Entscheidungsstichwort (Thema)
Bewertung der Vitalitätsprüfung durch Kieferchirurgen. Gestaltung des Bewertungsmaßstabes und des Honorarverteilungsmaßstabes
Orientierungssatz
Zur Frage, ob die von einem Kieferchirurgen in mehreren Behandlungsfällen vorgenommene Vitalitätsprüfung von Zähnen bei der Verteilung der Gesamtvergütung als eine abrechnungsfähige Leistung zu berücksichtigen ist und gegebenenfalls mit welchem Vergütungssatz.
Normenkette
RVO § 368f Abs 1 Fassung: 1977-06-27, § 368g Abs 4 Fassung: 1977-06-27; BMÄ Nr 745; E-GO Nr 852; E-GO Nr 551
Verfahrensgang
Hessisches LSG (Entscheidung vom 27.04.1983; Aktenzeichen L 7 Ka 1342/80) |
SG Frankfurt am Main (Entscheidung vom 09.07.1980; Aktenzeichen S 5 Ka 13/78) |
Tatbestand
Der Kläger, Dr. med. und Dr. med. dent., ist als Arzt für Kieferchirurgie und nicht als Zahnarzt zur kassen- und vertragsärztlichen Versorgung zugelassen. Zwischen den Beteiligten besteht darüber Streit, ob der Kläger im Quartal III/1977 Vitalitätsprüfungen von Zähnen abrechnen durfte.
Die zuständige Bezirksstelle der beklagten Kassenärztlichen Vereinigung (KÄV) teilte dem Kläger am 30. November 1977 mit, daß die Vitalitätsprüfung von Zähnen im Rahmen der kassenärztlichen Versorgung nicht berechnungsfähig sei. Ihr Vorstand habe festgestellt, daß, nachdem ab 1. April 1974 der Abschnitt VIII - Mund und Kiefer - des Bewertungsmaßstabes für die kassenärztlichen Leistungen (BMÄ) neu gefaßt worden sei, keine Möglichkeit bestehe, Ziffern aus der zahnärztlichen Gebührenordnung (GOZ - hier die Nrn 8a und 8b GOZ -) in Ansatz zu bringen. Die Vitalitätsprüfung der Zähne entspreche auch nicht dem Leistungsinhalt der vom Kläger berechneten Nr 745 BMÄ bzw Nr 832 der Ersatzkassen- Adgo (E-Adgo).
Dem Widerspruch des Klägers half die Bezirksstelle der Beklagten nicht ab, weil sie in dieser Angelegenheit (Absetzung der jeweils neben einer eingehenden Untersuchung berechneten Nr 745 BMÄ bzw Nr 832 E-Adgo) eine grundsätzliche Entscheidung ihres Vorstandes für erforderlich hielt. Der Vorstand wies den Widerspruch mit der Begründung zurück, daß nach der Neufassung des BMÄ und der E-Adgo im Rahmen der kassenärztlichen Versorgung auch von Fachärzten für Mund- und Kieferchirurgie nur solche zahnärztlichen Leistungen in Ansatz gebracht werden könnten, die in den ärztlichen Gebührenordnungen ausdrücklich bewertet seien. Eine analoge Bewertung sei ohne Beschlußfassung der ständigen Gremien der Vertragspartner nicht zulässig.
Im anschließenden Klageverfahren hat der Kläger geltend gemacht: Mit der Einführung einer Vielzahl neuer Positionen im Abschnitt VIII des BMÄ ab 1. April 1974 werde die mund- und kieferchirurgische Tätigkeit weitgehend, aber nicht völlig erfaßt. Wenn die Möglichkeit, auf zahnärztliche Positionen auszuweichen, im BMÄ nicht mehr gegeben sei, so auch deshalb, weil (ergänzend) auf die Positionen anderer Fachgruppen ausgewichen werden könne. Durch die Feststellung Nr 260 der Arbeitsgemeinschaft gemäß § 19 des Ersatzkassenvertrages (EKV) vom 23. Juni 1978, nach der die Vitalitätsprüfung von Zähnen nach Nr 551 E-GO (neue Ersatzkassen- Gebührenordnung) abgerechnet werden könne (DÄ 1978, 1800), sei es zwischenzeitlich zur Anerkennung der Leistung unter Verwendung einer analogen Position gekommen. Die von ihm (dem Kläger) verwendete Position erfasse jedoch die Art der diagnostischen Maßnahmen besser, denn die Nr 551 E-GO betreffe eine Behandlungsmaßnahme.
