Leitsatz (amtlich)

Bei der Entscheidung über einen Antrag auf Berufsausbildungsbeihilfe nach AFG § 40 kann die BA zunächst davon ausgehen, daß der Auszubildende einen Anspruch auf Unterhalt hat, wenn ein Unterhaltsrechtsverhältnis zu Dritten besteht und nach den Berechnungsvorschriften der A Ausb ein auf die Berufsausbildungsbeihilfe anzurechnendes Einkommen festgestellt wird. Einwände nach bürgerlichem Recht gegen den Unterhaltsanspruch kann nur der Unterhaltsverpflichtete selbst und nur dem Auszubildenden gegenüber geltend machen, ggf mit der Folge aus AFG § 40 Abs 3 .

 

Leitsatz (redaktionell)

1. AusbFöAnO § 16 Abs 6, wonach von der Anrechnung des die Freibeträge nach AusbFöAnO § 16 Abs 1 bis 5 übersteigenden Elterneinkommens abgesehen werden kann, wenn dies zur Vermeidung unbilliger Härten gerechtfertigt ist, räumt der Bundesanstalt für Arbeit weder hinsichtlich des Vorliegens einer unbilligen Härte noch der Höhe des zu gewährenden Freibetrages einen Ermessens- oder Beurteilungsspielraum ein.

Eine generelle Berücksichtigung zusätzlicher Kinderfreibeträge neben denen des AusbFöAnO § 16 Abs 1 Nr 3 idF vom 28.2. 1974 ist nicht zulässig.

2. AusbFöAnO § 20 Abs 8 idF vom 6.6. 1974, wonach bei der Bewilligung von Berufsausbildungsbeihilfe die zur Zeit der Antragstellung nachweisbaren wirtschaftlichen Verhältnisse maßgebend sind, kann ermächtigungskonform nicht dahingehend ausgelegt werden, daß in der Zeit danach eingetretene Änderungen oder verwertbar gewordene Beweismittel außer Betracht zu bleiben hätten.

 

Normenkette

AFG § 40 Abs. 3 Fassung: 1969-06-25; AusbFöAnO § 16 Fassung: 1974-12-11; BGB § 1601 Fassung: 1896-08-18, § 1603 Abs. 1 Fassung: 1961-08-11; AFG § 40 Abs. 1 Fassung: 1969-06-25; AusbFöAnO § 16 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 6, § 20 Abs. 8 Fassung: 1974-02-28

 

Verfahrensgang

LSG Niedersachsen (Entscheidung vom 24.05.1976; Aktenzeichen L 7 Ar 16/76)

SG Stade (Entscheidung vom 12.12.1975; Aktenzeichen S 9 Ar 139/75)

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 24. Mai 1976 aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte dem Kläger Berufsausbildungsbeihilfe (BAB) für die Zeit vom 27. Juni 1975 bis 31. März 1976 zu gewähren hat.

Der am 24. August 1957 geborene Kläger begann am 1. April 1975 bei der Firma Georg H, Zentralheizungen, Sanitäre Anlagen, Ölfeuerungen, in S eine Berufsausbildung als Klempner und Installateur. Nach dem Ausbildungsvertrag hatte er im ersten Ausbildungsjahr eine monatliche Vergütung von 220,- DM sowie 13,- DM Leistungen nach dem Vermögensbildungsgesetz zu erhalten.

Der Vater des Klägers war seit März 1973 krank. Er bezog ab 1. April 1975 Krankengeld in Höhe von 1.680,- DM monatlich. Die Mutter des Klägers war nicht berufstätig. Für den Kläger und seine drei 1961, 1967 und 1968 geborenen Geschwister erhielten die Eltern des Klägers 360,- DM Kindergeld monatlich. An Miete hatten die Eltern des Klägers monatlich 300,- DM zu zahlen zuzüglich einer Heizkostenpauschale von 80,- DM und einer Wasser- und Abwasserpauschale von 40,- DM monatlich. Sie bezogen ein Wohngeld, das seit dem 1. April 1975 88,- DM monatlich betrug.

