Leitsatz (amtlich)

Einem Urteil fehlen dann "die Entscheidungsgründe", wenn darin zu einer von einem Beteiligten aufgeworfenen, eingehend begründeten und für die Entscheidung erheblichen Rechtsfrage nur ausgeführt ist, daß die Auffassung des Beteiligten nicht zutreffe. In solchem Fall liegt ein wesentlicher Verfahrensmangel vor.

 

Normenkette

SGG § 136 Abs. 1 Nr. 6 Fassung: 1953-09-03, § 150 Nr. 2 Fassung: 1953-09-03

 

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 15. März 1965 aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.

Die Entscheidung über die Kosten bleibt dem abschließenden Urteil vorbehalten.

 

Gründe

Die Klägerin ist die Witwe des am 2. November 1944 als Soldat gefallenen A W. Sie bezieht eine Witwenrente nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG). Wegen ihrer Einkünfte als Miteigentümerin eines Mietwohngrundstücks und als Eigentümerin eines Eigenheimes sowie wegen des Bezuges einer Witwenrente aus der Angestelltenversicherung erteilte das Versorgungsamt (VersorgA) die Neufeststellungs- und Rückforderungsbescheide vom 5. März und 6. März 1962, in denen es die Witwenausgleichsrente für die Zeit ab 1. Juli 1958 neu berechnete. Die sich aus der Neuberechnung ergebende Überzahlung von DM 513,- forderte das VersorgA zurück. Mit ihrem Widerspruch begehrte die Klägerin einen Verlustausgleich zwischen den einzelnen Einkommensarten und die Berücksichtigung von ihr gezahlter freiwilliger Beiträge zur Angestelltenversicherung. Der Widerspruch war erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 31.8.1962). Im Laufe des Klageverfahrens erteilte das VersorgA einen weiteren Bescheid vom 21. März 1963, in dem es einen Verlustausgleich zwischen den Einkünften aus den beiden Hausgrundstücken vornahm. Dadurch ergab sich nur noch eine Überzahlung von DM 205,-. Vor dem Sozialgericht (SG) hat die Klägerin geltend gemacht, daß die Verordnung (VO) zu § 33 BVG, insbesondere der § 1 Abs. 4 letzter Satz dieser VO idF vom 11. Januar 1961 (BGBl I 19), der gesetzlichen Ermächtigung widerspreche; sie hat hierzu eine eingehende rechtliche Begründung gegeben. Das SG hat mit Urteil vom 25. Juli 1963 unter Abweisung der Klage im übrigen den Bescheid vom 21. März 1963 dahin "abgeändert, daß Einkommen aus dem Hausgrundstück für die Zeit vom 1. Juni 1960 bis 30. Juni 1961 nicht festzustellen ist". Zu dem Vorbringen der Klägerin über die Unwirksamkeit der VO zu § 33 BVG ist in den Entscheidungsgründen nur der Satz enthalten: "Das Gericht kann der Klägerin auch darin nicht folgen, daß sowohl § 33 BVG als auch die dazu ergangene Verordnung gesetzeswidrig sei".

In ihrer Berufung gegen dieses Urteil hat die Klägerin insbesondere vorgebracht, daß ein wesentlicher Mangel im Verfahren des SG im Sinne des § 150 Nr. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) vorliege, weil es im Urteil an einer Begründung für die Auffassung des SG fehle, daß die VO zu § 33 BVG, insbesondere sein § 1 Abs. 4 letzter Satz, nach dem ein Verlustausgleich zwischen den verschiedenen Einkommensarten nicht statthaft ist, der gesetzlichen Ermächtigung des § 33 BVG nicht widerspreche.

Das Landessozialgericht (LSG) hat mit Urteil vom 15. März 1965 "die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des SG in Oldenburg vom 25. Juli 1963 als unzulässig verworfen, soweit sie sich gegen die Neufeststellung der Ausgleichsrente richtet, hinsichtlich der Rückforderung hat es die Berufung zurückgewiesen".

