Leitsatz (amtlich)

Bei einem Insolvenzereignis iS des § 141b Abs 3 AFG sind Beiträge für den Insolvenztag nicht zu entrichten (Abgrenzung zu BSG vom 8.3.1979 - 12 RAr 54/77 = BSGE 48, 61 = SozR 4100 § 141b Nr 9).

 

Normenkette

AFG § 141b Abs 3, § 141n Abs 1; BGB § 187

 

Verfahrensgang

SG Hamburg (Entscheidung vom 25.07.1988; Aktenzeichen 6 Ar 1033/86)

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte gemäß § 141n des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) die Gesamtsozialversicherungsbeiträge für den Beigeladenen zu 1) auch für den Tag der Ablehnung der Eröffnung des Konkursverfahrens zu entrichten hat.

Das Amtsgericht Gelsenkirchen hat durch Beschluß vom 15. Oktober 1985 die Eröffnung des Konkursverfahrens über das Vermögen des Arbeitgebers des Beigeladenen zu 1) mangels einer die Kosten des Verfahrens deckenden Masse abgelehnt. Hiervon hat der Beigeladene zu 1), der auch noch am 15. Oktober 1985 gearbeitet hat, am Entscheidungstage Kenntnis erhalten.

Die Beklagte hat durch den Bescheid vom 25. Juli 1986 die Zahlung der auf den 15. Oktober 1985 entfallenden Gesamtsozialversicherungsbeiträge für den Beigeladenen zu 1) im Gesamtbetrage von 45,56 DM mit der Begründung abgelehnt, sie habe für den Insolvenztag keine Beiträge zu entrichten.

Das Sozialgericht (SG) hat die Klage durch Urteil vom 25. Juli 1988 abgewiesen und durch den der Klägerin am 16. Februar 1989 zugestellten Beschluß vom 16. Januar 1989 die Sprungrevision zugelassen.

Die Klägerin und die Beigeladene zu 2) meinen, die am 20. Februar 1989 eingelegte Sprungrevision der Klägerin sei begründet, weil die vom 12. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) in dem Urteil vom 8. März 1979 (BSGE 48, 61) für den Insolvenzfall der Eröffnung des Konkursverfahrens entwickelten Grundsätze auch für den hier vorliegenden Insolvenzfall zu gelten hätten.

Die Klägerin und die Beigeladene zu 2) beantragen,

das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 25. Juli 1988 und den Bescheid der Beklagten vom 25. Juli 1986 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 45,56 DM zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Der Beigeladene zu 1) ist im Revisionsverfahren nicht vertreten.

 

Entscheidungsgründe

Der Senat hat mit dem Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-).

Die Revision ist nur hinsichtlich des Kostenpunktes begründet.

Die Klage ist ohne Durchführung eines Vorverfahrens zulässig (§ 78 Abs 1 Satz 2 und 3 SGG).

Das SG hat zu Recht von der Beiladung des Arbeitgebers abgesehen, weil hier nicht über die Versicherungspflicht des Beigeladenen zu 1), sondern nur über die Verpflichtung zur Leistung der Beiträge aus der Kaug-Versicherung zu entscheiden ist und demzufolge die Interessen des ehemaligen Arbeitgebers des Beigeladenen zu 1) nicht berührt werden.

Die Beklagte hat die Entrichtung der den Beigeladenen zu 1) betreffenden Beiträge für den Insolvenztag zu Recht abgelehnt.

Der 12. Senat des BSG (Urteil vom 8. März 1979 - 12 RAr 54/77 -, BSGE 48, 61 = SozR 4100 § 141b Nr 9) hat - allerdings ausdrücklich beschränkt auf den Fall der Eröffnung des Konkursverfahrens und des im Zeitpunkt der Eröffnung noch bestehenden Arbeitsverhältnisses - entschieden, daß das Konkursausfallgeld (Kaug) auch für die vor der Stunde des Eröffnungsbeschlusses liegenden Arbeitsstunden des Tages der Eröffnung des Konkursverfahrens zu zahlen ist. Zu diesem Ergebnis ist der 12. Senat gelangt, weil er bei der Berechnung des Kaug-Bezugszeitraumes in der Vorschrift des § 187 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) eine Berechnungsbestimmung nur für das Ende einer Frist gesehen und daraus gefolgert hat, daß das Kaug als eine an eine Frist gebundene Rechtswohltat vom Eintritt des in den Lauf eines Tages fallenden Ereignisses an bis zu dem nach den §§ 187 Abs 1, 188 BGB bestimmten Endzeitpunkt in Anspruch genommen werden könne, so daß der Kaug-Zeitraum drei Monate und die Stunden, die am Insolvenztage dem Zeitpunkt der Eröffnung des Konkursverfahrens vorausgehen, umfasse.