Am 27. Juni 1975 beantragte der Kläger, ihm BAB zu gewähren. Die Beklagte lehnte diesen Antrag mit Bescheid vom 14. August 1975 und Widerspruchsbescheid vom 24. September 1975 mit der Begründung ab, das anzurechnende Einkommen der Eltern und der eigene Verdienst des Klägers überstiegen seinen Gesamtbedarf. Die Beklagte setzte den Bedarf des Klägers mit 305,- DM für den Lebensunterhalt und 40,- DM für Lernmittel und Arbeitskleidung an, berechnete ihm die Ausbildungsvergütung mit 233,- DM und kam so zu einem ungedeckten Bedarf von 112,- DM. Von dem Einkommen der Eltern in Höhe von 2.040,- DM (1.680,- DM Krankengeld und 360,- DM Kindergeld) zog die Beklagte die Freibeträge von 650,- DM für den Vater des Klägers und 250,- DM für die Mutter des Klägers und je 200,- DM für die drei Geschwister sowie die Miete in Höhe von 300,- DM ab (Zusammen 1.800,- DM) und gelangte so zu dem anzurechnenden Einkommen von 240,- DM.

Das Sozialgericht (SG) hat die Beklagte unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide verurteilt, dem Kläger BAB zu gewähren (Urteil vom 12. Dezember 1975). Das Landessozialgericht (LSG) hat mit Urteil vom 24. Mai 1976 die Berufung der Beklagten mit der Maßgabe zurückgewiesen, daß die Beklagte dem Grunde nach verurteilt werde, dem Kläger Ausbildungsbeihilfe für die Zeit vom 27. Juni 1975 bis 31. März 1976 unter Berücksichtigung der aus den Entscheidungsgründen ersichtlichen Freibeträge zu gewähren. Es hat ausgeführt:

Das Einkommen der Eltern des Klägers sei von der Beklagten zutreffend mit 2.040,- DM monatlich berücksichtigt worden. Der nach Maßgabe der Anordnung des Verwaltungsrates der Beklagten über die individuelle Förderung der beruflichen Ausbildung (A-Ausbildung) vom 31. Oktober 1969 (ANBA 1970 S 213), zuletzt geändert durch die 7. Änderungsanordnung vom 6. Juni 1974 (ANBA S 965) zu berechnende Freibetrag mache aber nicht 1.800,- DM aus, wie die Beklagte meine, sondern 2.102,- DM, so daß kein überschießender Betrag verbleibe. Die Freibeträge für Eltern und Geschwister nach § 16 Abs 1 der A-Ausbildung habe die Beklagte mit insgesamt 1.500,- DM richtig berechnet. Hinzu komme gemäß § 16 Abs 4 A-Ausbildung die Miete von 300,- DM abzüglich des Wohngeldes von 88,- DM, also monatlich 212,- DM. Hinzu trete weiter ein Freibetrag nach § 16 Abs 6 der A-Ausbildung in Höhe von 390,- DM, zusammen 2.102,- DM, so daß das Gesamteinkommen von 2.040,- DM überschritten werde.

Die Anwendung der Härteklausel (§ 16 Abs 6 A-Ausbildung) sei von den Gerichten in vollem Umfange überprüfbar. Der Gesetzgeber habe im § 40 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) die BAB als Rechtsanspruch ausgestaltet. Da bei Vorliegen sämtlicher Voraussetzungen ein Rechtsanspruch auf Förderung gegeben sei, könne der Verwaltungsrat diesen Rechtsanspruch nicht im Wege der Anordnungen nach § 39 AFG bei einem Teilgebiet der Bedürftigkeitsprüfung in eine Ermessensleistung umbilden.

Zunächst sei zu beachten, daß der Vater des Klägers krankheitsbedingt auf die Benutzung eines Kraftwagens angewiesen sei. Er sei Schwerbeschädigter mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit um 80 vH. Aufgrund einer seit dem 9. Lebensjahr vorliegenden Knochenmarksentzündung und einer Beinverkürzung rechts um 10 cm, sei er auf die Benutzung eines Kraftwagens angewiesen. Er benötige ein Kraftfahrzeug zweimal wöchentlich zum Arztbesuch. Bei Berücksichtigung dieses Bedarfs scheine ein Freibetrag von 100,- DM monatlich angemessen.

Hinzu komme ein weiterer Freibetrag von 26,- DM monatlich für das Telefon. Der Vater des Klägers habe das Telefon vor seiner Erkrankung aufgegeben gehabt und aufgrund einer ärztlichen Bescheinigung, daß er das Telefon benötige, um jederzeit einen Arzt anrufen zu können, wiedererlangt. Ein Freibetrag von 26,- DM sei angemessen.