Zur Entscheidung des SG über die angegriffene Neufeststellung der Ausgleichsrente hat es ausgeführt, daß insoweit die Berufung gegen dieses Urteil gemäß § 148 Nr. 4 SGG unzulässig sei, weil sie die Höhe der Ausgleichsrente betreffe. Die Zulässigkeit ergebe sich nicht nach § 150 Nr. 1 SGG und ebensowenig aus einer Rüge gemäß § 150 Nr. 2 SGG, weil der von der Klägerin gerügte wesentliche Mangel im Verfahren des SG, eine mangelhafte Begründung der Rechtswirksamkeit der VO zu § 33 BVG, nicht vorliege. Grundsätzlich sei von der Gültigkeit formeller wie materieller Rechtssätze auszugehen. Es erübrige sich daher eine nach außen erkennbare Prüfung der Rechtsgültigkeit, falls das Gericht die Rechtsvorschrift nicht für verfassungswidrig halte. Im übrigen sei das SG zu dem Ergebnis gelangt, daß die Vorschriften der VO zu § 33 BVG im Rahmen der erteilten Ermächtigung liegen. Dies ergebe sich aus dem Satz in dem Urteil des SG: "Das Gericht kann der Klägerin auch darin nicht folgen, daß sowohl § 33 BVG als auch die dazu ergangene VO gesetzeswidrig sei". Somit sei den Entscheidungsgründen zu entnehmen, daß das SG die Frage der Gesetzmäßigkeit der VO zu § 33 BVG geprüft hat. Das sei ausreichend, eine knappe oder unvollständige Begründung stelle noch keinen Verfahrensmangel dar.

Hinsichtlich der Entscheidung des SG über die Rückforderung der Beklagten hat das LSG die Berufung für zulässig gehalten. Es hat jedoch die insoweit zulässige Berufung als unbegründet zurückgewiesen, da die Voraussetzungen für eine Rückforderung gemäß § 47 Abs. 2 des Verwaltungsverfahrensgesetzes der Kriegsopferversorgung (VerwVG) gegeben seien.

Das LSG hat die Revision nicht zugelassen.

Die Klägerin hat gegen das ihr am 9. April 1965 zugestellte Urteil mit Schriftsatz vom 6. Mai 1965, beim Bundessozialgericht (BSG) am 8. Mai 1965 eingegangen, Revision eingelegt und diese mit einem am 1. Juni 1965 beim BSG eingegangenen Schriftsatz vom 31. Mai 1965 begründet. Sie beantragt,

unter Aufhebung des Urteils des LSG in Celle vom 15. März 1965 den Anträgen der Klägerin zu entsprechen; sie beantragt hilfsweise, die Sache an die Vorinstanz zurückzuverweisen oder eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts auf Grund des Art. 100 des Grundgesetzes (GG) herbeizuführen.

In der Revisionsbegründung vom 31. Mai 1965, auf die Bezug genommen wird, wendet sich die Klägerin dagegen, daß das LSG die VO zu § 33 BVG für wirksam angesehen hat. Sie wendet sich auch gegen die Ansicht des LSG, daß insoweit schon das SG eine ausreichende Begründung zur Gesetzmäßigkeit der VO zu § 33 BVG, insbesondere zur Einhaltung der Ermächtigung gegeben habe. Aus den Gründen des Urteils des SG lasse sich jedenfalls nicht erkennen, mit welcher Begründung die Rechtsauffassung der Klägerin widerlegt worden sei.

Der Beklagte beantragt,

die Revision als unzulässig zu verwerfen.

Er ist der Auffassung, daß ein wesentlicher Mangel im Verfahren des LSG nicht vorhanden sei.