Das Sozialgericht (SG) hat dem Begehren des Klägers entsprochen. Es hat den Bescheid der Beklagten vom 30. November 1977 und den Widerspruchsbescheid vom 15. Februar 1978 aus folgenden Gründen aufgehoben: Der Kläger habe Anspruch auf Honorierung der nach Nr 745 BMÄ/Nr 832 E-Adgo abgerechneten Vitalitätsprüfungen von Zähnen. Bei diesen Prüfungen handele es sich um Befunderhebungen am Nervensystem. Der Abrechnung stehe nicht entgegen, daß die Befunderhebung am Nervensystem in den Gebührenordnungen für Ärzte unter dem Abschnitt "Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie" geregelt und eine Gebührenposition für Vitalitätsprüfungen von Zähnen im Abschnitt "Mund und Kiefer" nicht aufgeführt sei. Der 1974 für die Kieferchirurgen eingeführte Leistungskatalog habe zwar die zuvor bei den Abrechnungen dieser Ärzte erforderliche analoge Anwendung zahlreicher Gebührenziffern bzw das Ausweichen auf Gebührenziffern anderer Gebührenordnungen beseitigen wollen, um eine einheitlichere und übersichtlichere Abrechnung zu gewährleisten. Hieraus sei jedoch nicht zu folgern, daß im Katalog unerwähnte notwendige Leistungen nicht honoriert werden sollten. Wegen des Einzelleistungsprinzips sei grundsätzlich davon auszugehen, daß jede erforderliche ärztliche Leistung zu honorieren sei. Ein Honorarausschluß müsse sich eindeutig aus den Gebührenordnungen ergeben. Der Umstand, daß über die Vitalitätsprüfungen im Rahmen der Kieferchirurgie noch keine gebührenmäßige Regelung getroffen worden sei, hindere die Kieferchirurgen nicht, die allgemeine Leistung der Befunderhebung am Nervensystem zur Grundlage der Abrechnung der von ihnen erbrachten und als medizinisch erforderlich anerkannten Vitalitätsprüfungen zu machen. Für die Abrechnung bedürfe es keiner analogen Anwendung einer Gebührenposition, denn die Vitalitätsprüfung sei Teil des Leistungsinhalts einer bestehenden Gebührenposition.
Die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) zurückgewiesen. Auch nach seiner Auffassung sei zwar die bis zum 31. März 1974 gegebene Möglichkeit entfallen, Leistungen von Ärzten, sofern sie im Leistungskatalog der Gebührenordnung für Ärzte vom 18. März 1965 (GOÄ'65) fehlten, nach der GOZ abzurechnen (§ 6 Satz 1 GOÄ'65). Das bedeute jedoch nicht, daß solche Leistungen nicht honoriert werden könnten. Nach dem Einzelleistungsprinzip müsse vielmehr jede anerkannte und notwendige ärztliche Leistung honoriert werden. Entgegen der Auffassung des SG erscheine es jedoch nicht systemgerecht, Vitalitätsprüfungen unter die Nr 832 E-GO einzuordnen, denn der Leistungsinhalt dieser Geb.Nr. sei ausdrücklich auf die Befunderhebung am Nervensystem durch Faradisation bzw Galvanisation abgestellt. Die Gerichte seien auch nicht befugt, Lücken in der E-GO durch Anwendung entsprechender Nrn der E-GO zu schließen. Hierfür sei allein die (vertraglich vereinbarte) Arbeitsgemeinschaft zuständig und aufgrund größerer Sachkompetenz auch geeigneter. Nachdem die Arbeitsgemeinschaft gemäß § 19 EKV am 23. Juni 1978 die Feststellung getroffen habe, daß Vitalitätsprüfungen an Zähnen (durch Nichtzahnärzte) nach Nr 551 E-GO abgerechnet werden könnten, habe auch im vorliegenden Fall eine Abrechnung nach dieser Geb.Nr. zu erfolgen. Die Vitalitätsprüfung werde vom Leistungsinhalt dieser Geb.Nr. (Reizstrombehandlung, auch bei wechselweiser Anwendung verschiedener Impuls- oder Stromformen) genauer umfaßt. Die Vitalitätsprüfung erfolge durch thermische oder elektrische Reize. Die Feststellung der Arbeitsgemeinschaft könne bereits auf das hier fragliche Quartal angewandt werden, weil im Zeitpunkt der Feststellung der Streit über die Abrechnung noch nicht endgültig entschieden gewesen sei.
