Leitsatz (amtlich)

Die geschiedene Frau eines Beschädigten, die zu dessen Lebzeiten wieder geheiratet hat, ist - auch nach ihrer zweiten Scheidung - nicht mehr "frühere Ehefrau" des Beschädigten; ihr steht daher keine Hinterbliebenenrente nach BVG § 42 Abs 1 S 1 zu (so auch BSG 1965-03-05 11 RA 12/64 = SozR Nr 30 zu § 1265 RVO).

 

Normenkette

BVG § 42 Abs. 1 S. 1 Fassung: 1964-02-21, S. 1 Fassung: 1966-12-28

 

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 6. November 1970 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

I

Die Klägerin war in erster Ehe mit W C (C.) verheiratet. Die Ehe wurde am 6. Juli 1939 geschieden. C. verstarb am 2. April 1965 an einem nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) anerkannten Versorgungsleiden. Die zweite Ehe der Klägerin, die sie am 13. Juni 1940 mit J J (J.) geschlossen hatte, wurde am 10. November 1949 wegen Aufhebung der häuslichen Gemeinschaft geschieden.

Im Juni 1965 beantragte die Klägerin Hinterbliebenenrente nach § 42 BVG mit der Begründung, sie habe mit C., nachdem er krank aus der Gefangenschaft heimgekehrt sei, die eheliche Gemeinschaft wieder aufgenommen und ihn bis zu seinem Tod gepflegt. Den Antrag lehnte das Versorgungsamt M I (VersorgA) durch Bescheid vom 3. Juli 1967 ab. Widerspruch, Klage und Berufung blieben ohne Erfolg. Ebenso wie der Beklagte im Widerspruchsbescheid und wie das Sozialgericht (SG) verneinte das Landessozialgericht (LSG) einen Hinterbliebenenrentenanspruch der Klägerin aus § 42 Abs. 1 Satz 1 BVG, weil der Witwe unter den dort genannten gesetzlichen Voraussetzungen nur die "frühere Ehefrau" des Verstorbenen im Fall der Auflösung der Ehe gleichstehe. Die Klägerin habe jedoch durch ihre Eheschließung mit J. ihre Stellung als "frühere Ehefrau" des Beschädigten C. und damit zugleich einen etwaigen Anspruch auf Witwenversorgung nach § 42 Abs. 1 Satz 1 BVG verloren. Diese Auffassung werde durch die Vorschriften des § 44 Abs. 2 und Abs. 6 BVG über die "wiederaufgelebte Witwenrente" bestätigt. Anspruch auf diese Rente könne - nach Auflösung einer zweiten Ehe - nur die Frau haben, die mit der Wiederverheiratung einen Versorgungsanspruch als "Witwe" eines Beschädigten verloren habe, jedoch nicht eine geschiedene Ehefrau, die zu Lebzeiten des früheren Ehegatten erneut geheiratet habe. Unterhaltsleistungen, die ein Beschädigter seinem früheren Ehegatten nach dessen Wiederverheiratung zugewendet habe, sollten nicht durch einen Versorgungsanspruch ersetzt werden. Ein Anspruch auf Unterhalt sei mit der neuen Eheschließung erloschen (§ 67 Ehegesetz). Diese Gesetzesauslegung werde durch die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zu den im wesentlichen inhaltsgleichen Vorschriften des § 1265 der Reichsversicherungsordnung (RVO) und des § 42 Angestelltenversicherungsgesetz (AVG) bestätigt.

Die Klägerin rügt mit der zugelassenen Revision eine unrichtige Auslegung des § 42 BVG und mangelnde Sachaufklärung durch das LSG. Sie meint, die Rechtsprechung zum Rentenversicherungsrecht sei auf das erheblich andersartige Recht der Kriegsopferversorgung (KOV) nicht anzuwenden. Durch die Begünstigung der früheren Ehefrau solle der Einsatz des Beschädigten im Krieg anerkannt werden. Die Klägerin dürfe nach schuldloser Auflösung ihrer zweiten Ehe nicht dadurch benachteiligt werden, daß sie jetzt ohne einen Versorgungsanspruch aus der ersten Ehe bliebe. Das LSG hätte durch weitere Sachaufklärung auch feststellen müssen, daß C. nach der Scheidung der zweiten Ehe der Klägerin mit ihr in einer eheähnlichen Gemeinschaft gelebt und bis zu seinem Tod in vollem Umfange für sie gesorgt habe.

Die Klägerin beantragt,

die Urteile des LSG und des SG sowie die Bescheide des Beklagten vom 3. Juli 1967 und vom 21. Mai 1968 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, der Klägerin ab 1. Juni 1965 Witwenrente nach dem BVG zu gewähren,

hilfsweise,

unter Aufhebung des Urteils des LSG die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.

Der Beklagte beantragt,

die Revision der Klägerin als unbegründet zurückzuweisen.

Er bezieht sich im wesentlichen auf das angefochtene Urteil.

II

Die Revision ist zulässig (§ 162 Abs. 1 Nr. 1, §§ 164, 166 Sozialgerichtsgesetz - SGG -). Sie ist aber sachlich nicht begründet.

