Entscheidungsstichwort (Thema)

Berufsschadensausgleich. Vergleichsgruppe

 

Orientierungssatz

Das Durchschnitts- oder Vergleichseinkommen iS des § 30 Abs 4 S 1 BVG ist der Berufs- oder Wirtschaftsgruppe zu entnehmen, dem der Beschädigte in der Zeit, für die er die Leistung begehrt, ohne die Schädigung angehört hätte. Diese letztgenannte Berufsstellung kann vernünftigerweise nicht diejenige sein, die der Schwerbeschädigte vor der Zeit, für die er den Berufsschadensausgleich begehrt, durch andere Umstände als durch Schädigungen iS des BVG verloren hatte, sondern nur diejenige Berufsstellung, die er zur selben Zeit ohne die Schädigung inne hätte (vgl BSG 1972-07-19

 

Normenkette

BVG § 30 Abs. 3, 4 S. 1

 

Verfahrensgang

LSG Niedersachsen (Entscheidung vom 16.12.1971)

SG Hildesheim (Entscheidung vom 29.09.1970; Aktenzeichen XX LSG Celle)

 

Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 16. Dezember 1971 geändert.

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Hildesheim vom 29. September 1970 wird in vollem Umfang zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Berufungs- und des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

I

Der im Jahre 1906 geborene Kläger bezieht wegen Verlust des rechten Auges und Veränderungen am linken Auge ohne Beeinträchtigung des Sehvermögens Versorgungsrente, die mit Bescheid vom 4. Dezember 1964 auf 50 v. H. erhöht wurde. Der Kläger hat die Volksschule besucht, das Maurerhandwerk erlernt und nach seinen Angaben im Oktober 1924 die Gehilfenprüfung abgelegt. Nach dem Besuch der Baugewerksschule war er bis zu seiner Einberufung zum Wehrdienst im März 1942 als Bautechniker beschäftigt; zu der angestrebten Baumeisterprüfung kam es nicht. Nach dem Kriege war der Kläger zunächst in der DDR als freischaffender Architekt und nach seiner Übersiedlung in die Bundesrepublik im August 1950 bei verschiedenen Firmen als angestellter Architekt tätig. Seit Januar 1959 unterhielt er ein Architekturbüro in Bad Sachsa. Seit Januar 1962 bezog der Kläger von der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) Rente wegen Berufsunfähigkeit, die mit Wirkung ab 1. Januar 1971 in Rente wegen Erwerbsunfähigkeit und vom 1. März 1971 an in Altersruhegeld umgewandelt wurde.

Im Februar 1965 beantragte der Kläger die Gewährung eines Berufsschadensausgleichs. Dieser Antrag wurde durch Bescheid des Versorgungsamtes (VersorgA) H vom 26. Juni 1967 mit der Begründung abgelehnt, das Herzleiden, das zur Aufgabe der Berufstätigkeit geführt habe, sei nicht auf Schädigungsfolgen zurückzuführen. Der Widerspruch des Klägers war erfolglos (Widerspruchsbescheid des Landesversorgungsamtes - LVersorgA - N vom 10. Januar 1968). Das Sozialgericht (SG) hat ein Gutachten von Oberarzt Dr. M Dr. K (Universitäts-Augenklinik G) eingeholt und die Klage durch Urteil vom 29. September 1970 abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Landessozialgericht (LSG) durch Urteil vom 16. Dezember 1971 das Urteil des SG sowie die angefochtenen Bescheide aufgehoben und die Beklagte verurteilt, dem Kläger Berufsschadensausgleich für die Zeit ab 1. Januar 1964 zu gewähren und der Berechnung als Durchschnittseinkommen das Endgrundgehalt der Besoldungsgruppe (BesGr) A 7 zugrunde zu legen; im übrigen (BesGr A 11) hat es die Berufung zurückgewiesen.

