Leitsatz (amtlich)

Durch die Aufnahme einer nicht versicherungspflichtigen Beschäftigung kann die Zeit zwischen der vorherigen versicherungspflichtigen Tätigkeit und der Arbeitslosigkeit "überbrückt" werden, so daß die Arbeitslosigkeit der versicherungspflichtigen Beschäftigung noch "unmittelbar" folgt.

 

Normenkette

RKG § 57 S 1 Nr 3; RVO § 1259 Abs 1 S 1 Nr 3

 

Verfahrensgang

LSG Nordrhein-Westfalen (Entscheidung vom 17.09.1985; Aktenzeichen L 15 Kn 132/84)

SG Duisburg (Entscheidung vom 26.10.1984; Aktenzeichen S 3 Kn 13/82)

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt eine höhere Rente wegen Erwerbsunfähigkeit aufgrund einer weiteren Beitragszeit und einer daran anschließenden Ausfallzeit wegen Arbeitslosigkeit.

Dem 1927 geborenen Kläger gewährte die Beklagte mit Bescheid vom 14. Juli 1981 Knappschaftsrente wegen Erwerbsunfähigkeit. Der Kläger erhob Widerspruch und beantragte die Anerkennung weiterer rentensteigernder Zeiten, darunter einer Beitragszeit von September 1949 bis Dezember 1949 und einer anschließenden Ausfallzeit wegen Arbeitslosigkeit vom 13. Dezember 1949 bis 17. November 1951. Die noch erhaltene Quittungskarte Nr 1 der Landesversicherungsanstalt Hessen-Nassau, die am 16. August 1944 ausgestellt und am 20. März 1951 abgeschlossen worden ist, enthält den Vermerk "ohne Beiträge". Das Kartenarchiv der Landesversicherungsanstalt Hessen-Nassau ist erhalten. Vor der vom Kläger behaupteten Versicherungszeit von September 1949 bis Dezember 1949 war der Kläger vom 12. März 1949 bis 12. September 1949 bei der W in A/DDR beschäftigt. In dem Versicherungsverlauf, den die Beklagte zusammen mit dem Bescheid (Ausführungsbescheid) vom 11. Januar 1982 erteilt hat, geht die Beklagte davon aus, daß der Kläger ab Dezember 1949 folgende Zeiten der Arbeitslosigkeit hatte: 13. Dezember 1949 bis 12. Oktober 1950; 24. Januar 1951 bis 14. März 1951; 3. April 1951 bis 5. Mai 1951. Mit Widerspruchsbescheid vom 16. Dezember 1981 erkannte die Beklagte eine zusätzliche Ausfallzeit an, jedoch nicht die vom Kläger geltend gemachte Beitragszeit von September 1949 bis Dezember 1949 und eine daran anschließende Ausfallzeit.

Das Sozialgericht (SG) hat den Beweis erhoben durch Vernehmung der Bilanzbuchhalterin E. Sie hat bestätigt, daß der Kläger etwa für die Dauer eines Vierteljahres bis Weihnachten 1949 bei der Firma B in K beschäftigt gewesen sei. Das SG hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 26. Oktober 1984): Der Kläger habe noch nicht einmal glaubhaft gemacht, 1949 vor seiner im Dezember beginnenden Arbeitslosigkeit bei der Firma B beschäftigt gewesen zu sein. Das Landessozialgericht (LSG) hat mit Urteil vom 17. September 1985 die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Zwar habe der Kläger zwischen dem 13. September 1949 und dem Beginn der Arbeitslosigkeit im Dezember 1949 bei der Firma B in K gearbeitet habe. Doch sei nicht bewiesen und auch nicht glaubhaft gemacht, daß in dieser Zeit für den Kläger Beiträge entrichtet worden seien.

Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt der Kläger die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Bei richtiger Anwendung der Denkgesetze und der §§ 1 und 10 Versicherungsunterlagenverordnung (VuVO) sei die strittige Beitragszeit von September 1949 bis Dezember 1949 glaubhaft gemacht.

Der Kläger beantragt, das angefochtene Urteil, das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 26. Oktober 1984 sowie die angefochtenen Bescheide der Beklagten aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die Zeit von September 1949 bis Dezember 1949 als glaubhaft gemachte Beitragszeit und die Zeit vom 13. Dezember 1949 bis 17. November 1951 als Ausfallzeit zu berücksichtigen.