Ein weiterer Freibetrag von 40,- DM sei anzusetzen, weil der Kläger laut ärztlicher Anordnung wegen Erkrankung an Diabetes Diät einhalten müsse.

Für erhöhten Bedarf an Kleidung und Schuhwerk seien monatlich 44,- DM als weiterer Freibetrag zu gewähren. Der Vater des Klägers benötige orthopädisches Schuhwerk, das jeweils gesondert angefertigt werden müsse. Die Knochenmarksentzündung mit einer Beinverkürzung rechts um 10 cm führte auch bei der Anschaffung von Kleidung zu erhöhten Aufwendungen.

Dem Vater des Klägers sei überdies nach § 16 Abs 6 A-Ausbildung auch im Hinblick auf seine Kinderzahl ein Sonderfreibetrag zu gewähren. Soweit das Einkommen der Eltern durch den wirklichen Bedarf anderer Geschwister des auszubildenden Kindes gebunden und für diese anderen Kinder nach dem Unterhaltsrecht auszugeben sei, stehe dieses Einkommen für die Ausbildung des auszubildenden Kindes nicht zur Verfügung. Für das Kind, dessen Ausbildungsförderung nach § 40 Abs 1 AFG in Frage stehe, könne und dürfe es keinen Unterschied machen, ob sein Ausbildungsbedarf deshalb nicht gedeckt sei, weil sein Vater unzureichend verdiene oder weil er zwar ausreichend verdiene, dieser Verdienst aber durch die Unterhaltsansprüche seiner Geschwister gebunden sei. Diese beiden nach ihren Ursachen zu unterscheidenden Arten der Bedürftigkeit des Auszubildenden unterschiedlich zu behandeln, verstieße gegen den Gleichheitssatz des Art 3 Grundgesetz (GG), aber auch gegen den Sozialstaatsgedanken in Art 20 GG. Das auszubildende Kind könne für die Größe der Familie, der es entstamme, wie für deren Armut, in keiner Weise verantwortlich gemacht werden. Im Grundsatz dürfe daher das Einkommen des Vaters nur insoweit berücksichtigt werden, als es unter Beachtung des Unterhaltsanspruchs der Geschwister für die Ausbildung zur Verfügung stehe. Aufgrund der Regelsätze der Sozialhilfe sei davon auszugehen, daß ein Kind etwa 6/10 bis 7/10 des dem Haushaltsvorstand eingeräumten Freibetrages benötige, um den gleichen Lebensstandard zu erreichen. Die A-Ausbildung berücksichtige je Kind einen Freibetrag von 200,- DM, also weniger als 3/10 des für den Haushaltsvorstand ausgeworfenen Freibetrages von 650,- DM. Diese Relation verstoße nur dann nicht gegen das GG, wenn der Anordnungsgeber davon ausgehe, daß der Freibetrag für die Eltern in gewissem Rahmen auch den Bedarf von ein oder zwei Kindern decken werde. Dann müsse die Anordnung aber dahin verstanden werden, daß vom dritten Kind an ein Sonderfreibetrag nach § 16 Abs 6 der A-Ausbildung zu gewähren sei. Dem könne nicht entgegengehalten werden, daß der Staat dem Bedarf kinderreicher Familien durch die Höhe des Drittkindergeldes bereits Rechnung getragen habe; denn das Kindergeld werde in vollem Umfang bei Anwendung der Anordnung als Einnahme berücksichtigt. Nach Ansicht des Senats sei ein zusätzlicher Freibetrag von 180,- DM je weiterem Kind angemessen.

