Entscheidungsstichwort (Thema)

Beamtentätigkeit. Berufskrankheit. schädliche betriebliche Einwirkungen

 

Leitsatz (redaktionell)

Ein Beamter auf Lebenszeit hat Anspruch auf Rente aus der gesetzlichen Unfallversicherung und nicht Anspruch auf Unfallfürsorge nach beamtenrechtlichen Grundsätzen, wenn er die schädlichen betrieblichen Einwirkungen vor seiner Ernennung zum Beamten erlitten hat.

 

Orientierungssatz

Erlitten" iS von § 551 Abs 1 S 2 und § 576 Abs 1 S 1 RVO ist eine Berufskrankheit mit dem Ende der schädlichen betrieblichen Einwirkungen auf den Versicherten, nicht erst mit dem Beginn der Krankheit iS der Krankenversicherung oder dem Beginn der Minderung der Erwerbsfähigkeit (§ 551 Abs 3 S 2 RVO); Festhaltung BSG vom 6.8.1986 5a RKnU 4/85 = SozR 2200 § 576 Nr 2).

 

Normenkette

RVO § 551 Abs. 1 S. 2 Fassung: 1963-04-30, Abs. 3 S. 2 Fassung: 1963-04-30, § 576 Abs. 1 S. 1 Fassung: 1963-04-30

 

Verfahrensgang

LSG Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 21.02.1985; Aktenzeichen L 2 BU 43/84)

SG Düsseldorf (Entscheidung vom 14.05.1984; Aktenzeichen S 24 BU 3/83)

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt von der Beklagten Verletztenrente wegen einer Staublungenerkrankung. Die Beklagte verweigert die Auszahlung, weil dem Kläger im Zeitpunkt des von der Beklagten angenommenen Versicherungsfalles (20. Juni 1983) als Beamten auf Lebenszeit Unfallfürsorge nach beamtenrechtlichen Vorschriften gewährleistet war und ist (§ 576 Abs 1 Satz 2 Reichsversicherungsordnung -RVO-).

Der Kläger war von April 1948 bis Mai 1961 im Steinkohlenbergbau unter Tage als Gedingearbeiter beschäftigt, mindestens seit Dezember 1953 als Hauer. Die bergpolizeiärztliche Untersuchung vom 24. Juni 1958 hatte das Ergebnis "eben leichte Steinstaublunge". Am 15. Mai 1961 verließ der Kläger den Bergbau, nach seinen Angaben wegen Atembeschwerden auf Anraten seines Hausarztes. Seit dem 16. Mai 1961 ist der Kläger im Justizvollzugsdienst des Landes Nordrhein-Westfalen zunächst als Angestellter, seit 1. Oktober 1962 als Beamter. Ansprüche auf Entschädigung wegen Quarzstaublungenerkrankung wurden von der Beklagten 1967 und 1971 bindend abgelehnt. Einen Antrag des Klägers auf Entschädigung wegen Verschlimmerung der Quarzstaublungenerkrankung lehnte die Beklagte ab (Bescheid vom 15. Juni 1982; Widerspruchsbescheid vom 13. September 1982). Im Juni 1983 beschrieb der ärztliche Sachverständige im sozialgerichtlichen Verfahren beim Kläger eine Silikose, obstruktive Verteilungsstörungen durch eine aufgrund der Silikose ungünstig beeinflußte Emphysembronchitis. Er schätzte die dadurch bedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) auf 20 vH. Die Beklagte erklärte sich mit Schreiben vom 29. Juli 1983 bereit, "das Vorliegen einer Berufskrankheit nach Nr 4101 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung (BKVO) anzuerkennen, den Zeitpunkt des Versicherungsfalles auf den 20. Juni 1983 festzustellen und eine Teilrente von 20 vH nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren". Der Kläger nahm dieses Anerkenntnis an. Durch Bescheid vom 6. Oktober 1983 teilte die Beklagte dem Kläger mit, der Anspruch auf Gewährung einer Rente aus der gesetzlichen Unfallversicherung werde abgelehnt, weil ihm, dem Kläger, zum Zeitpunkt des Versicherungsfalles als Beamter Unfallfürsorge nach beamtenrechtlichen Vorschriften gewährleistet sei und er deswegen aufgrund eines Arbeitsunfalles, für den ihm Unfallfürsorge nicht zustehe, Unfallrente nur soweit erhalten könne, als diese seine Dienstbezüge übersteige. Dies sei nicht der Fall. Der Kläger habe wegen einer berufskrankheitsbedingten MdE um 20 vH auch keinen Anspruch auf den Unfallausgleich (§ 576 Abs 1 Satz 2 RVO).

Das Sozialgericht (SG) hat die Beklagte zur Entschädigung des Klägers nach einer MdE von 20 vH wegen einer Berufskrankheit der Nr 4101 der Anlage 1 zur BKVO "nach Maßgabe des Vergleiches vom 29. Juli 1983" verurteilt (Urteil vom 14. Mai 1984). Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung der Beklagten mit Urteil vom 21. Februar 1985 zurückgewiesen und im wesentlichen ausgeführt: Die Beklagte könne die Rentenzahlung nicht verweigern. Die Quarzstaublungenerkrankung des Klägers sei während seiner Untertagetätigkeit als Gedingearbeiter entstanden und habe sich seitdem verschlimmert. Erlitten habe der Kläger somit die Berufskrankheit während seiner Beschäftigung im Bergbau und nicht erst später, als sie ein stärkeres Ausmaß angenommen habe. Die Voraussetzungen des § 576 Abs 1 Satz 2 RVO lägen demnach nicht vor.

Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Beklagte eine Verletzung des § 576 Abs 1 Satz 2 RVO.

Sie beantragt, das angefochtene Urteil sowie das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 14. Mai 1984 aufzuheben und die Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 7. Oktober 1983 abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Revision der Beklagten zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Beklagten ist nicht begründet und daher zurückzuweisen.

Ob die Beklagte nach Abgabe des Anerkenntnisses vom 29. Juli 1983 überhaupt noch berechtigt war, die Leistung unter Berufung auf § 576 Abs 1 RVO zu verweigern oder ob dies nach dem zum Ausdruck gebrachten Willen der Vertragsbeteiligten ausgeschlossen sein sollte, kann dahinstehen. Denn die Voraussetzungen des § 576 Abs 1 Satz 2 RVO liegen ohnehin nicht vor.

Wie der Senat bereits mit dem zur Veröffentlichung bestimmten Urteil vom 6. August 1986 (5a RKnU 4/85) entschieden hat, ist "erlitten" im Sinne von § 551 Abs 1 Satz 2 und § 576 Abs 1 Satz 1 RVO eine Berufskrankheit mit dem Ende der schädlichen betrieblichen Einwirkungen auf den Versicherten, nicht erst mit dem Beginn der Krankheit im Sinne der Krankenversicherung oder dem Beginn der Minderung der Erwerbsfähigkeit (§ 551 Abs 3 Satz 2 RVO). Auf die dortigen Ausführungen wird zur weiteren Begründung im vorliegenden Fall Bezug genommen.

Nach den von der Beklagten nicht angegriffenen und somit für den Senat gemäß § 163 Sozialgerichtsgesetz (SGG) bindenden tatsächlichen Feststellungen des LSG hatte die Quarzstaublungenerkrankung des Klägers "ihren Ursprung allein während seiner Untertagetätigkeit als Gedingearbeiter genommen", so daß nach der genannten Entscheidung des Senats § 576 Abs 1 Satz 2 RVO der Auszahlung der Rente nicht entgegensteht.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1666046

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge