Leitsatz (amtlich)

1. Ein Antrag auf Hinterbliebenenversorgung nach BVG § 1 Abs 5 umfaßt - ohne besondere Anhaltspunkte - nicht zugleich einen Antrag auf einen Härteausgleich.

2. Eine Witwen- und Waisenbeihilfe nach BVG § 48 Abs 1 S 3 im Wege des Härteausgleichs muß besonders beantragt werden.

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Das Versorgungsrecht braucht feste Grundlagen. Eine solche ist der das Verwaltungsverfahren in Gang setzende Versorgungsantrag. Nicht jede neue Entwicklung und Verbesserung im Versorgungsrecht (hier: durch Rundschreiben des BMA) kann dazu führen, daß neue Leistungen von Amts wegen festgestellt oder bereits laufende, durchaus sachgerechte und dem erklärten Willen des Versorgungsberechtigten entsprechende Anträge gleichsam von Amts wegen erweitert, ergänzt oder in ihrem Sachinhalt umgestellt werden.

2. Die Verpflichtung der Verwaltung nach KOVVfG § 7 Abs 2 kann nur dann anerkannt werden, wenn der bereits vorliegende Antrag unklar (nicht sachdienlich) oder ergänzungsbedürftig (im tatsächlichen oder rechtlichen Vorbringen) ist oder wann besondere Umstände eine Ergänzung nahelegen. Ein Rundschreiben des BMA reicht dafür nicht aus, insbesondere wenn für die Versorgungsverwaltung aus den bei ihr vorhandenen Unterlagen überhaupt nicht ersichtlich ist, daß die in dem Rundschreiben genannten Voraussetzungen im konkreten Fall gegeben sind.

3. In einem solchen Fall muß auch eine dem Einzelnen dienende Leistungsverwaltung darauf vertrauen können, daß der Betroffene seine Rechte selbst wahrnimmt. Wie der erkennende Senat im Urteil vom 1972-05-04 10 RV 198/71 = SozR Nr 6 zu § 60 BVG ausgesprochen hat, entspringt für den Versorgungsberechtigten aus dem Versorgungsrechtsverhältnis die Obliegenheit zur Mitwirkung, Mitteilung und Anzeige; insbesondere gilt das für Tatsachen, die nur ihm bekannt sein können. Der Fürsorgepflicht der Versorgungsbehörde steht also im Rahmen des Versorgungsrechtsverhältnisses die Pflicht des Berechtigten gegenüber, auch von sich aus nach seinen Kräften und Kenntnissen alle zumutbaren Handlungen vorzunehmen, die zur Gestaltung eines dem Gesetz entsprechenden Versorgungsrechtsverhältnisses erforderlich sind (vgl BSG aaO).

 

Normenkette

BVG § 1 Abs. 5 Fassung: 1966-12-28, § 48 Abs. 1 S. 3 Fassung: 1966-12-28, § 89 Fassung: 1970-07-10; KOVVfG § 7 Abs. 2

 

Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 22. Januar 1974 aufgehoben. Die Berufung der Klägerinnen gegen das Urteil des Sozialgerichts Koblenz vom 27. Februar 1973 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

I

Die Klägerinnen sind die Ehefrau und die Tochter des Winzers W. S. (S.), der am 17. Februar 1913 geboren war, bis zu seinem Tode Versorgung nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 50vH bezogen hatte (hauptsächlich wegen Verlust des linken Auges und Reizerscheinungen am linken Gesichtsnerv) und am 31. August 1963 verstorben ist. Der im Oktober 1963 gestellte Antrag auf Hinterbliebenenversorgung wurde im Verwaltungsverfahren abgelehnt (Bescheid vom 29. Januar 1964/Widerspruchsbescheid vom 22. Juli 1964), weil das zum Tode führende Leiden nicht auf Schädigungsfolgen beruhe. Die Klägerinnen hatten im sozialgerichtlichen Verfahren in allen drei Instanzen keinen Erfolg (Urteil Sozialgericht - SG - Koblenz vom 6. November 1964; Urteil Landessozialgericht - LSG - Rheinland-Pfalz vom 31. Januar 1969; Beschluß Bundessozialgericht - BSG - vom 8. August 1969 - 9 RV 106/69 -).

