Beteiligte

…, Kläger und Revisionsbeklagter

Kassenärztliche Vereinigung Koblenz, Koblenz, Beklagte und Revisionsklägerin

1.AOK - Die Gesundheitskasse in Rheinland-Pfalz, Eisenberg, Virchowstraße 30, 2.BKK-Landesverband Rheinland-Pfalz und Saarland, Mainz, Essenheimer Straße 126, 3.Innungskrankenkasse Rheinland-Pfalz, Mainz, Saarstraße 1, ..

 

Tatbestand

G r ü n d e :

I

Der Kläger, ein zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassener Kinderarzt, begehrt eine höhere Vergütung der von ihm in den Quartalen III/93 bis I/94 erbrachten Leistungen.

Die beklagte Kassenärztliche Vereinigung (KÄV) berechnete das Honorar des Klägers für die genannten Quartale in Anwendung ihres Honorarverteilungsmaßstabes (HVM) idF vom 23. Juni 1993. Dieser sah für die Verteilung der Gesamtvergütung die Zuordnung der abgerechneten Leistungen zu verschiedenen Honorartöpfen, nämlich zum einen zu fachgruppenübergreifenden Honorartöpfen (zB für ambulantes Operieren, Prävention) und zum anderen zu einem "Resttopf" vor, dem die überwiegende Zahl der erbrachten ärztlichen Leistungen zugeordnet war. Der Resttopf war nach Fachgruppen untergliedert, zu denen auch die Kinderärzte zählten. Das einer Fachgruppe im Abrechnungsquartal zustehende Honorarkontingent wurde auf der Grundlage des prozentualen Anteils der Fachgruppe am Honorarvolumen des Vergleichsquartals des Jahres 1991 ermittelt. Der Punktwert im Quartal ergab sich aus der Division des jeweiligen Honorarvolumens durch die jeweils in der Fachgruppe insgesamt angeforderten Punktzahlen. Für den Teilbereich "Resttopf" wurde ein Mindestpunktwert von 8,5 Pf, für die einzelnen Fachgruppen ein solcher von mindestens 7 Pf garantiert. Im Quartal III/93 belief sich der so ermittelte Punktwert für die Fachgruppe der Kinderärzte bei den bereichseigenen Primärkassen auf 8,34 Pf. Der Punktwert für die Fachgruppe, der die Allgemeinärzte, praktischen Ärzte, Internisten ua zugeordnet waren, betrug demgegenüber 9,40 Pf. Mit Wirkung vom 1. April 1994 wurden die Kinderärzte nach einer Änderung des HVM der Gruppe der Allgemeinärzte/Praktiker zugeordnet.

Der HVM idF vom 23. Juni 1993 wurde den Krankenkassenverbänden zur Herstellung des Benehmens zugeleitet und den Mitgliedern der Beklagten mit Rundschreiben vom 30. Juni 1993 bekanntgemacht. Die Kassenverbände der Primärkassen teilten der Beklagten zwischen dem 1. und 26. Juli 1993 die Herstellung des Benehmens bezüglich der Festsetzung des HVM mit.

Der Kläger legte gegen den Honorarbescheid für das Quartal III/93 wegen des zu niedrigen Punktwertes Widerspruch ein, den die Beklagte zurückwies (Bescheid vom 30. März 1994).

Auf die hiergegen erhobene Klage hat das Sozialgericht (SG) den Bescheid für das Quartal III/93 und die im Wege der Klageerweiterung in das Verfahren einbezogenen Honorarbescheide für die Quartale IV/93 und I/94 abgeändert und die Beklagte zur Neubescheidung verurteilt (Urteil vom 2. November 1994).

Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen (Urteil vom 13. September 1995). Zur Begründung hat es ausgeführt, die Beklagte habe dadurch gegen den bei der Aufteilung der Gesamtvergütung an ihre Mitglieder zu beachtenden Grundsatz der Verteilungsgerechtigkeit verstoßen, daß sie bei den Kinderärzten der Berechnung des Anteils am Resthonorar den prozentualen Anteil am Punktzahlvolumen der entsprechenden Quartale des Jahres 1991 zugrunde gelegt habe. Sie habe dabei nicht berücksichtigt, daß Kinderärzte bei Inkrafttreten des HVM im Quartal III/93 und in den ebenfalls streitigen Folgequartalen bereits eine wesentlich größere Zahl von Patienten zu behandeln hatten als in den entsprechenden Quartalen des Jahres 1991. Eine gerechte Aufteilung des Resttopfes hätte entweder unter Beibehaltung der im HVM vorgesehenen Arztgruppen die bei Inkrafttreten des HVM bereits bekannten Fallzahlentwicklungen berücksichtigen müssen oder durch Bildung einer einheitlichen Gruppe der an der hausärztlichen Versorgung beteiligten Ärzte (§ 73 Abs 1a Fünftes Buch Sozialgesetzbuch [SGB V]) sicherstellen müssen, daß die Kinderärzte für die gleiche Behandlung eines Kindes im Prinzip nicht weniger Honorar erhielten als praktische Ärzte. Die Bildung einer eigenen Gruppe für alle Kinderärzte benachteilige diese in unzumutbarer Weise. So erhielten sie für ihre in den Resttopf fallenden Leistungen nach dem HVM 12,70 % weniger Honorar als die Praktiker, wenn diese gleiche Leistungen an Kindern erbrächten. Kinderärzte würden mit einem Punktwert von 8,34 Pf. vergütet, die Praktiker dagegen nach dem Punktwert von 9,40 Pf. Selbst wenn sich durch die anderen Leistungen der durchschnittliche Punktwert der Kinderärzte im Quartal III/93 von 8,34 Pf. aus dem Resttopf um 1,77 Pf. auf insgesamt 10,11 Pf. erhöhe, erhielten die Praktiker bei gleichen Leistungen für die Behandlung von Kindern immer noch 1,06 Pf. pro Resthonorarpunkt mehr. Die HVM-Änderung vom 23. Juni 1993 könne auch nicht als Anfangs- oder Erprobungsregelung aufrechterhalten werden. Sie habe nur Honorarverschiebungen zugunsten einer Arztgruppe durch eine von ihren Mitgliedern steuerbare Ausweitung einzelner in den Resttopf fallender Leistung verhindern sollen. Dazu gehöre aber die Fallzahlenentwicklung nicht, weil die Zahl der Patienten nicht nach eigenem Ermessen vermehrt werden könne. Die Fallzahlen der Kinderärzte seien aber, wie der Kläger dargelegt habe, nicht erst nach dem Inkrafttreten des HVM vom 23. Juni 1993, sondern bereits seit 1988 kontinuierlich weitaus stärker gestiegen als die der Praktiker. Dies könne nur damit erklärt werden, daß sich die Zahl der Kinder unter 14 Jahren in der gleichen Zeit stark erhöht habe und/oder daß immer mehr Eltern ihre Kinder von Kinderärzten statt von Praktikern hätten behandeln lassen. Die vom Kläger zur Fallzahlenentwicklung vorgelegten Zahlen stammten offensichtlich von der Beklagten selbst. Sie seien der Beklagten somit bei Erlaß des streitigen HVM bekannt gewesen. Nicht ausreichend sei, daß durch Beschluß der Vertreterversammlung vom 1. Dezember 1993 mit Wirkung vom 1. April 1994 die Kinderärzte der Gruppe der Hausärzte zugeordnet worden seien.

Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Beklagte eine Verletzung materiellen Rechts. Das LSG habe den Begriff der Verteilungsgerechtigkeit verkannt. Der Inhalt dieses Begriffes habe sich mit der durch das Gesundheitsstrukturgesetz (GSG) eingeführten Budgetierung der Gesamtvergütung verändert. Danach hätten die Krankenkassen den KÄVen zur Verteilung an deren Mitglieder eine bestimmte,

nach feststehenden Kriterien bemessene Geldsumme zuzuweisen, wobei es im wesentlichen nicht mehr darauf ankomme, welche und wieviel Leistungen in den betreffenden Abrechnungsvierteljahren von einem Arzt bzw den Ärzten eines Fachgebietes erbracht worden seien und somit eigentlich zu honorieren wären. Dies habe zur Folge, daß immer dann, wenn die Erhöhung der Vergütung einer bestimmten Arztgruppe für erforderlich gehalten werde, das Honorar für eine oder mehrere andere Gruppen entsprechend abgesenkt werden müsse. Das Budget bewirke somit letztlich, daß die Honorarverteilung nur noch darin bestehe, im Wege des HVM gewisse Anteile der festen Gesamtvergütung zu verschieben. Unter dem Gesichtspunkt der Verteilungsgerechtigkeit seien die Regelungen eines HVM danach zu überprüfen, ob sie Vergütungen garantierten, die für den einzelnen Arzt und seine Gruppe noch hinnehmbar und im Verhältnis zu den Ärzten aller anderen Gruppen zumindest einigermaßen "ausbalanciert" seien. Bei Anlegung dieser Maßstäbe könne von einer Ungerechtigkeit dann nicht gesprochen werden, wenn trotz gestiegener Fallzahlen der durchschnittliche Punktwert der Kinderärzte im Verhältnis zu dem der Allgemeinärzte/praktischen Ärzte in den vier Quartalen vor und nach Inkrafttreten des HVM praktisch im gleichen Vomhundertsatz unter demjenigen der Praktiker geblieben sei, wie das hier der Fall sei. Bei einer durch die Budgetierung geprägten Gesamtvergütung könne nämlich die Frage, ob diese durch den HVM gerecht verteilt worden sei oder nicht, nur anhand einer vergleichenden, die gesamte ärztliche Tätigkeit umfassenden "Mischkalkulation" beantwortet werden. Unzutreffend sei daher der vom LSG vorgenommene Vergleich einzelner Leistungen. Sie - die Beklagte - sei entgegen der Auffassung des LSG auch nicht verpflichtet gewesen, beim Erlaß des HVM der Fallzahlenentwicklung bei den Kinderärzten Rechnung zu tragen. Bei der Beschlußfassung über den HVM Ende Juni 1993 hätten allenfalls die entsprechenden Fallzahl-Entwicklungen bis zum 1. Quartal 1993 vorgelegen. Aus diesen Werten sei zwar zu entnehmen gewesen, daß sich die Fallzahlen der Kinderärzte zumindest ab dem 3. Vierteljahr 1992 konstant leicht erhöht hatten. Es sei aber davon auszugehen gewesen, daß diese Tendenz schon deshalb gebremst werde, weil sich die Zahl der Kinderärzte wegen der zunehmenden Zulassungsbeschränkungen nicht unbegrenzt habe erhöhen können. Im übrigen dürften die Kinder nach Erlaß des HVM nicht kränker geworden sein als sie es vorher gewesen seien. Zudem könne ein Kinderarzt - wie jeder andere Arzt auch - in gewisser Weise seine Fallzahl beeinflussen, indem er seine Patienten gehäuft, über mehrere Abrechnungsvierteljahre verteilt, einbestelle. Abgesehen davon hätte das LSG den von ihm vorgenommenen Vergleich des Punktwertes der Kinderärzte nicht nur mit dem der Allgemeinärzte/praktischen Ärzte durchführen müssen. Es hätte auch berücksichtigen müssen, daß zB andere Ärzte wie Internisten oder HNO-Ärzte Kinder betreuen. Zudem hätten, um statistisch relevante Vergleichswerte zu erhalten, die Punktwerte der Kinderärzte in einem wesentlich längeren Zeitraum, etwa für die Dauer von mindestens vier Quartalen, denjenigen der Praktiker im gleichen Zeitraum gegenübergestellt werden müssen.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 13. September 1995 aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.

