Leitsatz (redaktionell)

Einem Urteil fehlen "die Entscheidungsgründe" (SGG § 136 Abs 1 Nr 6), wenn es zu einer für die Entscheidung erheblichen Rechtsfrage nicht oder nur mit einer allgemeinen und inhaltslosen Wendung Stellung nimmt (vergleiche BSG 1965-12-07 10 RV 405/65 = SozR Nr 9 zu § 136 SGG).

 

Normenkette

SGG § 136 Abs. 1 Nr. 6 Fassung: 1953-09-03

 

Tenor

Das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 11. November 1971 wird aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

 

Gründe

I

Die Klägerin, die ein landwirtschaftliches Anwesen von 9,9 Hektar bewirtschaftet, bezieht Witwengrundrente nach ihrem seit Juni 1944 verschollenen Ehemann Christian A (A.). Den Antrag vom Januar 1967, ihr Ausgleichsrente und Schadensausgleich zu gewähren, lehnte das Versorgungsamt mit Bescheid vom 20. August 1969 ab, weil wegen der Höhe des anrechenbaren Einkommens kein Ausgleichsrentenanspruch bestehe und sich bei der Berechnung des Schadensausgleichs kein Unterschiedsbetrag ergebe; dabei berücksichtigte es bei der Berechnung des Bruttoeinkommens der Klägerin die vorgeschriebenen Abzüge für weibliche Betriebsleiter und die um 70 v.H. geminderte Erwerbsfähigkeit der Klägerin. Der Widerspruch, mit dem die Klägerin die Anrechnung eines zu hohen Einkommens beanstandete, blieb ohne Erfolg. Das Sozialgericht (SG) Landshut verurteilte den Beklagten, der Klägerin Schadensausgleich und Ausgleichsrente zu gewähren und bei der Einkommensermittlung die den Pauschbetrag nach § 9 Abs. 3 Buchst. b der Durchführungsverordnung (DVO) zu § 33 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) übersteigenden Lohnkosten insoweit zu berücksichtigen, als diese zusammen mit dem Pauschbetrag den für die Einkommensberechnung maßgeblichen Grundlohn nicht übersteigen (Urteil vom 7. Dezember 1970); es ließ hinsichtlich der Ausgleichsrente die Berufung zu. Die Berechnung des Versorgungsamtes in Ausführung dieses Urteils ergab keinen auszahlbaren Betrag; dieses Ergebnis teilte das Versorgungsamt der Klägerin am 19. März 1971 mit. Über den hiergegen erhobenen Widerspruch hat die Versorgungsbehörde bisher nicht entschieden.

Auf die Berufung des Beklagten hob das Landessozialgericht (LSG) das Urteil des SG - aus prozessualen Gründen - auf und wies die Klage ab (Urteil vom 11. November 1971):

Das SG habe ein Grundurteil (§ 130 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -) erlassen ohne sich davon zu überzeugen, ob der Leistungsanspruch wenigstens für eine bestimmte Zeit in einer Mindesthöhe gegeben sei. Die offenbar vage Annahme des SG, das anrechenbare Einkommen der Klägerin werde sich bei Berücksichtigung der Lohnkosten derart mindern, daß noch Mindestbeträge an Ausgleichsrente und Schadensausgleich blieben, habe sich nicht bestätigt. Auch wenn von den Lohnkosten die Schlepper- und Gerätemiete nicht abgezogen würde - wie es das Versorgungsamt entgegen dem Urteil des SG getan habe - verbleibe kein auszahlbarer Betrag. Das Grundurteil des SG hätte deshalb nicht ergehen dürfen. Sachlich-rechtlich stehe der Klägerin nach der zutreffenden Berechnung des Versorgungsamtes vom 19. März 1971 Schadensausgleich und Ausgleichsrente nicht zu. Da eine Feststellungsklage gemäß § 55 SGG nicht erhoben worden sei und deren Voraussetzungen auch nicht vorlägen, habe keine Veranlassung bestanden, über die Frage zu entscheiden, ob die über den Pauschbetrag von § 9 Abs. 3 Buchst. b DVO hinausgehenden Lohnkosten vom Einkommen der Klägerin gemäß Buchst. c dieser Vorschrift als "dauernde Lasten, die Betriebsausgaben sind", abzuziehen seien. Die Revision werde wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Frage, ob die Klägerin an einer baldigen gerichtlichen Klärung der "oben bezeichneten" Streitfrage ein berechtigtes Interesse habe, zugelassen.