Im Dezember 1969 beantragten die Klägerinnen Versorgung im Wege des Härteausgleichs. Die Versorgungsverwaltung kam zu dem Ergebnis, daß die schädigungsbedingte MdE des Verstorbenen zu niedrig bewertet worden sei; sie betrage nach § 30 Abs 1 BVG 60vH und sei wegen eines besonderen beruflichen Betroffenseins nach § 30 Abs 2 BVG auf 70vH zu erhöhen. Daraufhin bewilligte das Versorgungsamt K. den Klägerinnen mit Bescheid vom 7. Dezember 1970 Witwen- und Waisen*-beihilfe im Wege des Härteausgleichs vom 1. Dezember 1969 an (Antragsmonat). Der Widerspruch der Klägerinnen, mit dem sie einen früheren Beginn der Witwen- und Waisen*-beihilfe beantragten, wurde durch Bescheid des Landesversorgungsamtes Rheinland-Pfalz vom 21. August 1972 zurückgewiesen. Das SG Koblenz hat durch Urteil vom 27. Februar 1973 die Klage abgewiesen und die Berufung zugelassen.

Das LSG hat durch das Urteil vom 22. Januar 1974 das Urteil des SG Koblenz aufgehoben, ferner die angefochtenen Verwaltungsbescheide insoweit aufgehoben, als der Beginn der Leistung auf den 1. Dezember 1969 festgesetzt worden ist, und den Beklagten verurteilt, über den Beginn der Witwen- und Waisen*-beihilfe im Wege des Härteausgleichs unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des LSG erneut zu entscheiden. In den Entscheidungsgründen wird ausgeführt, der von den Klägerinnen im Jahre 1963 gestellte Antrag auf Hinterbliebenenversorgung sei entgegen der Ansicht des Beklagten auch für den jetzt zugunsten der Klägerinnen entschiedenen Anspruch auf Gewährung von Witwen- und Waisen*-beihilfe im Wege des Härteausgleichs maßgebend, da er insoweit weder verbraucht noch erledigt sei. Im Zeitpunkt der Antragstellung im Jahre 1963 und auch im Jahre 1964 habe der Beklagte zwar keinen Anlaß gehabt, den Antrag der Klägerinnen hilfsweise auch auf Gewährung einer Witwen- und Waisen*-beihilfe gerichtet anzusehen, weil der Verstorbene im Zeitpunkt seines Todes keine Rente nach einer MdE um 80vH bzw 70vH bezogen hatte. Ohne entsprechenden Antrag des S. habe auch kein Anlaß bestanden zu überprüfen, ob eine MdE richtig bewertet gewesen sei. Diese Rechtslage habe sich jedoch durch das Rundschreiben des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung (BMA) vom 25. August 1965 (BVBl 1965 S 118 Nr 79) geändert. Hierdurch seien die Voraussetzungen für eine Versorgung im Wege des Härteausgleichs geschaffen worden. Der Beklagte sei nunmehr im Rahmen seiner Fürsorgepflicht verpflichtet gewesen, entweder nach § 7 Abs 2 des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VerwVG) auf eine Ergänzung des Antrags der Klägerinnen hinzuwirken oder in Auslegung des bereits gestellten Antrags über einen solchen Anspruch zu entscheiden. Der im Jahre 1963 gestellte Antrag, der auf alle rechtlich möglichen Leistungen gerichtet gewesen sei, sei auch durch den rechtskräftigen Abschluß des vorangegangenen Streitverfahrens nicht verbraucht worden. Streitgegenstand des damaligen Verfahrens sei lediglich ein Rechtsanspruch auf Versorgung gewesen und nicht ein möglicherweise bestehender Anspruch auf Versorgung im Wege des Härteausgleichs. Der Antrag auf Gewährung eines Härteausgleichs könne daher nicht als erledigt und verbraucht angesehen werden. § 9 BVG spreche die §§ 38 - 52 BVG insgesamt an, ohne zwischen Hinterbliebenenrente und Beihilfe im Wege des Härteausgleichs zu unterscheiden. Das Vorbringen der Klägerinnen im vorangegangenen Verfahren sei im ganzen gesehen darauf gerichtet gewesen, daß sie nach ihrem Ehemann bzw Vater eine Versorgung als Hinterbliebene bekommen müßten. Schließlich müsse auch geprüft werden, ob eine besondere Härte im vorliegenden Fall darin liegen könne, daß durch einen Fehler bzw ein Versehen der Versorgungsverwaltung eine Rechtslage geschaffen worden sei, aus der heraus ein erfolgversprechender Antrag auf eine in ihren Voraussetzungen von der Fehlentscheidung abhängige weitere Leistung nicht gestellt werden konnte.