Der Kläger beantragt,

die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 13. September 1995 zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend und führt ergänzend aus, maßgebend für die Beurteilung, ob die getroffene HVM-Regelung dem Grundsatz der Honorarverteilungsgerechtigkeit entspreche, sei nicht der durchschnittliche Punktwert aller Leistungen, sondern allein der des Resthonorars. Die gesetzlich vorgeschriebene Privilegierung der Präventionsleistungen könne nicht durch einen niedrigeren Restpunktwert unterlaufen werden. Der Beklagten sei darüber hinaus bekannt gewesen, daß sich aufgrund der zwischen dem Bezugsquartal II/91 und dem Vergleichsquartal in 1993 erfolgten Patientenwanderung von Allgemeinärzten zu Kinderärzten die Verhältnisse zum Nachteil der Kinderärzte verschlechtert hätten. Die Beklagte hätte diese Entwicklung bei der Neufassung ihres HVM berücksichtigen müssen. Bei der Überprüfung der Punktwerte unter dem Gesichtspunkt der Honorarverteilungsgerechtigkeit sei nicht auf einen Vergleich zu dem Durchschnitt aller Arztgruppen abzustellen. Vielmehr seien die Kinderärzte mit den Hausärzten zu vergleichen, weil beide Gruppen ein ähnliches Patientengut behandelten und in unmittelbarer Konkurrenz stünden.

Die übrigen Beteiligten haben sich im Revisionsverfahren zur Sache nicht geäußert und keine Anträge gestellt.

II

Die Revision der Beklagten ist begründet. Die Sache war an das LSG zurückzuverweisen.

Die vom Kläger angegriffenen Honorarbescheide sind nicht schon wegen der von ihm gegen die Rechtmäßigkeit des HVM der Beklagten idF vom 23. Juni 1993 erhobenen formellen Rügen rechtswidrig. Entgegen seiner Auffassung ist zunächst das Benehmen mit den Verbänden der Krankenkassen bei der Festsetzung des HVM ordnungsgemäß hergestellt worden.

Nach der Vorschrift des § 85 Abs 4 Satz 2 SGB V wendet die KÄV bei der Verteilung der Gesamtvergütung unter die Vertragsärzte den im Benehmen mit den Verbänden der Krankenkassen festgesetzten Verteilungsmaßstab an. Die Herstellung des Benehmens iS der genannten Regelung erfordert, daß die KÄV die betroffenen Krankenkassenverbände über die anstehenden Änderungen des HVM informiert, diesen die Möglichkeit der Stellungnahme gibt und die KÄV die von den Krankenkassenverbänden erhobenen Einwände oder Bedenken vor der Beschlußfassung über den HVM zur Kenntnis nimmt und ggf berücksichtigt (Urteil des Senats vom 24. August 1994 = BSGE 75, 37, 40 f = SozR 3-2500 § 85 Nr 7, S 40 f). Die Herstellung des Benehmens gebietet damit zwar grundsätzlich eine der Beschlußfassung über den HVM vorausgehende Information mit der Möglichkeit zur Stellungnahme. Dem Benehmenserfordernis kann aber nach der Rechtsprechung des Senats auch durch das nachträgliche Herstellen des Benehmens Rechnung getragen werden. Der Senat hat es demgemäß für eine ordnungsgemäße Benehmensherstellung ausreichen lassen, wenn bei kurzfristigen Änderungen gegenüber einem zunächst vorgesehenen HVM-Vorschlag durch eine nach der Beschlußfassung über den HVM erfolgende Information der Krankenkassenverbände deren Mitwirkungsbefugnis entsprochen und ihnen die Möglichkeit zu einer Stellungnahme gegeben worden ist, so daß etwaige Bedenken noch hätten berücksichtigt werden können (Urteil vom 24. August 1994 - aaO -). Davon ist auszugehen, wenn diese nachträglich das Benehmen mit der HVM-Änderung erklärt haben. Der Senat hat bei dieser Rechtsprechung berücksichtigt, daß ansonsten kurzfristige Änderungen des HVM, bedingt zB durch Abweichung von der zunächst vorgesehenen Fassung aufgrund einer Beschlußfassung in der Vertreterversammlung, nicht mit Wirkung gegenüber den KÄV-Mitgliedern erfolgen könnten. Bei einer entgegenstehenden Auslegung der Benehmensregelung wäre damit die gesetzlich vorgesehene Befugnis der Vertreterversammlung der KÄV zur autonomen Rechtssetzung bei der Honorarverteilung de facto erheblich beeinträchtigt. Welche Wirkung nachträglich erhobenen Einwendungen der Krankenkassenverbände bei der Nachholung des Benehmens zukommt und wie ihnen Rechnung zu tragen ist, braucht hier nicht entschieden zu werden.