Gegen das Berufungsurteil haben die Beklagte und der Beigeladene zu 3) Revision eingelegt.
Die Beklagte, die eine Stellungnahme der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KÄBV) vom 9. September 1981 - 349.E 551 - 555 - zum Gegenstand ihres Vorbringens macht, rügt eine fehlerhafte Anwendung von § 368f Abs 1 und 2, § 368g Abs 1 und 2 der Reichsversicherungsordnung -RVO-, § 26 Abs 3 des Bundesmantelvertrages- Ärzte (BMV-Ä) iVm den Grundsätzen für die Berechnung der kassenärztlichen Gesamtvergütung vom 25. Februar 1971 (GV-Grundsätze), § 54 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) sowie § 19 EKV und die Feststellung Nr 260 der Arbeitsgemeinschaft gemäß § 19 EKV. Sie trägt dazu vor: Die Berichtigung der Abrechnung des Klägers für das Quartal III/1977 erstrecke sich allein auf die RVO-Abrechnung. Der Abrechnungshinweis für die Ersatzkassen-Abrechnungen sei kein Verwaltungsakt, die Klage insoweit daher unzulässig (BSG 18. Dezember 1975 - 12 RJ 148/74 -). Hinsichtlich der RVO-Abrechnung fehle dem Berufungsurteil eine Begründung. Aus den GV-Grundsätzen ergebe sich, daß § 6 GOÄ'65 nicht anwendbar sei. Der Ausschuß gemäß § 5 GV-Grundsätze habe keine Abrechnungsgrundlage für die Vitalitätsprüfung von Zähnen im Wege der Weiterentwicklung des BMÄ geschaffen. Der Anspruch des Klägers auf Teilnahme an der Honorarverteilung bemesse sich nach den gemäß § 368f Abs 1 RVO beschlossenen Grundsätzen der Honorarverteilung (HVG). Diese Grundsätze habe das LSG nicht angewandt. Gemäß § 1 Leitzahl 101 iVm § 2 Leitzahl 201 HVG idF vom 6. November 1976 sei eine analoge Bewertung der Vitalitätsprüfung der Zähne und Abrechnung nach Nr 745 BMÄ ausgeschlossen, weil sie weder von den Partnern des BMV-Ä vereinbart noch von der Abgeordnetenversammlung der Beklagten beschlossen worden sei.
Der Beigeladene zu 3) beanstandet ebenfalls, daß sich das LSG auf Regelungen aus dem Ersatzkassenbereich stütze, obwohl Honorarabrechnungen gegenüber RVO-Kassen streitig seien. Das LSG beachte nicht die zum damaligen Zeitpunkt unterschiedlichen Regelungen. Der maßgebliche Honorarverteilungsmaßstab verweise auf die gesamtvertraglichen Regelungen. Der Anspruch des Klägers gegen die Beklagte sei daher nach den gleichen Kriterien zu beurteilen, wie sie zwischen den Partnern der Gesamtverträge vereinbart worden seien. Das LSG habe sich unzulässigerweise an die Stelle des Ausschusses gemäß § 5 GV-Grundsätze gesetzt und entgegen den zwingenden gesetzlichen und vertraglichen Regelungen die Bewertung der streitigen Leistungen des Arztes vorgenommen.