Der Senat läßt offen, ob diese Rechtsprechung, der sich das Schrifttum - allerdings ohne eigene Begründung - überwiegend angeschlossen hat (Gagel, AFG, RdNr 5 zu § 141b; Hess, Konkursausfallgeld, 4. Aufl, RdNr 59 zu § 141b; Hauck/Haines, Sozialgesetzbuch X/1,2, RdNr 6 zu K § 26; aA Hennig/Kühl/Heuer, AFG, Anm 6a zu § 141b) der Zielsetzung des Gesetzgebers gerecht wird. Dieser hat in den Vorschriften über das Konkursausfallgeld für alle Kaug-Ereignisse iS des § 141b Absätze 1, 3 und 4 AFG ersichtlich eine einheitliche Regelung sowohl hinsichtlich der Abgrenzung des Lohnzeitraumes als auch der Leistungen aus der Kaug-Versicherung (§ 141b Abs 1, § 141n AFG) beabsichtigt. Dabei sind die in den beiden vorgenannten Vorschriften getroffenen Regelungen verknüpft, weil sich die Leistungszeit sowohl des Kaug als auch der Beiträge für die Kaug-Zeit nach dem Kaug-Ereignis richtet. Deshalb ist der sowohl in § 141b Abs 1 AFG als auch in § 141n AFG enthaltene Begriff der "letzten der Eröffnung des Konkursverfahrens vorausgehenden drei Monate des Arbeitsverhältnisses" für alle Kaug-Ereignisse inhaltsgleich zu bestimmen (vgl dazu BSG, Urteil vom 17. Dezember 1975 - 7 RAr 15/75 -, BSGE 41, 121, 122 = SozR 4100 § 141b Nr 1). Ferner kann die Rechtsprechung des 12. Senats des BSG (aa0) auch in den Fällen der Eröffnung des Konkursverfahrens zu einer unterschiedlichen Abgrenzung des Leistungszeitraumes führen, wenn das Arbeitsverhältnis bereits vor dem Zeitpunkt der Eröffnung des Konkursverfahrens beendet worden ist.

Entgegen der von der Revision vertretenen Ansicht gilt die vom 12. Senat des BSG (aaO) getroffene Abgrenzung des Kaug-Bezugszeitraumes jedenfalls nicht für die Insolvenzereignisse iS des § 141b Abs 3 AFG. Auch für diese Insolvenzfälle ist zwar in Übereinstimmung mit den Beteiligten, der Vorinstanz und dem 12. Senat des BSG (aaO) davon auszugehen, daß der Begriff der "letzten der Eröffnung des Konkursverfahrens vorausgehenden drei Monate des Arbeitsverhältnisses" im Dritten Unterabschnitt des Vierten Abschnittes des Arbeitsförderungsgesetzes (§§ 141a ff) inhaltlich nicht bestimmt worden ist. Da es sich bei der Regelung der vorgenannten Zeiträume um die Festlegung materiell-rechtlicher Leistungsvoraussetzungen und -merkmale handelt, sind, wie in Rechtsprechung und Schrifttum allgemein anerkannt ist, für die Berechnung dieser Zeiträume die für alle Rechtsgebiete allgemein geltenden, in §§ 187 ff BGB normierten Grundsätze anzuwenden. Dem steht nicht entgegen, daß die Vorschriften der §§ 141b, 141n AFG Leistungen für zurückliegende Zeiten zum Inhalt haben.