Das LSG, das SG und der Beklagte haben mit Recht einen Versorgungsanspruch der Klägerin aus § 42 Abs. 1 Satz 1 iVm § 38 BVG verneint. Im Falle der Scheidung steht die frühere Ehefrau des Verstorbenen nach § 42 Abs. 1 Satz 1 BVG (in der hier maßgebenden Fassung des Zweiten und Dritten Neuordnungsgesetzes - NOG -) einer Witwe, d.h. in diesem Zusammenhang: einer nach § 38 BVG versorgungsberechtigten Witwe, gleich, wenn der Verstorbene z.Zt. seines Todes Unterhalt nach den eherechtlichen Vorschriften oder aus sonstigen Gründen zu leisten hatte oder im letzten Jahr vor seinem Tod geleistet hat. Auch nach der Auffassung der Klägerin käme als Anspruchsgrundlage allenfalls die letzte Voraussetzung in Betracht. Aber selbst wenn die Behauptung der Klägerin, daß C. ihr im letzten Jahr vor seinem Tod tatsächlich Unterhalt gewährt habe, zuträfe, könnte die Klägerin aus dieser Tatsache deshalb keinen Versorgungsanspruch herleiten, weil sie sich - nach der Scheidung ihrer Ehe mit C. - erneut verheiratet hat, bevor C. gestorben ist. Dieser Ausschlußgrund ist zwar nicht ausdrücklich im Gesetz enthalten, ergibt sich jedoch zwingend aus dem Zweck der gesamten Hinterbliebenenversorgung für Kriegsopfer (§§ 38 ff BVG), mit der die Regelung des § 42 Abs. 1 Satz 1 BVG zusammenhängt, und aus dem Sinn dieser Sondervorschrift für geschiedene Ehefrauen.

Zu den Vorschriften des Rentenversicherungsrechts in § 42 AVG und § 1265 RVO, die wörtlich nahezu und inhaltlich vollständig mit den hier anzuwendenden Bestimmungen des Rechts der KOV übereinstimmen, hat der 11. Senat des BSG in seinem Urteil vom 5. März 1965 (SozR Nr. 30 zu § 1265 RVO) entschieden, der von dem Versicherten geschiedenen Frau stehe nach Auflösung der zweiten Ehe keine Hinterbliebenenrente zu, falls sie zu Lebzeiten des Versicherten wieder geheiratet habe; denn sie habe durch diese neue Eheschließung die Stellung einer "früheren Ehefrau" des Versicherten verloren. Dies sei aus der gesetzlichen Regelung des Rentenanspruchs nach der Auflösung der zweiten Ehe zu folgern; ein solcher Anspruch setze voraus, daß der andere Ehegatte aus der ersten aufgelösten Ehe vor der zweiten Eheschließung verstorben sei und der Überlebende dadurch einen Rentenanspruch aus dessen Versicherung erworben habe (§ 68 Abs. 2 und 3 AVG = § 1291 Abs. 2 und 3 RVO). Die "Geschiedenen-Hinterbliebenenrenten" nach den §§ 42, 43 Abs. 2 AVG = § 1265, 1266 Abs. 2 RVO ersetzten einen Unterhalt, den der Versicherte seinem überlebenden Ehegatten bis zu dessen Wiederverheiratung zu gewähren hatte oder tatsächlich gewährte. Diese Auslegung, die dem Sinn und Zweck der Vorschrift entspreche, werde auch dem Wortlaut gerecht. Denn mit der "früheren Ehefrau", deren Ehe mit dem Versicherten geschieden sei und die z.Zt. seines Todes einen eherechtlichen Unterhaltsanspruch gegen ihn gehabt habe, könne eine wiederverheiratete frühere Ehefrau nicht gemeint sein, weil sie nicht mehr nach Eherecht den Unterhalt von ihrem früheren (ersten) Ehemann beanspruchen könne; für die beiden anderen Alternativen des Anspruchs - Unterhaltspflicht des Versicherten aus sonstigen Gründen und tatsächliche Unterhaltsleistung - könne aber der Begriff "frühere Ehefrau" nicht anders ausgelegt werden.

