Leitsatz (amtlich)

1. Bei der Umstellung von Knappschaftsvollrenten ist eine Zurechnungszeit gemäß RKG § 58 auch dann zu berücksichtigen, wenn die bei Inkrafttreten des KnVNG 1957-01-01 laufende Rente wegen Vollendung des 65. Lebensjahres gewährt wurde, diese Rente aber unmittelbar an die Stelle einer solchen getreten war, die einer Rente wegen Berufsunfähigkeit oder Erwerbsunfähigkeit (RKG § 46 Abs 2, RKG § 47 Abs 2) gleichzuerachten ist.

2. Das Ruhegeld wegen Berufsunfähigkeit aus der Angestellten-Pensions-Versicherung gemäß RKG § 57 idF vom 1926-07-01 ist nicht mit einer Rente gleichzusetzen, die wegen Erfüllung der seit dem 1957-01-01 geltenden Tatbestände der Berufsunfähigkeit oder Erwerbsunfähigkeit gewährt wird.

 

Normenkette

KnVNG Art. 2 § 24 Fassung: 1957-05-21; RKG § 58 Fassung: 1957-05-21, § 57 Fassung: 1926-07-01, § 46 Abs. 2 Fassung: 1957-05-21, § 47 Abs. 2 Fassung: 1957-05-21; RVO § 1260 Fassung: 1957-02-23; KnRVNV; KnRVNV 1942; KnVNG Art. 2 § 24 Abs. 3 Fassung: 1957-05-21; RVO § 1246 Abs. 2 Fassung: 1957-02-23, § 1247 Abs. 2 Fassung: 1957-02-23

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 19. Oktober 1961 aufgehoben.

Unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Köln - Zweigstelle Aachen - vom 10. Juli 1958 wird die Klage abgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Von Rechts wegen.

 

Gründe

Die Klägerin setzt als Tochter des während des Revisionsverfahrens verstorbenen Versicherten und als Bezugsberechtigte gemäß § 88 Abs. 2 des Reichsknappschaftsgesetzes (RKG) den Rechtsstreit fort.

Der Vater der Klägerin bezog bis zum 31. Dezember 1956 die Knappschaftsvollrente wegen Vollendung des 65. Lebensjahres. Diese Rente wurde als Gesamtleistung einschließlich eines Leistungsanteils aus der Invalidenversicherung gezahlt. Die mit Bescheid vom 13. August 1957 zum 1. Januar 1957 vorgenommene Umstellung der Rente beanstandete der Vater der Klägerin, weil ihm bei der Neuberechnung keine Zurechnungszeit gutgebracht worden war. In diesem Zusammenhang berief er sich auf folgenden Ablauf seines Versicherungsverhältnisses:

Im Jahre 1930 war ihm - im Alter von 49 Jahren - nach jahrzehntelanger Dienstzeit als Bergarbeiter und später als technischer Bergbauangestellter das Ruhegeld wegen Berufsunfähigkeit gemäß § 57 Abs. 3 RKG in der Fassung der Bekanntmachung vom 1. Juli 1926 zugebilligt worden. An die Stelle dieser Rente war im Jahre 1946, nachdem der Versicherte das 65. Lebensjahr vollendet hatte, auf seinen Antrag hin die Vollrente getreten.

Der mit dem Ziel der Berücksichtigung einer Zurechnungszeit gegen den Umstellungsbescheid erhobene Widerspruch blieb ohne Erfolg. Hiergegen hat der Vater der Klägerin Klage erhoben mit dem Antrag,

Bescheid und Widerspruchsbescheid aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, über die Höhe der Rente ab 1. Januar 1957 unter Berücksichtigung der Zurechnungszeit nach § 58 RKG einen neuen Bescheid zu erteilen.

