Leitsatz (amtlich)

Die Bezieherin einer Witwenrente, deren Ehemann bei seinem Tode Pflichtmitglied der gesetzlichen Krankenversicherung war, ist weder als aktive Beamtin noch als Beamtin im Ruhestand versicherungsfrei in der KVdR; sie kann auch nicht von der Versicherungspflicht befreit werden.

 

Leitsatz (redaktionell)

Auswirkungen der Krankenversicherungsfreiheit von Beamten auf die Rentnerversicherung - Anwendung des RVO § 173:

1. Die Vorschriften über die Versicherungsfreiheit von Beamten erstrecken sich nur auf das eigentliche Beamtenverhältnis und schließen somit die Versicherungspflicht in der Krankenversicherung der Rentner nicht aus.

2. Eine Befreiung von der Versicherungspflicht in der Krankenversicherung der Rentner ist nur nach RVO § 173a unter den dort genannten Voraussetzungen zulässig; Ruhestandsbeamte, die neben ihrem Ruhegehalt eine Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung beziehen, können sich daher nicht aufgrund des RVO § 173 von der Krankenversicherungspflicht nach RVO § 165 Abs 1 Nr 3 befreien lassen.

 

Normenkette

RVO §§ 173, 173a, 165 Abs. 1 Nr. 3

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 5. Oktober 1972 aufgehoben und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt (Main) vom 7. Dezember 1971 zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

I

Die Beteiligten streiten um die Versicherungspflicht in der Krankenversicherung der Rentner (KVdR).

Die Klägerin ist die Witwe des Kurt S., der bis zu seinem Tode der gesetzlichen Krankenversicherung als Pflichtmitglied angehört hatte. Sie bezieht aus seinem Versicherungsverhältnis von der Beigeladenen zu 3) seit 1957 eine Witwenrente und gehörte als Pflichtmitglied der KVdR zunächst der Allgemeinen Ortskrankenkasse F, späterhin der Beklagten an. Bis zum 30. September 1969 war die Klägerin bei der Deutschen Bundespost als Beamtin beschäftigt, seitdem befindet sie sich im Ruhestand. Sie ist seit 1951 freiwilliges Mitglied der Postbeamtenkrankenkasse.

Ihren Antrag vom März 1968, sie von der Versicherungspflicht in der KVdR zu befreien, lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 24. September 1969 ab, weil eine Befreiung gesetzlich nicht zulässig sei. Der Widerspruch der Klägerin blieb ohne Erfolg.

Mit der Klage hat die Klägerin begehrt festzustellen, daß sie von März 1968 bis einschließlich September 1969 nicht versicherungspflichtig gewesen sei, für die Folgezeit hat sie ihre Befreiung von der Versicherungspflicht gefordert. Das Sozialgericht (SG) Frankfurt (Main) hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 7. Dezember 1971). Die Klägerin sei als aktive Postbeamtin in der Rentnerkrankenversicherung nicht versicherungsfrei gewesen, weil ihre Beamteneigenschaft keinen Einfluß auf die Rentnerkrankenversicherung habe. Auch als Beamtin im Ruhestand könne sie nicht von der Versicherungspflicht befreit werden.

Auf ihre Berufung hin hat das Hessische Landessozialgericht (LSG) die angefochtene Entscheidung aufgehoben und festgestellt, daß die Klägerin nicht versicherungspflichtig in der KVdR sei (Urteil vom 5. Oktober 1972). Zur Begründung hat es darauf hingewiesen, daß die nach § 169 der Reichsversicherungsordnung (RVO) aus dem Beamtenverhältnis erwachsende Versicherungsfreiheit über das Dienstverhältnis hinausgehe. Sie erfasse auch entgeltliche Beschäftigungsverhältnisse i. S. des § 165 Abs. 1 Nrn. 1 und 2 RVO, sofern auf Grund des Beamtenverhältnisses ein sozialer Schutz bestehe, der dem der gesetzlichen Krankenversicherung vergleichbar sei. Die gleiche Wirkung müsse auch gegenüber einem Rentenverhältnis eintreten. Da die Klägerin über einen entsprechenden sozialen Schutz verfüge, sei sie weder als aktive noch als pensionierte Beamtin versicherungspflichtig in der Rentnerkrankenversicherung.