Die Beklagte beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt vom 9. Juli 1980 und das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 27. April 1983 aufzuheben und die Klage abzuweisen, hilfsweise, den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
Der Kläger beantragt, die Revisionen zurückzuweisen. Die Beigeladenen zu 1) bis 7) stellen keine Anträge.
Der Beigeladene zu 1) weist darauf hin, daß die während des Klageverfahrens getroffene Feststellung Nr 260 der Arbeitsgemeinschaft gemäß § 19 EKV nur deklaratorischen Charakter habe und daher auch frühere Zeiträume erfasse.
Entscheidungsgründe
Die Revisionen der Beklagten und des Beigeladenen zu 3) führen zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Streitsache an das LSG.
Das Berufungsurteil wird von den angegebenen Gründen nicht getragen. Mit der Zurückweisung der Berufung bestätigt das LSG das Urteil des SG, durch das die Berichtigung der Abrechnung des Klägers in vollem Umfang aufgehoben worden ist. In der Begründung nimmt es aber insofern eine Änderung vor, als es nicht die vom Kläger geforderte und vom SG gebilligte Abrechnung der Vitalitätsprüfungen von Zähnen nach Nr 745 BMÄ/Nr 852 E-Adgo, sondern eine Abrechnung nach der von der Arbeitsgemeinschaft gemäß § 19 EKV am 23. Juni 1978 getroffenen Feststellung Nr 260 - ein- bzw zweimaliger Ansatz der Geb.Nr. 551 E-Adgo - für richtig hält. Es kann dahingestellt bleiben, ob und inwieweit der Urteilsausspruch mit der Begründung in Einklang steht. Das Urteil ist schon deshalb aufzuheben, weil die herangezogenen Regelungen des Ersatzkassenrechts hier keine Anwendung finden. Die umstrittene gebührenordnungsmäßige Berichtigung beschränkt sich auf die Abrechnung des Klägers im Bereich der gesetzlichen Krankenkassen (RVO-Bereich). Im Berichtigungsbescheid und in der anschließenden Auseinandersetzung mit diesem wird zwar neben der Leistungs-Nr. 745 des für den RVO-Bereich maßgebenden BMÄ auch die entsprechende Geb. Nr. 852 der damals für den Ersatzkassenbereich geltenden E-Adgo angegeben. Die dem Berichtigungsbescheid als Anlage beigefügte Aufstellung über die von den Streichungen betroffenen Behandlungsfälle weist aber aus, daß keine Ersatzkassenfälle betroffen sind. Insoweit bestünde offenbar auch kein Streit, denn der beigeladene VdAK, der die Rechte der Ersatzkassen vertritt, hat im Revisionsverfahren ausdrücklich der Anwendung der Feststellung Nr. 260 auf das hier streitbefangene Quartal zugestimmt.
Rechtsgrundlage des Vergütungsanspruches des Kassenarztes für seine Leistungen im RVO-Bereich ist der Verteilungsmaßstab seiner KÄV (Honorarverteilungsmaßstab/HVM). Die KÄV erhält von den Krankenkassen für die gesamte kassenärztliche Versorgung eine Gesamtvergütung, die sie unter die Kassenärzte zu verteilen hat (Sätze 1 und 2 des § 368f Abs 1 RVO). Es ist ihr aufgegeben, bei der Verteilung der Gesamtvergütung einen von ihr im Benehmen mit den Verbänden der Krankenkassen festgesetzten Verteilungsmaßstab anzuwenden (Satz 3). Dabei sind Art und Umfang der Leistungen des jeweiligen Kassenarztes zugrunde zu legen (Satz 4 Halbsatz 1). Die abrechnungsfähigen ärztlichen Leistungen und ihr wertmäßiges Verhältnis zueinander werden seit dem 1. Juli 1978 durch einen einheitlichen Bewertungsmaßstab - E-BMÄ - bestimmt (§ 368g Abs 4 RVO idF des Krankenversicherungs-Kostendämpfungsgesetzes/KVKG; Art 2 § 9 KVKG). Für die frühere Zeit, also auch für das hier streitbefangene Quartal III/1977 gab es