Verfahrensgang

LSG Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 01.08.1991)

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 1. August 1991 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

I

Streitig ist, ob die beklagte Krankenkasse den Kläger nach der Härtefallregelung des § 61 des Fünften Buchs des Sozialgesetzbuchs (SGB V) vollständig von Zuzahlungen bzw Eigenbeteiligungen zu befreien hat.

Der 1947 geborene Kläger, der mit seiner Ehefrau und einer Tochter in einem gemeinsamen Haushalt lebt, nahm seit 11. September 1989 im Rahmen einer von der Landesversicherungsanstalt (LVA) Rheinprovinz gewährten beruflichen Rehabilitation an einer Umschulungsmaßnahme im Berufsförderungswerk Oberhausen teil. Dazu erhielt er vom Rentenversicherungsträger Übergangsgeld (Übg) ab 1. Mai 1989 in Höhe von 2.446,50 DM, ab 11. September 1989 in Höhe von 2.174,70 DM und ab 1. Oktober 1989 in Höhe von 2.239,80 DM monatlich (Bescheide der LVA Rheinprovinz vom 1. Mai und 16. Oktober 1989).

Im Juni 1989 beantragte der Kläger für die Dauer der Maßnahme die vollständige Befreiung von Zuzahlungen gemäß § 61 SGB V. Dies lehnte die Beklagte mit der Begründung ab, daß die sog Härtefallgrenze aufgrund des Bezugs von Übg überschritten werde (Bescheid vom 20. Juni 1989). Im Widerspruchsverfahren legte der Kläger eine Bescheinigung des Berufsförderungswerks Oberhausen vom 27. März 1989 vor, wonach er als Teilnehmer an einer Maßnahme der Arbeits- und Berufsförderung Behinderter zu dem Personenkreis gehöre, der ohne Prüfung der Einkommensverhältnisse gemäß § 61 Abs 2 Nr 2 SGB V von Zuzahlungen ganz zu befreien sei.

Widerspruch, Klage und Berufung des Klägers hatten keinen Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 21. November 1989; Urteil des Sozialgerichts ≪SG≫ Duisburg vom 9. April 1990; Urteil des Landessozialgerichts ≪LSG≫ für das Land Nordrhein-Westfalen vom 1. August 1991).

Das LSG hat im wesentlichen ausgeführt: Eine unzumutbare Belastung iS von § 61 Abs 1 iVm Abs 2 Nr 2 SGB V, die die Beklagte zu einer vollständigen Befreiung verpflichte, liege nicht vor, weil der Kläger keine Ausbildungsförderung im Rahmen der Anordnungen der Bundesanstalt für Arbeit (BA) über die individuelle Förderung der beruflichen Ausbildung oder über die Arbeits- und Berufsförderung Behinderter erhalte. Alleiniger Kostenträger der ihm gewährten Maßnahme der beruflichen Rehabilitation sei der zuständige Rentenversicherungsträger. Dabei sei es unerheblich, daß dem Berufsförderungswerk Oberhausen von der BA eine institutionelle Förderung gewährt werde. Denn hinsichtlich der Beurteilung der unzumutbaren Belastung eines Versicherten iS von § 61 SGB V sei ausschließlich auf die dem Versicherten gewährten Sozialleistungen abgestellt. Der Befreiungsanspruch des Versicherten nach § 61 Abs 2 Nr 2 SGB V könne nicht davon abhängig sein, ob und ggfs für welchen Zeitraum die BA im Rahmen einer Ermessensentscheidung einer Förderungseinrichtung Darlehen oder Zuschüsse gewähre. Entgegen der Ansicht des Klägers führe die Differenzierung nach dem jeweiligen Kostenträger trotz Förderung in derselben Einrichtung auch nicht zu unverständlichen Entscheidungen, weil bei Vergleich der Höhe des Übg deutlich werde, daß nur bei Versicherten, die Rehabilitationsleistungen von der BA erhielten, eine unzumutbare Belastung angenommen werden könne. Denn das Übg der BA betrage 80 vH des auf 80 vH gekürzten Regellohnes, während bei einer Zahlung durch den Rentenversicherungsträger Übg in Höhe von 80 vH des vollen Regellohnes gewährt werde. Eine Befreiung von Zuzahlungspflichten könne schließlich auch nicht gemäß § 61 Abs 2 Nr 1 iVm Abs 4 SGB V erfolgen, weil der Kläger allein mit dem gewährten Übg über monatliche Bruttoeinnahmen zum Lebensunterhalt verfüge, die die vorgesehene Härtegrenze überstiegen. Schließlich stehe seinem Anspruch des Klägers auch entgegen, daß § 61 Abs 2 SGB V eine abschließende und umfassende Regelung der Befreiungstatbestände enthalte.

Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt der Kläger eine Verletzung des § 61 Abs 2 Nr 2 SGB V iVm Art 3 Abs 1 des Grundgesetzes (GG). Das LSG habe übersehen, daß es für die Höhe des Übg völlig gleichgültig sei, welcher Leistungsträger die berufsfördernde Maßnahme durchführe. Denn das Übg sei aufgrund des Rehabilitationsangleichungsgesetzes (RehaAnglG) bei allen Rehabilitationsträgern gleich hoch. Es betrage bei einem Betreuten, der mindestens ein Kind iS von § 1262 Abs 2 und 3 der Reichsversicherungsordnung (RVO) habe, bei einer berufsfördernden Maßnahme zur Rehabilitation stets nur 80 vH des auf das Nettoentgelt reduzierten Bemessungsentgelts. Die wirtschaftliche Situation wäre somit für ihn, den Kläger, keine andere gewesen, wenn anstelle der LVA Rheinprovinz die BA für die Durchführung der Maßnahme zuständig gewesen wäre. Dem Klagebegehren stehe aber auch nicht der Wortlaut des Gesetzes entgegen. Zwar werde in § 61 Abs 2 Nr 2 SGB V – neben anderen Sozialleistungen, die hier ausschieden – nur die Berufsförderung Behinderter im Rahmen der Anordnungen der BA erwähnt. Daraus dürfe aber nicht geschlossen werden, daß Behinderte, die von anderen Reha-Trägern gefördert würden, von der Anwendung dieser Regelung ausgeschlossen seien. Eine solche Auslegung wäre mit Art 3 Abs 1 GG unvereinbar. Diese Regelung sei deshalb verfassungskonform dahingehend auszulegen, daß sie auch solche Behinderte erfasse, die eine berufsfördernde Leistung zur Rehabilitation von einem anderen Rehabilitationsträger als der BA erhielten. Der Behinderte könne sich angesichts der gesetzlichen Zuständigkeitsregelungen den Leistungsträger nicht auswählen. Seien die Leistungen der beruflichen Rehabilitation bei allen Leistungsträgern aufgrund des RehaAnglG gleich hoch, könne die Zuständigkeitsfrage bei der Befreiung des Leistungsberechtigten keine Rolle spielen. Bei anderer Auslegung würden die langjährig sozialversicherten Behinderten durch die Zuständigkeitsregelungen benachteiligt. Wer besonders lange – länger als 15 Jahre – in die Sozialversicherung einschließlich der Arbeitslosenversicherung eingezahlt habe, würde hinsichtlich der Befreiung schlechter behandelt als der Versicherte mit einer entsprechend kürzeren Versicherungsdauer und einer damit verbundenen geringeren Beitragsleistung. Ein solches Ergebnis sei unvertretbar, so daß die nach § 61 Abs 2 Nr 2 SGB V unwiderlegbar vermutete unzumutbare Belastung auch für Behinderte zu gelten habe, die von einem Rentenversicherungsträger eine berufsfördernde Maßnahme der Rehabilitation mit Übg erhielten. Andernfalls sei das Verfahren gemäß Art 100 GG auszusetzen und dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) zur Entscheidung vorzulegen.