Gegen dieses Urteil wendet sich die Beklagte mit der zugelassenen Revision. Sie rügt eine Verletzung der §§ 165 Abs. 1 Nr. 3, 169 und 173 RVO. Die Versicherungsfreiheit nach § 169 RVO beziehe sich nur auf die in dieser Vorschrift aufgeführten Beschäftigungen. Auf andere Rechtsverhältnisse könne sie nicht ausgedehnt werden. Ein hinreichender sozialer Schutz genüge für sich allein noch nicht, um Versicherungsfreiheit auszulösen.

Da der Ehemann der Klägerin bis zu seinem Tode als Pflichtmitglied der gesetzlichen Krankenversicherung angehört habe, sei sie als Bezieherin einer Witwenrente ebenfalls pflichtversichert. Eine Befreiung von der Versicherungspflicht lasse § 173 RVO nicht zu.

Die Beklagte und die Beigeladene zu 3) beantragen,

das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 5. Oktober 1972 aufzuheben und festzustellen, daß die Klägerin gemäß § 165 RVO der Versicherungspflicht in der Krankenversicherung der Rentner unterliegt.

Die Klägerin beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie ist mit dem LSG der Auffassung, daß die KVdR gegenüber anderen Krankenversicherungen subsidiär sei und dann zurücktreten müsse, wenn der Rentner freiwillig gegen Krankheit hinreichend versichert sei. Für die Klägerin bestehe ein derartiger sozialer Schutz.

Die Beigeladenen zu 1) und 2) stellen keine Anträge.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -).

II

Die Revision der Beklagten ist begründet. Die Klägerin ist versicherungspflichtig in der KVdR.

Der Senat faßt den Revisionsantrag der Beklagten dahin auf, daß sie lediglich die Aufhebung des angefochtenen zweitinstanzlichen Urteils und die Wiederherstellung der Entscheidung des SG erstrebt. Dieses Urteil hat durch die Abweisung der Klage ihre Bescheide bestätigt, mit denen sie die Befreiung der Klägerin von der Versicherungspflicht sowie die Anerkennung ihrer Versicherungsfreiheit abgelehnt hatte, und hat damit ihrem prozessualen Begehren in vollem Umfang Rechnung getragen. Soweit die Beklagte Ausführungen darüber macht, daß eine Versicherungspflicht der Klägerin festzustellen sei, ist darin nicht die Geltendmachung eines - im Revisionsverfahren unzulässigen (§ 168 SGG) - neuen selbständigen Feststellungsanspruchs zu verstehen. Diese Darlegungen sollen vielmehr das Revisionsbegehren rechtlich unterstützen.

Entgegen der Auffassung des LSG unterlag die Klägerin auf Grund des Bezugs einer Witwenrente der Versicherungspflicht in der KVdR, weil ihr Ehemann nach den nicht angegriffenen Feststellungen des LSG vor seinem Tode als Arbeiter Pflichtmitglied der gesetzlichen Krankenversicherung gewesen war. Diese Rechtslage ergab sich für die Rentenbezugszeit bis 1967 aus § 165 Abs. 1 Nr. 4 RVO idF des 3. Gesetzes über Änderungen und Ergänzungen von Vorschriften des 2. Buches der RVO - Gesetz über Krankenversicherung der Rentner - vom 12. Juni 1956 (BGBl I 500), vgl. SozR RVO § 165 Nr. 58. Mit Wirkung ab 1. Januar 1968 hat das Gesetz zur Verwirklichung der mehrjährigen Finanzplanung des Bundes, II. Teil - Finanzänderungsgesetz 1967 - vom 21. Dezember 1967 (BGBl I 1259) zwar § 165 RVO geändert (Art. 1 § 1 Nr. 1 i. V. m. Art. 22 des Gesetzes), jedoch ist für die Klägerin die gleiche Rechtslage erhalten geblieben; sie unterliegt weiterhin der Versicherungspflicht, jetzt gemäß § 165 Abs. 1 Nr. 3 RVO. Die Übergangsvorschriften des Finanzänderungsgesetzes 1967 berühren die Klägerin nicht, weil sie bei Inkrafttreten des Gesetzes bereits versicherungspflichtig war (Art. 3 § 2) und keinen Beitragszuschuß bezog (Art. 3 § 3).