keinen einheitlichen Bewertungsmaßstab, der für alle Bereiche der kassenärztlichen Versorgung gegolten hätte. Die Partner des BMV-Ä hatten zwar am 25. Februar 1971 "Grundsätze für die Berechnung der kassenärztlichen Gesamtvergütung" - GV-Grundsätze - vereinbart und im Rahmen dieser Grundsätze einen von der GOÄ'65 ausgehenden Bewertungsmaßstab aufgestellt. Dieser Bewertungsmaßstab - BMÄ - galt unmittelbar nur für die von den Krankenkassen an die KÄV zu entrichtende Gesamtvergütung, also nur für das Vergütungsverhältnis zwischen den Partnern des Gesamtvertrages (§ 1 GV-Grundsätze iVm § 368f Abs 2 und 3 idF vor dem KVKG, § 7 GV-Grundsätze). Er galt nicht, jedenfalls nicht unmittelbar, für die Verteilung der Gesamtvergütung unter die Kassenärzte, also für das Vergütungsverhältnis zwischen der KÄV und dem Kassenarzt. Allerdings konnte ihn die KÄV ganz oder teilweise auch zur Grundlage ihres Verteilungsmaßstabes machen. Es war ihr aber nicht verwehrt, die Vergütung der Leistungen des Kassenarztes auf andere Weise zu regeln, zB einen eigenen Leistungskatalog aufzustellen oder die GOÄ'65, eventuell mit gewissen Modifizierungen, zu übernehmen (BSGE 43, 247, 249).
Für die hier streitige Frage, ob die vom Kläger in mehreren Behandlungsfällen vorgenommene Vitalitätsprüfung von Zähnen bei der Verteilung der Gesamtvergütung als eine abrechnungsfähige Leistung zu berücksichtigen ist und gegebenenfalls mit welchem Vergütungssatz, kommt es deshalb zunächst auf den HVM der Beklagten an. Dies hat das LSG nicht beachtet. Es hat den HVM der Beklagten außer Betracht gelassen. Sein Urteil beruht daher auf einer Verletzung des § 368f Abs 1 Satz 3 RVO.
Da der für das Quartal III/1977 gültig gewesene HVM der Beklagten bisher nicht festgestellt worden ist, kann der Senat in der Sache noch nicht abschließend entscheiden. Beim HVM der Beklagten handelt es sich um Rechtsvorschriften, deren Geltungsbereich sich nicht über den Bezirk des Berufungsgerichts hinaus erstreckt. Die Auslegung solcher Rechtsvorschriften durch die Tatsacheninstanzen ist für das Revisionsgericht bindend (§ 162 SGG). Es ist daher grundsätzlich Aufgabe der Tatsacheninstanzen, die nichtrevisiblen Rechtsvorschriften festzustellen. Unter bestimmten Voraussetzungen kann zwar auch das Revisionsgericht nichtrevisibles Recht in eigener Auslegung anwenden (Meyer-Ladewig, SGG mit Erläuterungen, 2. Aufl, § 162 RdNr 7 S 744 mwN). Es kann dahinstehen, ob diese Möglichkeit hier gegeben ist. In Anbetracht der Besonderheiten des vorliegenden Falles hält es der Senat für untunlich, selbst in der Sache zu entscheiden. Er macht daher von der in § 170 Abs 2 Satz 2 SGG eingeräumten Möglichkeit Gebrauch, die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen (Meyer-Ladewig aaO § 170 RdNr 6 S 777).
Da sich die Vorinstanzen nicht mit dem HVM der Beklagten befaßt haben, ist anzunehmen, daß auch Verfahrensbeteiligte diesen Regelungskomplex übersehen oder nicht für erheblich gehalten haben. Jedenfalls findet sich kein Anhalt dafür, daß insoweit eine Erörterung des Streitverhältnisses stattgefunden hat (§ 112 Abs 2 Satz 2 SGG). Der Anspruch auf rechtliches Gehör gebietet es, den Beteiligten die Möglichkeit zu geben, sich zur Anwendung des HVM umfassend zu äußern und hinsichtlich dieses rechtlichen Gesichtspunktes ihren Sachvortrag zu ergänzen. Diese Möglichkeit haben sie uneingeschränkt nur in den Tatsacheninstanzen (zum Anspruch auf rechtliches Gehör: Meyer-Ladewig aaO § 62 RdNr 8 mwN).