Die Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben (Urteil des Sozialgerichts - SG - Köln, Zweigstelle Aachen, vom 10. Juli 1958 und Urteil des Landessozialgerichts - LSG - Nordrhein-Westfalen vom 19. Oktober 1961). Das Berufungsgericht sieht in Art. 2 § 9 Abs. 1 des Knappschaftsversicherungs-Neuregelungsgesetzes (KnVNG) die gesetzliche Ermächtigung für den Ansatz einer Zurechnungszeit. Diese Übergangsbestimmung erstrecke das Anwendungsgebiet der Vorschrift über die Zurechnungszeit (§ 58 RKG nF) auf Versicherungsfälle, die sich vor dem Inkrafttreten des neuen Rechts ereignet hätten. Da aber die Voraussetzungen des § 58 RKG nF, unter denen eine Zurechnungszeit in Rechnung gestellt werden könne, nämlich die Tatbestände der Berufsunfähigkeit und der Erwerbsunfähigkeit erst durch das neue Recht eingeführt worden seien, mache die Übernahme dieser Regel auf die Altfälle die Untersuchung notwendig, ob zwischen den früheren Leistungsmerkmalen und denen des § 50 RKG Rechtsähnlichkeit bestehe, oder ob es sich bei den Leistungen nach früherem und denen nach heutigem Recht um unterschiedliche Rentenarten handele. In der gegenwärtigen Sache ergebe eine vergleichende Betrachtung, daß das dem Vater der Klägerin ab Juni 1930 gemäß § 57 Abs. 3 RKG idF vom 1. Juli 1926 gewährte Ruhegeld und die Berufsunfähigkeitsrente des neuen Rechts (§ 46 Abs. 2 RKG) einander entsprächen. Zwar sei damals die Erwerbsfähigkeit des Versicherten an einem Maßstab gemessen worden, der nach heutigem Recht als vermindert bergmännisch berufsfähig bezeichnet werde und der den Anspruch auf die knappschaftliche Sonderleistung der Bergmannsrente, aber nicht das Recht auf die Berufsunfähigkeitsrente begründe. Im Gegensatz zu dem in § 46 Abs. 2 RKG beschriebenen Begriff der Berufsunfähigkeit sei seinerzeit von einer Richtlinie ausgegangen worden, durch die der Kreis der zumutbaren Tätigkeiten erheblich enger gezogen gewesen sei; das Zumutbarkeitsmoment sei durch eine enge Verbundenheit des Versicherten zu seinem bergbautechnischen Beruf charakterisiert gewesen. Das hindere jedoch die Gleichstellung der früheren und der heutigen Rentenleistungen deshalb nicht, weil die vom Gesetz gewollten Rechtsfolgen im wesentlichen miteinander übereinstimmten. Im Gegensatz zur Bergmannsrente habe das vom Vater der Klägerin bezogene Ruhegeld seiner Funktion und seinem Umfange nach nicht einer Teilversorgung gedient, sondern eine "Vollrente" dargestellt.

Gegen das ihr am 21. Dezember 1961 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 18. Januar 1962 Revision eingelegt. Sie hat dieses Rechtsmittel am 19. Februar 1962 begründet. Sie will die Erwägung des Berufungsgerichts nicht gelten lassen, daß das Ruhegeld, welches dem Vater der Klägerin gemäß § 57 Abs. 3 RKG idF vom 1. Juli 1926 zugestanden habe, derjenigen Rente zuzuordnen sei, welche der heute geltende § 46 RKG vorsehe. Sie geht von einer Vergleichsbasis aus, die auf den jeweiligen Grund der Leistung und nicht auf die gesetzlich normierten Rechtsfolgen abhebt. Müsse man deshalb in der gegenwärtigen Sache die Parallele zur Bergmannsrente ziehen, dann könnten Zurechnungszeiten nicht in die Rentenberechnung miteinbezogen werden. - Außerdem sei das Berufungsgericht einem weiteren Rechtsirrtum unterlegen: Für die hier nach Art. 2 § 23 Abs. 1 KnVNG vorzunehmende Umstellung komme es auf die am 1. Januar 1957 laufende Rente an; diese Rente sei aber nicht durch den im Jahre 1930 eingetretenen Versicherungsfall der Berufsunfähigkeit ausgelöst, sondern im Jahre 1946 wegen Vollendung des 65. Lebensjahres bewilligt worden. Bei Berechnung der Altersrente blieben aber Zurechnungszeiten ganz ohne Zweifel außer Betracht.

