Entscheidungsstichwort (Thema)

Abrechnungsfähigkeit von Fotostimulationen

 

Leitsatz (redaktionell)

Fotostimulationen sind nach der ÄGO vom 1965-03-18 nicht abrechnungsfähig.

 

Orientierungssatz

1. Ähnlich wie die KÄV grundsätzlich frei entscheiden können, wie sie die Leistungen der Kassenärzte in ihren Relationen zueinander bewerten wollen, gilt dies auch für die Frage, welche ärztlichen Maßnahmen überhaupt selbständig abrechnungsfähig sein sollen.

2. Auch insoweit kann eine autonome Regelung der KÄV von den Gerichten nur unter engen Voraussetzungen überprüft werden, soweit sie nämlich die Grenzen der Satzungs- und Vertragsautonomie überschreitet, insbesondere Normen des übergeordneten Bundesrechts verletzt.

3. Auch wenn durch RVO § 368f Abs 1 S 4 nicht nur ein bestimmtes Verteilungssystem gefordert, sondern darüber hinaus der KÄV die Vergütung "sämtlicher Leistungen" nach Art und Umfang zur Pflicht gemacht wäre, würde dies eine autonome Regelung der Frage nicht ausschließen, ob bestimmte Maßnahmen des Arztes zu den - selbständig zu vergütenden - "Leistungen" gehören oder nicht.

 

Normenkette

GOÄ Nr. 744 Fassung: 1965-03-18, Nr. 745 Fassung: 1965-03-18; RVO § 368f Abs. 1 S. 4 Fassung: 1955-08-17

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 5. Dezember 1973 wird zurückgewiesen.

Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Der Kläger, der als Facharzt für Neurologie und Psychiatrie an der kassenärztlichen Versorgung teilnimmt, wendet sich gegen eine Berichtigung seiner Honorarforderungen im Bereich der RVO-Krankenkassen für das Quartal II/70. Die Honorarberichtigung betrifft die Abrechnungsfähigkeit sogenannter Fotostimulationen (Erregung von Hirnströmen durch Lichtreize) im Zusammenhang mit elektroencephalographischen Untersuchungen. Der Kläger hält die Fotostimulation, obwohl für sie im Honorarverteilungsmaßstab (HVM) der Beklagten und den ihn ergänzenden Regelungen keine Gebühr vorgesehen ist, als "echte Sonderleistung" neben der elektroencephalographischen Untersuchung für selbständig abrechnungsfähig und hat dafür in seiner Honorarabrechnung eine halbe Gebühr nach Nr. 745 der Gebührenordnung für Ärzte - GOÄ - (Befunderhebung am Nervensystem durch elektrische bzw. andere besondere Untersuchungsmethoden) eingesetzt. Gegen die - durch einen Prüfungsausschuß der Beklagten vorgenommene und vom Vorstand der für den Kläger zuständigen Bezirksstelle bestätigte - Streichung des Gebührenansatzes hat er Klage erhoben.

Das Sozialgericht (SG) und das Landessozialgericht (LSG) haben die Klage für unbegründet gehalten. Das LSG ist nicht näher auf die Frage eingegangen, ob die Fotostimulation als eine selbständige Leistung anzusehen sei (dafür hatte der Kläger sich auf ein Sachverständigengutachten berufen). Nach Ansicht des LSG steht dem Kläger schon deswegen keine Vergütung für die streitige Leistung zu, weil dafür in den Vergütungsregelungen der Beklagten, die als abschließend anzusehen seien, keine Gebühr bestimmt werde. Für eine analoge Anwendung anderer Gebührenziffern sei kein Raum (Urteil vom 5. Dezember 1973).

Der Kläger hat die zugelassene Revision eingelegt und vorgetragen: Das LSG habe die fraglichen Vergütungsbestimmungen unrichtig ausgelegt und auch die Vorschriften des § 368 f der Reichsversicherungsordnung (RVO) über die Honorarverteilung verletzt. Er beantragt, die Urteile der Vorinstanzen und die Bescheide der Beklagten bzw. des Prüfungsausschusses vom 30. September 1970 und 1. April 1971 aufzuheben.

Die Beklagte und die beigeladenen Landesverbände der Krankenkassen halten das angefochtene Urteil für zutreffend und beantragen die Zurückweisung der Revision.

Alle Beteiligten haben einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung zugestimmt.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers ist nicht begründet. Das LSG hat die Abrechnungsfähigkeit der streitigen Leistungen (Fotostimulationen) im Ergebnis mit Recht verneint.

Der Umstand, daß die Honorarabrechnung des Klägers zunächst durch einen - insoweit nicht zuständigen (BSG 27, 146, 147 f) - Prüfungsausschuß der Beklagten berichtigt worden ist, hat für die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Entscheidung keine Bedeutung mehr, nachdem der Widerspruchsbescheid von dem Vorstand der für den Kläger zuständigen Bezirksstelle (der als Widerspruchsstelle bestimmt werden konnte, BSG aaO), erlassen worden ist.

In der Sache gehen alle Beteiligten - auch der Kläger - zutreffend davon aus, daß der HVM der Beklagten, der während der fraglichen Zeit (II/70) galt, sowie die Bestimmungen, auf die er zu seiner Ergänzung verwies, eine Gebühr für die streitigen Leistungen nicht vorsahen. Das gilt insbesondere für die Gebührenordnung für Ärzte vom 18. März 1965 (BGBl I, 89), nach der die Honorarverteilung bei der Beklagten seinerzeit in erster Linie zu erfolgen hatte (§ 2 Abs. 1 HVM). Weder nach Nr. 744 GOÄ (elektroencephalographische Untersuchung einschl. Unkosten) noch nach Nr. 745 GOÄ (Befunderhebung am Nervensystem durch elektrische bzw. andere besondere Untersuchungsmethoden) stand dem Kläger für die Fotostimulation eine Gebühr zu. Auch die von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) beschlossenen "Analogen Bewertungen für in der Amtlichen Gebührenordnung nicht verzeichnete ärztliche Leistungen", die bei der Honorarverteilung subsidiär anzuwenden waren (§ 2 Abs. 3 Satz 2 HVM), enthielten insoweit keine besondere Gebührenposition. Schließlich lag auch keine vorläufige Vergütungsregelung seitens des Vorstandes der Beklagten vor (§ 2 Abs. 4 HVM), noch hatten die Partner der - mit den Landesverbänden der Krankenkassen geschlossenen - Rahmenvereinbarungen vom 11. April 1970 eine vorläufige Vergütung nach Maßgabe gleichwertiger Leistungen festgesetzt (vgl. § 2 Abs. 3 Satz 3 der Rahmenvereinbarungen, abgedruckt bei Heinemann/Liebold, Kassenarztrecht, 4. Aufl., S. IV 101 ff).

Das LSG hat diese - im HVM und seinen ergänzenden Bestimmungen getroffene - Vergütungsregelung für "abschließend" gehalten; für eine analoge Anwendung anderer Gebührenziffern auf die Leistungen des Klägers sei deshalb kein Raum, auch § 6 GOÄ (Satz 2: Vergütung der Leistungen nach den Sätzen für "gleichwertige Leistungen") sei angesichts der bestehenden "Spezialregelungen" nicht anwendbar. Soweit das LSG damit den HVM der Beklagten und die genannten Rahmenvereinbarungen ausgelegt hat, ist seine Entscheidung für den Senat nicht revisibel (§ 162 SGG). Auch der Senat muß deshalb davon ausgehen, daß die fraglichen Bestimmungen die Honorarverteilung bei der Beklagten abschließend regelten, eine analoge Leistungsbewertung durch andere Stellen als die KBV, den Vorstand der Beklagten oder die Partner der Rahmenvereinbarungen mithin nicht zulässig sein sollte.