Der Kläger beantragt,

die Urteile des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 1. August 1991 und des Sozialgerichts Duisburg vom 9. April 1990 sowie den Bescheid der Beklagten vom 20. Juni 1989 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. November 1989 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, den Kläger für die Dauer der seit dem 11. November 1989 durchgeführten berufsfördernden Maßnahme der Rehabilitation gemäß § 61 Abs 2 Nr 2 SGB V von der Zuzahlung zu Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung zu befreien bzw dem Kläger die bereits von ihm geleisteten Zuzahlungen zu erstatten.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

 

Entscheidungsgründe

II

Die vom LSG zugelassene und auch sonst zulässige Revision des Klägers ist unbegründet. Die Vorinstanzen haben im Ergebnis zutreffend entschieden, daß der Kläger keinen Anspruch auf vollständige Befreiung von Zuzahlungen bzw Eigenbeteiligungen nach § 61 SGB V hat.

Diese sog Sozialklausel verpflichtet die Krankenkassen zur vollständigen Befreiung von Zuzahlungen bzw Eigenbeteiligungen hinsichtlich bestimmter, in § 61 Abs 1 SGB V im einzelnen aufgeführter Kassenleistungen, wenn der Versicherte unzumutbar belastet würde. Diese Befreiung kann in Fällen, in denen die Befreiungsvoraussetzungen vorliegen und sich voraussichtlich auch nicht wesentlich ändern werden, bereits im voraus für bestimmte Zeiträume erteilt werden (vgl Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung, BT-Drucks 11/3480, S 57 zu § 69 Abs 2 und 3 des GRG-Entwurfs). Vorliegend ist ein Rechtsschutzbedürfnis des Klägers an der Erteilung einer solchen Befreiungs-Bescheinigung nicht bereits deshalb entfallen, weil die Förderungsmaßnahme, für deren Dauer er die Befreiung beansprucht, inzwischen abgelaufen ist. Denn seinen Ausführungen ist zu entnehmen, daß er während der Maßnahme Zuzahlungen geleistet hat, deren Erstattung er aufgrund der Bescheinigung von der Beklagten verlangen könnte.

Der Kläger erfüllt jedoch keinen der in § 61 Abs 2 Nrn 1 bis 3 SGB V aufgeführten Befreiungstatbestände, bei deren Vorliegen der Gesetzgeber eine unzumutbare Belastung der Versicherten unterstellt.

Die in § 61 Abs 2 Nr 1 iVm Abs 4 SGB V unterstellte unzumutbare Belastung bei Unterschreiten einer bestimmten Einkommensgrenze liegt beim Kläger unstreitig nicht vor. Denn der Kläger verfügte in der streitigen Zeit über monatliche Bruttoeinnahmen zum Lebensunterhalt, die 65 vH der monatlichen Bezugsgröße nach § 18 des Vierten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB IV) überschreiten. Allein das ihm 1989 gewährte Übg von monatlich 2.446,50 DM, 2.147,70 DM bzw 2.239,80 DM überschreitet die maßgebliche Einkommensgrenze, die unter Berücksichtigung der im gemeinsamen Haushalt lebenden Ehefrau und Tochter (§ 61 Abs 4 SGB V) für das Jahr 1989 2.047,50 DM (für das Jahr 1990 2.138,50 DM und für das Jahr 1991 2.184,00 DM) monatlich beträgt. Es unterliegt keinem Zweifel, daß das während einer beruflichen Rehabilitation gewährte Übg – wie grundsätzlich alle Lohnersatzleistungen aus der Sozialversicherung -zu den „Einnahmen zum Lebensunterhalt” gehört (vgl auch das Gemeinsame Rundschreiben der Spitzenverbände der Krankenkassen vom 23. August 1989, BKK 1989, 689 ff), die bei § 61 Abs 2 Nr 1 SGB V zu berücksichtigen sind.

Der Kläger gehört aber auch nicht – was im vorliegenden Fall allein streitig ist -zum Personenkreis des § 61 Abs 2 Nr 2 SGB V. Danach wird eine unzumutbare Belastung – unabhängig von den individuellen Einkommensverhältnissen -dann unterstellt, wenn der Versicherte Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG) oder im Rahmen der Kriegsopferfürsorge nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG), Arbeitslosenhilfe nach dem Arbeitsförderungsgesetz (AFG), Ausbildungsförderung nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) oder im Rahmen der Anordnungen der BA über die individuelle Förderung der beruflichen Ausbildung (A-Ausb) oder über die Arbeits-und Berufsförderung Behinderter (A-Reha) erhält. Der Kläger hat in der streitigen Zeit keine der genannten Leistungen erhalten.