Die Beklagte beantragt,

das angefochtene Urteil sowie das Urteil des SG Köln, Zweigstelle Aachen, vom 10. Juli 1958 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Revision der Beklagten zurückzuweisen.

Die Revision der Beklagten ist zulässig und begründet.

Die Höhe der dem Kläger zustehenden Rente ist davon abhängig, ob die Versicherungszeit um die Zurechnungszeit gemäß § 58 RKG zu verlängern ist. Für die Entscheidung dieser Frage ist nicht, wie das Berufungsgericht meint, allein von Art. 2 § 9 KnVNG auszugehen. Nach dieser Übergangsbestimmung gelten allerdings die Vorschriften über die Zusammensetzung und Berechnung der Versichertenrenten, wie sie in den §§ 53 bis 58 RKG enthalten sind, also u. a. die Bestimmung über die Hinzurechnung von Zurechnungszeiten, auch für Versicherungsfälle, die vor dem 1. Januar 1957 eingetreten sind. Gleichwohl ist diese Regel in Art. 2 §§ 22, 23 KnVNG abgewandelt. Danach bleibt für die Rentenberechnung aus alten Versicherungsfällen zunächst "das vor dem Inkrafttreten dieses Gesetzes geltende Recht" maßgebend. Die derart berechneten Renten sind jedoch "umzustellen". Der Weg, der bei der Rentenumstellung einzuschlagen ist, wird durch Art. 2 § 24 KnVNG näher aufgezeigt. Dort bedient sich das Gesetz zur Festlegung der jeweiligen Leistungshöhe des Konstruktionsmittels eines Jahresbetrags. Dieser Jahresbetrag ist gemäß Art. 2 § 24 Abs. 3 KnVNG einheitlich für alle umzustellenden Knappschaftsvollrenten nach § 53 Abs. 3 RKG zu bestimmen. Damit wird bezüglich der Umstellung von Knappschaftsvollrenten schlechthin und ohne Unterschied auf diejenige Norm verwiesen, die den Jahresbetrag nur einer von mehreren an sich in Betracht kommenden Renten, nämlich der Knappschaftsrente wegen Erwerbsunfähigkeit, angibt; das ist der Jahresbetrag, der für jedes anrechnungsfähige Versicherungsjahr 2,5 v. H. der individuell maßgebenden Rentenbemessungsgrundlage ausmacht. Die Verweisung auf den Jahresbetrag der Erwerbsunfähigkeitsrente gilt ungeachtet des Bewilligungsgrundes, der die Knappschaftsvollrente auslöste, also gleichviel, ob diese Rente wegen Invalidität oder wegen Erreichens der Altersgrenze zuerkannt worden war. Es wird mithin nicht - was man sich ebensogut hätte vorstellen können - auch auf den für die Berechnung der Altersrente geltenden Jahresbetrag abgestellt. Auf den ersten Blick erscheint es indessen mit der Bezugnahme allein auf § 53 Abs. 3 RKG keine eigene Bewandtnis zu haben; unterscheidet sich doch der Jahresbetrag des Knappschaftsruhegeldes in Abs. 4 des § 53 RKG in seiner Höhe scheinbar nicht von dem der Knappschaftsrente wegen Erwerbsunfähigkeit. Beide betragen 2,5 v. H. der Rentenbemessungsgrundlage. Die Verschiedenheit stellt sich erst im Hinblick auf die Anzahl der anrechnungsfähigen Versicherungsjahre ein. Soll nun die Alleinverweisung auf Abs. 3 des § 53 RKG einen Sinn haben, dann kann dies nur der sein, daß die Umstellungsordnung des Art. 2 § 24 Abs. 3 KnVNG auf die Besonderheiten der Altersruhegeldberechnung keine Rücksicht nimmt und sich die Summe der anrechnungsfähigen Versicherungsjahre stets nach den für den Umfang der Erwerbsunfähigkeitsrente bestehenden Regeln bemißt. Daraus folgt, daß die §§ 56 und 58 RKG auch Platz greifen und im besonderen eine Zurechnungszeit immer dann in Betracht kommt, wenn der bisherige Bezieher einer Knappschaftsvollrente diese Rente wegen eines Grundes erhielt, der mit der Berufsunfähigkeit oder der Erwerbsunfähigkeit des neuen Rechts vergleichbar ist. Liegt dieser vergleichbare Leistungsgrund lange zurück, dann schadet es nichts, daß die Knappschaftsvollrente zuletzt wegen Vollendung des 65. Lebensjahres gewährt wurde - vorausgesetzt nur, daß in der Leistungsberechtigung seit einer früher voraufgegangenen Rentenfeststellung keine Unterbrechung eingetreten ist und die Rente aus dem vergleichbaren Grunde nur durch eine höherstufige abgelöst, nicht aber zwischenzeitlich weggefallen oder entzogen war. Als Beispiel für eine solche mittelbar wirkende Leistungsberechtigung ließe sich anführen, daß ein Berechtigter am 1. Januar 1957 die Knappschaftsvollrente wegen Vollendung des 65. Lebensjahres empfing, und daß er diese Rente seit einem Zeitpunkt bezog, bis zu dem er wegen Berufsunfähigkeit das Ruhegeld aus der knappschaftlichen Pensionsversicherung nebst Leistungsanteilen aus der Angestelltenversicherung erhalten hatte.

