Entscheidungsstichwort (Thema)

Übergangsleistung bei Hauterkrankung

 

Orientierungssatz

Kann der Versicherte seine Tätigkeit als Kraftfahrer bei möglicher Meidung der schädlichen Stoffe - ggf an einem anderen Arbeitsplatz oder in einem anderen Unternehmen - weiter ausüben, ohne daß ein Anhalt für dadurch bedingte wirtschaftliche Nachteile ersichtlich ist, liegen die Voraussetzungen für die Gewährung einer Übergangsleistung nicht vor.

 

Normenkette

BKVO 7 § 3 Abs. 2 S. 1 Fassung: 1968-06-20

 

Verfahrensgang

Schleswig-Holsteinisches LSG (Entscheidung vom 29.05.1975; Aktenzeichen L 4 U 82/74)

SG Lübeck (Entscheidung vom 27.09.1974; Aktenzeichen S 1 U 191/73)

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 29. Mai 1975 im Kostenpunkt sowie insoweit aufgehoben, als die Beklagte zur Erteilung eines Bescheides über die Gewährung einer Übergangsleistung verurteilt worden ist. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Lübeck vom 27. September 1974 wird in vollem Umfang zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Verfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Im Revisionsverfahren ist nur noch streitig, ob die Beklagte dem Kläger eine Übergangsleistung nach § 3 Abs 2 der 7. Berufskrankheitenverordnung (BKVO) zu gewähren hat.

Der 1947 geborene Kläger war bis 1970 in seinem erlernten Beruf als Tankwart beschäftigt. Im Dezember 1970 nahm er eine Tätigkeit als Kraftfahrer bei einer Milchzentrale auf. Als Milchtanksammelwagenfahrer mußte er etwa zwei Stunden täglich die Milchtanks mit Reinigungsmitteln säubern. Im November 1972 begab er sich wegen eines an beiden Händen aufgetretenen Ekzems in ärztliche Behandlung. Auf ärztlichen Rat gab er im März 1973 seine Tätigkeit bei der Milchzentrale auf und ließ sich auf den polizeilichen Bürodienst umschulen. Er ist jetzt Polizeibeamter auf Lebenszeit.

In der ärztlichen Anzeige über eine Berufskrankheit (BK) vom 29. Januar 1973 bezeichnete der Hautarzt Dr. M die Krankheit des Klägers als chronisch tylotisches Handekzem beiderseits und wies darauf hin, daß sich bei einem Epicutantest im November 1972 bei acht Positionen kein positiver Befund, jedoch eine toxische Reaktion auf Kalilauge ergeben habe; bei einem Nachtest seien positive Reaktionen auf Milch und P 3, angedeutet auch auf Reinigungslauge, festgestellt worden. Bei einer Untersuchung des Klägers im Juli/August 1973 auf Veranlassung des Landesgewerbearztes fand der Hautarzt Dr. S-I keine äußeren Krankheitserscheinungen mehr. Hauttestuntersuchungen mit häufig vorkommenden beruflichen Kontaktnoxen, einem Reinigungsmittel und mit Milch ergaben keine Hinweise für eine Kontakt-Allergie. Wahrscheinlich handele es sich, so führte Dr. S-I aus, um Veränderungen im Sinne eines toxisch-degenerativen Ekzems oder Empfindlichkeitsekzems infolge Umgangs mit hautschädigenden Stoffen (P 3, Waschlaugen ua); ein beruflicher Zusammenhang sei wahrscheinlich.

Eine entschädigungspflichtige BK sei seines Erachtens nicht gegeben, so daß auch eine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) nicht festzustellen sei. Die Anwendung des § 3 der 7. BKVO hielt er für gerechtfertigt. Der Landesgewerbearzt schloß sich dieser ärztlichen Beurteilung an: Eine entschädigungspflichtige BK im Sinne der Nr 46 der Anl zur 7. BKVO liege nicht vor. Um jedoch dem Entstehen einer echten BK vorzubeugen, erscheine auch vom gewerbeärztlichen Standpunkt aus die Aufgabe der früheren Tätigkeit gerechtfertigt. Wieweit der gegenwärtige Minderverdienst auszugleichen sei (§ 3 der 7. BKVO), unterliege nicht seiner Beurteilung. Weitere Maßnahmen seien nicht erforderlich, da die Hauterkrankung abgeheilt sei.

Durch Bescheid vom 26. Oktober 1973 lehnte die Beklagte eine Entschädigung ab, da eine BK nicht vorliege. Der Kläger könne jede Tätigkeit - auch die eines Kraftfahrers - ausüben, bei der er nicht mit den schädigenden Stoffen (Reinigungsmittel wie P 3, Waschlaugen ua) in Berührung komme. Der Kontakt mit solchen Stoffen lasse sich vermeiden.