Die Versicherungspflicht der Klägerin wird nicht durch § 165 Abs. 6 RVO ausgeschlossen. Für sie besteht weder eine Pflichtversicherung auf Grund eines Beschäftigungsverhältnisses als Arbeiterin oder Angestellte (§ 165 Abs. 1 Nrn. 1 und 2 RVO) noch ist sie nach anderen gesetzlichen Vorschriften versichert. Wie der Senat bereits entschieden hat, führt die Postbeamtenkrankenkasse, der die Klägerin als Mitglied angehört, keine Krankenversicherung nach gesetzlichen Vorschriften durch (vgl. BSG 20, 159), sie ist vielmehr ein Unternehmen, das private Krankenversicherung betreibt.

Zu Unrecht will das LSG aus dem Dienstverhältnis der Klägerin, in dem sie als Beamtin bis zum 30. September 1969 tätig gewesen ist, ihre Versicherungsfreiheit in der KVdR ableiten. Die nach § 169 Abs. 1 RVO eintretende Versicherungsfreiheit bezieht sich (nur) auf das Dienstverhältnis, in dem der Beamte tätig ist (vgl. BSG 20, 123, 125, 126); Versicherungspflicht oder Versicherungsfreiheit erwachsen als Rechtsfolgen aus den Merkmalen des jeweiligen Beschäftigungsverhältnisses, sie haben darin ihren Entstehungsgrund und finden demgemäß darin auch ihre Begrenzung. Ein Übergreifen über die Grenzen des jeweiligen Beschäftigungsverhältnisses hinaus könnte nur dann eintreten, wenn das Gesetz eine solche Rechtsfolge ausdrücklich vorschreibt oder wenn Sinn und Zweck des Gesetzes es unausweichlich gebieten. Dabei kann Versicherungsfreiheit, als Ausnahme von der Versicherungspflicht, nur in eng begrenztem Umfang nach im Gesetz eindeutig bestimmten Voraussetzungen in Anspruch genommen werden (vgl. BSG 14, 185, 191).

Für die Zeit ihrer (aktiven) Beamtentätigkeit ist die Klägerin weder versicherungsfrei noch kann sie von der Versicherungspflicht in der KVdR befreit werden. Das Gesetz schreibt in keiner Vorschrift ein Übergreifen der Versicherungsfreiheit des Beamtenverhältnisses auf andere Rechtsverhältnisse vor. Auch aus Sinn und Zweck des § 169 RVO läßt sich diese Rechtsfolge nicht ableiten. Soweit es sich um die Frage des Zusammentreffens eines Beamtenverhältnisses mit einem anderen Beschäftigungsverhältnis handelt, hat der Senat wiederholt entschieden, daß die für das Dienstverhältnis eines Beamten geltende Versicherungsfreiheit nicht auf ein unabhängig davon ausgeübtes Beschäftigungsverhältnis einwirkt (vgl. BSG 20, 123; 133; 31, 66). Das gleiche muß auch für ein neben dem Beamtenverhältnis bestehendes Rentenverhältnis gelten. Das LSG irrt, wenn es meint, daß die Versicherungsfreiheit - bezogen auf die KVdR - dann über das Beamtenverhältnis hinausgreifen müsse, wenn aus ihm eine der gesetzlichen Krankenversicherung gleichwertige, umfassende Versorgungsanwartschaft gewährleistet sei. Schon nach dem Gesetz über die KVdR von 1956 waren Versicherungspflicht oder Versicherungsfreiheit eines Rentenbeziehers ausschließlich nach dem Krankenversicherungsverhältnis desjenigen zu beurteilen, von dem der Rentner seinen Rentenanspruch ableitete. Da die Klägerin eine Rente aus dem Versicherungsverhältnis ihres verstorbenen Ehemannes bezieht, ergab sich ihre Versicherungspflicht zur KVdR aus dessen Pflichtmitgliedschaft zur gesetzlichen Krankenversicherung; ob die Klägerin selbst noch über einen eigenen Versicherungsschutz verfügte oder ob das nicht der Fall war, blieb für die vom Gesetz zwingend vorgeschriebene Rechtsfolge ohne Bedeutung. An dieser gesetzgeberischen Lösung hat das Finanzänderungsgesetz 1967 nichts geändert. Es hat vielmehr mit Wirkung ab 1. Januar 1968 in der KVdR grundsätzlich die Versicherungspflicht eingeführt (§ 165 Abs. 1 Nr. 3 RVO). Zwar hat es als Ausgleich dafür die Möglichkeit der Befreiung von der Versicherungspflicht (§ 173 a RVO) neu geschaffen; die dem Versicherten eingeräumte Befugnis, sich bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen von der Versicherungspflicht durch Verwaltungsakt befreien zu lassen, ist jedoch wesensverschieden von der kraft Gesetzes eintretenden Versicherungsfreiheit und auch insofern mit der Regelung des § 169 RVO nicht vergleichbar.