Die Revision ist form- und fristgerecht eingelegt und rechtzeitig begründet worden (§§ 164, 166 SGG). Da das LSG die Revision nicht nach § 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG zugelassen hat und die Klägerin eine Gesetzesverletzung bei der Anwendung der in der Kriegsopferversorgung geltenden Kausalitätsnorm im Sinne des § 162 Abs. 1 Nr. 3 SGG nicht gerügt hat, ist die Revision nur statthaft, wenn ein wesentlicher Mangel im Verfahren des LSG im Sinne des § 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG gerügt wird. Die Revisionsbegründung enthält keine Angaben über verfahrensrechtliche Normen, welche die Klägerin als verletzt ansieht. Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG genügt es jedoch bei der Rüge von Verfahrensmängeln, wenn sich aus den substantiiert vorgetragenen Tatsachen klar ergibt, welche Verfahrensvorschrift als verletzt angesehen wird (BSG 1, 227). Die Klägerin hat in ihrer Revisionsbegründung zunächst ausführlich dargelegt, warum entgegen der Auffassung des LSG die VO vom 11. Januar 1961 zu § 33 BVG, insbesondere das in § 1 Abs. 4 der VO enthaltene Verbot eines Verlustausgleichs zwischen verschiedenen Einkommensarten unwirksam ist. Aus diesem Vorbringen ergibt sich aber noch nicht die Rüge eines wesentlichen Verfahrensmangels i. S. des § 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG durch das LSG, weil es sich insoweit um die Rüge einer unrichtigen Anwendung des materiellen Rechts handelt. Warum allerdings das LSG, obwohl es die Berufung als unzulässig verworfen hat, im angefochtenen Urteil überhaupt dazu Stellung genommen hat, daß die VO zu § 33 BVG rechtswirksam ist, geht aus seiner Urteilsbegründung nicht hervor. Trotz dieser materiell-rechtlichen Ausführungen des LSG kann seine Entscheidung nicht dahin verstanden werden, daß das LSG die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des SG zwar für zulässig, jedoch als unbegründet angesehen hat. Dagegen sprechen nicht nur der Urteilsausspruch, sondern auch die übrigen Entscheidungsgründe, in denen wörtlich und klar zum Ausdruck gebracht ist, daß das LSG, soweit es sich um den Streit über die Höhe der Ausgleichsrente der Klägerin handelt, nur über die Zulässigkeit der Berufung der Klägerin, nicht aber auch über die Begründetheit der Berufung hat entscheiden wollen. Ist aber dem Ausspruch wie der Begründung nach nur über die Zulässigkeit der Berufung entschieden worden, so kann dahinstehen, ob die Klägerin dann durch das angefochtene Urteil beschwert wäre, wenn das LSG dem Urteilsausspruch nach die Berufung als unzulässig verworfen, dem Inhalt der Entscheidungsgründe nach aber die Berufung als unbegründet zurückgewiesen hätte.

Mit ihren Ausführungen in der Revisionsbegründung zur Ansicht des LSG, daß das SG gegenüber ihrer eingehend dargelegten Rechtsauffassung seine gegenteilige Ansicht von der Wirksamkeit der VO zu § 33 BVG ausreichend begründet habe, rügt die Klägerin einen wesentlichen Mangel im Verfahren des LSG gemäß § 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG. Sie macht nämlich geltend, daß ihre im Berufungsverfahren vorgebrachte Rüge, es fehle im Urteil des SG an einer Begründung (§ 136 Abs. 1 Nr. 6 SGG) zur streitigen Rechtsfrage über die Gültigkeit der VO zu § 33 BVG, berechtigt gewesen sei, so daß das LSG auf diese Rüge hin ihre Berufung nicht als unzulässig verwerfen, sondern in der Sache selbst hätte entscheiden müssen. Diese Rüge greift auch durch.

Entgegen der Auffassung des LSG enthält das Urteil des SG keine Entscheidungsgründe im Sinne des § 136 Abs. 1 Nr. 6 SGG darüber, warum es der Auffassung der Klägerin über die Unwirksamkeit der VO vom 11. Januar 1961 zu § 33 BVG nicht hat folgen können.