Mit der zugelassenen Revision rügt die Beklagte einen Verstoß gegen § 16 Abs 6 der Anordnung des Verwaltungsrates vom 31. Oktober 1969 (ANBA 1970 S 213). Zu Unrecht habe das LSG die Härteregelung des § 16 Abs 6 A-Ausbildung als voll durch die Gerichte überprüfbar behandelt. Durch die Anwendung der Härteregelung des § 16 Abs 6 der A-Ausbildung werde im Ergebnis in diesen Fällen auch die BAB zu einer Kannleistung. Sie könne lediglich im Rahmen des § 54 Abs 2 Satz 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) überprüft werden. Selbst wenn man der Auffassung des LSG folgen würde, daß bei Vorliegen einer unbilligen Härte iS des § 16 Abs 6 A-Ausbildung hinsichtlich der Anwendung der Härteregelung für die Verwaltung kein Ermessensspielraum mehr gegeben sei, so bleibe es jedenfalls in das Ermessen der Verwaltung gestellt, in welchem Umfange von der Anrechnung des die Freibeträge nach § 16 Abs 1 in Verbindung mit den Absätzen 3, 4 und 5 A-Ausbildung übersteigenden Einkommens abgewichen werden könne. Die Gewährung von BAB habe sich entsprechend dem gesetzlichen Auftrag (§§ 1 - 3 AFG) in erster Linie nach arbeitsmarktpolitischen und nicht etwa nach familienpolitischen Gesichtspunkten zu richten. Die BAB werde gezielt und zweckbestimmt den Auszubildenden zur individuellen Förderung seiner beruflichen Ausbildung gewährt. Wegen ihrer ausdrücklichen Zweckbestimmung stelle die BAB keine Familienunterstützung dar und habe auch nicht den Zweck, die allgemeine Lebenshaltung der Familie des Auszubildenden zu verbessern. Ein Sonderfreibetrag für Geschwister des Auszubildenden könne daher nicht anerkannt werden.

Die Beklagte beantragt,

das angefochtene Urteil und das Urteil des Sozialgerichts Stade vom 12. Dezember 1975 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Die Beteiligten haben einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil zugestimmt (§ 124 Abs 2 SGG).

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Beklagten ist in dem Sinne begründet, daß das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen ist.

Die allgemeinen Voraussetzungen, unter denen einem Auszubildenden BAB nach § 40 Abs 1 AFG zu gewähren ist, sind gegeben. In Frage steht nur, ob das Einkommen des Klägers und das seiner Eltern ausreicht, um dem Kläger auch ohne Hilfe der Beklagten eine Ausbildung zu sichern.

Anzuwenden ist § 40 Abs 1 AFG in der bis zum Inkrafttreten des Haushaltsstrukturgesetzes (Gesetz zur Verbesserung der Haushaltsstruktur im Geltungsbereich des Arbeitsförderungs- und des Bundesversorgungsgesetzes vom 18. Dezember 1975 BGBl I, 3113) geltenden Fassung. Nach § 40 Abs 1 AFG in der damals geltenden Fassung hatte die Bundesanstalt Zuschüsse und Darlehen für eine geeignete berufliche Ausbildung an Jugendliche und Erwachsene zu zahlen, "soweit sie die hierfür erforderlichen Mittel nicht selbst aufbringen können und ihren Unterhaltsverpflichteten die Aufbringung üblicherweise nicht zugemutet wird". In § 40 Abs 1 AFG hat der Gesetzgeber seinem Willen Ausdruck gegeben, daß derjenige, der eine berufliche Ausbildung begehrt, zunächst eigene Mittel einsetzen und auch seine Unterhaltsansprüche ausschöpfen soll, bevor er die Leistungen der Versichertengemeinschaft in Anspruch nimmt (BSG Urteil vom 3. November 1976, 7 RAr 160/74; Krebs, AFG, § 40 Anm 3; Hennig/Kühl/Heuer, Komm zum AFG, § 40 Anm 3). Wann von einer Unterhaltspflicht auszugehen und die Aufbringung der Mittel den Unterhaltsverpflichteten üblicherweise zugemutet wird, hat die Bundesanstalt im Rahmen der A-Ausbildung näher geregelt. Die aufgrund der §§ 39, 191 Abs 3 AFG ergangenen Anordnungen des Verwaltungsrates der Beklagten enthalten als autonomes Satzungsrecht Rechtsnormen, an die auch die Gerichte gebunden sind (BSG SozR Nr 1 zu § 40 AFG). Ob eine Unterhaltsleistung den Eltern nach § 40 AFG üblicherweise zugemutet werden kann, ergibt sich damit aus der Regelung, die der Verwaltungsrat der Beklagten in der A-Ausbildung niedergelegt hat. Anzuwenden ist auf den vorliegenden Fall die Anordnung des Verwaltungsrates der Beklagten über die individuelle Förderung der beruflichen Ausbildung vom 31. Oktober 1969 (ANBA 1970, S 213) und zwar für die Zeit vor dem 1. November 1975 idF der 8. Änderungsanordnung zur A-Ausbildung vom 11. Dezember 1974 (ANBA 1975, S 103) - A-Ausbildung 1974 - und für die Zeit danach idF der 9. Änderungsanordnung vom 30. Juli 1975 (ANBA 1975, S 993) - A-Ausbildung 1975 -. Nach Art 2 der 8. Änderungsanordnung zur A-Ausbildung vom 11. Dezember 1974 ist diese Anordnung am 31. März 1975 in Kraft getreten. Die 9. Änderungsanordnung ist gemäß ihrem Art 3 seit dem 1. November 1975 anzuwenden.