Die gegen diesen Bescheid erhobene Klage hat das Sozialgericht (SG) Lübeck am 27. September 1974 abgewiesen: Die Tätigkeit eines Kraftfahrers sei keine berufliche Beschäftigung im Sinne der Nr 46 der Anl zur 7. BKVO, so daß die Aufgabe dieser Tätigkeit einen Rentenanspruch nicht begründe. Zur Aufgabe jeder Erwerbsarbeit sei der Kläger nicht gezwungen. Darüber hinaus sei der Kläger nicht um wenigstens ein Fünftel in seiner Erwerbsfähigkeit gemindert. Das Landessozialgericht (LSG) hat das angefochtene Urteil sowie den Bescheid der Beklagten geändert und die Beklagte verurteilt, dem Kläger Übergangsleistungen nach § 3 der 7. BKVO zu gewähren; im übrigen hat es die Klage abgewiesen (Urteil vom 29. Mai 1975). Zur Begründung hat es ausgeführt: Die Berufung des Klägers sei nicht begründet, soweit sie auf die Gewährung einer Verletztenrente gerichtet sei. Durch das bei ihm vorhanden gewesene Empfindlichkeitsekzem sei der Kläger nicht gezwungen worden, jede Erwerbsarbeit aufzugeben. Die Aufgabe der gefährdenden Tätigkeit als Milchtanksammelwagenfahrer, bei der es sich um die ungelernte Tätigkeit eines Kraftfahrers handele, sei nicht als Aufgabe der beruflichen Beschäftigung im Sinne der Nr 46 der Anl zur 7. BKVO anzusehen. Eine entschädigungspflichtige BK liege deshalb nicht vor. Die Beklagte habe es jedoch zu Unrecht abgelehnt, dem Kläger eine Übergangsleistung nach § 3 der 7. BKVO zu gewähren. Bei dem Kläger habe die Gefahr der Entstehung einer BK gedroht. Bei einer längeren Fortsetzung seiner Tätigkeit als Milchtanksammelwagenfahrer wäre der Kläger gezwungen gewesen, jede Erwerbsarbeit aufzugeben. Denn das Empfindlichkeitsekzem hätte bei einer Fortsetzung der gefährdenden Tätigkeit einen progredienten Charakter gehabt. Dies ergebe sich aus den Bekundungen des ärztlichen Sachverständigen Prof. Dr. I, nach denen eine mehrjährige Fortsetzung der damaligen Tätigkeit des Klägers zu einem chronischen Empfindlichkeitsekzem geführt hätte. Auch ein solches Ekzem müsse zwar nicht irreparabel sein, könne vielmehr nach längerer Zeit auch zur Besserung und Abheilung führen. Art und Umfang des beim Kläger bereits vorhanden gewesenen Ekzems hätten jedoch zwangsläufig dazu geführt, daß der Kläger bei der Entstehung eines chronischen Empfindlichkeitsekzems auch an der Verrichtung leichter Arbeit - zB Büroarbeit - gehindert gewesen wäre. Deshalb habe auch der Landesgewerbearzt die Aufgabe der Tätigkeit als Milchtanksammelwagenfahrer als gerechtfertigt angesehen, um das Entstehen einer "echten BK" zu verhindern. Der Kläger habe auf ärztlichen Rat wegen der Gefahr der Verschlimmerung seines Empfindlichkeitsekzems die Tätigkeit als Milchtanksammelwagenfahrer aufgegeben. Da zu diesem Tätigkeitsbereich die Reinigung der Milchtanks gehörte, habe keine andere Möglichkeit bestanden, die Gefahr einer weiteren Verschlimmerung zu beseitigen. Der Kläger habe daher einen Anspruch auf Übergangsleistungen, weil er nach seinen glaubhaften Angaben während der Umschulungszeit eine Verdienstminderung habe hinnehmen müssen.

Das LSG hat die Revision zugelassen.