Nach § 136 Abs. 1 Nr. 6 SGG muß das Urteil die Entscheidungsgründe enthalten. Ebenso wie § 313 Nr. 4 der Zivilprozeßordnung (ZPO) besagt § 136 Abs. 1 Nr. 6 SGG selbst nichts Näheres über den erforderlichen Inhalt und den Umfang der Entscheidungsgründe. Dem Wortsinn nach muß in den "Entscheidungsgründen" gesagt sein, warum die gefällte Entscheidung rechtens ist; genauer gesagt, ist also für den Ausspruch in der Urteilsformel der Nachweis seiner Rechtmäßigkeit zu erbringen. Bei der Erwägung, in welchem Ausmaß dieser Nachweis zu führen ist, liegt eine Heranziehung des § 128 SGG nahe, der vorschreibt, inwieweit das Gericht seine Überzeugung von den tatsächlichen Vorgängen darzulegen hat. Hinsichtlich der Beweiswürdigung konkretisiert § 128 SGG den Umfang des zu erörternden Stoffes in der Weise, daß das Gericht seine Überzeugung aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens zu gewinnen und die Gründe anzugeben hat, die für seine Überzeugung leitend gewesen sind (§ 128 Abs. 1 Satz 2 SGG). Es muß also bei der Beweiswürdigung vom Gericht der gesamte Streitstoff erfaßt sein, in den Gründen brauchen jedoch nur die leitenden Gedanken wiedergegeben zu werden. Da die Überzeugung von den tatsächlichen Vorgängen in gleicher Weise wie die Überzeugung von dem Gehalt der maßgeblichen Rechtsnorm zu der konkreten Entscheidung geführt hat, müssen in beiden Fällen für die Begründung dieselben Gesichtspunkte gelten. Das bedeutet, daß auch bei der gemäß § 136 Abs. 1 Nr. 6 SGG allgemein vorgeschriebenen Entscheidungsbegründung nicht jedes unbedeutende Vorbringen der Beteiligten im einzelnen erörtert zu werden braucht, die Gründe aber in bündiger Kürze und unter strenger Beschränkung auf den Gegenstand der Entscheidung doch alles Nötige den Beteiligten zu offenbaren haben. (siehe dazu Peters/Sautter/Wolff, Kommentar z. SGb, Anm. 6 zu § 136; Rosenberg, Lehrbuch des Deutschen Zivilprozeßrechts, 8. Aufl. S. 257; Baumbach, ZPO, 26. Aufl., Anm. 5 zu § 313). Dabei dürfen sich die Entscheidungsgründe nicht aus inhaltslosen und floskelhaften Wendungen oder nur in einer Wiederholung des Urteilsausspruchs mit anderen Worten erschöpfen, vielmehr muß ersichtlich sein, warum das Gericht gerade zu der von ihm gefällten Entscheidung gelangt ist. Bei der Erörterung von Rechtsfragen darf sich das Gericht auf die Beantwortung der für den Rechtsstreit wesentlichen Rechtsfragen beschränken, ohne daß dabei eine Erörterung von rechtlichen Problemen erforderlich ist, die möglicherweise auftreten können, für die Entscheidung aber nicht wesentlich sind. Ebensowenig bedarf es einer Erörterung solcher Rechtsfragen, die außerhalb der Sache liegen oder deren Beantwortung eindeutig ist. Werden aber von den Beteiligten rechtliche Fragen aufgeworfen, von deren Beurteilung die Entscheidung abhängt, so muß das Gericht darlegen, daß und aus welchen Gründen es auf die Entscheidung über die aufgeworfene Rechtsfrage nicht ankommt oder warum die Fragen so oder so zu beurteilen sind. Jedenfalls fehlt es dann an Entscheidungsgründen im Sinne des § 136 Abs. 1 Nr. 6 SGG, wenn sich das Gericht - wie im vorliegenden Fall das SG - zu einer von einem Beteiligten aufgeworfenen, eingehend dargelegten und für die Entscheidung erheblichen Rechtsfrage allein mit der "Feststellung" begnügt, daß das Gericht anderer Auffassung sei. Wollte man derartige allgemeine Wendungen als "Entscheidungsgründe" im Sinne des § 136 Abs. 1 Nr. 6 SGG ansehen, so würde neben der Darstellung des Sachverhalts letztlich zur Begründung des Urteils die Bemerkung des Gerichts ausreichen, daß danach der von einem Beteiligten geltend gemachte Anspruch entgegen seiner Auffassung nicht begründet ist. Aus einer solchen allgemeinen Formulierung ergibt sich aber nicht, "warum" das entscheidende Gericht zu einer von der Ansicht eines Beteiligten abweichenden Auffassung gelangt ist. Der Inhalt eines Urteils