Er hat zwar an einer Maßnahme der Arbeits- und Berufsförderung Behinderter im Berufsförderungswerk Oberhausen teilgenommen. Träger dieser Rehabilitationsmaßnahme war jedoch nicht die BA, sondern der zuständige Rentenversicherungsträger (§ 1236 Abs 1 a Nr 2 Buchst a RVO, § 57 AFG). Darüber hinaus hat der Kläger auch nicht an einer Maßnahme der Ausbildung, sondern der Umschulung teilgenommen und hat als ergänzende Leistung zum Lebensunterhalt Übg gemäß §§ 1240 ff RVO erhalten. Versicherte, die vom Rentenversicherungsträger im Rahmen einer beruflichen Fortbildung oder Umschulung Übg erhalten, gehören aber nicht zu dem von § 61 Abs 2 Nr 2 SGB V erfaßten Personenkreis.

Diese Vorschrift erfaßt schon nach ihrem Wortlaut nur Versicherte, denen ua „Ausbildungsförderung” gewährt wird, und zwar entweder nach dem BAföG oder im Rahmen der A-Ausb (idF der 28. Änderungsanordnung ≪28. ÄndAnO≫ vom 28. Februar 1989, ANBA 1989, S 909) oder im Rahmen der A-Reha (idF der 14. ÄndAnO vom 6. Juli 1988, ANBA 1988, S 1339). Der Begriff Ausbildungsförderung bezieht sich gleichermaßen auf die drei genannten Förderungsgrundlagen. Ausbildungsförderung ist nicht identisch mit Berufsförderung bzw Förderung der beruflichen Bildung, sondern bezeichnet eine bestimmte Förderungsart. Bei der Förderung der beruflichen Bildung einschließlich der Berufsförderung Behinderter wird hinsichtlich der Hauptförderungsarten allgemein zwischen der beruflichen Ausbildung, der beruflichen Fortbildung und der beruflichen Umschulung unterschieden (§§ 33 Abs 1 Satz 1, 40, 41, 47 AFG; § 11 Abs 2 Nr 3 RehaAnglG; § 56 Abs 2 AFG iVm §§ 15 bis 17 A-Reha; §§ 1237a Abs 1 Nr 3 RVO, 14a AVG). Berufliche Ausbildung liegt typischerweise dann vor, wenn der Auszubildende noch keinen Beruf hat, dh eine Erstausbildung (oder eine berufsvorbereitende Bildungsmaßnahme, vgl § 40 AFG) erhält, während die Fortbildung eine zusätzliche Ausbildung und die Umschulung eine weitere Ausbildung betrifft.

Teilnehmer an einer berufsfördernden Maßnahme werden folglich lediglich dann von § 61 Abs 2 Nr 2 SGB V erfaßt, wenn es sich bei der geförderten Maßnahme um eine berufliche Ausbildung handelt. Nur dann wird Ausbildungsförderung gewährt. Handelt es sich hingegen um eine Maßnahme der beruflichen Fortbildung oder Umschulung, so greift die Härtefallregelung schon ihrem Wortlaut nach nicht ein (so auch Zipperer in Maaßen/ Schermer/ Wiegand/ Zipperer, Komm zum SGB V, § 61 RdNr 24 a; Hauck/Haines, Komm zum SGB V, § 61 RdNr 15; Urteil des SG Hamburg vom 3. März 1991, Breithaupt 1991, 893), und zwar unabhängig davon, ob ein Nichtbehinderter oder ein Behinderter gefördert wird.

Ferner ergibt sich aus der Bezugnahme auf die beiden Anordnungen der BA, daß § 61 Abs 2 Nr 2 SGB V nicht schlechthin jede Ausbildungsförderung erfaßt, die nach § 11 RehaAnglG von einer Vielzahl von Rehabilitationsträgern (vgl § 2 RehaAnglG) nach den jeweils für sie geltenden besonderen Rechtsvorschriften (vgl § 9 RehaAnglG) im Rahmen ihrer Zuständigkeit geleistet wird. Erfaßt werden vielmehr nur Förderungen durch die BA im Rahmen ihrer Zuständigkeit, sofern sie – wie ausgeführt – auf eine Ausbildung bezogen sind. Nicht unter § 61 Abs 2 Nr 2 SGB V fallen daher Förderungsleistungen anderer Rehabilitationsträger, zB der Kranken-, Unfall- und Rentenversicherungsträger, auch wenn sie als Ausbildungsförderung zu qualifizieren sind (so auch Zipperer, aaO; Hauck/Haines, aaO).

