Drucks 8/173 aa0) umfaßt, soweit es nach dem 31. Dezember 1949 liegt. Bei der Ermittlung der Rahmenfrist dürfen deshalb auch solche Zeiten nicht ausgeklammert werden, in denen der Rentner, wie in der Regel bei einer Erwerbstätigkeit im Ausland, keine Möglichkeit hatte, der deutschen gesetzlichen Krankenversicherung anzugehören, oder in denen er diese Möglichkeit zwar hatte, von ihr aber - aus vielleicht verständlichen Gründen - keinen Gebrauch gemacht hat. Andernfalls müßte nicht nur eine im Ausland ausgeübte Erwerbstätigkeit unberücksichtigt bleiben; es müßten vielmehr auch diejenigen gesondert behandelt werden, denen bei einer Erwerbstätigkeit im Inland der Zugang zur gesetzlichen Krankenversicherung verwehrt war. Dem Grund für die Nichtzugehörigkeit zur gesetzlichen Krankenversicherung und damit für die Nichterfüllung der Solidarpflicht soll aber nach dem erkennbaren Willen des Gesetzgebers grundsätzlich keine Bedeutung zukommen; er spielt nur in den Fällen eine Rolle, die von der Regelung in Buchst b des § 165 Abs 1 Nr 3 RVO erfaßt werden. Die objektive - rechtliche oder tatsächliche - Unmöglichkeit, während eines Aufenthalts im Ausland Beiträge zur deutschen Krankenversicherung zu entrichten und dadurch einen Solidarbeitrag zur deutschen Krankenversicherung zu leisten, rechtfertigt mithin keine Abkürzung der gesetzlichen Rahmenfrist und der nach ihr zu berechnenden Halbbelegungszeit. Die betreffenden Rentner dürfen nicht besser behandelt werden als Rentner, die stets im Bundesgebiet erwerbstätig waren, wegen der Art ihrer Tätigkeit (zB als Selbständige oder Beamte) jedoch keine Möglichkeit hatten, sich in der gesetzlichen Krankenversicherung zu versichern. Härtefälle werden insoweit allein dadurch ausgeglichen, daß nur die Hälfte des Erwerbslebens mit Versicherungszeiten belegt zu sein braucht.

Eine nur auf das Bundesgebiet bezogene Auslegung des Merkmals "erstmalige Aufnahme einer Erwerbstätigkeit" folgt auch nicht aus dem Territorialitätsprinzip der deutschen Sozialversicherung. Dieses in der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) seit jeher anerkannte Prinzip (vgl BSGE 7, 257, 263; 17, 173, 177; 27, 129, 132; 30, 244, 246; 32, 174, 175; 43, 255, 257ff und SozR Nr 64 zu § 165 RVO) besagt, daß die Durchsetzbarkeit von sozialversicherungsrechtlichen Normen ihre Schranke grundsätzlich an den Grenzen der inländischen Staatsgewalt findet. Nicht ausgeschlossen wird dadurch, daß das deutsche Recht an Sachverhalte anknüpft, die im Ausland verwirklicht worden sind. Maßgebend ist insoweit der Inhalt und vor allem der Zweck der jeweiligen Sachnorm (BSGE 33, 280, 283f). Die territoriale Tragweite sozialrechtlicher Vorschriften ist demgemäß in den vom BSG entschiedenen Fällen nicht einheitlich bestimmt worden (vgl vor allem BSGE 17, 110, 113; 25, 295, 296f; 31, 288, 289f; 34, 76, 78; 36, 209, 216; 43, 255, 257ff; SozR 2200 § 200a Nr 2 und § 1248 Nr 35 sowie SozR 5750 Art 2 § 51a Nr 7). Auch für die Auslegung des § 165 Abs 1 Nr 3 RVO idF des KVKG ist deshalb, soweit das Territorialitätsprinzip berührt wird, vor allem der Zweck der Vorschrift zu berücksichtigen. Daß dieser aber eine gebietsneutrale Auslegung des Begriffs "Aufnahme einer Erwerbstätigkeit" nahelegt, wurde bereits ausgeführt.