Bis zu diesem Punkt ist den Überlegungen des Berufungsgerichts im Ergebnis zu folgen. Wendet man aber das Gesagte auf die rechtlichen Gegebenheiten des vorliegenden Falles an, dann stellen sich die im angefochtenen Urteil gezogenen Folgerungen als unrichtig heraus.

Das Ruhegeld, das der Versicherte gemäß § 57 RKG idF vom 1. Juli 1926 aus der Angestellten-Pensionskasse der Reichsknappschaft bezogen hatte, ist nicht mit einer der Renten gleichzusetzen für welche der heute geltende § 58 RKG die Berücksichtigung der Zurechnungszeit vorsieht.

Freilich hat das LSG jene knappschaftliche Pensionsleistung zutreffend als eine Rente gewürdigt, welche nach ihrer gesetzgeberischen Motivation die endgültige Sicherung der Versicherten bezweckt. Es ist zuzugeben, daß diese Leistung in ihrer Funktion mit dem Ruhegeld des § 26 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) aF übereinstimmte. Das folgte allein schon daraus, daß "die Pensionsversicherung der in knappschaftlich versicherten Betrieben beschäftigten Angestellten" im Laufe der Rechtsentwicklung "an die Stelle der reichsgesetzlichen Angestelltenversicherung getreten" war (§ 50 Abs. 2 RKG 1. Juli 1962). Tatsächlich lagen denn damals auch in der Mehrzahl der Fälle die Beträge der Pensionsversicherungen höher als die Bezüge aus der allgemeinen Angestelltenversicherung (dazu vor allem die §§ 60 Abs. 2 und 4, 66 RKG idF vom 1. Juli 1926). Daneben stellte die Pensionskasse sogar zusätzliche Leistungen (zB freie ärztliche Behandlung und Arzneigestellung sowie Bestattungsbeihilfen) in Aussicht. Hinzu kommt, daß die technischen Bergbauangestellten nicht regelmäßig - wie die Bergarbeiter - entsprechend dem Grad der erlittenen Erwerbseinbuße in den Genuß neben- und nacheinander zu gewährender Versicherungsleistungen kamen.