Die Beklagte beantragt, die Revision des Klägers zurückzuweisen.

Sie trägt vor: Das LSG habe weder festgestellt, daß der Kläger während seiner Beschäftigung bei der Firma B in K von September 1949 bis Dezember 1949 bei der Allgemeinen Ortskrankenkassen (AOK) angemeldet worden sei, noch, daß eine weitere Versicherungskarte - eine Gebrauchsversicherungskarte - ausgestellt und auf dem Weg zwischen der Beschäftigungsfirma und dem Versicherungsträger verloren gegangen sei. Ebenso fehle es an Feststellungen, daß für die Zeit vom 13. Dezember 1949 bis 17. November 1951 die Tatbestandsmerkmale der Ausfallzeit nach § 1259 Abs 1 Nr 3 RVO erfüllt seien.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers ist im Sinne der Zurückverweisung der Sache an das LSG begründet.

Die vom LSG festgestellten Tatsachen reichen zu einer abschließenden Entscheidung nicht aus. Soweit das LSG eine Beitragszeit von September 1949 bis Dezember 1949 verneint, sind seine Ausführungen rechtlich nicht zu beanstanden. Beitragszeiten sind nach § 1250 Abs 1 Nr 1 RVO nur Zeiten, für die nach Bundesrecht oder früheren Vorschriften der reichsgesetzlichen Invalidenversicherung Beiträge wirksam entrichtet sind oder als entrichtet gelten (Beitragszeiten). Dem Nachweis der Beitragsentrichtung dienen insbesondere die Versicherungskarten (§ 1411 RVO). Fehlen solche Unterlagen, muß grundsätzlich auf andere Weise der volle Beweis der Beiträge und Arbeitsentgelte erbracht werden (§ 1413 Abs 2 RVO). Gemäß § 1256 Abs 3 RVO iVm §§ 1 und 10 VuVO genügt es allerdings für die Feststellung der rechtserheblichen Tatsachen, also etwa für die Beitragsentrichtung, wenn sie glaubhaft gemacht sind, sofern die Versicherungsunterlagen auf bestimmte, im Gesetz genannte Weise verloren gegangen sind. Das LSG hat zugunsten des Klägers unterstellt, daß in seinem Fall Versicherungsunterlagen in der genannten Weise (auf dem Weg vom Arbeitgeber zum Versicherungsträger; § 1 Abs 1 Satz 2 VuVO) verloren gegangen seien. Aber nicht einmal glaubhaft gemacht sei es, daß in der Zeit von September bis Dezember 1949 für den Kläger Versicherungsbeiträge erbracht worden seien. Der Kläger meint, bei Beachtung der Denkgesetze habe das LSG zu dem Schluß kommen müssen, daß für ihn in der Zeit von September bis Dezember 1949 Beiträge entrichtet worden seien. Die Grenzen der freien Beweiswürdigung (§ 128 SGG) sind in der Tat überschritten, wenn das Gericht gegen allgemeine Erfahrungssätze oder Denkgesetze verstoßen hat (BSG SozR Nr 34 und 56 zu § 128 SGG). Die Grenzen des Rechts der freien Beweiswürdigung sind jedoch noch nicht überschritten, wenn - etwa aufgrund der Denkgesetze - auch eine andere Beweiswürdigung möglich ist, sondern erst, wenn die Beweiswürdigung "zwingend" zu einem anderen Ergebnis hätte führen müssen (BSG Beschluß vom 7. Dezember 1973, 12 RK 12/73, USK 73183). Da das LSG zugunsten des Klägers unterstellt hat, daß Versicherungsunterlagen des Klägers, die für ihn in der hier streitigen Frage bedeutsam waren, auf dem Wege vom Arbeitgeber zum Versicherungsträger verloren gegangen sind, genügte für die Beitragsentrichtung die Glaubhaftmachung (§ 1256 Abs 3 Buchst a RVO; §§ 1, 10 VuVO). Glaubhaft gemacht in diesem Sinne ist eine Tatsache, wenn ihr Vorliegen nach dem Ergebnis der Ermittlungen überwiegend wahrscheinlich ist (§ 10 Abs 1 VuVO). Gewisse Zweifel dürfen noch bestehen bleiben. Mit den Denkgesetzen wäre die Annahme des LSG, die Beitragsleistung des Klägers in den Monaten September 1949 bis Dezember 1949 sei nicht glaubhaft gemacht, nur dann unvereinbar, wenn "zwingend" gesagt werden müßte, die Beitragsleistung des Klägers in dieser Zeit sei überwiegend wahrscheinlich. Das hat der Kläger nicht dargetan. Es ist auch nicht ersichtlich. Das LSG hat zu Recht darauf hingewiesen, daß die Ein-Mann-Firma B, bei der der Kläger während der genannten Zeit beschäftigt war, möglicherweise schon deshalb keine Beiträge erbracht habe, weil sie, wie ihre bald auf die Beschäftigung des Klägers folgende Beendigung ihrer Existenz nahe lege, wirtschaftlich schwach gewesen sei oder weil sie beim Kläger eine nur vorübergehende Beschäftigung angenommen habe. Die Zeugin E hat dazu nichts zu sagen gewußt. Die Wahrscheinlichkeit der Zahlung von Beiträgen ist unter diesen Umständen bestenfalls ebenso hoch wie die der Nichtzahlung; sie überwiegt also nicht.