Nach den vom LSG in Bezug genommenen Feststellungen des SG liegen die Voraussetzungen für eine nachträgliche Herstellung des Benehmens vor. Der HVM idF vom 23. Juni 1993 wurde den im Wege der Benehmenserherstellung zu beteiligenden Verbänden der Primärkassen zugeleitet. Diese haben ihr Einverständnis mit der Änderung erklärt.

Der mit Wirkung vom 1. Juli 1993 in Kraft getretene HVM idF vom 23. Juni 1993 ist auch nicht deshalb rechtswidrig, weil er den Mitgliedern der Beklagten erst mit Rundschreiben vom 30. Juni 1993 zum 1. Juli 1993 bekannt gemacht worden ist. Aus dem Zusammentreffen von Bekanntmachung und Inkrafttreten der HVM-Änderung kann eine Rechtswidrigkeit der Satzungsänderung nicht abgeleitet werden. Zwar müssen Satzungen als materielle Rechtsnormen in der Regel vor ihrem Inkrafttreten bekannt gemacht werden. Die Bekanntmachung am Tage des Inkrafttretens war hier aber aus mehreren Gründen unschädlich. So war den Mitgliedern der Beklagten bereits durch ein Sonderrundschreiben vom 10. Mai 1993 mitgeteilt worden, daß eine Änderung des HVM mit dem Inhalt, wie er im wesentlichen auch beschlossen worden ist, vorgenommen werden sollte. Hinzu kommt, daß die HVM-Änderung vom 23. Juni 1993 sich nicht auf das Behandlungsverhalten des einzelnen Arztes, das durch den Krankheitszustand seiner Patienten und nicht durch die Zuordnung von Leistungen zu einzelnen Honorartöpfen bestimmt wird, auswirken konnte. Demgemäß ist auch nicht vorgetragen, daß bei einer früheren Veröffentlichung der HVM-Änderung der Kläger eine Umstellung seiner Praxisführung hätte vornehmen können (zu diesem Gesichtspunkt s schon BSG SozR 2200 § 368f Nr 15; BSG - Urteil vom 28. Oktober 1987 - 6 RKa 66/86 = USK 87189).