Für die Zeit vom 27. Juni 1975 bis zum 31. Oktober 1975 gilt daher folgende Berechnung, soweit die Einzelbeträge bereits feststehen:

Der Bedarf des Klägers betrug gemäß § 11 Abs 1 der A-Ausbildung 1974 monatlich 345,- DM. Sein Einkommen betrug 220,- DM, so daß er nach Abzug des eigenen Einkommens noch einen verbleibenden Bedarf von 125,- DM hatte. Die 13,- DM, die der Arbeitgeber für ihn vermögenswirksam anlegte, konnten dem Kläger nicht als Einkommen angerechnet werden, weil es ihm zu dem Zeitpunkt nicht zugeflossen war, zu dem es von dem Arbeitgeber aufgebracht wurde (vgl BSG in SozR 4100 § 44 Nr 10).

Den Eltern flossen als Einkommen das Krankengeld in Höhe von 1.680,- DM und das Kindergeld in Höhe von 360,- DM monatlich zu, so daß sie insgesamt ein Einkommen von 2.040,- DM monatlich hatten. Hiervon sind abzusetzen: 650,- DM für den Haushaltsvorstand (§ 16 Abs 1 Nr 1 A-Ausbildung 1974), 250,- DM für die Mutter und je 200,- DM für die Geschwister des Klägers, zusammen also 600,- DM (§ 16 Abs 1 A-Ausbildung 1974). Das ergibt für Eltern und Geschwister des Klägers einen Freibetrag von 1.500,- DM monatlich. Gemäß § 16 Abs 4 der A-Ausbildung 1974 waren weiter abzuziehen die Miete und die damit verbundenen Nebenkosten, soweit sie von den Eltern des Klägers zu tragen waren. Da ihnen 88,- DM Wohngeld zustand, hatten sie von der Miete von 300,- DM, 212,- DM zu tragen. Die Belastung der Eltern betrug damit zunächst 1.712,- DM. Nicht geklärt ist, ob zu dieser Summe von 1.712,- DM weitere Beträge deshalb hinzuzurechnen sind, weil noch Mietnebenkosten angefallen sind. Wie aus den Akten hervorgeht, auf die sich das LSG bezieht, hatten die Eltern 80,- DM Heizkostenpauschale zu zahlen. Nicht zu den Mietnebenkosten zu rechnen sind solche Beträge, die durch den Verbrauch von Wärme und Wasser entstehen. Möglich ist es aber, daß in den Pauschalen auch Beträge für den (Mit-) Gebrauch der Heizungs-, Wasser- und Abwasseranlagen des Hauses enthalten sind. Diese sind ihrem Charakter nach der Miete gleichzusetzen, da auch sie für die Gebrauchsüberlassung geleistet werden. Insoweit handelt es sich um Mietnebenkosten. Mangels ausreichender Feststellungen des LSG sind diese Beträge für eine abschließende Berechnung des Gesamtfreibetrages nicht bekannt. Zur Nachholung dieser Feststellungen ist die Sache an das LSG zurückzuverweisen. Sollten sich die Anteile für den Gebrauch der Anlagen nicht in exakten Zahlen aussondern lassen, so sind sie anhand zu ermittelnder Durchschnittssätze zu schätzen.