Diese Auslegung steht im Einklang mit Sinn und Zweck des Gesetzes. Der Gesetzgeber hat sich bei der Regelung der Sozialklausel davon leiten lassen, daß der in Abs 2 des § 61 SGB V erfaßte Personenkreis wegen seiner geringen Mittel nicht in der Lage sein wird, die in Abs 1 genannten Zuzahlungen zu leisten. Bei dem in Nr 2 aufgeführten Personenkreis unterstellt er, daß ihre Einkünfte die festgelegten Einkommensgrenzen regelmäßig nicht übersteigen, weil die ihnen gewährten Sozialleistungen Bedürftigkeit voraussetzen. Hierzu heißt es in der Begründung zu § 69 Abs 2 des Entwurfs eines Gesundheits-Reformgesetzes (GRG), der dem heutigen § 61 Abs 2 SGB V entspricht, wörtlich: „Nr 2 nimmt eine unzumutbare Belastung bei Beziehern bestimmter Sozialleistungen an, bei denen Bedürftigkeit vorliegen muß” (BT-Drucks 11/2237 S 187). Bedürftigkeit wird bei Personen vorausgesetzt, die Hilfe zum Lebensunterhalt nach §§ 11, 21, 22 BSHG oder Hilfe zum Lebensunterhalt im Rahmen der Kriegsopferfürsorge nach § 27a BVG oder Arbeitslosenhilfe nach §§ 134 ff AFG erhalten. Wenn der Gesetzgeber darüber hinaus eine unzumutbare Belastung auch bei Beziehern von „Ausbildungsförderung” im Rahmen der genannten Anordnungen der BA unterstellt, so kann sich dies nur auf die „Berufsausbildungsbeihilfe” beziehen, die nichtbehinderte Auszubildende im Rahmen der §§ 2 ff, 9 ff A-Ausb bei Teilnahme an den in § 40 AFG bestimmten Ausbildungsmaßnahmen erhalten, und auf das der Berufsausbildungsbeihilfe ähnliche „Ausbildungsgeld”, das nach § 24 Abs 3 und 4 A-Reha – vornehmlich jugendlichen -Behinderten bei Teilnahme an Ausbildungsmaßnahmen iS von § 40 AFG gewährt wird. Denn diese beiden Leistungsarten setzen – ähnlich wie die übrigen in Nr 2 aufgeführten Leistungen – Bedürftigkeit voraus bzw werden grundsätzlich nur insoweit gewährt werden, als die erforderlichen Mittel nicht anderweitig zur Verfügung stehen. Diese Einschränkung ist in §§ 10 ff, 16, 17 A-Ausb und § 27 A-Reha dahin konkretisiert, daß neben eigenem Einkommen auch Einkommen der Eltern und des Ehegatten zu berücksichtigen sind.