Nicht zutreffend ist aber die Rechtsauffassung des LSG, soweit es die Anrechenbarkeit von Arbeitslosenzeiten im Anschluß an die Beschäftigungszeit des Klägers bei der Firma B schon deshalb verneint, weil durch sie keine versicherungspflichtige Beschäftigung "unterbrochen" worden sei. Zwar war die Beschäftigung bei der Firma B nach der Beweislage, wie sie vom LSG in nicht zu beanstandender Weise angenommen ist, keine "versicherungspflichtige Beschäftigung", die durch die Arbeitslosigkeit "unterbrochen" (§ 57 Abs 1 Nr 3 Reichsknappschaftsgesetz -RKG-; § 1259 Abs 1 Nr 3 RVO) werden konnte. Das LSG geht aber - insoweit in Übereinstimmung mit der Beklagten - erkennbar davon aus, daß der Kläger in der Zeit vom 12. März 1949 bis 12. September 1949 bei der Firma Win A/DDR beschäftigt war, eine Zeit, die nach §§ 15, 17 Fremdrentengesetz (FRG) bedeutsam sein kann. Das LSG nimmt weiter - anders als das SG - an, daß der Kläger in der Zeit von September 1949 bis zum Beginn seiner Arbeitslosigkeit im Dezember 1949, wenn auch nicht versicherungspflichtig, so doch immerhin beschäftigt war, und zwar bei der genannten Firma B in K. "Unterbrochen" durch Arbeitslosigkeit könnte deshalb die versicherungspflichtige Beschäftigung bei der Firma W gewesen sein. Die Zeit bei der Firma B ist jedenfalls als "Brückenzeit" zu werten, wenn man sie mit dem LSG nur als Beschäftigungszeit, jedoch nicht als Beitragszeit ansieht. Anders als das LSG angenommen hat, steht diese Zeit einer "Unterbrechung" eines vorher bestehenden versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses nicht im Wege. Nach § 57 Abs 1 Nr 3 RKG (§ 1259 Abs 1 Nr 3 RVO) setzt die Anrechnung einer Zeit der Arbeitslosigkeit als Ausfallzeit unter anderem voraus, daß durch die Arbeitslosigkeit eine versicherungspflichtige Beschäftigung "unterbrochen" worden ist. Die Arbeitslosigkeit muß der versicherungspflichtigen Beschäftigung also unmittelbar gefolgt sein. Wie sich aus § 57 Abs 1 Satz 2 RKG (§ 1259 Abs 1 Satz 2 RVO) ergibt, ist das auch dann noch der Fall, wenn zwischen dem Ende der versicherungspflichtigen Beschäftigung und der Arbeitslosigkeit eine oder mehrere aufeinander folgende Zeitabschnitte liegen, die ihrerseits als Ausfallzeiten in Betracht kommen (BSG SozR Nr 32 und Nr 44 zu § 1259 RVO). In diesem Fall wird der unmittelbare Anschluß der Arbeitslosigkeit an die versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit vom Gesetz selbst fingiert. Das BSG hat in einer Reihe von Entscheidungen, dem Sinn der §§ 57 Abs 1 Satz 2 RKG, 1259 Abs 1 Satz 2 RVO folgend, die zwischen dem Ende der versicherungspflichtigen Tätigkeit und dem Beginn der Arbeitslosigkeit liegenden Zeiten, die insofern eine Brücke bilden, als sie noch den unmittelbaren Anschluß der Arbeitslosigkeit an die letzte versicherungspflichtige Beschäftigung herstellen, als Brückenzeiten angesehen (BSGE 21, 21, 23 = SozR Nr 12 zu § 1259 