Nach § 16 Abs 6 A-Ausbildung 1974 kann von der vorgesehenen Anrechnung nach Abs 1 des die Freibeträge nach Abs 1 iVm Abs 3, 4 und 5 übersteigenden Einkommens abgewichen werden, wenn dies zur Vermeidung unbilliger Härten gerechtfertigt ist. Zu Recht hat das LSG erkannt, daß diese Bestimmung der Beklagten keinen Ermessensspielraum einräumt. Eine Ermächtigung zur Anwendung von Verwaltungsermessen kann weder darin gesehen werden, daß § 16 Abs 6 A-Ausbildung 1974 das Wort "kann" gebraucht, noch darin, daß die Abweichung von der regelmäßig vorgesehenen Berechnung der Freibeträge nur "zur Vermeidung unbilliger Härten" erfolgen soll. § 40 Abs 1 AFG gewährt den Antragstellern einen Anspruch auf die dort vorgesehenen Leistungen, wenn die Voraussetzungen vorliegen, unter denen die Leistung gewährt werden soll (Hennig/Kühl/Heuer, aaO, § 40 Anm 1; Krebs, aaO, § 40 Anm 1). Da bei Vorliegen sämtlicher Voraussetzungen ein Rechtsanspruch auf Gewährung von BAB besteht, kann der Verwaltungsrat diesen Rechtsanspruch nicht im Wege der Anordnung nach § 39 AFG zu einer Ermessensleistung umbilden (vgl BSG SozR 4100 § 47 Nr 1, dort zur Fortbildungsmaßnahme von mehr als zwei Jahren und weniger als drei Jahren). Auch eine Ermächtigung der Beklagten, letztverbindlich über das Vorliegen eines Härtefalles zu entscheiden (Beurteilungsspielraum), kann den §§ 40 Abs 1, 39 AFG iVm § 16 Abs 6 A-Ausbildung 1974 nicht entnommen werden. Ein solcher Beurteilungsspielraum besteht nur dann, wenn die entscheidende Stelle aufgrund persönlichen Eindrucks, besonderer Erfahrung und Sachkunde für die Beurteilung außerrechtlicher Gesichtspunkte in erster Linie berufen erscheint, verbindliche Qualifikationen vorzunehmen (vgl BSG in SozR 4100 § 19 Nr 2 mwN BSG vom 22. Juni 1977 - 7 RAr 131/75). Für die Beurteilung, ob eine Härte im Sinne des § 16 Abs 6 A-Ausbildung 1974 anzunehmen ist, ist der Beklagten diese Eigenschaft nicht beizumessen, auch nicht, soweit es darum geht, in welcher Höhe ein Freibetrag gewährt werden soll, wenn eine Härte vorliegt.

Der § 16 A-Ausbildung 1974 drückt in seinen Abs 1 bis 5 durch Festlegung pauschalierter Freibeträge aus, was der Bedarf der Eltern und Geschwister des Antragstellers ist, den zu unterschreiten ihnen nicht zugemutet wird, um den Auszubildenden zu unterstützen. Wenn § 16 Abs 6 A-Ausbildung 1974 vorsieht, daß über die vorgesehenen Beträge hinaus weiteres Einkommen nicht als für die Ausbildung des Antragstellers zur Verfügung stehend angesehen werden soll, wenn dies "zur Vermeidung unbilliger Härten" gerechtfertigt ist, so ergibt sich aus dieser Umschreibung, was insoweit als "unbillige Härte" anzusehen ist. Erkennbar soll damit die Möglichkeit geschaffen werden, solches Einkommen der Eltern des Auszubildenden unberücksichtigt zu lassen, welches durch besondere Bedürfnisse der Eltern und Geschwister des Auszubildenden gebunden ist, also durch Bedürfnisse, wie sie typischerweise noch nicht in den pauschalierten Freibeträgen der Abs 1 bis 5 berücksichtigt sind. Soweit das LSG wegen der beim Vater des Klägers festgestellten gesundheitlichen und körperlichen Einschränkungen besondere Freibeträge nach § 16 Abs 6 der A-Ausbildung 1974 für die Haltung eines Kraftfahrzeuges, eines Telefons sowie zur Einhaltung einer Diät und zur Beschaffung orthopädischen Schuhwerks und zur Befriedigung eines erhöhten Kleidungsbedarfs für gerechtfertigt erachtet hat, ist das nicht rechtsfehlerhaft. Die vom LSG dafür festgesetzten erforderlichen Beträge binden als tatsächliche Feststellungen das Revisionsgericht nach § 163 Abs 1 SGG.

Zu dem monatlichen Freibetrag der Eltern von 1.712,- DM (Summe der Freibeträge für die Eltern selbst und die Geschwister des Klägers) und der noch festzustellenden Mietnebenkosten treten demnach die Beträge für Auto, Telefon, Diät und orthopädisches Schuhwerk von 100,- DM, 26,- DM, 40,- DM und 44,- DM, zusammen also 210,- DM, so daß ein Freibetrag von 1.922,- DM und Mietnebenkosten bei dem anzurechnenden Einkommen der Eltern unberücksichtigt bleiben müssen.