Das LSG hat die Revision zugelassen.

Der Beklagte hat dieses Rechtsmittel eingelegt. Er ist der Auffassung, daß die Versorgungsverwaltung ihr Ermessen hinsichtlich des Beginns der hier bewilligten Leistungen nicht mißbraucht habe. Der von den Klägerinnen im Jahre 1963 gestellte Antrag habe die ihnen im Jahre 1970 bewilligten Härteausgleichsleistungen schon deshalb nicht umfaßt, weil derartige Leistungen damals versorgungsrechtlich nicht möglich gewesen seien. Davon sei offenbar auch das LSG ausgegangen. Diesem Antrag könne nicht nachträglich aufgrund des Rundschreibens des BMA vom 25. August 1965 eine andere Interpretation gegeben werden, zumal in diesem Zeitpunkt das Verwaltungs- und das gerichtliche Verfahren erster Instanz bereits abgeschlossen und der Antrag Gegenstand des anhängigen Berufungsverfahrens geworden sei. Die Klägerinnen hätten von sich aus zumindest hilfsweise den ursprünglichen Antrag ergänzen müssen. Selbst wenn jedoch ein Antrag auf Gewährung eines Härteausgleichs in dem ursprünglichen Antrag enthalten gewesen sein sollte, so sei er jedenfalls mit dem rechtskräftigen Abschluß des damaligen Verfahrens verbraucht worden. Eine "Fehlentscheidung" der Verwaltung liege nicht vor, die Ablehnung der Hinterbliebenenversorgung sei in allen drei sozialgerichtlichen Instanzen bestätigt worden. Eine Verletzung der Fürsorgepflicht könne allenfalls zu einem Schadensersatzanspruch führen, der nicht Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreit sei. Im übrigen habe auch ein qualifizierter Rentensachbearbeiter nicht ohne weiteres erkennen können, daß die in dem Rundschreiben des BMA aufgestellten Voraussetzungen der Härteausgleichsversorgung erfüllt gewesen seien. Dem angefochtenen Urteil sei nicht deutlich zu entnehmen, von welchem Zeitpunkt an nach Ansicht des LSG der Härteausgleich gewährt werden solle, weil hierfür drei verschiedene Zeitpunkte in Betracht kämen.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 22. Januar 1974 aufzuheben und die Berufung der Klägerinnen gegen das Urteil des Sozialgerichts Koblenz vom 27. Februar 1973 als unbegründet zurückzuweisen.

Die Klägerinnen beantragen,

die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 22. Januar 1974 kostenpflichtig zurückzuweisen.

Sie halten das angefochtene Urteil im Ergebnis und in seiner Begründung für zutreffend; die Revisionsangriffe des Beklagten seien unbegründet. Nach § 1 Abs 5 und §§ 61, 60 BVG sei der Antrag die materiell-rechtliche Voraussetzung für jegliche Versorgungsleistung. Der von den Klägerinnen im Oktober 1963 gestellte Antrag sei auf alle nur möglichen Versorgungsleistungen gerichtet und entsprechend von der Versorgungsverwaltung zu prüfen gewesen. Dieser Antrag sei durch das erste Gerichtsverfahren weder verbraucht noch erledigt gewesen, weil dieses Verfahren nur den Rechtsanspruch auf Versorgung erfaßt habe. Nach dem Rundschreiben des BMA vom Jahre 1965 habe den Klägerinnen ein Anspruch auf Härteausgleich zugestanden. Der Beklagte sei aufgrund seiner Fürsorgepflicht gehalten gewesen, das Anliegen der Klägerinnen in jeder Richtung und auf alle Ansprüche hin zu überprüfen. Dieser Verpflichtung sei die Versorgungsverwaltung nicht nachgekommen.