Die Bildung eines Resthonorartopfes und dessen Untergliederung nach Fachgruppen ist grundsätzlich rechtlich zulässig. Honorarverteilungsregelungen einer KÄV sind in erster Linie an den gesetzlichen Vorgaben in § 85 Abs 4 SGB V zu messen. Zentrale Bedeutung kommt dabei der Bestimmung in § 85 Abs 4 Satz 3 SGB V zu, nach der bei der Verteilung der Gesamtvergütung Art und Umfang der Leistungen des Kassenarztes zugrunde zu legen sind. Dieser Vorschrift kann, wie der Senat zu der gleichlautenden früheren Regelung des § 386f Abs 1 Satz 4 Reichsversicherungsordnung (RVO) bereits entschieden hat, nicht die Forderung entnommen werden, die Leistungen müßten nach ihrer Art und ihrem Umfang stets gleichmäßig, dh mit einem für alle Leistungen einheitlichen Punktwert, honoriert werden. Das Gesetz schließt danach eine Aufteilung der Gesamtvergütung in Teilbudgets mit der Folge, daß die kassen- und vertragsärztlichen Leistungen nicht mehr entsprechend dem EBM im selben Verhältnis, sondern, abhängig von der Mengenentwicklung im jeweiligen Leistungsbereich, unterschiedlich hoch vergütet werden, nicht grundsätzlich aus (Urteil vom 29. September 1993 - 6 RKa 65/91 - [BSGE 73, 131, 134 = SozR 3-2500 § 85 Nr 4 S 22]; vgl auch § 85 Abs 4 Satz 5 SGB V, wonach eine nach Arztgruppen und Versorgungsgebieten unterschiedliche Verteilung vorgesehen werden kann). Im Hinblick auf die berufsregelnde Tendenz von Honorarverteilungsvorschriften darf die KÄV die Verteilung allerdings nicht frei nach ihrem Ermessen gestalten; sie ist vielmehr an den Grundsatz der leistungsproportionalen Verteilung gebunden. Dieser besagt, daß die ärztlichen Leistungen prinzipiell gleichmäßig zu vergüten sind (BSGE 73, 131, 136 = SozR 3-2500 § 85 Nr 4 S 24; vgl auch BSGE 75, 187, 191 = SozR 3-2500 § 72 Nr 5 S 9 sowie Axer, NZS 1995, 536 ff). Der normsetzenden Körperschaft bleibt jedoch ein Spielraum für sachlich gerechtfertigte Abweichungen von dem genannten Grundsatz, der es ihr ermöglicht, ihrem Sicherstellungsauftrag und ihren sonstigen gesetzlichen und vertraglichen Verpflichtungen gerecht zu werden.

Gemessen an den aufgezeigten Grundsätzen sind die im vorliegenden Verfahren umstrittenen Regelungen des HVM im Grundsatz rechtmäßig. Sie setzen zunächst ebenfalls bei einzelnen Leistungsbereichen an, indem sie diese - wie hier den Leistungsbereich "Resthonorar" - einer Kontingentierung des Honorarvolumens unterwerfen. Die maßgebliche Differenzierung, die im Ergebnis unterschiedliche Verteilungspunktwerte bei den einzelnen Arztgruppen nach sich zieht, erfolgt innerhalb des Teilbudgets "Resthonorar" jedoch nicht nach Leistungsbereichen, sondern nach Arztgruppen (Ziff III 1.5 der Anlage 1 zu § 6 Abs 1 des HVM). Dieser im Verhältnis zur Differenzierung nach Leistungsbereichen unterschiedliche Ansatz bewirkt in der rechtlichen Bewertung aber kein anderes Ergebnis.

Nach der Regelung des HVM werden für die Berechnung des Honorars im Leistungsbereich "Resthonorar" fachgruppenbezogene Kontingente gebildet. Im wesentlichen von der berufsrechtlichen Untergliederung nach Arztgruppen ausgehend unterscheidet die Regelung zwischen 15 verschiedenen Arztgruppen und der Gruppe "Nichtvertragsärzte". Welches Honorarvolumen auf die einzelne Fachgruppe quartalsweise entfällt, wird wie folgt bestimmt: Das zur Verfügung stehende Honorarvolumen ergibt sich aus dem prozentualen Anteil der Fachgruppe am Punktzahlenvolumen des Resthonorars in dem Ausgangsquartal des Vergleichsjahres 1991 bezogen auf das Resthonorar im Abrechnungsquartal. Der fachgruppenbezogene Punktwert wird durch die Division des zur Verfügung stehenden Honorarvolumens durch die jeweils angeforderten und anerkannten Punktzahlvolumina der Fachgruppe ermittelt.