Das LSG hat ausgeführt, es sei überwiegend wahrscheinlich, daß der Kläger auch ohne seine Kriegsbeschädigung aufgrund seiner Vorbildung sich selbständig gemacht und ab 1959 ein Architekturbüro betrieben hätte, wie es tatsächlich auch mit der Kriegsbeschädigung der Fall gewesen sei. Dem Anspruch auf Berufsschadensausgleich stehe nicht entgegen, daß der Kläger den gleichen Beruf ausübe, den er auch ohne die Schädigung ausüben würde. Da der Kläger weder über eine Mittelschulbildung verfüge noch die Baumeisterprüfung abgelegt habe, komme allein die Zugrundelegung des Durchschnittseinkommens des Endgrundgehaltes nach BesGr A 7 des Bundesbesoldungsgesetzes (BBesG) in Betracht. Fraglich hingegen könnte sein, ob nicht aufgrund des Umstandes, daß der Kläger bereits seit dem 1. Januar 1962 berufsunfähig war, nur ein bestimmter Prozentsatz des ermittelten Endbetrages anzusetzen sei, zumal dann, wenn - wie hier - die Berufsunfähigkeit des Klägers vorwiegend durch schädigungsunabhängige Gesundheitsstörungen verursacht sei. Eine solche auf den konkreten Sachverhalt abstellende, individuelle Betrachtungsweise verbiete sich aber bei der Prüfung des hypothetischen Berufserfolges, bei dem lediglich der Umstand Bedeutung gewinne, daß heutzutage in aller Regel die Vollendung des 65. Lebensjahres den Eintritt in den beruflichen Ruhestand nach sich ziehe. Das Bundessozialgericht (BSG) habe sich in seiner Entscheidung vom 6. Juli 1971 gegen jede individuelle Einkommensfeststellung im Rahmen des § 30 Abs. 3 und 4 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) ausgesprochen. Es sei nicht das mutmaßliche Einkommen des Beschädigten unter Berücksichtigung der für den aufgegebenen Betrieb erheblichen konkreten Verhältnisse zu ermitteln; vielmehr sei auch insoweit von der generalisierenden Betrachtungsweise auszugehen, die in § 30 Abs. 4 BVG für die Ermittlung des Vergleichseinkommens vorgesehen sei. Dem Umstand, daß der Kläger in dem Zeitraum, für den er Berufsschadensausgleich begehre, bereits nicht mehr in der Lage war, infolge schädigungsunabhängiger Gesundheitsstörungen beruflich tätig zu sein, komme daher in diesem Zusammenhang keine rechtlich wesentliche Bedeutung zu. Es sei auch kein vernünftiger Grund dafür ersichtlich, einem Beschädigten eine Leistung nur deswegen vorzuenthalten, weil ein nichtschädigungsbedingter Gesundheitszustand den Schaden verdecke, der infolge der wehrdienstbedingten Schädigung eingetreten sei.

Das LSG hat die Revision zugelassen.

Dieses Urteil wurde dem Beklagten am 12. Januar 1972 zugestellt; er hat dagegen am 20. Januar 1972 Revision eingelegt und diese gleichzeitig begründet.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 16. Dezember 1971 insoweit aufzuheben, als der Beklagte verurteilt worden ist, dem Kläger Berufsschadensausgleich für die Zeit ab 1. Januar 1964 zu gewähren und der Berechnung als Durchschnittseinkommen das Endgrundgehalt der Besoldungsgruppe A 7 zugrunde zu legen, und in diesem Umfang die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuverweisen.

Er führt aus, die Revision wende sich nicht gegen die Berechnungsart des Einkommensverlustes im Rahmen des § 30 Abs. 4 BVG. Gerügt würden Mängel in der Sachaufklärung und Verstöße gegen das Recht der freien richterlichen Beweiswürdigung (§§ 103, 128 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -). In dem angefochtenen Urteil werde ausgeführt, es sei als überwiegend wahrscheinlich anzusehen, daß der Kläger auch ohne seine Kriegsbeschädigung aufgrund seiner Vorbildung sich selbständig gemacht und ab 1959 ein Architekturbüro betrieben hätte. Eine Begründung für diese Annahme enthalte das Urteil nicht. Der Kläger habe selbst vorgetragen, er habe sich von 1953 bis 1958 ständig um eine Anstellung bemüht. Wenn die Vorinstanz diesem Vorbringen Beachtung geschenkt hätte, so hätte sich zumindest möglicherweise ergeben, daß nicht § 5, sondern § 3 der Durchführungsverordnung (DVO) zu § 30 Abs. 3 und 4 BVG für den Berufsschadensausgleich zugrunde zu legen wäre. Gehe man von der Darstellung des Klägers aus, daß er ohne die Schädigungsfolgen wahrscheinlich in unabhängiger Stellung tätig gewesen wäre, so hätte geprüft werden müssen, ob der Kläger in dieser Tätigkeit durch die Schädigungsfolgen einen Einkommensverlust erlitten habe. Das LSG habe aber ausdrücklich bemerkt, daß die Berufsunfähigkeit des Klägers vorwiegend durch schädigungsunabhängige Gesundheitsstörungen verursacht worden sei. Um so mehr habe Veranlassung bestanden, den Kausalzusammenhang zwischen dem angenommenen Einkommensverlust und den anerkannten Schädigungsfolgen zu prüfen.