Für die Zeit ihrer - aktiven - Beamtentätigkeit kann die Klägerin auch nicht von der Versicherungspflicht befreit werden. Weder gibt das Gesetz dafür unmittelbar eine Grundlage noch läßt sich ein solcher Anspruch mit entsprechender Anwendung gesetzlicher Vorschriften rechtfertigen. Auf § 173 RVO vermag die Klägerin ihr Begehren jedenfalls nicht zu stützen, denn diese Vorschrift setzt einerseits voraus, daß der Beamte bereits Ruhegehalt oder gleichwertige Bezüge erhält, und verlangt andererseits, daß er in einem Beschäftigungsverhältnis steht. Hier trifft weder das eine noch das andere zu.

Für die Zeit ab 1. Oktober 1969 ist der Anspruch der Klägerin nach anderen Grundsätzen zu beurteilen. Da sie seitdem nicht mehr als Beamtin tätig ist, kann sie sich nicht mehr auf § 169 RVO berufen (vgl. BSG 20, 123, 125).

Die Klägerin kann auch nicht von der Versicherungspflicht befreit werden. Sie ist erst nach dem 1. Januar 1968 in den Ruhestand getreten, und seit diesem Zeitpunkt bestimmt die neu geschaffene Vorschrift des § 173 a RVO als Sonderregelung abschließend die Voraussetzungen der Befreiung von der Versicherungspflicht in der KVdR. § 173 RVO hingegen kommt, wie insbesondere Abs. 2 der Vorschrift erkennen läßt, nur für Personen in Betracht, die eine versicherungspflichtige Beschäftigung ausüben (vgl. Jantz aaO, § 173 a, Anm. VI; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 1. bis 7. Aufl., 1972, S. 448 s; Rundschreiben der Spitzenverbände der Krankenkassen vom 21. Dezember 1967 in BKK 1968, Spalten 441, 446, zu § 173 a, Anm. VI; Schulte-Mimberg in WzS 1968, 97, 99). Nach § 173 a Abs. 1 Satz 2 RVO sind Hinterbliebene von der Befreiung ausgeschlossen, wenn der Verstorbene im Zeitpunkt des Todes nach § 165 Abs. 1 Nrn. 1 bis 3 RVO versichert war. An diesem Ausschluß der durch § 173 a Abs. 1 Satz 1 RVO eingeführten Befreiungsmöglichkeit vermag auch der vom LSG ins Feld geführte Gesichtspunkt des mangelnden Schutzbedürfnisses wegen anderweitiger Krankenversorgung nichts zu ändern. Das Bestehen eines bestimmten Krankenversicherungsschutzes ist bereits Voraussetzung jener Befreiung (§ 173 a Abs. 1 Satz 1 RVO). Darüber hinaus ist aber zu bedenken, daß dem Schutzzweck der Rentnerkrankenversicherung in weit besserem Maße durch eine Pflichtmitgliedschaft in der gesetzlichen Krankenversicherung als durch eine Verweisung auf beamtenrechtliche Beihilfeansprüche Rechnung getragen wird. Durch die - für ihn beitragsfreie (§ 381 Abs. 2 RVO) - Pflichtmitgliedschaft in der KVdR erlangt der Beamte ohne jede Mehraufwendung einen weitaus umfassenderen Krankenschutz, als er ihm auf Grund der Beihilferegelung zusteht (vgl. Ley in WzS 1963, 359).

Da nach alledem die Klägerin als Bezieherin einer Witwenrente weder einen Anspruch auf Befreiung von der Versicherungspflicht zur KVdR hat noch versicherungsfrei ist, mußte die Revision der Beklagten zum Erfolg führen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

NJW 1974, 517

DVBl. 1975, 595

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