Die Abgrenzungsregel des § 187 BGB hat zum Ziel, bei der Berechnung von Zeiträumen aus Gründen der Rechtsklarheit nur volle Tage zu berücksichtigen. Dies erreicht der Gesetzgeber mit der Bestimmung, daß nur ein voll in den Zeitraum fallender Anfangstag einbezogen wird, während ein Tag, an dem das Ereignis erst im Tagesverlauf eintritt, außer Betracht bleibt. Daher ist, selbst wenn für die Fälle der Eröffnung des Konkursverfahrens im Hinblick auf § 108 der Konkursordnung (KO) die vor der Stunde der Eröffnung des Konkursverfahrens liegenden Arbeitsstunden dem Kaug-Zeitraum zuzuschlagen sind (12. Senat aaO), dies jedenfalls bei den Kaug-Ereignissen iS des § 141b Abs 3 AFG nicht möglich. Bei diesen Kaug-Ereignissen ist - anders als in den Fällen der Eröffnung des Konkursverfahrens - der Zeitpunkt des Eintrittes dieses Ereignisses innerhalb des Tages, an dem es eintritt, nicht bestimmt. Es ist auch nicht ersichtlich, weshalb in den Fällen des Eröffnungs-Ablehnungsbeschlusses iS des § 107 Abs 1 KO in Anlehnung an § 108 Abs 2 KO der Zeitpunkt des Insolvenzereignisses auf 12.00  Uhr mittags festzulegen sein soll (so Gagel aaO mwN). Diese Abgrenzung ist bereits mit der Zielsetzung der Vorschriften über das Kaug nicht vereinbar. Die Festlegung der Insolvenzstunde in den Fällen des § 108 KO ist erforderlich wegen der Beschlagnahmewirkung des Eröffnungsbeschlusses (vgl Mentzel/Kuhn/Uhlenbruck, KO, 9. Auflage, RdNr 1 zu § 108 mwN). Diese Rechtsfolge ist hingegen für das Kaug gänzlich ohne Bedeutung, weil durch die Vorschriften der §§ 141a ff AFG lediglich eine zusätzliche Sicherung des Lohnanspruches nur für die Zeit vor der Eröffnung des Konkursverfahrens begründet worden ist (vgl dazu ausführlicher: Urteil des Senats vom 28. Februar 1985 - 10 RAr 19/83 -, SozR 4100 § 141b Nr 35). Es ist deshalb ohne Bedeutung, ob im Einzelfall der genauere Zeitpunkt der Entscheidung des Konkursgerichts über die Ablehnung der Eröffnung des Konkursverfahrens mangels Masse festgestellt werden kann. Denn auch dann würde das Ereignis stets in den Lauf des Tages fallen, der gemäß § 187 Abs 2 BGB bei der Berechnung der Leistungszeit nicht zu berücksichtigen ist. Zumindest in den Fällen der Insolvenzereignisse iS des § 141 b Abs 3 AFG beginnt daher die nach rückwärts gerichtete Leistungszeit iS der §§ 141b Abs 1, 141n Abs 1 AFG stets am Tage vor dem Insolvenzereignis.

Dieser Abgrenzung des in den §§ 141b, 141n AFG geregelten Drei-Monats-Zeitraumes steht jedenfalls in den Fällen des § 141b Abs 3 AFG auch die Fristbestimmung in § 59 Abs 1 Nr 3 KO nicht entgegen. Die Konkursordnung regelt nur Art und Umfang der Ansprüche in einem eröffneten Konkursverfahren. Inhaltsgleich sind daher allenfalls die Ansprüche iS des § 59 Abs 1 Nr 3 KO und des § 141b Abs 1 AFG geregelt. Infolgedessen zwingt die Vorschrift des § 59 Abs 1 Nr 3 KO nicht dazu, bei den nur konkursausfallgeld-rechtlich geschützten Insolvenzfällen iS des § 141b Abs 3 AFG entgegen § 187 Abs 2 BGB den Tag des Insolvenzereignisses in den dreimonatigen Bezugszeitraum der §§ 141b Abs 1, 141n Abs 1 AFG einzubeziehen oder diesen Zeitraum gar um den Insolvenztag zu verlängern. In dem zur Entscheidung stehenden Fall hat die Beklagte mithin die Leistungszeit hinsichtlich der von ihr zu entrichtenden Beiträge zutreffend errechnet.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG). Dabei ist zu berücksichtigen, daß das SG bei seiner Kostenentscheidung die Vorschrift des § 193 SGG hinsichtlich des Beigeladenen zu 1) nicht zutreffend angewendet hat. Da das Verbot der reformatio in peius für die Kostenentscheidung nicht gilt (vgl erkennender Senat, Urteil vom 10. September 1987 - 10 RAr 10/86 -, SozR 1500 § 193 Nr 6 mwN), war die Kostenentscheidung hinsichtlich des Beigeladenen zu 1) entsprechend zu verändern.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1665921

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