 

Entscheidungsgründe

II

Die durch Zulassung gemäß § 162 Abs 1 Nr 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) statthafte Revision ist vom Beklagten frist- und form*-gerecht eingelegt und begründet worden (§§ 164, 166 SGG); sie ist daher zulässig (§ 169 SGG). Das Rechtsmittel ist auch begründet und führt zur Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils. Das SG hat richtig erkannt, daß der Beklagte nicht verpflichtet ist, den Beginn der Härteausgleichsleistungen vorzuverlegen.

Gegenstand des Rechtsstreits ist der Leistungsbeginn für die Gewährung von Witwen- und Waisen*-beihilfe im Wege des Härteausgleichs nach § 89 BVG. Nach dieser Vorschrift kann mit Zustimmung des BMA ein Ausgleich gewährt werden, sofern sich in einzelnen Fällen aus den Vorschriften des BVG besondere Härten ergeben. Dabei ist die Frage, ob eine "besondere Härte" vorliegt, eine Rechtsfrage, die in vollem Umfang durch die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit überprüft werden kann (vgl BSG in SozR Nr 2 zu § 89 BVG). Der Beklagte hat das Vorliegen einer besonderen Härte anerkannt und den Klägerinnen den erstrebten Ausgleich, nämlich Witwen- und Waisen*-beihilfe nach § 48 Abs 1 Satz 3 BVG gewährt. Streitig ist lediglich die Frage, von welchem Zeitpunkt an die vom Beklagten bewilligte Härteausgleichsleistung zu zahlen ist. Die Bestimmung dieses Zeitpunkts liegt im Ermessensspielraum des Beklagten und kann durch die Gerichte nur im Rahmen des § 54 Abs 2 Satz 2 SGG daraufhin überprüft werden, ob die Verwaltung die Grenzen des ihr eingeräumten Ermessens überschritten oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat. Bei der Bedeutung, die der Antrag als materiell-rechtliche Voraussetzung für den Versorgungsanspruch nach § 1 Abs 1 und Abs 5 BVG hat (vgl BSG 2, 289; 7, 118; 7, 187; SozR Nr 12 zu § 45 BVG; KOV 1972, 61; Urteil BSG vom 24. Juli 1964 - 10 RV 319/62 -), ist es nicht fehlerhaft, wenn der Beklagte die Antragstellung (im Dezember 1969) als den für den Beginn der Härteausgleichsleistung maßgeblichen Zeitpunkt ansieht.

Den Ausführungen des LSG ist nicht deutlich zu entnehmen, ob es den im Jahre 1963 gestellten Antrag als nicht verbraucht und beschieden ansehen will, soweit es sich um den Härteausgleich handelt, oder ob es eine Verletzung der Fürsorgepflicht durch den Beklagten annehmen will. Beide Erwägungen sind jedoch nicht geeignet, eine Vorverlegung des Leistungsbeginns als gerechtfertigt erscheinen zu lassen.

Die Klägerinnen haben im Jahre 1963 einen Antrag auf "Witwen- und Waisen*-versorgung" nach § 1 Abs 5 BVG gestellt. Die Ansicht des LSG, daß ein derartiger Antrag regelmäßig die Gewährung eines Härteausgleichs mit umfasse, weil in § 9 Nr 5 BVG bei der Hinterbliebenenversorgung allgemein auf die §§ 38 - 52 BVG Bezug genommen und kein Unterschied zwischen Hinterbliebenenrente und Beihilfe im Wege des Härteausgleichs gemacht wird, ist unrichtig und steht mit der Rechtsprechung des BSG nicht im Einklang. Wie der erkennende Senat in seinen in BVBl 1966, 117 und KOV 1972, 61 abgedruckten Urteilen ausgesprochen hat, müssen auch die in § 9 Nr 3 BVG nebeneinander genannten Versorgungsleistungen, nämlich Beschädigtenrente und Pflegezulage, besonders beantragt werden, weil diese einzelnen Versorgungsleistungen ihrer Art und ihren Voraussetzungen nach so verschieden sind, daß sie jeweils einen gesonderten Antrag erfordern. Das gilt umso mehr für den vorliegenden Fall, in dem es nicht um Versorgung nach den §§ 38 - 52 BVG geht, sondern um einen Härteausgleich nach § 89 BVG. Diese Vorschrift ist in § 9 BVG überhaupt nicht genannt, weil die Härteausgleichsleistungen nicht unmittelbar unter den "Anspruch auf Versorgung" (so die Überschrift zu §§ 1ff BVG) fallen. Die Härteausgleichsleistungen sind Ermessensleistungen; sie unterscheiden sich von den Anspruchsleistungen ua dadurch, daß sie nicht einen Rechtsanspruch voraussetzen. Wer also einen Härteausgleich beantragt, geht gerade davon aus, daß er keinen Rechtsanspruch auf die Gewährung der Leistung hat, so daß dieser Antrag in einem gewissen Widerspruch zu einem auf einen Rechtsanspruch gestützten Antrag steht. Ein besonderer Antrag, der eindeutig auf die Gewährung eines Härteausgleichs gerichtet ist, kann daher regelmäßig nicht entbehrt werden.