Die von der Beklagten in der Revisionsbegründung wiedergegebenen Vorschriften ihrer "Honorarverteilungsgrundsätze" (§ 1 Leitzahl 101, § 2 Leitzahl 201), ihre Gültigkeit für das Quartal III/1977 vorausgesetzt, lassen eine vom BMÄ abweichende Vergütungsregelung möglich erscheinen. Die Verweisung auf die GV-Grundsätze zwingen nicht dazu, die Vitalitätsprüfung von Zähnen durch einen Nichtzahnarzt bei der Verteilung der Gesamtvergütung unberücksichtigt zu lassen. Der BMÄ enthält zwar keine Leistungsnummer, die ausdrücklich die Vitalitätsprüfung von Zähnen betrifft. Ob insoweit ausnahmsweise eine ausfüllungsbedürftige Lücke im BMÄ angenommen werden kann, soll hier zunächst nicht endgültig entschieden werden (vgl dazu BSGE 20, 74; BSG SozR 5530 Allgem GOÄ Nr 1; BSGE 46, 141; 53, 247). Für eine Lücke könnte sprechen, daß andere damals geltende Gebührenordnungen eine Gebühr vorsahen (Nr. 8a/b GOZ und Bewertungsmaßstab für die kassenzahnärztlichen Leistungen/ Bema; § 6 GOÄ'65 iVm Nr. 8a/b GOZ - diese Verweisung sieht allerdings die GOÄ vom 12. November 1982, BGBl I 1522, nicht mehr vor, vgl hierzu Begründung zu § 6 der neuen GOÄ, BR-Drucks 295/82 S 14). Auch der zunächst unvollständig bearbeitete Abschnitt VIII -Mund und Kiefer- im BMÄ und die Konzentration der ab 1. April 1974 in Kraft getretenen Ergänzung dieses Abschnitts des BMÄ auf Behandlungsleistungen ließen daran denken, dem Kieferchirurgen wie dem Zahnarzt für die gleiche Vitalitätsprüfung gleiche Vergütung zu gewähren. Diesen Fragen ist jedoch erst nachzugehen, wenn der Verteilungsmaßstab der Beklagten keine eigenständige Regelung enthält. Nachdem dort - nach dem von der Beklagten wiedergegebenen Wortlaut - ausdrücklich von § 6 GOÄ'65 nur Satz 2 von der Anwendung ausgenommen wird, ist eine entsprechende Anwendung der GOZ über Satz 1 des § 6 GOÄ'65 zu erwägen. Im vorliegenden Fall ist nicht zu entscheiden, ob der ab 1. Juli 1978 geltende E-BMÄ eine von diesem abweichende Vergütungsregelung im HVM verbietet.
Die von der KÄV vorgelegte Stellungnahme der KÄBV vom 9. September 1981 läßt ebenfalls offen, ob eine Regelungslücke vorliegt. Nach Auffassung der KÄBV sei insbesondere nicht nachzuweisen, daß die eingehende Untersuchung, für die der Kläger eine Vergütung erhalten hat, die Vitalitätsprüfung von Zähnen mit einschließt. Soweit die KÄBV geltend macht, daß es Aufgabe der Vertragspartner sei, eine eventuelle Regelungslücke zu schließen, gilt das jedenfalls nicht unbedingt für die Verteilung der Gesamtvergütung in einem Zeitraum vor Inkrafttreten des E-BMÄ am 1. Juli 1978. Im vorliegenden Fall wird daher nicht die Frage zu klären sein, wie zu entscheiden wäre, wenn sich die Vertragspartner bzw die Bewertungsausschüsse einer eventuell gebotenen Ergänzung des E-BMÄ widersetzten.
Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens bleibt dem LSG überlassen.
Fundstellen