Dieses Rechtsmittel hat nur die Beklagte eingelegt. Sie rügt: Das LSG sei unter Verletzung des § 128 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zu der Feststellung gelangt, bei mehrjähriger Fortsetzung der damaligen Tätigkeit des Klägers wäre ein chronisches Empfindlichkeitsekzem entstanden, das zur Aufgabe jeder Erwerbsarbeit gezwungen hätte. Es gebe keine gesicherte Erkenntnis, daß ein chronisches Empfindlichkeitsekzem irreparabel sei; ein hierdurch bedingter Zwang zur Aufgabe jeder Erwerbsarbeit sei nicht wahrscheinlich, liege vielmehr allenfalls im Bereich des Möglichen. Bei seiner Feststellung, der Kläger habe während der Umschulungszeit eine Verdienstminderung hinnehmen müssen, habe das LSG übersehen, daß eine Minderung des Nettoeinkommens durch geldwerte Vorteile (ua durch freie Unterkunft, Verpflegung und Kleidung für den kasernierten Polizeianwärter) aufgewogen worden sei. Eine Zurückverweisung erübrige sich jedoch, weil dem Inhalt der Entscheidungsgründe zu entnehmen sei, daß auch das LSG aus der drohenden Gefahr eines chronischen Empfindlichkeitsekzems nicht auf die Gefahr der Aufgabe jeglicher Erwerbstätigkeit, sondern nur auf die Gefahr der Aufgabe der beruflichen Beschäftigung geschlossen habe. Insoweit sei aber das LSG zu Unrecht von der Tätigkeit des Milchtanksammelwagenfahrers als einer beruflichen Beschäftigung im Sinne der Nr 46 der Anl zur 7. BKVO ausgegangen. Berufliche Beschäftigung des Klägers im Sinne dieser Bestimmung sei vielmehr die Tätigkeit als Kraftfahrer gewesen, die er, wenn auch an einem anderen Arbeitsplatz, weiterhin hätte ausüben können.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG in vollem Umfang zurückzuweisen,

hilfsweise,

die Sache an das LSG zurückzuverweisen.

Der Kläger hat keinen Antrag gestellt.

 

Entscheidungsgründe

Der Senat hat mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden (§ 124 Abs 2 SGG).

Die Revision der Beklagten ist begründet.

Da der Kläger das Berufungsurteil mit der Revision nicht angefochten hat, ist im Revisionsverfahren nur noch darüber zu entscheiden, ob das LSG die Beklagte zu Recht verurteilt hat, dem Kläger einen Bescheid über die Gewährung einer Übergangsleistung nach § 3 Abs 2 der 7. BKVO zu erteilen. Dagegen steht unter den Beteiligten rechtskräftig fest, daß dem Kläger gegen die Beklagte kein Anspruch auf eine Verletztenrente wegen der Folgen einer BK nach Nr 46 der Anl zur 7. BKVO zusteht.

Nach § 3 Abs 2 der 7. BKVO hat der Träger der Unfallversicherung dem Versicherten zum Ausgleich eines Minderverdienstes oder sonstiger wirtschaftlicher Nachteile eine Übergangsleistung zu gewähren, wenn der Versicherte die Tätigkeit einstellt, weil die Gefahr (des Entstehens einer BK, s. § 3 Abs 1 Satz 1; BSGE 40, 146, 147) für ihn nicht zu beseitigen ist. Bei der Übergangsleistung handelt es sich um eine Maßnahme der Vorbeugung und Krankheitsverhütung, die nicht einen Entschädigungsanspruch wegen einer bereits bestehenden BK voraussetzt, sondern es dem Versicherungsträger ermöglichen soll, das Entstehen von Entschädigungsansprüchen zu verhindern oder auch die Auswirkungen bereits eingetretener Versicherungsfälle zu beeinflussen (BSGE 19, 157, 158). Es kommt deshalb nicht darauf an, ob bei dem Kläger eine BK - hier: nach Nr 46 der Anl zur 7. BKVO - vorliegt oder vorgelegen hat. Es reicht vielmehr bei Erfüllung der weiteren Voraussetzungen für den Anspruch auf eine Übergangsleistung aus, wenn für den Versicherten das Entstehen einer BK drohte. Diese Voraussetzung hat das LSG als gegeben angesehen, weil eine über mehrere Jahre fortgesetzte Tätigkeit als Milchtanksammelwagenfahrer zu einem chronischen Empfindlichkeitsekzem geführt hätte und dies nach Art und Umfang der beim Kläger vorhanden gewesenen Ekzembildung zwangsläufig dazu geführt haben würde, daß der Kläger an der Verrichtung jeder Erwerbsarbeit gehindert gewesen wäre. Damit hat das LSG zwar entgegen der von der Revision vertretenen Ansicht nicht einen drohenden Zwang zur Aufgabe der "beruflichen Beschäftigung" im Sinne der Nr 46 der Anl zur 7. BKVO, sondern den drohenden Zwang zur Aufgabe jeder Erwerbsarbeit im Sinne dieser Bestimmung angenommen. Es kann jedoch dahinstehen, ob das LSG, wie die Revision rügt, verfahrensrechtlich nicht haltbare Feststellungen insoweit getroffen hat, als nach Ansicht der Beklagten auch ein chronisches Empfindlichkeitsekzem nicht irreparabel sei und deshalb nicht zur Aufgabe jeder Erwerbsarbeit führe. Selbst wenn es zutrifft, daß der Kläger als Milchtanksammelwagenfahrer nur unter der Gefahr hätte weiter tätig sein können, daß sich ein chronisches Empfindlichkeitsekzem entwickelte, und er bei einem solchen Krankheitszustand jede Erwerbsarbeit hätte aufgeben müssen, ist nicht schon dadurch eine Verpflichtung der Beklagten zur Gewährung einer Übergangsleistung begründet.