Daß der ursprüngliche Antrag aus dem Jahre 1963 nicht auf die Gewährung eines Härteausgleichs gerichtet war, wird durch den gesamten Verfahrensablauf bestätigt. Der auf diesen Antrag ergehende Bescheid hatte die Gewährung von "Hinterbliebenenrente" abgelehnt. In ihrem Widerspruchsschreiben vom 7. April 1964 hat die Klägerin zu 1) genau aufgeführt, wogegen sich im einzelnen der Widerspruch richten soll. Es fehlt jeder Hinweis darauf, daß der ursprüngliche Antrag auch auf die Gewährung einer Kann- oder einer Härte*-ausgleichsleistung gerichtet sein soll. Hierzu wäre auch später noch Gelegenheit gewesen, als in der mündlichen Verhandlung vor dem LSG am 30. Oktober 1967 gewisse Unklarheiten in der Antragstellung erörtert wurden (vgl Bl 94 R in L 6 V 366/64). Die Klägerinnen haben aber lediglich - hilfsweise - die Durchführung weiterer Beweiserhebungen beantragt und eindeutig ihren Rechtsanspruch weiter verfolgt. Sie haben zu erkennen gegeben, daß es ihnen auch um einen Härteausgleich ging, noch mit der damaligen Revision gerügt, daß das LSG nur über den Rechtsanspruch - und nicht auch über den Härteausgleich - entschieden hatte. Daß dies aus Unkenntnis der Klägerinnen nicht geschehen ist, wird dadurch ausgeschlossen, daß sie rechtskundig - zunächst durch einen Vertreter des VdK, dann durch einen Rechtsanwalt - vertreten gewesen sind.

Auch eine Auslegung des im Jahre 1963 gestellten Antrags, wie sie der Beklagte nach Auffassung des LSG durchzuführen hatte, kann nicht dazu führen, daß er auch auf die Gewährung eines Härteausgleichs gerichtet anzusehen ist. Zwar ist nach Nr 1 Satz 2 der Verwaltungsvorschriften zu § 1 BVG der Antrag auf alle nach Lage des Falles in Betracht kommenden Leistungen gerichtet anzusehen, es sei denn, daß er auf bestimmte Leistungen ausdrücklich beschränkt wird. "Nach Lage des Falles" kam aber bei den Klägerinnen zur damaligen Zeit nur ein Antrag auf Gewährung von Hinterbliebenenversorgung als Rechtsanspruch in Frage. Im Jahre 1963 galt das BVG in der Fassung des Ersten Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Kriegsopferrechts (vom 27. Juni 1960, BGBl I 453 - 1 NOG -). Die Witwen- und Waisen*-beihilfe nach § 48 Abs 1 BVG (idF des 1. NOG) war damals davon abhängig, daß der Verstorbene bis zu seinem Tode Rente nach einer MdE um 80vH bezogen hatte. Daran fehlte es bei S., der zu seinen Lebzeiten nur eine Rente nach einer MdE um 50vH bezogen hatte. Die Rechtslage wurde für die Klägerinnen nicht günstiger, als das zweite Gesetz zur Änderung und Ergänzung des Kriegsopferrechts (vom 21. Februar 1964, BGBl I 85 - 2. NOG -), den Prozentsatz von 80vH auf 70vH herabsetzte, weil weiterhin Voraussetzung war, daß der Verstorbene eine solche Rente bis zu seinem Tode bezogen hatte. Das Dritte Gesetz zur Änderung und Ergänzung des Kriegsopferrechts (vom 28. Dezember 1966, BGBl I 750 - 3. NOG -) brachte eine weitere Erleichterung insofern, als jetzt ausreichte, daß der Verstorbene zur Zeit seines Todes Anspruch auf Rente nach einer MdE um 70vH hatte. Auch diese Regelung ermöglichte aber nicht die Gewährung einer Kannleistung an die Klägerinnen, weil hierfür erforderlich gewesen wäre, daß die MdE des S. durch rückwirkenden Zugunstenbescheid auf mindestens 70vH erhöht worden wäre. Das wäre aber nicht möglich, weil nach dem Tode des Berechtigten ein diesem erteilter Bescheid nicht mehr zugunsten seiner Hinterbliebenen berichtigt werden kann (vgl BSG in BVBl 1964, 168; 1965, 56; 1966, 117; s auch SozR VerwVG Nr 16 zu § 40). Eine Witwen- und Waisen*-beihilfe als Kannleistung nach § 48 Abs 1 Satz 3 BVG stand den Klägerinnen daher nicht zu.