Der Kläger beantragt,

1.

die Revision des Beklagten als unbegründet zurückzuweisen,

2.

den Beklagten zu verurteilen, dem Kläger auch die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.

Er trägt vor, unter Berücksichtigung des gesamten Akteninhalts habe das LSG verfahrensfehlerfrei zu der Feststellung gelangen können, daß sich der Kläger auch ohne seine Kriegsbeschädigung selbständig gemacht und ab 1959 ein Architekturbüro betrieben hätte. Die Revision des Beklagten richte sich nach dessen eigenem Vorbringen nicht gegen die Berechnungsart des Einkommensverlustes im Rahmen des § 30 Abs. 4 BVG; sie rüge auch keine Verletzung materiellen Rechts. Das habe aber zur Folge, daß auch das BSG insoweit von der vom LSG vorgenommenen Rechtsanwendung ausgehen müsse und nur prüfen könne, ob das LSG von seinem sachlich-rechtlichen Standpunkt aus noch zu weiteren Feststellungen hinsichtlich des eingetretenen wirtschaftlichen Schadens des Klägers verpflichtet gewesen sei. Das LSG habe den Einkommensverlust nach seiner Rechtsauffassung zutreffend ermittelt und berechnet. Die Verfahrensrügen des Beklagten könnten daher nicht durchgreifen.

II

Die durch Zulassung gemäß § 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG statthafte Revision ist von dem Beklagten frist- und formgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 164, 166 SGG); sie ist daher zulässig (§ 169 SGG). Die Revision ist auch begründet. Dem Kläger steht ein Anspruch auf Berufsschadensausgleich nach § 30 Abs. 3 und 4 BVG nicht zu.

Entgegen der Meinung des Klägers und Revisionsbeklagten ist das BSG nicht an die vom LSG vertretene materiell-rechtliche Auffassung gebunden. Zwar trifft es zu, daß der Beklagte am Anfang seiner Revisionsbegründung ausdrücklich betont hat, daß sich die Revision "nicht gegen die Berechnungsart des Einkommensverlustes im Rahmen des § 30 Abs. 4 BVG" wende, sondern daß "Mängel in der Sachaufklärung und Verstöße gegen das Recht der freien richterlichen Beweiswürdigung (§§ 103, 128 SGG) gerügt werden". Dem weiteren Vorbringen des Beklagten, insbesondere am Schluß der Revisionsbegründung, ist jedoch zu entnehmen, daß er auch mit der Anwendung von Vorschriften des materiellen Rechts durch das LSG, nämlich des § 30 Abs. 3 und 4 BVG nicht einverstanden ist. Im übrigen handelt es sich im vorliegenden Fall um eine zugelassene Revision. So kann nach der Rechtsprechung des BSG die Zulassung der Revision zwar auf einen bestimmten Anspruch (vgl. BSG in SozR SGG Nr. 42 zu § 162), nicht aber auf die Entscheidung einer bestimmten Rechtsfrage beschränkt werden. Eine solche Beschränkung der Zulassung wäre unwirksam; das angefochtene Urteil wäre vielmehr in vollem Umfang nachprüfbar (vgl. aaO Nr. 170 zu § 162). Das BSG hat weiter entschieden, daß bei einer nach § 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG statthaften Revision das angefochtene Urteil in vollem Umfang materiell-rechtlich nachprüfbar ist (vgl. aaO Nr. 61 zu § 162). Ist die Revision aber bereits nach § 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG statthaft, dann kann für die revisionsrechtliche Nachprüfung nichts anderes gelten; denn bei einer zugelassenen und zulässigen Revision ist das angefochtene Urteil sachlich-rechtlich auch dann - im Rahmen der Revisionsanträge - nachzuprüfen, wenn nur die Verletzung formellen Rechts gerügt, diese Rüge aber unbegründet ist (vgl. BSG in SozR SGG Nr. 57 zu § 164). Eine Einschränkung der Nachprüfung kann sich allerdings aus § 164 Abs. 2 Satz 2 SGG ergeben, wonach die Revisionsbegründung "die verletzte Rechtsnorm" bezeichnen muß. Eine genaue Bezeichnung nach Gesetz und Paragraphennummer wird in § 164 Abs. 2 SGG jedoch nicht gefordert (vgl. BSG 1, 227); vielmehr genügt es, wenn sich die nach Meinung des Revisionsklägers verletzte Rechtsnorm mit hinreichender Bestimmtheit aus der Revisionsbegründung ergibt (vgl. BSG in SozR SGG Nr. 27 zu § 164 mit weiteren Hinweisen; Nr. 38 zu § 164).