§ 3 des Sozialgesetzbuchs - Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung (SGB IV) - steht der vom Senat vertretenen Auffassung nicht entgegen. Diese Vorschrift macht - im Sinne des Territorialitätsprinzips - den Eintritt der deutschen Versicherungspflicht ua davon abhängig, daß die Beschäftigung bzw selbständige Tätigkeit "im Geltungsbereich dieses Gesetzbuchs" ausgeübt wird. Da § 165 Abs 1 Nr 3 Buchst a RVO die Frage der Versicherungspflicht nicht mit der "Aufnahme einer Erwerbstätigkeit" verknüpft, der Zeitpunkt der "Aufnahme einer Erwerbstätigkeit" vielmehr lediglich den Beginn der Rahmenfrist in § 165 Abs 1 Nr 3 Buchst a RVO bestimmt, betrifft § 3 SGB IV die vorliegende Problematik nicht.

Für die Erfüllung der Halbbelegung können nach § 165 Abs 1 Nr 3 Buchst a RVO nur Vorversicherungszeiten bei einem "Träger der gesetzlichen Krankenversicherung" angerechnet werden. Zu diesen gehören nach § 12 iVm § 21 Abs 2 des Sozialgesetzbuchs - Allgemeiner Teil (SGB I) - nur die auf dem Gebiet der Bundesrepublik und West-Berlins befindlichen Einrichtungen der gesetzlichen Krankenversicherung. Eine generelle Einbeziehung ausländischer Vorversicherungszeiten widerspräche zudem dem Zweck, den der Gesetzgeber mit der Neuregelung des in der KVdR pflichtversicherten Personenkreises und der Forderung nach vorangegangener Teilnahme des Rentners am "intertemporalen Solidarausgleich" verfolgt (vgl hierzu Isensee, Umverteilung durch Sozialversicherungsbeiträge, S 18). Diesem Zweck wird grundsätzlich nur die Mitgliedschaft bei einem innerstaatlichen Krankenversicherungsträger gerecht; denn nur über eine solche Mitgliedschaft kann der Rentner während einer ausreichend langen Zeit seines Erwerbslebens die Defizite der Rentnerkrankenversicherung durch eigene Beitragszahlung mitfinanziert haben (zur Mitbelastung der "aktiven" Krankenkassenmitglieder mit den Defiziten der KVdR das Urteil des erkennenden Senats vom 16. Februar 1983, 12 RK 79/80).

Eine Berücksichtigung ausländischer Versicherungszeiten im Rahmen des § 165 Abs 1 Nr 3 Buchst a RVO kommt hiernach nur in Betracht, soweit diese Zeiten - durch ein zwischenstaatliches Sozialversicherungsabkommen, durch überstaatliches Recht oder durch eine besondere innerstaatliche Gleichstellungsregelung - der Mitgliedschaft bei einem bundesdeutschen Träger der gesetzlichen Krankenversicherung gleichgestellt sind. Eine solche Gleichstellung findet sich für Arbeitnehmer mit ausländischen Versicherungszeiten in einer Reihe von Sozialversicherungsabkommen. Ausländische Versicherungszeiten von Angehörigen der EG-Staaten sind ferner aufgrund der Ergänzung der EWG-VO 1408/71 (Anhang VI, Abschn C-Deutschland, Ziff 13) allgemein deutschen Versicherungszeiten gleichgestellt. Diese zum größten Teil erst nach dem 1. Juli 1977 getroffenen Regelungen zeigen, daß auch der Gesetzgeber davon ausgeht, daß ausländische Versicherungszeiten ohne eine ausdrückliche Gleichstellungsregelung nicht anrechenbar sind, daß andererseits aber auch die Rahmenfrist für die Halbbelegung nicht erst mit der Aufnahme einer Erwerbstätigkeit im Geltungsbereich der RVO beginnen kann. Anderenfalls wären nämlich die (ausdrücklich auf die für die KVdR erforderliche Vorversicherung abstellenden) Gleichstellungsregelungen in zwischenstaatlichen Vereinbarungen weitgehend überflüssig, zumindest in bezug auf den von den Abkommen hauptsächlich betroffenen Personenkreis der früher im Ausland und danach in der Bundesrepublik tätig gewesenen ausländischen Arbeitnehmer.