Um den aus dieser Rechtslage entstehenden Härten abzuhelfen, hat sich der BMA in seinem Rundschreiben vom 25. August 1965 (vgl BVBl 1965, 118 Nr 79) damit einverstanden erklärt, daß den Hinterbliebenen ein Härteausgleich nach § 89 BVG gewährt werden kann, wenn die Voraussetzungen des § 48 BVG dann erfüllt wären, wenn dem Verstorbenen noch zu seinen Lebzeiten ein den Schädigungsfolgen entsprechender Zugunstenbescheid erteilt worden wäre. Vom 25. August 1965 an hätte also die Möglichkeit bestanden, den Klägerinnen auf Antrag Witwen- und Waisen*-beihilfe im Wege des Härteausgleichs zu gewähren. Vor Dezember 1969 haben die Klägerinnen jedoch einen solchen Antrag, der zunächst die Überprüfung und nachträgliche Erhöhung der MdE zum Ziele haben mußte, nicht gestellt (vgl Urteil BSG vom 25. November 1965 in BVBl 1966, 48). Entgegen der Auffassung des LSG kann ihr Antrag aus dem Jahre 1963 nicht automatisch auf diese seit August 1965 möglich gewordene Leistung erstreckt werden. Das Versorgungsrecht braucht feste Grundlagen. Eine solche ist der das Verwaltungsverfahren in Gang setzende Versorgungsantrag (§§ 6, 7 VerwVG). Nicht jede neue Entwicklung und Verbesserung im Versorgungsrecht kann dazu führen, daß neue Leistungen von Amts wegen festgestellt oder bereits laufende, durchaus sachgerechte und dem erklärten Willen des Versorgungsberechtigten entsprechende Anträge gleichsam von Amts wegen erweitert, ergänzt oder in ihrem Sachinhalt umgestellt werden. Im Gegenteil schreibt § 90 Abs 2 BVG nF ausdrücklich vor, daß neue Ansprüche - mit Ausnahme der Änderung (Anpassung) von laufend gewährten Versorgungsbezügen (s § 56 BVG) -, die sich aus einem Änderungsgesetz ergeben, "nur auf Antrag" festgestellt werden (s auch Art V § 1 des 3 NOG).