Trotz dieses im Satzungsrecht der Beklagten und den genannten Rahmenvereinbarungen enthaltenen "Analogieverbots" hätte allerdings für die streitigen Leistungen gleichwohl eine analoge Gebührenbewertung stattzufinden, wenn und soweit sie durch revisible Normen, die den genannten Bestimmungen vorgehen, geboten wäre. Das trifft indessen nicht zu. Ähnlich wie die Kassenärztlichen Vereinigungen grundsätzlich frei entscheiden können, wie sie die Leistungen der Kassenärzte in ihren Relationen zueinander bewerten wollen (vgl. das Urteil des Senats in der Sache 6 RKa 24/74 vom 6. Mai 1975), gilt dies auch für die Frage, welche ärztlichen Maßnahmen überhaupt selbständig abrechnungsfähig sein sollen. Auch insoweit kann eine autonome Regelung der Kassenärztlichen Vereinigung - allein oder im Zusammenwirken mit ihren Vertragspartnern - von den Gerichten nur unter engen Voraussetzungen überprüft werden, soweit sie nämlich die Grenzen der Satzungs- und Vertragsautonomie überschreitet, insbesondere Normen des übergeordneten Bundesrechts verletzt.

Als eine solche Norm kommt hier § 368 f Abs. 1 Satz 4 RVO in Betracht; danach sind bei der Honorarverteilung durch die Kassenärztliche Vereinigung Art und Umfang der Leistungen des Kassenarztes zugrunde zu legen; eine Verteilung der Gesamtvergütung nur nach der Zahl der Behandlungsfälle (Krankenscheine) ist nicht zulässig. Auch wenn nach dieser Vorschrift nicht nur ein bestimmtes Verteilungssystem (Verteilung nach einzelnen Leistungen im Gegensatz zu einem Fall- oder Kopfpauschale) gefordert, sondern darüber hinaus der Kassenärztlichen Vereinigung die Vergütung sämtlicher "Leistungen" nach Art und Umfang zur Pflicht gemacht wäre, würde dies eine autonome Regelung der Frage nicht ausschließen, ob bestimmte Maßnahmen des Arztes zu den - selbständig zu vergütenden - "Leistungen" gehören oder nicht. Nur wenn der insoweit bestehende und nicht zu eng zu begrenzende Regelungsspielraum überschritten wäre, die Vergütungsregelung sich unter keinen vernünftigen Gesichtspunkten vertreten ließe, insbesondere der Gleichheitssatz (Art. 3 GG) verletzt wäre oder Anhaltspunkte dafür vorlägen, daß für die Regelung sachfremde Erwägungen bestimmend waren, hätten die Gerichte einzugreifen.

Ein solcher Ausnahmefall ist hier nicht gegeben. Ob Fotostimulationen, die im Zusammenhang mit elektroencephalographischen Untersuchungen vorgenommen werden, mit der (im übrigen relativ hoch bemessenen) Gebühr für diese Untersuchungen abgegolten oder selbständig abrechnungsfähig sind, ist keine Frage, die nur in dem einen oder anderen Sinne zu beantworten ist. Daß es auch für die Einbeziehung der genannten Maßnahmen in die Gebühr der Nr. 744 GOÄ beachtliche Gründe gibt, zeigen die Kommentare von Brück zur GOÄ und zum Bewertungsmaßstab/Ärzte (vgl. die Anmerkungen zu Ziff. 744 und 745 GOÄ bzw. BMÄ, insbes. Anm. 27 und 28 a zu Ziff. 744 BMÄ). Auch die Vertragspartner der Ersatzkassen-Adgo haben sich - mit Billigung des Senats - in diesem Sinn ausgesprochen (vgl. das Urteil des Senats in der Parallelsache 6 RKa 7/74 vom 6. Mai 1975).

Da somit der Ausschluß der streitigen Maßnahmen des Klägers von den selbständig abrechnungsfähigen Leistungen keine übergeordnete Rechtsnorm verletzt, hat das LSG die Klage im Ergebnis zutreffend für unbegründet gehalten. Auch die Revision war deshalb zurückzuweisen. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1653465

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