Werden diese Grundsätze auf den vorliegenden Fall angewandt, dann zeigt sich, daß die Revisionsbegründung des Beklagten gerade noch den Anforderungen entspricht, die an eine ordnungsgemäße Revisionsbegründung zu stellen sind. Der Beklagte wendet sich mit seinem Vorbringen gegen die Gewährung eines Berufsschadensausgleichs an den Kläger und insbesondere gegen den vom LSG bejahten Kausalzusammenhang zwischen dem angenommenen Einkommensverlust und den anerkannten Schädigungsfolgen. Das aber ist keine Frage des formellen, sondern des materiellen Rechts, nämlich der Anwendung des § 30 Abs. 3 und 4 BVG. Da das Rechtsinstitut des Berufsschadensausgleichs in § 30 Abs. 3 ff BVG und der dazu erlassenen Rechtsverordnung (vgl. § 30 Abs. 7 BVG) abschließend geregelt ist, war eine genauere Paragraphenbezeichnung entbehrlich.

Das LSG hat materiell-rechtlich die Auffassung vertreten, daß bei der Ermittlung des Vergleichseinkommens von einer "generalisierenden Betrachtungsweise" auszugehen sei und daß "dem Umstand, daß der Kläger in dem Zeitraum, für den er Berufsschadensausgleich begehrt, bereits nicht mehr in der Lage war, infolge schädigungsunabhängiger Gesundheitsstörungen beruflich tätig zu sein", in diesem Zusammenhang keine rechtlich wesentliche Bedeutung zukomme. Das LSG hat geglaubt, sich insoweit auf die Rechtsprechung des BSG (vgl. Urteil vom 6. Juli 1971 - 9 RV 514/68 - in BSG 33 S. 60 = SozR BVG Nr. 47 zu § 30) stützen zu können. Dabei kann dahinstehen, ob diese Entscheidung überhaupt auf den vorliegenden Fall anzuwenden ist, denn jedenfalls hat auch der 9. Senat des BSG in seiner neueren Rechtsprechung (vgl. Urteil vom 6. Juli 1972 - 9 RV 668/71 - SozR BVG Nr. 58 zu § 30) die Auffassung vertreten, daß eine solche Berufsstellung nicht berücksichtigt werden kann, die der Beschädigte bereits vor der Zeit, für die er den Berufsschadensausgleich begehrt, durch andere Umstände als Schädigungen i. S. des BVG verloren hatte. Diese Auffassung, die auch vom erkennenden Senat geteilt wird, kann sich auf den Wortlaut des Gesetzes, aber auch auf den Sinn und Zweck der Vorschriften über den Berufsschadensausgleich stützen, die ausdrücklich bestimmen, welcher Schaden durch diese Versorgungsleistung "auszugleichen" ist. Nach § 30 Abs. 3 und 4 BVG erhält - nach Anwendung des § 30 Abs. 2 BVG - einen Berufsschadensausgleich in bestimmter Höhe, wer als Schwerbeschädigter "durch die Schädigungsfolgen" beruflich insoweit besonders betroffen ist, als er einen Einkommensverlust von monatlich mindestens 75,- DM hat (§ 30 Abs. 3 BVG idF des 2. NOG vom 21. Februar 1964 - BGBl I 85 -), bzw. derjenige Beschädigte, dessen Erwerbseinkommen "durch die Schädigungsfolgen" gemindert ist (Einkommensverlust) (§ 30 Abs. 3 BVG idF des 3. NOG vom 28. Dezember 1966 - BGBl I 750). Nach § 30 Abs. 4 BVG idF des 2. und 3. NOG ist Einkommensverlust der Unterschiedsbetrag zwischen dem derzeitigen Bruttoeinkommen ... zuzüglich der Ausgleichsrente und dem höheren Durchschnittseinkommen der Berufs- oder Wirtschaftsgruppe, der der Beschädigte "ohne die Schädigung" nach seinen Lebensverhältnissen, Kenntnissen und Fähigkeiten und dem bisher betätigten Arbeits- und Ausbildungswillen wahrscheinlich angehört hätte.