Die Verwaltungsbehörde hat zwar nach § 7 Abs 2 VerwVG darauf hinzuwirken, daß der Antragsteller sachdienliche Anträge stellt, sie begründet und ergänzt (vgl auch § 112 Abs 2 und 3 SGG). Eine solche Verpflichtung kann aber nur dann anerkannt werden, wenn der bereits vorliegende Antrag unklar (nicht sachdienlich) oder ergänzungsbedürftig (im tatsächlichen oder rechtlichen Vorbringen) ist oder wenn besondere Umstände eine Ergänzung nahelegen. Ein Rundschreiben des BMA reicht dafür nicht aus, insbesondere wenn für die Versorgungsverwaltung aus den bei ihr vorhandenen Unterlagen überhaupt nicht ersichtlich ist, daß die in dem Rundschreiben genannten Voraussetzungen im konkreten Fall gegeben sind. So liegt der Fall aber hier, denn den Versorgungsakten ist auch nicht andeutungsweise zu entnehmen, daß der Beschädigte vor seinem Ableben eine Leidensverschlimmerung oder eine Erhöhung der MdE geltend machen wollte. In einem solchen Fall muß auch eine dem Einzelnen dienende Leistungsverwaltung darauf vertrauen können, daß der Betroffene seine Rechte selbst wahrnimmt. Wie der erkennende Senat in seinem Urteil vom 4. Mai 1972 (SozR BVG Nr 6 zu § 60) ausgesprochen hat, entspringt für den Versorgungsberechtigten aus dem Versorgungsrechtsverhältnis die Obliegenheit zur Mitwirkung, Mitteilung und Anzeige; insbesondere gilt das für Tatsachen, die nur ihm bekannt sein können. Der Fürsorgepflicht der Versorgungsbehörde steht also im Rahmen des Versorgungsrechtsverhältnisses die Pflicht des Berechtigten gegenüber, auch von sich aus nach seinen Kräften und Kenntnissen alle zumutbaren Handlungen vorzunehmen, die zur Gestaltung eines dem Gesetz entsprechenden Versorgungsrechtsverhältnisses erforderlich sind (vgl BSG aaO). Das hat die Klägerin zu 1) versäumt. Sie kann ihre Säumnis nicht auf die Versorgungsverwaltung abwälzen, denn nach dem gegebenen Sachverhalt hat die Pflicht der Klägerinnen zur eigenen Antragstellung eindeutig den Vorrang vor der Betreuungspflicht des Beklagten, ganz abgesehen davon, daß auch das SG und das LSG nach dem damaligen Sach- und Streit*-stand keinen Anlaß gesehen haben, die - sachkundig vertretenen - Klägerinnen auf eine Änderung ihres Vorbringens und ihrer Anträge hinzuweisen. Die Klägerinnen hätten zu jeder Zeit aufgrund der nur ihnen bekannten Tatsachen - Anspruch auf Erhöhung der MdE durch den Beschädigten - einen Härteausgleich beantragen können. Sie sind also auch nicht durch das Verhalten oder eine Entscheidung des Beklagten an einer rechtzeitigen (früheren) Antragstellung, gerichtet auf die Gewährung eines Härteausgleichs, gehindert worden (vgl Rohr ZfS 1969, 1).

Die Auffassung des LSG, ein Antrag auf Gewährung von Härteausgleich sei bereits in dem ursprünglichen Antrag enthalten gewesen, jedoch sei darüber durch die Urteile im Vorprozeß nicht entschieden worden, trifft also nicht zu. Vielmehr wird der volle Umfang dessen, was mit dem ursprünglichen Antrag beantragt worden ist und sinnvollerweise beantragt werden konnte, von der Rechtskraft erfaßt. Der Bescheid vom 21. Februar 1964 ist überschrieben "Auf ihren Antrag vom 9.10.1963"; er will also über alles eine Aussage machen, was in diesem Antrag enthalten war. Dieser Bescheid (in Gestalt des Widerspruchsbescheides) wurde nach § 95 SGG Streitgegenstand; nach § 141 SGG wirkt auch die Rechtskraft in diesem Umfange. Die damaligen Urteile des SG und des LSG sind auch nicht als "Teilurteile" bezeichnet; sie bringen nicht zum Ausdruck, daß über Teile des Anspruchs noch nicht entschieden werden sollte.

Kam aber für die Klägerinnen die Gewährung einer Witwen- und Waisen*-beihilfe (§ 48 Abs 1 BVG) nur im Wege eines Härteausgleichs nach § 89 BVG in Betracht und ist der entsprechende Antrag erst im Dezember 1969 gestellt worden, dann war der Beklagte nicht gehindert, den Leistungsbeginn entsprechend den allgemeinen Regeln (§§ 60, 61 BVG) auf den Antragsmonat festzusetzen. Die Versagung einer Rückwirkung bei einem Härteausgleich kann - anders als bei der Erteilung eines Zugunstenbescheides nach § 40 Abs 1 VerwVG (vgl Urteil BSG vom 31. Juli 1975 - 9 RV 354/74 -) - nicht als Ermessensfehlgebrauch (§ 54 Abs 2 Satz 2 SGG) angesehen werden.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1649536

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