Die Klägerin wendet sich mit der Revision gegen die Auffassung des LSG, das SG habe zu Unrecht ein Grundurteil erlassen: § 130 SGG erlaube bei einer zusammengefaßten Aufhebungs- und Leistungsklage eine Verurteilung dem Grunde nach. Der Beklagte habe sich im Berufungsverfahren allein zu der Rechtsfrage geäußert, wegen der die Berufung zugelassen worden sei, nämlich, ob die über den Pauschbetrag hinausgehenden Lohnkosten vom Einkommen der Klägerin als "dauernde Lasten, die Betriebsausgaben sind", abzuziehen seien. Sei aber nach dem Berufungsantrag nur diese Rechtsfrage streitig gewesen, die das LSG nicht geprüft und über die es auch nicht entschieden habe, dann sei auch der Revision eine Auseinandersetzung mit dieser Frage verwehrt.

Die Klägerin beantragt,

das angefochtene Urteil aufzuheben und die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des SG Landshut als unbegründet zurückzuweisen.

Der Beklagte beantragt,

die Revision als unzulässig zu verwerfen,

hilfsweise,

sie als unbegründet zurückzuweisen.

Er führt sinngemäß im wesentlichen aus: Da das LSG eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung verneint habe, ohne damit offensichtlich gegen das Gesetz zu verstoßen, sei die "allein nach freiem Ermessen" ausgesprochene Zulassung der Revision nicht bindend. Das LSG habe zutreffend das Begehren der Klägerin als Leistungsklage und nicht als Feststellungsklage angesehen. Es habe zu Recht die sachlich-rechtlichen Voraussetzungen der Ansprüche auf Ausgleichsrente und Schadensausgleich verneint. Unter diesen Umständen habe es nicht aus "rechtstheoretischen" Erwägungen, die allein die Zulässigkeit der Feststellungsklage beträfen, die Revision zulassen dürfen. Denn bei einer Feststellungsklage müsse es sich um einen "konkreten Tatbestand" und nicht um die theoretische Lösung einer Rechtsfrage handeln.

Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einem Urteil ohne mündliche Verhandlung erklärt.

II

Die Revision der Klägerin ist entgegen der Auffassung des Beklagten deshalb statthaft, weil das LSG die Revision zugelassen hat (§ 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG) und die Zulassung der Revision - unabhängig von der Richtigkeit dieser Entscheidung (BSG 5, 150, 151) - grundsätzlich für das Bundessozialgericht (BSG) bindend ist (BSG 6, 70, 71; 2, 81, 83). Die Voraussetzungen, unter denen nach der Rechtsprechung des BSG eine offensichtlich gesetzwidrige und deshalb nicht bindende Zulassung bejaht worden ist (BSG 10, 240, 241, 242: Zulassung zur Überprüfung tatsächlicher Fragen; BSG 10, 269: Zulassung trotz Verneinung der Voraussetzungen des § 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG), liegen nicht vor. Das LSG hat es vielmehr erkennbar für eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung gehalten, ob das Klagebegehren - nur oder auch - als Feststellungsklage zu deuten sei. Auch wenn es dies bzw. die Voraussetzungen einer Feststellungsklage verneint hat, ist die Zulassung nicht offenbar gesetzwidrig. Die Zulassung ist auch nicht allein aus "rechtstheoretischen Erwägungen", sondern bezogen auf den "konkreten Tatbestand" erfolgt, und sie ist auch dann bindend, wenn die Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung nur eine Hilfserwägung bzw. -begründung des LSG betrifft, weil es nämlich auf diese Hilfsbegründung ankommen kann (SozR Nr. 182 zu § 162 SGG). Die Zulassung kann allerdings nicht auf die Entscheidung einer bestimmten Rechtsfrage beschränkt werden; geschieht dies trotzdem, so ist die Beschränkung unwirksam und das angefochtene Urteil in vollem Umfang nachzuprüfen (SozR Nr. 170 zu § 162 SGG). Da die Revision wirksam zugelassen und form- und fristgerecht eingelegt und begründet ist, ist sie sonach zulässig. Sie ist auch in dem Sinne begründet, daß das Urteil des LSG aufzuheben und die Sache zu neuer Entscheidung an dieses Gericht zurückzuverweisen ist. Das LSG ist zunächst zutreffend, wenn auch ohne Begründung, davon ausgegangen, das Begehren der Klägerin sei nicht als Feststellungsklage anzusehen. Die Klägerin hat sich mit der Klage gegen den Bescheid vom 20. August 1969 gewandt, mit dem ihre Ansprüche auf Ausgleichsrente und Schadensausgleich abgelehnt worden sind; sie hat die Aufhebung dieses Bescheides und die Verurteilung des Beklagten zur Zahlung dieser Leistungen unter Anwendung einer bestimmten Berechnungsweise verlangt, also eine Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 4 SGG), nicht aber eine Feststellungsklage erhoben. Es ist auch nicht geboten gewesen, den von der Klägerin "erhobenen Anspruch" entgegen der Fassung ihres Antrages (§ 123 SGG) als Feststellungsklage zu deuten; eine Feststellungsklage ist nämlich in der Regel nicht zulässig, soweit eine Leistungsklage in Betracht kommt (BSG 5, 121); für die Feststellung einer Anspruchsvoraussetzung (Elementenfeststellungsklage; BSG 31, 235) oder einzelner Faktoren, aus denen die Rente zu errechnen ist (BSG 4, 184), besteht kein Rechtsschutzbedürfnis, wenn hierüber ohnehin auf Grund der Leistungsklage für den streitigen Zeitraum entschieden werden muß.