Wie der erkennende Senat in seinem Urteil vom 16. September 1970 (BSG 32, 1 ff) sowohl für den Witwenschadensausgleich als auch für den Berufsschadensausgleich des Beschädigten ausführlich dargelegt hat, muß der durch diese Versorgungsleistungen auszugleichende Schaden in der Zeit bestehen, für die der Ausgleich begehrt wird. Das bedeutet, daß der Einkommensverlust des Beschädigten nur im Unterschied zwischen dem tatsächlichen Einkommen und einem angenommenen (fiktiven) Einkommen bestehen kann, welches der Beschädigte ohne die Schädigung in derselben Zeit hätte. Dieser Anknüpfungspunkt, nämlich der berufliche Schaden in der Zeit, in der die Leistung nach § 30 Abs. 3 und 4 BVG gewährt werden soll, ergibt sich schon aus der Fassung des Gesetzes, wonach ein Unterschiedsbetrag zu ermitteln ist, bei dem einerseits das "derzeitige Bruttoeinkommen", andererseits das höhere Durchschnittseinkommen in dem Beruf, dem der Beschädigte ohne die Schädigung angehört "hätte", gegenüberzustellen sind. Diese letztgenannte Berufsstellung kann vernünftigerweise nicht diejenige sein, die der Schwerbeschädigte bereits vor der Zeit, für die er den Berufsschadensausgleich begehrt, durch andere Umstände als durch Schädigungen im Sinne des BVG verloren hatte, sondern nur diejenige Berufsstellung, die er zur selben Zeit ohne die Schädigung innehätte (vgl. Urteil des erkennenden Senats vom 19. Juli 1972 - 10 RV 489/70 -). Soweit der 9. Senat des BSG in seinem Urteil vom 17. März 1970 (BSG 31, 74) eine andere Rechtsauffassung vertreten hat, hat er diese Rechtsprechung in seinem Urteil vom 6. Juli 1972 (aaO) ausdrücklich aufgegeben und sich der oben zitierten Rechtsprechung des erkennenden Senats (BSG 32, 1) angeschlossen.