Auch bei Beziehern von Berufsausbildungsbeihilfe und Ausbildungsgeld ist daher die Annahme gerechtfertigt, daß ihnen die Verwendung ihres Einkommens für ihre medizinische Versorgung nicht zugemutet werden kann. Das gilt indessen nicht bei Beziehern von Übg, unabhängig davon, ob diese Leistung anläßlich einer Maßnahme der Fortbildung oder Umschulung oder auch einer Maßnahme der Ausbildung gewährt wird und wer der Rehabilitationsträger ist. Denn das Übg, das – wie noch auszuführen sein wird – aufgrund der Vereinheitlichung durch das RehaAnglG allgemein diejenige Leistung ist, die bei berufsfördernden Maßnahmen zur Rehabilitation gewährt wird, setzt – anders als die Berufsausbildungsbeihilfe und das Ausbildungsgeld – nicht Bedürftigkeit voraus. Es knüpft vielmehr an das entgangene Arbeitsentgelt an, hat mithin Lohnersatzfunktion (vgl BSG SozR 4100 § 59 Nr 8 S 22 mwN) und übersteigt hinsichtlich seiner Höhe – wie auch der vorliegende Fall zeigt – vielfach die Einkommensgrenze des § 61 Abs 2 Nr 1 SGB V. Diese Leistung, die im Prinzip bei allen Reha-Trägern gleich hoch ist, beträgt bei Betreuten mit einem Kind regelmäßig 80 vH des auf das Nettoentgelt reduzierten Bemessungsentgelts bzw Regelentgelts (§ 1241b Abs 1 Nr 1 b RVO iVm § 1241 Abs 1, 2 und 4, § 1241a RVO; § 59 Abs 2 Satz 1 und Satz 2 Nr 1 AFG). Es war daher weder gerechtfertigt noch geboten, die Bezieher von Übg in die pauschalierende Regelung des § 61 Abs 2 Nr 2 SGB V einzubeziehen. Das gilt selbst für diejenigen Behinderten, die aufgrund der Sonderregelung in § 59 Abs 1 Satz 2 AFG als „Ausbildungsförderung” nicht Ausbildungsgeld im Rahmen der A-Reha, sondern Übg im Rahmen des AFG erhalten, wenn sie vor Beginn der Ausbildungsmaßnahme bereits in bestimmtem Umfang beitragspflichtig beschäftigt gewesen sind (§ 59 Abs 1 Satz 2 Nrn 1 und 2 iVm Satz 3 ff AFG, § 24 Abs 2 A-Reha). Da § 61 Abs 2 Nr 2 SGB V nur die Ausbildungsförderung im Rahmen der A-Reha erfaßt, die A-Reha hinsichtlich des Übg für auszubildende Behinderte aber keine Regelung enthält, sondern auf §§ 59 bis 59a AFG verweist (§ 24 Abs 2 A-Reha), findet die Befreiungsregelung auf diesen Personenkreis keine Anwendung.

§ 61 Abs 2 Nr 2 SGB V stellt eine abschließende und umfassende Regelung dar, die in der hier vertretenen Auslegung weder einer Ergänzung bedarf noch zugänglich ist. Insbesondere ist die vom Kläger erstrebte generelle Erstreckung auf alle Behinderten, die während einer berufsfördernden Maßnahme zur Rehabilitation – ungeachtet der Art der Maßnahme und des Reha-Trägers – Übg erhalten, auch nicht aus Gleichbehandlungsgründen geboten. Ist nach dem Wortlaut, Zweck und der Systematik der Regelung die Förderung mit Übg selbst dann nicht erfaßt, wenn diese Leistung von der BA nach Maßgabe der §§ 59 bis 59d AFG als Ausbildungsförderung gewährt wird, kommt die vom Kläger geltend gemachte verfassungskonforme Anwendung der Norm auf andere Übg-Bezieher von vornherein nicht in Betracht. Eine verfassungskonforme Auslegung scheitert im übrigen bereits am Wortlaut des § 61 Abs 2 Nr 2 SGB V, der auf bestimmte, ausschließlich von der BA gewährte Förderungsleistungen beschränkt ist. Diese Beschränkung hat ihren sachlichen Grund darin, daß allein die BA als Ausbildungsförderung Leistungen gewährt, die Bedürftigkeit voraussetzen – Ausbildungsgeld und Berufsausbildungsbeihilfe –, während alle anderen Reha-Träger – ohne Unterschied nach der Förderungsart – ausschließlich Übg gewähren. Diese Besonderheit beruht auf § 2 Abs 1 Satz 2 RehaAnglG, der von dem Grundsatz, daß als Geldleistung zum Lebensunterhalt einheitlich von allen Reha-Trägern bei (medizinischen und) berufsfördernden Maßnahmen Übg gewährt wird (§§ 13 bis 18 RehaAnglG), eine Ausnahme zuläßt. Danach bleiben die Vorschriften über die Geldleistungen zum Lebensunterhalt für behinderte Jugendliche, die an berufsfördernden Maßnahmen zur Rehabilitation teilnehmen, unberührt. Damit sollte insbesondere der Lohnersatzfunktion des Übg Rechnung getragen werden. Das RehaAnglG wollte das Übg als einheitliche Leistung im Hinblick auf seine Lohnersatzfunktion nur denjenigen Behinderten verschaffen, die bereits vor Beginn der Maßnahme beruflich tätig waren, und hat diesem – typischerweise erwachsenen – Personenkreis die „jugendlichen” Behinderten gegenübergestellt, für die es den jeweiligen Einzelgesetzen vorbehalten blieb, die Geldleistungen abweichend zu regeln. Auf diesem Vorbehalt beruht § 59 AFG, der iVm § 58 Abs 2 AFG und §§ 24 ff A-Reha für Behinderte, die nicht die Voraussetzungen für das Übg erfüllen, insbesondere weil sie nicht während einer Rahmenfrist von fünf Jahren vor Beginn der Maßnahme mindestens zwei Jahre lang eine die Beitragspflicht begründende Beschäftigung ausgeübt haben, statt des Übg ein an ihrer Bedürftigkeit orientiertes Ausbildungsgeld vorsieht, wenn sie an einer Ausbildungsmaßnahme iS von § 40 AFG teilnehmen. Denn bei diesen Behinderten – das sind typischerweise die jugendlichen Behinderten iS des § 2 Abs 1 Satz 2 RehaAnglG – erschien wie bei den nichtbehinderten Auszubildenden iS von § 40 AFG eine Lohnersatzleistung (noch) nicht geboten. Auch nach der Systematik des RehaAnglG erweist es sich mithin als sachgerecht, daß der Gesetzgeber in die Befreiungsregelung des § 61 Abs 2 Nr 2 SGB V die ausschließlich von der BA mit Ausbildungsgeld und Berufsausbildungsbeihilfe geförderten Versicherten einbezogen, hingegen Versicherte, die Übg beziehen, ausgeschlossen hat. Denn bei letzteren ist die Vermutung einer unzumutbaren Belastung nicht begründet, weil sie eine Lohnersatzleistung beziehen, mag auch das Übg in Einzelfällen niedriger sein als das Ausbildungsgeld oder die Berufsausbildungsbeihilfe. In solchen Fällen kommt lediglich eine Befreiung nach § 61 Abs 2 Nr 1 SGB V in Betracht.