RVO: Arbeitslosigkeit ohne Arbeitslosmeldung als Brückenzeit; BSGE 29, 120, 123 = SozR Nr 37 zu § 1251 = SozR Nr 22 zu § 1259: unfreiwillig ohne Arbeit, arbeitswillig und arbeitsfähig; BSGE 31, 11 = SozR Nr 29 zu § 1259: letzte 3 Monate einer Beschäftigung keine Beiträge gezahlt wegen Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers; BSGE 34, 93 = SozR Nr 44 zu § 1259: Selbsthilfeversuch durch selbständige Tätigkeit; SozR Nr 50 zu § 1259: Gescheiterter Selbsthilfeversuch zwischen letzter Tätigkeit und Arbeitslosmeldung; BSGE 37, 10 = SozR Nr 62 zu § 1259 RVO: gewerkschaftlich geführter Streik als Brückenzeit; SozR 2200 § 1259 Nr 8: Selbsthilfe durch Auswanderung; SozR 2200 § 1259 Nr 54: Rentenbezugszeit, wenn dadurch Arbeitsleben nicht beendet; 25. November 1981 - 5a/5 RKn 6/79 -: Unklarheit, ob Versicherter noch arbeitsfähig war; SozR 2200 § 1259 Nr 72: Bezug von Anpassungsgeld für entlassene Arbeitnehmer des Bergbaues; 20. April 1983 - 5a RKn 22/81 -: Anpassungsgeld). Der gemeinsame Grund dafür, daß das BSG in diesen Fällen noch einen unmittelbaren Anschluß der Arbeitslosigkeit an die versicherungspflichtige Beschäftigung angenommen hat, liegt darin, daß der Versicherte durch diese Tatbestände wegen eines von ihm nicht zu vertretenden Arbeitsschicksals an der Leistung weiterer Pflichtbeiträge gehindert war (BSG 20. April 1983 - 5a RKn 22/81 - S 6). Dieser Fall ist dem ähnlich, der durch § 57 Abs 1 Nr 3 RKG (§ 1259 Abs 1 Nr 3 RVO) als Ausfallzeit der Arbeitslosigkeit privilegiert wird. Ein derartiger Tatbestand ist aber auch gegeben, wenn ein Versicherter sich nicht arbeitslos gemeldet hat, sondern eine Beschäftigung angenommen hat, die zwar nicht versicherungspflichtig war, jedoch geeignet, seine Arbeitslosigkeit wenigstens vorübergehend zu beenden. Ein solcher Fall ist auch hier gegeben. Der Kläger arbeitete bis März 1949 versicherungspflichtig in der DDR, ging dann in den Westen, nahm eine offenbar ungesicherte Stelle in einem kleinen wirtschaftlich gefährdeten Betrieb an und wurde nach etwa 3 Monaten wieder arbeitslos. In diesem Fall muß die Zeit zwischen letzter versicherungspflichtiger Beschäftigung und Beginn der Arbeitslosigkeit als "überbrückt" angesehen werden, so daß die Arbeitslosigkeit der versicherungspflichtigen Beschäftigungen noch "unmittelbar" folgt.

Da somit der Grund nicht besteht, aus dem das LSG die Arbeitslosigkeit des Klägers ab Dezember 1949 als Ausfallzeit verneint hat, wird das LSG noch zu prüfen haben, ob die übrigen Voraussetzungen vorliegen, unter denen eine Zeit der Arbeitslosigkeit als Ausfallzeit anzusehen und anzurechnen ist. Insoweit hatte das LSG bisher, von seinem Standpunkt aus zu Recht, keine Feststellungen getroffen.

Das LSG wird auch über die Kosten des Rechtsstreites zu befinden haben.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1664260

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