Die von Vertriebenen und "Sowjetzonenflüchtlingen" (§ 3 des Bundesvertriebenengesetzes -BVFG- idF vom 3. September 1971, BGBl I 1566) in ihren Herkunftsländern zurückgelegten Krankenversicherungszeiten werden durch § 90 Abs 1 BVFG den Versicherungszeiten im Geltungsbereich der RVO gleichgestellt. § 90 Abs 1 BVFG enthält nicht nur einen Auftrag an den Gesetzgeber, die Gleichstellung der genannten Personengruppen durch ein Bundesgesetz iS des § 90 Abs 3 BVFG zu regeln, wie dies vor allem durch das Fremdrenten- und Auslandsrenten-Neuregelungsgesetz vom 25. Februar 1960 (BGBl I S 93) geschehen ist. § 90 Abs 1 BVFG ist vielmehr auch unmittelbar anzuwenden, wenn und soweit eine spezialgesetzliche Gleichstellungsvorschrift für den vom BVFG erfaßten Personenkreis fehlt (vgl BSGE 4, 102, 104, für die Arbeitslosenversicherung; 39, 162, 165, zu Vorversicherungszeiten beim Mutterschaftsgeld nach § 200a RVO).

Eine Gleichstellung von Vertriebenen und "Sowjetzonenflüchtlingen" über § 90 Abs 1 BVFG scheitert hier auch nicht an der Regelung in § 165 Abs 1 Nr 3 Buchst b RVO, obwohl beide Vorschriften im wesentlichen den gleichen Personenkreis (Vertriebene und ehemalige Bewohner der DDR) betreffen und ein Rückgriff auf die allgemeine Gleichstellungsvorschrift in § 90 Abs 1 BVFG grundsätzlich ausgeschlossen ist, sobald eine "nähere Regelung" iS des § 90 Abs 3 BVG vorliegt. § 165 Abs 1 Nr 3 Buchst b RVO stellt jedoch keine nähere Regelung iS des § 90 Abs 3 BVFG dar; denn er geht bei den von ihm erfaßten Personen (denjenigen, die erst in den letzten zehn Jahren vor der Rentenantragstellung ihren Wohnsitz in den Geltungsbereich der RVO verlegt haben) über eine Gleichstellung der von ihnen im Ausland bzw der DDR zurückgelegten Versicherungszeiten weit hinaus, indem er diese Personen ganz von dem Erfordernis einer Vorversicherung befreit, weil von ihnen wegen ihres noch relativ kurzen Aufenthalts im Geltungsbereich der RVO nicht erwartet werden kann, daß sie schon in ausreichendem Umfang zum intertemporalen Solidarausgleich beigetragen haben. Soweit diese Sondervorschrift nicht eingreift, bleibt mithin die Grundvorschrift in § 90 Abs 1 BVFG anwendbar.

Nach den Feststellungen des LSG war die Klägerin, die, wie bereits ausgeführt, nicht zu dem in § 165 Abs 1 Nr 3 Buchst b RVO genannten Personenkreis gehört (sie hatte bei Beantragung der Rente am 19. November 1979 schon länger als zehn Jahre Ungarn verlassen), in der Zeit nach dem 1. Januar 1950 bis zu ihrer Aussiedlung insgesamt über vier Jahre in Ungarn Mitglied der gesetzlichen Rentenversicherung. Hieraus folgt aufgrund des ungarischen Sozialversicherungsrechts, daß sie zu dieser Zeit auch Pflichtmitglied der Krankenversicherung war, denn der personale Geltungsbereich der ungarischen Rentenversicherung erstreckt sich auf alle in einem Arbeitsverhältnis stehenden Werktätigen, die im Rahmen der staatlichen Sozialversicherung krankenversichert sind (Verordnung mit Gesetzeskraft Nr 30/1951 des Präsidialrates der Volksrepublik Ungarn über die einheitliche Sozialversicherungsrente der Werktätigen vom 11. November 1951; ebenso die Verordnungen mit Gesetzeskraft Nr 28/1954, 40/1958 und 67/1958). Im Bundesgebiet hat die Klägerin bis zur Rentenantragstellung insgesamt eine Versicherungszeit von über zwölf Jahren zurückgelegt. Die für sie maßgebende Rahmenfrist vom 1. Januar 1950 bis zum 19. November 1979 ist danach mit einer Mitgliedschaftszeit von mehr als sechszehn Jahren belegt. Die Klägerin hat sonst die nach § 165 Abs 1 Nr 3 Buchst a RVO erforderliche Vorversicherungszeit erfüllt.

Die nach alledem im Ergebnis unbegründete Revision der Beklagten mußte zurückgewiesen werden.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1659427

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