Gleichwohl entzieht sich die genannte Berufspension der Gegenüberstellung mit der seit der Rentenrechtsreform (1957) eingeführten Rente wegen Berufsunfähigkeit oder Erwerbsunfähigkeit.

Zum Vergleich wird man nicht nur die eine Seite der Sache heranziehen dürfen, ebensowenig, wie man allein auf die typische Gefahrenlage abheben kann, der die Sorge der früheren Berufspension gegolten hat. Der damals den Anspruch auf Ruhegeld begründende Tatbestand war ein Zustand, der im normalen Ablauf des Arbeitslebens eines Menschen verhältnismäßig früh einzutreten pflegt, und der nicht regelmäßig mit dem Ende einer versicherungspflichtigen Tätigkeit zusammenfällt. Diese erste Stufe von Erwerbsbeschränkung, welche die Fähigkeit zur Ausübung berufsnaher ("gleichartiger") Arbeiten betrifft, fällt im Prinzip aus dem Rahmen der gesetzlichen Rentenversicherung heraus und stellt typischerweise die Voraussetzung dar für den Anspruch gegen eine Berufsversicherung. Sie unterscheidet sich von dem Begriff der Berufsunfähigkeit (§ 46 Abs. 2 RKG) und erst recht von dem der Erwerbsunfähigkeit (§ 47 Abs. 2 RKG) in mancher Hinsicht; vornehmlich in bezug auf die Mindestgrenze erzielbaren Arbeitsverdienstes und auf das, was den Kreis zumutbarer Tätigkeiten anlangt. Ein versichertes Interesse, das im wesentlichen gleichgeartet ist, wird heute durch die Bergmannsrente ausgeglichen. Daraus, aber auch nur daraus, leitet sich eine gewisse Parallele zwischen der Bergmannsrente des heutigen Rechts und jener früheren Berufspension her.

Aus dem vorher Gesagten folgt, daß eine Betrachtung der gegenübergestellten Leistungen, nämlich der Berufspension alten Rechts und der Berufsunfähigkeitsrente derzeitigen Rechts, zugleich Gemeinsamkeiten und Verschiedenheiten aufweist. Diese Vielgestaltigkeit erlaubt somit auf Grund eines Vergleichs der Rentenarten eine gültige, widerspruchsfreie Antwort jedes in der einen noch in der anderen Richtung. Einen einwandfreien Aufschluß für die gesuchte Lösung vermag man aber auch nur nach genauer Erforschung der positiven gesetzgeberischen Entscheidung zu finden.

Verfolgt man die Gesetzesentwicklung, dann stößt man auf den einschneidenden Rechtswandel durch die Verordnung vom 4. Oktober 1942 (RGBl I 569). Damals wurde der grundlegende Schritt von der "knappschaftlichen Pensionsversicherung" zur "knappschaftlichen Rentenversicherung" getan. Das Ziel dieser völligen Neuorientierung war die Fortsetzung eines schon früher begonnenen Weges zur Vereinheitlichung aller Rentenversicherungszweige, also die Annäherung der knappschaftlichen Rentenversicherung an die Invalidenversicherung und Angestelltenversicherung. Die knappschaftlichen Leistungen wurden zwar erheblich angehoben; die Eigenheiten der knappschaftlichen Pensionsversicherungen wurden jedoch für die Zukunft auf die Rechtsinstitute der anderen Rentenversicherungszweige abgestimmt. Aus dieser Tendenz heraus führte die Verordnung vom 4. Oktober 1942 für die bergmännisch beschäftigten Angestellten ebenso wie für die Bergbauarbeiter die stufenartige Aufeinanderfolge von Knappschaftsrenten bei "Berufsunfähigkeit" und von Knappschaftsvollrenten bei Invalidität oder Vollendung des 65. Lebensjahres ein. Da diese beiden Rentenarten gleichsam das Spiegelbild einerseits der früheren Invalidenpension und andererseits der Invalidenrente (§ 1253 der Reichsversicherungsordnung - RVO - aF) waren, erschien für den Bereich der Arbeiterversicherung die Kontinuität zwischen dem, was vor der Neuregelung im Jahre 1942 war, und dem, was ihr folgte, ungebrochen gewahrt. Weniger glatt erwies sich hingegen die Überleitung auf dem Sektor der Angestelltenversicherung. Hier lag die Frage nahe, welche der im Jahre 1942 neugeschaffenen Leistungstypen das Ruhegeld des damals aufgehobenen § 46 RKG ablöste. Es wäre verständlich erschienen, wenn an die Stelle dieses Ruhegehalts die Knappschaftsvollrente und damit diejenige Leistung getreten wäre, die nach dem gesetzgeberischen Plan das Endziel jeder Rentenversicherung darstellte. So geschah es aber nicht.