Zutreffend ist das LSG davon ausgegangen, das SG habe ein Grundurteil i.S. von § 130 SGG erlassen. Das SG hat für entscheidend gehalten, ob die Lohnkosten - übrigens entgegen der Auffassung des LSG auch die Aufwendungen für "fremden Maschineneinsatz" (vgl. Urteil des SG S. 6 unten) - für die von der Klägerin benötigten Arbeitskräfte als "andere dauernde Lasten, die Betriebsausgaben sind", vom Bruttoeinkommen zusätzlich abgezogen werden dürfen, wenn sie durch die Pauschbeträge des § 9 Abs. 3 Buchst. b DVO nicht abgedeckt werden. Es hat sich hierzu eingehend geäußert und den Beklagten verurteilt, ab Januar 1967 Ausgleichsrente und Schadensausgleich unter Anwendung der von ihm näher beschriebenen Berechnungsmethode zu gewähren; dabei ging es ohne weitere Begründung davon aus, das so ermittelte Einkommen der Klägerin schließe die Gewährung von Schadensausgleich und Ausgleichsrente nicht aus; die Berechnung im einzelnen hat es dem Ausführungsbescheid der Verwaltung überlassen, ohne die begründete Wahrscheinlichkeit darzulegen, daß und inwiefern ein Leistungsanspruch auch nur für einen Teil der Zeit gegeben sei. Damit haben jedoch, wie das LSG zu Recht angenommen hat, die Voraussetzungen für ein Grundurteil nicht vorgelegen (Urt. des Senats vom 26. August 1971 - 9 RV 58/69 -; SozR Nr. 4 zu § 130 SGG). Das LSG hat dieses Grundurteil zu Recht aufgehoben. Das LSG hat aber, wenn es die Sache nicht an das SG hat zurückverweisen wollen (§ 159 Abs. 1 Nr. 2 SGG), nur dann in der Sache selbst entscheiden und - wie es das getan hat - die Klage abweisen dürfen, wenn die tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen hierfür vorgelegen haben. Ob dies der Fall ist, kann der Senat dem angefochtenen Urteil nicht entnehmen. Dieses Urteil läßt weder erkennen, von welcher sachlich-rechtlichen Auffassung das LSG ausgegangen ist, noch welche Tatsachen es festgestellt und seiner Entscheidung zugrunde gelegt hat. Wenn es - allerdings nur bei der Erörterung der Zulässigkeit des Grundurteils des SG - den Ausführungsbescheid vom 19. März 1971, der die Ansprüche der Klägerin wegen der Höhe ihres Einkommens wieder verneint hat, als "zutreffend" bezeichnet hat, so ließe dies vielleicht den Schluß zu, es habe sich die sachlich-rechtliche Auffassung des SG zu eigen machen wollen; ebenso nahe liegt es aber, daß das LSG habe dahingestellt lassen wollen, ob die sachlich-rechtliche Auffassung des SG richtig ist oder nicht, weil auch bei Zugrundelegung der Auffassung des SG nach der hierauf beruhenden Berechnung des Versorgungsamtes das Einkommen der Klägerin die begehrten Leistungen ausschließe. Jedenfalls ist dem Urteil des LSG nicht zu entnehmen, aus welchen rechtlichen Erwägungen es zu einer für die Klägerin ungünstigen Beurteilung gelangt ist und warum es auf deren Rechtsauffassung nicht angekommen ist. Einem Urteil fehlen aber "die Entscheidungsgründe" (§ 136 Abs. 1 Nr. 6 SGG), wenn es zu einer für die Entscheidung erheblichen Rechtsfrage nicht oder nur mit einer allgemeinen und inhaltslosen Wendung Stellung nimmt (vgl. hierzu SozR Nr. 9 zu § 136 SGG). Schon deshalb kann das angefochtene Urteil keinen Bestand haben. Ebensowenig hat das LSG ohne tatsächliche Feststellungen beurteilen können, ob das SG, das selbst über die Höhe des Einkommens der Klägerin keine abschließenden Feststellungen getroffen hat, richtig ist oder nicht. Auf die Berechnung, die das Versorgungsamt in Ausführung des "Grundurteils" des SG vorgenommen hat, hat das LSG sich auch in tatsächlicher Hinsicht nicht stützen dürfen, weil das dieser Berechnung zugrunde liegende Urteil angefochten gewesen und damit offen geblieben ist, welche Tatsachen rechtserheblich sind. Die Nachprüfung von Rechtsfragen durch das Revisionsgericht setzt aber eindeutige tatsächliche Feststellungen in dem angefochtenen Urteil voraus. Da es hieran fehlt, muß - obwohl insoweit keine Rüge erhoben worden ist (§ 163 Halbsatz 2 SGG) - bei der zugelassenen Revision das Urteil des LSG auch aus diesem Grunde aufgehoben werden (vgl. SozR Nr. 6 zu § 163 SGG). Der Senat kann die erforderlichen Feststellungen nicht selbst treffen und darf sie auch nicht aus den Beiakten entnehmen. Die Sache ist aus den dargelegten Gründen an das LSG zurückzuverweisen (§ 170 Abs. 2 Satz 2 SGG).