Der von Sozialdiensten in Berufsförderungswerken vertretenen Ansicht, daß alle Teilnehmer an berufsfördernden Maßnahmen in diesen Einrichtungen von § 61 Abs 2 Nr 2 SGB V erfaßt würden, weil die Berufsförderungswerke in der Regel im Rahmen der A-Reha von der BA institutionelle Förderung erhielten, kann nicht gefolgt werden. Schon der Gesetzeswortlaut stellt eindeutig auf den Bezug von Förderungsleistungen durch den Versicherten ab. Es muß sich um eine individuelle, dem einzelnen Versicherten gewährte Leistung handeln, denn nur diese Leistung kann maßgeblich für die Annahme sein, daß der Versicherte unzumutbar belastet wird. Hingegen kann eine institutionelle Förderung von berufsbildenden oder berufsfördernden Einrichtungen durch die BA, wie das LSG zutreffend ausgeführt hat, nicht den einzelnen Versicherten als Leistung zugerechnet werden und mithin nicht dazu führen, daß bei sämtlichen Teilnehmern an Maßnahmen in derartigen Einrichtungen die Zugehörigkeit zum Personenkreis des § 61 Abs 2 Nr 2 SGB V unterstellt und damit ein Befreiungsanspruch bejaht wird (vgl auch das Besprechungsergebnis der Spitzenverbände der Krankenkassen zum Leistungsrecht am 2. November 1989 in: Die Leistungen 1990, 80; im Ergebnis ebenso Hauck/Haines, Komm zum SGB V, § 61 RdNr 15). Dem steht im übrigen auch schon entgegen, daß § 61 Abs 2 Nr 2 SGB V ausdrücklich nur Leistungen der Ausbildungsförderung und nicht allgemein der Berufsförderung (für Behinderte) erfaßt.

Da der Kläger auch nicht von Nr 3 dieser Bestimmung erfaßt wird, fehlt es für die Befreiung an einer Rechtsgrundlage. Seine Revision war daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1173376

BSGE, 221

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