muß nicht nur erkennen lassen, daß sich das Gericht mit dem Begehren eines Beteiligten und dessen substantiiertem Vortrag befaßt hat, sondern das Gericht muß in dem Urteil in verständlicher und bündiger Weise darlegen, warum es diesem Begehren entsprochen hat oder nicht entsprechen konnte. Gleiche Anforderungen hat auch der Bundesgerichtshof an den Umfang der Entscheidungsgründe gestellt. Er hat sich in einem Beschluß vom 21. Dezember 1962 (NJW 1963 S. 2272) zu der Frage geäußert, wann eine Entscheidung "nicht mit Gründen versehen" ist. Er hat hierzu die Auffassung vertreten, daß eine Entscheidung dann nicht mit Gründen versehen ist, wenn aus ihr nicht zu erkennen ist, welche tatsächlichen Feststellungen und welche rechtlichen Erwägungen für die getroffene Entscheidung maßgebend waren. Dies sei insbesondere dann der Fall, wenn dem Tenor der Entscheidung überhaupt keine Gründe beigegeben sind. Der fehlenden Begründung ist nach Ansicht des Bundesgerichtshofs der Fall gleichzusetzen, daß zwar Gründe vorhanden sind, diese aber ganz unverständlich und verworren sind, sachlich inhaltslos sind oder leere Redensarten darstellen, so daß sie in Wirklichkeit nicht erkennen lassen, welche Überlegungen für die Entscheidung maßgebend waren. Demgegenüber liegt nach Ansicht des Bundesgerichtshofs ein Verfahrensmangel nicht vor, wenn die Gründe zu den einzelnen Ansprüchen und Angriffs- und Verteidigungsmitteln oder auch die Beweiswürdigung nur sachlich unvollständig, unzureichend, unrichtig oder sonst fehlerhaft sind. Eine fehlende Begründung liegt auch dann nicht vor, wenn aus den Gründen insgesamt entnommen werden kann, warum einem bestimmten Vorbringen die Berücksichtigung versagt wurde. Es kommt somit nach Ansicht des Bundesgerichtshofs letztlich entscheidend immer darauf an, ob erkennbar ist, welcher Grund - mag dieser tatsächlich vorgelegen haben oder nicht, mag er rechtsfehlerhaft beurteilt worden sein oder nicht - für die Entscheidung über die einzelnen Anspruchs- und Verteidigungsmittel wesentlich gewesen ist; dies kann auch bei lückenhaften und unvollständigen Begründungen der Fall sein. An diesen Grundsätzen gemessen enthält im vorliegenden Fall das Urteil des SG vom 25. Juli 1963 zu der von der Klägerin ausführlich behandelten Rechtsfrage, ob die VO zu § 33 BVG, insbesondere der § 1 Abs. 4 dieser VO, rechtmäßig ist, keine Begründung im Sinne des § 136 Abs. 1 Nr. 6 SGG. Der einzige hierzu vom SG mitgeteilte Satz "Das Gericht kann der Klägerin auch darin nicht folgen, daß sowohl § 33 BVG als auch die dazu ergangene Verordnung gesetzeswidrig sei" gibt zwar die Auffassung des SG zu dieser Rechtsfrage wieder, läßt aber in keiner Weise erkennen, welche Gründe für diese Auffassung leitend gewesen sind und warum die von der Klägerin insoweit vertretene, mit ausführlicher Begründung dargelegte Rechtsauffassung vom SG nicht gebilligt werden konnte. Das SG hätte sich im vorliegenden Fall mit der Rechtsauffassung der Klägerin, die sie insbesondere in ihrem Schriftsatz vom 29. Oktober 1962 ausführlich dargelegt hat, auseinandersetzen müssen, und zwar nicht nur durch die Mitteilung eines seine möglicherweise getroffenen Überlegungen abschließenden Satzes, sondern in der Weise, daß aus der Begründung zu ersehen war, warum es der Auffassung der Klägerin nicht folgen konnte. Fehlt es somit an einer Begründung im Urteil des SG zu dieser Frage, so liegt ein wesentlicher Mangel im Sinne des § 150 Nr. 2 SGG vor, so daß bei Rüge dieses Mangels die Berufung nach dieser Vorschrift zulässig war. Das LSG hätte somit, statt ein Prozeßurteil zu erlassen, in der Sache selbst entscheiden müssen. Hierin liegt ein wesentlicher Verfahrensmangel im Sinne des § 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG (BSG in SozR SGG § 162 Nr. 17), und die Klägerin hat auch diesen Mangel mit ihrer Revision gerügt. Die Revision ist daher statthaft.