Demgegenüber geht die Auffassung des LSG fehl, wonach für die Geschwister des Klägers neben den Freibeträgen des § 16 Abs 1 Nr 3 A-Ausbildung 1974 weitere Kinderfreibeträge zu berücksichtigen sind. Sinn des § 16 Abs 6 A-Ausbildung 1974 kann es nicht sein, generell - ohne Vorliegen besonderer Gründe - die übrigen Absätze des § 16 zu berichtigen. Wenn § 16 A-Ausbildung 1974 für jedes unverheiratete Kind mit Ausnahme des Auszubildenden einen zu berücksichtigenden Freibetrag von 200,- DM vorsieht, so ist hinsichtlich des in § 40 Abs 1 AFG gebrauchten unbestimmten Rechtsbegriffes "üblicherweise nicht zugemutet" eine (konkretisierende) ins einzelne gehende Regelung getroffen worden, die einer Abänderung aufgrund der Härtebestimmung nicht zugänglich ist.

Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Gedanken, daß dem Auszubildenden nur solche Beträge entgegengehalten werden können, auf die er zum Zwecke seiner Ausbildung wirklich deshalb zurückgreifen kann, weil ihm insoweit ein Unterhaltsanspruch gegen seine Eltern tatsächlich zusteht. Aus § 40 Abs 1 AFG in der hier anzuwendenden Fassung ergibt sich, daß Voraussetzung für die Verweisung des Auszubildenden auf Unterhaltsmittel seiner ihm Verpflichteten zweierlei ist, einmal das Bestehen eines solchen Unterhaltsanspruches und zum anderen, daß es den Unterhaltsverpflichteten üblicherweise nicht zuzumuten ist, Leistungen an den Auszubildenden zu erbringen. Sinn der von der Beklagten erlassenen, den § 40 Abs 1 AFG im einzelnen ausfüllenden Anordnung ist es zunächst einmal, durch die Berechnungsvorschriften die Unterhaltsverpflichtung dann als bestehend zu vermuten, wenn das auf die BAB anzurechnende Einkommen der Unterhaltspflichtigen die näher bezeichneten Freigrenzen überschreitet (BSG vom 3. November 1976 - 7 RAr 160/74). Außerdem bestimmt die A-Ausbildung 1974 im einzelnen, was nach § 40 Abs 1 AFG den Unterhaltspflichtigen als Leistung "üblicherweise zuzumuten" ist (BSG SozR Nr 1 zu § 40 AFG). Die Unterhaltsverpflichtung im einzelnen zu prüfen, ist nicht Aufgabe der Beklagten. Das Unterhaltsverhältnis ist im Bürgerlichen Recht sehr eingehend geregelt und erfordert bei seiner Beurteilung die Berücksichtigung aller Lebensumstände auf seiten des Berechtigten und des Verpflichteten. In dieses Verhältnis - etwa zwischen Eltern und Kindern - kann die Beklagte auch nicht durch Verwaltungsakt eingreifen. Ob und inwieweit eine Unterhaltspflicht besteht, muß in Zweifelsfällen daher von den Zivilgerichten entschieden werden. Die Prüfung der Beklagten beschränkt sich deshalb darauf, festzustellen, ob überhaupt ein Unterhaltsrechtsverhältnis zugunsten des Auszubildenden besteht und ob nach den Bestimmungen der A-Ausbildung (insbesondere § 16 A-Ausbildung) von einem Anspruch des Auszubildenden gegen seine Unterhaltsverpflichteten auszugehen ist. Liegen die Voraussetzungen des § 40 Abs 1 AFG iVm der A-Ausbildung vor, so kann die Beklagte unterstellen, daß der Auszubildende für seine Ausbildung Leistungen seiner Unterhaltsverpflichteten erhalten kann. Den Schutz der ihm Unterhaltspflichtigen gegenüber der Beklagten zu übernehmen, ist nach der Konstruktion des Gesetzes nicht Sache des Auszubildenden. Sind die Unterhaltsverpflichteten der Auffassung, daß sie nach Unterhaltsrecht dem Auszubildenden nichts schulden oder nicht in der Höhe, in der die Beklagte den Unterhaltsanspruch des Auszubildenden nach der A-Ausbildung berechnet hat, so liegt es an ihnen, insoweit dem Auszubildenden Leistungen zu verweigern mit der sich aus § 40 Abs 3 AFG ergebenden Folge (Urteil des Senats vom 3. November 1976 - 7 RAr 160/74 -, vgl auch die Entscheidung des BVerwG in FamRZ 1976, 386). Nach allem ist es - entgegen der Auffassung des LSG - nicht zulässig, neben den in der A-Ausbildung näher bestimmten Kinderfreibeträgen noch zusätzliche Freibeträge - etwa in Anlehnung an das Sozialhilferecht - den Eltern des Klägers zuzuerkennen.