Diese Auslegung der genannten Vorschriften des Rentenversicherungsrechts ist nach der Überzeugung des erkennenden Senats auch für die inhaltsgleiche Bestimmung des § 42 Abs. 1 Satz 1 BVG zutreffend. Ein durchgreifender Unterschied zwischen der Rentenversicherung und der KOV, der die Übertragung der Rechtsprechung des BSG zu § 42 AVG und zu § 1265 RVO auf § 42 Abs. 1 Satz 1 BVG ausschlösse, ist nicht zu erkennen. In beiden Rechtsgebieten sind für die gesetzliche Regelung des Rentenanspruchs im Falle der Wiederverheiratung und der Auflösung der Ehe die gleichen Grundgedanken maßgebend. In der KOV erhält die Witwe bei einer Wiederverheiratung nach § 44 Abs. 1 BVG (in der seit dem 1. NOG geltenden Fassung) an Stelle ihres Rentenanspruchs eine Abfindung; der Rentenanspruch wird durch diese Leistung ersetzt. Nach § 44 Abs. 2 BVG lebt er wieder auf, wenn die neue Ehe ohne alleiniges oder überwiegendes Verschulden der Witwe aufgelöst oder für nichtig erklärt wird. Wiederaufleben kann aber nur ein Recht, das bestanden hat. § 44 Abs. 2 BVG ist nach § 44 Abs. 6 BVG (in der seit dem 2. NOG geltenden Fassung) entsprechend anzuwenden, wenn eine "Witwe", die keine Witwenrente nach dem BVG bezogen hat und deren früherer Ehemann als Schädigungsfolgen im Sinne des § 1 BVG verstorben ist ohne die Wiederverheiratung einen Versorgungsanspruch hätte. Auf die Witwenrente nach § 44 Abs. 2 BVG sind Versorgungs-, Renten- und Unterhaltsansprüche aus der zweiten Ehe nach § 44 Abs. 5 BVG anzurechnen. Im Rentenversicherungsrecht bestehen im wesentlichen gleiche Vorschriften wie in § 44 BVG (§ 1291 RVO, § 68 AVG). In beiden Rechtsgebieten knüpft der Hinterbliebenenanspruch der geschiedenen Ehefrau an solche Unterhaltsbeziehungen zu dem geschiedenen Ehemann - dem Versicherten oder dem an Schädigungsfolgen Verstorbenen - an, die nicht durch zeitlich nachfolgende Unterhaltsbeziehungen zu einem anderen Ehemann beseitigt worden sind. Ein Unterhaltsanspruch aus der ersten Ehe ist aber mit der Wiederverheiratung der geschiedenen Frau schlechthin ausgeschlossen (im Falle der Klägerin gem. § 75 EheGes. vom 6. Juli 1938 - RGBl I S. 807 -; jetzt § 67 EheGes. vom 20. Februar 1946 - KRABl 77 -). Deshalb kommt auch ein Versorgungsanspruch auf Grund der früheren Ehe, der ein solches Rechtsverhältnis notwendig voraussetzt, nicht in Betracht. Durch die zweite Eheschließung hat die frühere Ehefrau auch mit Wirkung für das Recht der KOV, das insoweit ebenfalls an Unterhaltsbeziehungen aus der ersten Ehe anknüpft, die Stellung einer "früheren Ehefrau" verloren. Dies wird ergänzt und bestätigt durch die im Bereich der KOV herrschende Rechtsprechung, daß Witwen-Versorgungsansprüche nach einer Wiederverheiratung lediglich im Zusammenhang mit der ersten neuen Ehe nach einer bereits vorausgegangenen entstehen können (BSG 12, 127 für die Witwenbeihilfe nach § 44 Abs. 3 BVG idF vom 6. 6. 1956 - BGBl I S. 463 - und nach § 44 Abs. 4 BVG in der vorhergehenden Fassung; BSG 15, 246 zu § 44 Abs. 4 BVG idF vom 6. 6. 1956 und § 44 Abs. 2 BVG in der seit dem 1. NOG geltenden Fassung; BSG 17, 120 zu § 44 Abs. 1 BVG nF). Die "Versorgungskette" (BSG 12, 127, 134) nach dem ersten Ehemann, der an Schädigungsfolgen verstorben ist, wird nicht über die nächste Eheschließung hinaus fortgesetzt; sie reicht nicht einmal so weit, wenn nicht vor dieser ersten Wiederverheiratung bereits ein Anspruch auf Witwenrente auf Grund der vorausgegangenen Ehe entstanden war. Die Ehefrau, die, wie im vorliegenden Fall, nicht bereits vor der Wiederverheiratung einen Hinterbliebenenversorgungsanspruch nach dem BVG gehabt hat, kann einen solchen nach § 42 Abs. 1 Satz 1 BVG überhaupt nicht erwerben, wenn im Verhältnis zu ihrem verstorben früheren Ehemann infolge der neuen Eheschließung, ungeachtet einer etwa nach der Scheidung getroffenen Unterhaltsvereinbarung, eine eherechtliche Versorgung schlechthin ausgeschlossen ist.

Eine andere Rechtslage besteht im Fall der Klägerin nicht etwa deshalb, weil sie nach der Scheidung der zweiten Ehe in einem eheähnlichen Verhältnis mit ihrem ersten Ehemann gelebt hat. Die gesamte Hinterbliebenenversorgung nach dem BVG knüpft an gesetzlich geschlossene und geschiedene Ehen an, nicht aber an tatsächliche Lebensgemeinschaften, die eheähnlichen Charakter haben.

Bei dieser vom LSG zutreffend beurteilten Rechtslage ist es nicht darauf angekommen, ob die erste Ehe ohne Verschulden der Klägerin geschieden worden ist und ob sowie in welchem Umfang C. der Klägerin im letzten Jahr vor seinem Tod tatsächlich Unterhalt gewährt hat. Damit kommt es auf die Rüge einer mangelnden Sachaufklärung (§ 103 SGG) nicht an.

Die Revision der Klägerin mußte als unbegründet zurückgewiesen werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

NJW 1971, 2191

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