Die Leistungen, die bereits festgestellt waren, als mit der Verordnung vom 4. Oktober 1942 die "knappschaftliche Rentenversicherung" an die Stelle der Pensionsversicherungen trat, gingen zwar gemäß § 1 der genannten Verordnung als Verbindlichkeiten auf die knappschaftliche Rentenversicherung über; sie "galten" als deren Leistungen; blieben aber als solche in ihrer einmal begründeten Eigenart unangetastet und von dem Wegfall ihrer gesetzlichen Grundlagen unberührt (§ 18 Abs. 2 der Verordnung). Die bestehenden Pensionsverpflichtungen wurden nicht in das System der neugeschaffenen Leistungsarten einbezogen. Sie sollten als nicht integrierte Leistungsgebilde einer zu Ende gegangenen, nur noch abzuwickelnden Versorgungseinrichtung einfach auslaufen. An diese Entscheidung, daß die früheren Berufspensionen nicht auf das neue Recht abgestimmt werden sollten, ist die Rechtsanwendung gebunden.

Wenn auch die über das Jahr 1942 hinaus weitergewährte Pension ihrer ursprünglichen Zielsetzung nach eine "Vollrente" darstellte, so war sie doch nach dem Erlaß der Verordnung vom 4. Oktober 1942 kein Hindernis mehr für den Eintritt einer weiteren Stufe in der Skala der Leistungsberechtigungen. Erst mit dem Eintritt der Invalidität war der Endpunkt der Versicherung eingetreten. Damit steht in Einklang, daß die wegen Invalidität zu erbringende Rente in ihrer durchschnittlichen Höhe eine wesentlich bessere Versorgung abgab, als dies bis dahin das Ruhegeld aus der Angestelltenpension gewesen war (vgl. Dobbernack in AN 1942 II 523, 527).

An der rechtlichen Situation, wie sie für die damalige Berufspension durch die Verordnung vom 4. Oktober 1942 geschaffen worden war, hat sich in der Folgezeit im Grunde nichts geändert.