Hätte der Gesetzgeber den Berufsschadensausgleich - entsprechend der Regelung über den Schadensausgleich für Witwen (vgl. § 40 a Abs. 1 und 2 BVG idF des 2. und 3. NOG) - auch nach der Berufsstellung, der der Beschädigte vor der Schädigung angehört hat (vgl. die erste Alternative des § 40 a Abs. 2 Satz 2 BVG idF des 2. NOG), ermitteln lassen wollen, so hätte er dies ausdrücklich in der ohnehin durch das 2. NOG geänderten Fassung des § 30 Abs. 4 BVG zum Ausdruck bringen müssen. Ein Anhalt für ein Redaktionsversehen besteht insoweit nicht (s. dazu BSG 27, 139). Eine Betrachtungsweise, die die beim Kläger seit seinem Antrag (1965) bestehenden Verhältnisse außer acht ließe, würde auch von den konkreten und individuellen "Lebensverhältnissen" absehen, die nach § 30 Abs. 4 Satz 1 BVG maßgebend sind. Die sozialstaatliche Gerechtigkeit, die vom Gleichheitsgrundsatz (Art. 3 des Grundgesetzes - GG -) bestimmt wird, gebietet einerseits, dem Kläger einen staatlichen Ausgleich für einen seit dem Antrag bestehenden Berufsschaden, der der Verwundung zuzurechnen ist, nach gleichen Beurteilungsmaßstäben wie anderen Schwerbeschädigten zu gewähren. Dieser Verfassungsgrundsatz verbietet andererseits, den Kläger durch eine Leistung der Kriegsopferversorgung (KOV) günstiger zu stellen als diejenigen Personen, die infolge schädigungsunabhängiger Leiden jetzt ebenfalls nicht mehr in ihrem Beruf tätig sind (vgl. BSG in SozR BVG Nr. 52 zu § 30). Eine so weitgehende Entschädigungspflicht des Staates, wie sie der Kläger in Anspruch nehmen will, wäre mit dem Zweck der "Versorgung der Opfer des Krieges", wie der volle Titel des BVG lautet, unvereinbar (vgl. Urteil des BSG vom 6. Juli 1972, aaO). Für den Anspruch auf Berufsschadensausgleich kommt es also nicht etwa nur darauf an, ob der Schwerbeschädigte "einmal in der Vergangenheit", also vor derjenigen Zeit, für die er den Berufsschadensausgleich begehrt, durch die Schädigungsfolgen einen wirtschaftlichen Schaden erlitten hat, ohne Rücksicht darauf, ob dieser Schaden später - also in der Zeit des Leistungsbegehrens - auch durch andere (schädigungsunabhängige) Umstände eingetreten ist. Vielmehr ist das Lebensschicksal des Schwerbeschädigten bis zu der Zeit, für die der Berufsschadensausgleich verlangt wird, historisch nachzuzeichnen, um festzustellen, ob die Berufsstellung, aus der sich das für die Ermittlung des Einkommensverlustes maßgebende höhere Durchschnittseinkommen (Vergleichseinkommen) errechnen soll, ohne die Schädigung erreicht worden wäre und erhalten geblieben wäre (vgl. Urteil des Senats vom 19. Juli 1972 - 10 RV 489/70 -).

Hierzu hat das LSG festgestellt, daß der Kläger bereits seit dem 1. Januar 1962 berufsunfähig war und daß die Berufsunfähigkeit des Klägers vorwiegend durch schädigungsunabhängige Gesundheitsstörungen verursacht war (vgl. Bl. 8 oben des Urteils), bzw. daß der Kläger in dem Zeitraum, für den er Berufsschadensausgleich begehrt, d. h. also vom 1. Januar 1964 an, bereits nicht mehr in der Lage war, infolge schädigungsunabhängiger Gesundheitsstörungen beruflich tätig zu sein (vgl. Bl. 9 oben des Urteils). Diese Feststellungen hat der Kläger nicht angegriffen, sie sind daher für den Senat gemäß § 163 SGG bindend. Daraus folgt aber, daß im Falle des Klägers ein Einkommensverlust i. S. des § 30 Abs. 4 Satz 1 BVG nicht ermittelt werden kann (vgl. Urteil vom 16. Juli 1972, aaO).

Unter diesen Umständen kommt es nicht darauf an, ob die Verfahrensrügen, die der Beklagte erhoben hat, überhaupt hinreichend substantiiert sind und ob diese Rügen durchgreifen würden. Ist nämlich in der Zeit, für die ein Berufsschadensausgleich begehrt wird, nach den rechtlich allein maßgebenden Verhältnissen, die ohne die Schädigung in derselben Zeit beständen, überhaupt kein rechtserheblicher Schaden im Sinne des § 1 i. V. m. § 30 Abs. 3 und 4 BVG vorhanden, besteht also zwischen dem wirtschaftlichen Schaden und der Schädigung kein ursächlicher Zusammenhang i. S. der in der KOV geltenden Kausalitätsnorm (vgl. BSG 1, 150, 156 und insbesondere 1, 268 mit weiteren Hinweisen), dann kommt die Gewährung eines Berufsschadensausgleichs an den Kläger nicht in Betracht. Der Senat konnte in der Sache selbst entscheiden (§ 170 Abs. 2 Satz 1 SGG), da andere Umstände, die die Gewährung eines Berufsschadensausgleichs rechtfertigen könnten, vom Kläger nicht vorgebracht und auch sonst nicht ersichtlich sind. Einer weiteren Sachaufklärung und weiterer Tatsachenfeststellungen bedurfte es daher nicht. Auf die Revision des Beklagten war das Urteil des LSG zu ändern und die Berufung des Klägers in vollem Umfang zurückzuweisen. Im Ergebnis wurde damit das klagabweisende Urteil der ersten Instanz wiederhergestellt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1650669

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