Nach dem Wortlaut sowie nach dem Sinn und Zweck des § 3 Abs 2 Satz 1 der 7. BKVO sollen nur solche Einbußen des Verdienstes oder sonstige wirtschaftliche Nachteile ausgeglichen werden, die dem Versicherten "durch" die zur Beseitigung der Gefahr des Entstehens (Wiederauflebens oder der Verschlimmerung) einer BK vorgenommenen Einstellung der gefährdenden Tätigkeit entstehen. Es muß folglich ein ursächlicher Zusammenhang sowohl zwischen der drohenden BK und der Einstellung der Tätigkeit als auch zwischen dem Einstellen der Tätigkeit und dem Minderverdienst oder den sonstigen wirtschaftlichen Nachteilen bestehen (BSGE 40, 146, 149). Die Einstellung der gefährdenden Tätigkeit muß die Ursache des Minderverdienstes oder der sonstigen wirtschaftlichen Nachteile sein. Die Gefahr des Entstehens einer BK bestand zwar für den Kläger nach der Auffassung des LSG bei mehrjähriger Fortsetzung der Tätigkeit des Klägers als Fahrer eines Milchtanksammelwagens an seinem bisherigen Arbeitsplatz, weil bei der Reinigung der Milchtanks schädigende Stoffe verwendet wurden. Seine Tätigkeit als Kraftfahrer, die er auch bisher verrichtet hatte, konnte der Kläger jedoch nach den unangegriffenen tatsächlichen Feststellungen des LSG bei der möglichen Meidung der schädigenden Stoffe ohne Gefahr des Entstehens einer BK weiter ausüben. Es besteht kein Anhalt dafür, daß der Kläger bei Fortsetzung seiner Tätigkeit als Kraftfahrer - ggf an einem anderen Arbeitsplatz oder in einem anderen Unternehmen - ohne Umgang mit den schädigenden Stoffen eine Minderung seines Verdienstes oder sonstige wirtschaftliche Nachteile erlitten hätte.

Es fehlt deshalb an dem für einen Anspruch auf Übergangsleistung erforderlichen ursächlichen Zusammenhang zwischen der Gefährdung der Einstellung der Tätigkeit und dem - möglicherweise vorübergehend eingetretenen - Minderverdienst durch den Eintritt in den Polizeidienst. § 3 Abs 2 der 7. BKVO begründet keinen Ausgleichsanspruch gegen den Träger der Unfallversicherung für wirtschaftliche Nachteile, die dem Versicherten dadurch entstehen, daß er seinen bisherigen Arbeitsplatz aufgibt und eine geringer bezahlte andere Tätigkeit aufnimmt, ohne hierzu durch die Gefahr der Entstehung einer BK gezwungen zu sein. Es lag in der eigenen Entschließung des Klägers, weiterhin als Kraftfahrer - aber unter Meidung der schädigenden Stoffe - und ohne Minderverdienst tätig zu bleiben oder aber, wie hier, eine seinen Interessen und Neigungen - möglicherweise auch seinen Erwartungen an eine künftige wirtschaftliche Besserstellung - entsprechende andere, geringer bezahlte Berufstätigkeit aufzunehmen, bei der er ebenfalls keinen Umgang mit den schädigenden Stoffen hat. Da der Kläger seine Tätigkeit als Kraftfahrer bei möglicher Meidung der schädlichen Stoffe weiter hätte ausüben können, ohne daß ein Anhalt für dadurch bedingte wirtschaftliche Nachteile ersichtlich ist, liegen die Voraussetzungen für die Gewährung einer Übergangsleistung entgegen der Ansicht des LSG nicht vor.

Es bedarf nach alledem keiner Entscheidung, ob die gegen die tatsächlichen Feststellungen des LSG gerichteten Revisionsangriffe der Beklagten durchgreifen.

Die Revision der Beklagten ist hiernach begründet.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1654295

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