Für die Zeit vom Inkrafttreten der 9. Änderungsanordnung zur A-Ausbildung vom 30. Juli 1975 (ANBA 1975, S 993) an, also ab 1. November 1975, gilt folgendes: Nach § 20 Abs 8 der A-Ausbildung 1975 sind bei der Bewilligung von BAB die wirtschaftlichen Verhältnisse maßgebend, die zur Zeit der Antragstellung nachweisbar sind. Das kann jedoch nicht uneingeschränkt gelten. Der § 20 Abs 8 der A-Ausbildung 1975 kann nur als eine Verfahrensvorschrift verstanden werden, welche die Dienststellen der Beklagten anweist, bei ihrer Entscheidung die zu dieser Zeit (also in der Zeit der auf den Antrag - unmittelbar - folgenden Entscheidung) nachgewiesenen Tatsachen zugrunde zu legen. Eine Auslegung, die aus § 20 Abs 8 der A-Ausbildung 1975 den Schluß ziehen würde, daß Änderungen in der Zeit danach unberücksichtigt zu bleiben hätten oder daß erst danach verwertbar gewordene Beweismittel außer Betracht blieben, würde dieser Vorschrift einen Inhalt geben, der mit der Ermächtigungsgrundlage des § 39 AFG nicht mehr vereinbar wäre. Die Beklagte kann ihren Aufgaben, wie sie insbesondere in den §§ 1 bis 3 AFG genannt sind, nur gerecht werden, wenn sie ihre Entscheidungen aufgrund der Vehältnisse trifft, wie sie sich tatsächlich darstellen und nicht, wie sie zu einem bestimmten Zeitpunkt in der Vergangenheit waren.

Das LSG hat demnach auch festzustellen, ob die Einkommensverhältnisse im Zeitpunkt seiner Entscheidung sich verändert haben oder unverändert geblieben sind.

Für den Fall, daß sie gleich geblieben sind, gilt folgende Berechnung: Der Bedarf des Klägers beträgt nach Abzug des eigenen Einkommens 125,- DM. Da durch die 9. Änderungsanordnung § 16 Abs 4 A-Ausbildung 1974, der eine besondere Berücksichtigung der Miete vorgesehen hatte, gestrichen worden ist, andererseits der für den Haushaltsvorstand anzusetzende Betrag auf 950,- DM erhöht worden ist, ergeben sich nunmehr folgende Freibeträge für die Eltern des Klägers: 950,- DM + 250,- DM + 600,- DM, zusammen also 1.800,- DM, zu denen 210,- DM an Sonderfreibeträgen nach § 16 Abs 6 A-Ausbildung 1975 hinzuzuzählen sind, wie sie das LSG festgestellt hat. Den Eltern des Klägers steht also ein Freibetrag von 2.010,- DM zu. Vom Einkommen der Eltern wären danach noch 30,- DM anzurechnen, die sie für den Kläger aufwenden können.

Zu beachten ist dabei aber, daß eine bereits bewilligte BAB nur zum Zwecke der Besserstellung geändert werden darf (Art 2 Abs 2 der 9. Änderungsanordnung vom 30. Juli 1975 - ANBA 1975, 993). Ergibt sich aus den noch zu treffenden Feststellungen des LSG nach den Vorschriften der A-Ausbildung 1974 eine höhere BAB für den Kläger als nach den Vorschriften der A-Ausbildung 1975, so hat der Kläger Anspruch auf die höhere (günstigere) Leistung bis zum Ablauf des Bewilligungszeitraumes (Art 2 Abs 2 Satz 2 A-Ausbildung 1975). Nach allem ist das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache an das LSG zurückzuverweisen. Dieses wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu befinden haben.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1653020

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