Die Differenzierung nach fachgruppenbezogenen Kontingenten bei der Verteilung der Gesamtvergütung hält sich innerhalb des gesetzlich vorgegebenen Rahmens. Ziel der Beklagten war es (vgl Begründung in der Anlage A zum Sonderrundschreiben vom 30. Juni 1993), die durch das GSG vom 21. Dezember 1992 (BGBl I 2266) vorgenommene Begrenzung der Gesamtvergütung gleichmäßig für alle Arztgruppen umzusetzen. § 85 Abs 3a S 1 SGB V idF des GSG (Art 1 Nr 43 f) legt fest, daß die nach Abs 3 aa0 zu vereinbarenden Veränderungen der Gesamtvergütungen als Ausgabenvolumen für die Gesamtheit der zu vergütenden vertragsärztlichen Leistungen in den Jahren 1993, 1994 und 1995 sich höchstens um den Vom-Hundert-Satz verändern dürfen, um den sich die zu ermittelnden beitragspflichtigen Einnahmen der Mitglieder aller Krankenkassen mit Sitz im Bundesgebiet außerhalb des Beitrittsgebietes je Mitglied verändern. Nach Satz 2 aa0 sind die Veränderungen der Gesamtvergütungen im Jahre 1993 auf das entsprechend der Zuwachsrate der beitragspflichtigen Einnahmen nach Satz 1 aa0 im Jahre 1992 erhöhte Vergütungsvolumen im Jahre 1991 zu beziehen. Die Regelungen binden damit das Wachstum der Gesamtvergütung an die Entwicklung der Grundlohnsumme, dh der beitragspflichtigen Einnahmen der Mitglieder aller Krankenkassen. Ausgangsbasis für die Veränderung der Gesamtvergütung im Jahre 1993 ist das Vergütungsvolumen des Jahres 1991. Die als Budgetierung der Gesamtvergütung bezeichnete Maßnahme kann unter bestimmten Voraussetzungen - wie zB der allgemeinen Zunahme der abgerechneten Leistungen - eine Minderung des Punktwertes und als dessen Folge eine Verringerung des für die einzelne Leistung zur Verfügung stehenden Honorars nach sich ziehen. Das wiederum fördert Bestrebungen, durch eine Ausweitung der Leistungen und damit eine Erhöhung der Punktzahlanforderungen die mit dem Absinken des Punktwertes einhergehenden Honorarminderungen aufzufangen. Die Beklagte wollte mit der von ihr vorgenommenen Bildung fachgruppenbezogener Teilbudgets bei dem Leistungsbereich "Resthonorar" der Gefahr begegnen, daß sich während der Budgetierungsphase durch eine unterschiedliche Mengendynamik in den verschiedenen Fachgruppen das bisherige Honorargefüge ungerechtfertigt zugunsten einzelner und zum Nachteil anderer Arztgruppen veränderte. Sie hat damit letztlich nur die vom Gesetzgeber für die Gesamtvergütung vorgeschriebene Budgetierung bei der Honorarverteilung fortgeführt, indem sie auch die auf die einzelnen Fachgruppen entfallenden Honorarkontingente auf der Basis des Jahres 1991 festgeschrieben hat. Dieses Vorgehen ist sachgerecht; denn durch die fachgruppenbezogene Kontingentierung des Honorarvolumens verbleibt für die Dauer der gesetzlichen Budgetierung das Risiko der Leistungsmengenausweitung bei den Ärzten der jeweiligen Fachgruppe, und eine Verlagerung des Risikos der Honorarminderung durch Mengenausweitung bei einzelnen Arztgruppen auf die Gesamtheit der Mitglieder der Beklagten ist ausgeschlossen.

Allerdings ist die Beschränkung der Auswirkungen der Mengenausweitung nur einer der Gesichtspunkte, die unter Berücksichtigung einer gebotenen Differenzierung bei der Bildung von fachgruppenbezogenen Teilbudgets zu beachten sind. Der Satzungsgeber - hier die Beklagte - ist zur Prüfung verpflichtet, ob andere Umstände als von den Vertragsärzten selbst verursachte Leistungsausweitungen zu einer Veränderung innerhalb der verschiedenen Honorarkontingente führen müssen. Als derartige Umstände können zB gesetzliche oder satzungsmäßige Leistungsausweitungen oder auch Veränderungen bei den Patientenzahlen einer Arztgruppe, soweit diese nicht durch die Ärzte selbst beeinflußt sind, in Betracht kommen. Sofern sich einer dieser Faktoren nur bei einzelnen Arztgruppen auswirkt, kann es geboten sein, dem durch eine Veränderung bei der Zuweisung des Honorarvolumens zu entsprechen.