Die Revision ist auch begründet. Es ist nicht auszuschließen, daß das LSG, wenn es ein Sachurteil gefällt hätte, zu einer für die Klägerin günstigen Entscheidung gelangt wäre. Dem steht auch nicht die vom LSG im angefochtenen Urteil vertretene Rechtsauffassung über die Rechtmäßigkeit der VO vom 11. Januar 1961 zu § 33 BVG entgegen. Diese Rechtsauffassung ist im vorliegenden Fall ohne Bedeutung, da die Berufung nicht zugleich aus prozeßrechtlichen und aus materiell-rechtlichen Gründen verworfen werden kann. Sieht das Gericht ein Rechtsmittel als unzulässig an, so darf es in eine Sachprüfung überhaupt nicht eintreten. Ausführungen, die das Berufungsgericht in einem Prozeßurteil zur Sache macht, sind daher nicht zulässig, somit in keiner Weise verbindlich und damit im Revisionsverfahren als nicht geschrieben zu behandeln (BSG 1, 283, 287; 9, 83, 86; Peters/Sautter/Wolff aaO). Das angefochtene Urteil mußte daher aufgehoben werden. Diese Aufhebung war für die gesamte Entscheidung des LSG vorzunehmen, weil die Verpflichtung der Klägerin zur Rückerstattung der im angefochtenen Bescheid errechneten Überzahlung gemäß § 47 VerwVG in erster Linie davon abhängig ist, ob die getroffene Neufeststellung rechtmäßig ist. Hierzu konnte der Senat keine Entscheidung treffen, weil das LSG keine Feststellungen über die Höhe der Einkünfte getroffen hat. Das LSG wird nach dieser Feststellung gegebenenfalls die grundsätzliche Rechtsfrage zu entscheiden haben, ob und inwieweit das Verbot des Verlustausgleichs zwischen verschiedenen Einkommensarten gemäß § 1 Abs. 4 der VO vom 11. Januar 1961 der gesetzlichen Ermächtigung des § 33 Abs. 5 BVG entspricht. Demgemäß war die Sache an die Vorinstanz zurückzuverweisen (§ 170 Abs. 2 Satz 2 SGG).

 

Fundstellen

Haufe-Index 2380164

NJW 1966, 566

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