Mit diesen Leistungen befaßt sich das "Gesetz über die Umstellung von knappschaftlichen Renten auf das nach dem 31. Dezember 1942 geltende Recht der knappschaftlichen Rentenversicherung" vom 18. Juli 1953 (BGBl I 659). Der Inhalt dieses Gesetzes, vor allem sein § 2, deutet darauf hin, daß wohl an eine Erhöhung der Pensionsbeträge gedacht war. Indes ist das tatsächlich Gewollte nicht klar zum Ausdruck gebracht. In § 1 heißt es, daß "die am 31. Dezember 1952 laufenden knappschaftlichen Renten, die nach einem vor dem 1. Januar 1943 geltenden Recht berechnet wurden" "auf das nach dem 31. Dezember 1942 geltende Recht der knappschaftlichen Rentenversicherung umgestellt" werden. Mit Sicherheit läßt sich nach dieser Fassung wohl bestimmen, welche Renten "umgestellt" wurden: nämlich die nach dem bis zum 31. Dezember 1942 herrschenden Recht festgestellten Leistungen. Dagegen ist dem Umstellungsgesetz nicht mit Gewißheit zu entnehmen, nach welcher von mehreren denkbaren Rechtsvorschriften auf dem Gebiet der knappschaftlichen Rentenversicherung die übernommenen Pensionen ausgerichtet werden sollten. Das Gesetz gibt dazu keine Erklärung oder wenigstens einen Hinweis. Die Berichte über die Gesetzesberatungen lassen ebenfalls eine genauere Erläuterung des tatsächlich Gewollten vermissen. In der Niederschrift über die 246. Sitzung des Deutschen Bundestages - 1. Wahlperiode - (S. 11749) heißt es, daß mit dem Gesetz "die Wiederherstellung eines einheitlichen Rechts in der knappschaftlichen Rentenversicherung" angestrebt werde, und daß man das "Unrecht der unterschiedlichen Rentenberechnung" beseitigen wolle. Ausdrücklich wird auf § 4 der Verordnung vom 4. Oktober 1942 und damit auf diejenige Vorschrift Bezug genommen, in welcher die Bestandteile und der jährliche Steigerungsbetrag der Knappschaftsrente näher bestimmt worden waren. Außerdem wird aber auch darauf verwiesen, daß der jährliche Steigerungsbetrag bei der Knappschaftsvollrente 2,4 v. H. des Entgelts des Versicherten betrage. An einer anderen Stelle ist von einer "Umrechnung dieser Knappschaftsrenten" die Rede (S. 11749 D); es ist jedoch aus dem Zusammenhang, in dem dieser Ausdruck verwendet worden ist, nicht zu entnehmen, daß damit speziell an die "Knappschaftsrenten" im strengen juristischen Sinne (§ 3 der Verordnung vom 4. Oktober 1942) und nicht an die Knappschaftsvollrenten gedacht war. - Vergegenwärtigt man sich dagegen die Leistungsverhältnisse, wie sie bei Erlaß des Umstellungsgesetzes in Wirklichkeit bestanden, und vergleicht man die effektiv gewährten Leistungszahlbeträge miteinander, dann liegt es zumindest für den die Arbeiter betreffenden Teil der knappschaftlichen Rentenversicherung nahe, anzunehmen, daß die frühere Invalidenpension nunmehr unter Berücksichtigung des günstigeren Steigerungsbetrages und des Leistungszuschlages so berechnet werden sollte, als handele es sich um die Knappschaftsrente, und daß die vor dem 1. Januar 1943 bewilligte Invalidenrente auf den entsprechenden Betrag der Knappschaftsvollrente aufgebessert werden sollte. In Analogie hierzu handelten die Versicherungsträger folgerichtig, wenn sie auch die vor dem 1. Januar 1943 an technische Bergbauangestellte gewährten Ruhegelder auf die für die Knappschaftsrente maßgebliche Höhe brachten. So gesehen, wurde der Begriff der "Umstellung" wie ihn das Gesetz vom 18. Juli 1953 gebraucht, gleichbedeutend mit "Umrechnung", dagegen nicht identisch mit "Umwandlung" aufgefaßt. Die frühere Berufspension war mithin in der Höhe ihres Zahlbetrages angeglichen, aber nicht - ein für allemal - in die Rechtsformen und rechtlichen Zusammenhänge des nach dem 31. Dezember 1942 herrschenden Rechts eingefügt worden.

Aus dem Gesagten ergibt sich, daß die Pension, die der Vater der Klägerin bis zum Beginn der Knappschaftsvollrente im Jahre 1946 bezogen hat, nicht mit einer derjenigen Renten gleichgesetzt werden kann, die in § 58 RKG nF aufgeführt und um den Rechnungsfaktor der Zurechnungszeit aufzufüllen sind. An der Umstellungsberechnung, wie sie die Beklagte vorgenommen hat, ist daher nichts auszusetzen. Dagegen konnten die Urteile der Vorinstanzen keinen Bestand haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 4 SGG.

 

Fundstellen

BSGE, 71

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