Ob derartige Entwicklungen im maßgeblichen Zeitraum bei den Kinderärzten im Bereich der Beklagten vorgelegen haben, kann aufgrund der vom LSG zugrunde gelegten allgemeinen Annahmen nicht beurteilt werden. Danach hatten die Kinderärzte bei Inkrafttreten des HVM idF vom 23. Juni 1993 "eine wesentlich größere Zahl" von Patienten zu behandeln als im Vergleichsquartal des Jahres 1991. Diese Veränderung im Patientenaufkommen sei schon seit dem Jahre 1988 zu beobachten und damit der Beklagten bekannt gewesen.

Unterschiede in der Fallzahlentwicklungen ergeben sich indessen nach allgemeiner Kenntnis bei den einzelnen Arztgruppen von Quartal zu Quartal. Wären sie bei einer nach Honorartöpfen gegliederten Verteilung der Gesamtvergütung immer und sofort zu berücksichtigen, würde dies erst recht Versuche begünstigen, über die Beeinflussung des Patientenaufkommens auf die Verteilung der Gesamtvergütung einzuwirken. Dies würde dem eigentlichen Anliegen der Bildung von Honorarkontingenten widersprechen. Zugleich wäre eine annähernd gleichmäßige Honorarverteilung über einen längeren Zeitraum hinweg ausgeschlossen. Deshalb sind Entwicklungen in dem Patientenaufkommen einzelner Arztgruppen bei der kontigentierten Honorarverteilung nur dann zu berücksichtigen, wenn es sich um wesentliche Veränderungen im Vergleich zum Ausgangsquartal und um eine längerdauernde, damit mindestens über ein Jahr anhaltende Entwicklung handelt. Als wesentlich ist eine Änderung dann anzusehen, wenn sich das Patientenaufkommen der Arztgruppe um mindestens +/- 10 % im Vergleich zum Ausgangsquartal verändert hat und sich entsprechende Entwicklungen bei den übrigen Arztgruppen nicht ergeben haben. Da das Patientenaufkommen in gewissem Umfang auch der Steuerung durch die Ärzte der jeweiligen Fachgruppe zugänglich ist, ist bei der Honorarverteilung nur solchen Veränderungen Rechnung zu tragen, die auf objektiven Veränderungen der Zusammensetzung des Patientengutes beruhen.

Ob die vom LSG beobachteten Veränderungen im Patientenaufkommen der Kinderärzte den aufgezeigten Anforderungen an zu berücksichtigende Strukturveränderungen in der Zusammensetzung des Patientengutes entspricht, hat das Berufungsgericht nicht festgestellt. Die Bezugnahme auf Darlegungen des Klägers hinsichtlich - behaupteter - Entwicklungen bei den Fallzahlen ersetzt eigene Feststellungen nicht. Offen bleiben konnte vor dem dargelegten Hintergrund auch nicht, ob sich die durchschnittlichen Fallzahlen bei den Kinderärzten deshalb erhöht haben, weil - wie vom LSG vermutet - die Zahl der Kinder unter 14 Jahren im gleichen Zeitraum stark zugenommen hat (vgl allgemein zur Fallzahlenentwicklung: Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland, Die Entwicklung der Fallzahlen bei niedergelassenen Ärzten 1980 bis 1993, 1994, S 48 ff) oder weil immer mehr Eltern ihre Kinder von Kinderärzten statt von praktischen Ärzten behandeln lassen.

Das LSG wird die entsprechenden Feststellungen nachzuholen und bei seiner abschließenden Entscheidung auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu befinden haben.BUNDESSOZIALGERICHT

 

Fundstellen

SozSi 1997, 118

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