Bei der erneuten Entscheidung wird das LSG beachten müssen, daß § 9 DVO zu § 33 BVG für die Berechnung der Ausgleichsrente aufgrund der gesetzlichen Ermächtigung (vgl. § 33 Abs. 1 und 6 BVG) von einer Pauschalierung des anzurechnenden Einkommens ausgeht. Das Bruttoeinkommen aus Landwirtschaft wird bestimmt durch einen pauschalierten Hektarsatz, individuell erweitert um vereinnahmte Pachtzinsen und nachhaltige oder einmalige (zusätzliche) Betriebseinnahmen (§ 9 Abs. 1 und 2 DVO), während einkommensmindernde Umstände grundsätzlich pauschaliert zu berücksichtigen sind (§ 9 Abs. 3 Buchst. a, b und d DVO). Nur ausnahmsweise werden u.a. verausgabte Pachtzinsen und "andere dauernde Lasten, die Betriebsausgaben sind", in ihrer genauen Höhe abgezogen (§ 9 Abs. 3 Buchst. c DVO). Dabei werden Lohnkosten als dauernd vorhandene Lasten wie Betriebsausgaben zu werten, jedoch nur dann abzugsfähig sein, wenn und soweit sie nicht bereits pauschal bei weiblichen Betriebsleitern und - oder - bei Erwerbsminderung wegen vorhandener Gesundheitsstörungen von § 9 Abs. 3 a und b DVO erfaßt sind. Läßt sich nicht feststellen, ob solche weitergehenden Lohnkosten (Betriebsausgaben) angefallen sind, so werden Beträge, die über die Pauschalierung in § 9 Abs. 3 Buchst. a und b DVO hinausgehen, nicht vom Bruttoeinkommen zusätzlich abzusetzen sein. Für die Berechnung des Schadensausgleichs hat das LSG noch das Durchschnittseinkommen (Vergleichseinkommen) des Ehemannes (§ 40 a Abs. 1 und Abs. 2 Satz 2 BVG iVm § 30 Abs. 4 Sätze 2 und 3 BVG) festzustellen. Das Bruttoeinkommen der Klägerin für die Berechnung des Schadensausgleichs (§ 40 Abs. 2 Satz 1 BVG) ist nach den gleichen Grundsätzen zu ermitteln wie für die Ausgleichsrente (§§ 40 a Abs. 4, 30 Abs. 7 BVG; § 12 DVO zu § 30 Abs. 3 und 4 BVG iVm § 14 Abs. 1 DVO zu § 33 BVG).

Die Kostenentscheidung bleibt dem abschließenden Urteil vorbehalten.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1669706

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