Leitsatz (amtlich)

Sind Beiträge in der irrigen Annahme der Versicherungspflicht in der Angestelltenversicherung entrichtet und können sie wegen Gewährung eines Heilverfahrens nicht zurückgefordert werden, so gelten sie weder in der Angestelltenversicherung noch in der Arbeiterrentenversicherung als für die Weiterversicherung entrichtet, wenn in der Zeit ihrer Entrichtung das Recht dazu nur in der Arbeiterrentenversicherung bestanden hat.

Sie können auch nicht als fehlentrichtete freiwillige Beiträge iS des AVG § 143 Abs 3 (= RVO § 1421 Abs 3) angesehen werden.

 

Normenkette

RVO § 1422 Fassung: 1957-02-23, § 1421 Abs. 3 Fassung: 1965-06-09; AVG § 143 Abs. 3 Fassung: 1965-06-09, § 144 Fassung: 1957-02-23

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 23. September 1969 aufgehoben.

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 14. Juli 1966 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, daß die Klage in vollem Umfang abgewiesen wird.

Außergerichtliche Kosten des Rechtsstreits sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

I.

Der ... 1904 geborene frühere Ehemann der Klägerin hatte vom Oktober 1924 bis März 1928 eine Ingenieurschule besucht. Für die Zeit vom Juli 1928 bis Oktober 1929 wurden für ihn Beiträge zur Angestelltenversicherung (AnV) entrichtet. Von 1933 an war er beim Reichsarbeitsdienst. 1938 wurde er zum Beamten auf Lebenszeit ernannt. Nach dem Zusammenbruch war er vom 11. Oktober 1948 bis 16. Mai 1958 Facharbeiter bei der Z F AG. Während dieser Zeit wurden für ihn Beiträge zur Arbeiterrentenversicherung (ArV) abgeführt. Vom 19. Mai 1958 an war der Versicherte beim A in Sch-G als Sachbearbeiter beschäftigt. Beiträge zur AnV wurden für ihn für die Zeit vom 19. Mai 1958 bis 31. Dezember 1964 entrichtet. Nach der Bescheinigung des Regierungspräsidiums N vom 11. Juni 1963 hatte er bis zum 30. September 1961 den Rechtsstand eines Beamten zur Wiederverwendung nach dem Gesetz zur Regelung der unter Art. 131 des Grundgesetzes (GG) fallenden Personen (G 131) idF vom 21. August 1961. Mit Ablauf des 30. September 1961 wurde er in den Ruhestand versetzt.

Mit Bescheid vom 12. Juli 1965 befreite die Beklagte einmal den Versicherten antragsgemäß ab 20. Juni 1963 von der Versicherungspflicht nach § 7 Abs. 1 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG). Außerdem beanstandete sie in dem genannten Bescheid die in der Zeit vom 19. Mai 1958 bis 30. September 1961 entrichteten Beiträge als unwirksam, weil der Versicherte als Beamter zur Wiederverwendung nach § 73 Abs. 1 und 4 G 131 kraft Gesetzes versicherungsfrei gewesen sei; eine Rückzahlung von Beiträgen lehnte sie insoweit ab, weil dem Versicherten 1962 ein Heilverfahren bewilligt worden war. Im übrigen wurden dem Versicherten in der Folgezeit die Arbeitnehmeranteile der für die Zeit vom 20. Juni 1963 bis 31. Dezember 1964 geleisteten Versicherungsbeiträge zurückgezahlt. Dagegen unterblieb eine Erstattung von Beiträgen für die Zeit vom 1. Oktober 1961 bis 19. Juni 1963.

Gegen den Bescheid vom 12. Juli 1965 legte der Versicherte Widerspruch ein, mit dem er ua geltend machte, die Beiträge für die Zeit vom 19. Mai 1958 bis 30. September 1961 könnten nicht nachträglich für unwirksam erklärt werden; dies würde für ihn eine unbillige Härte bedeuten.

Die Beklagte wies den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 31. Januar 1966 unter Berufung auf die bereits vorgebrachten Gründe zurück. Die in dem strittigen Zeitraum entrichteten Beiträge könnten insbesondere auch nicht nach § 144 AVG als zur freiwilligen Weiterversicherung in der AnV entrichtet angesehen werden, weil der Versicherte im Mai 1958 lediglich in der ArV zur freiwilligen Weiterversicherung berechtigt gewesen sei.

Daraufhin erhob der Versicherte fristgerecht Klage zum Sozialgericht (SG) Stuttgart und beantragte, die Beklagte zu verurteilen, die Beiträge vom 19. Mai 1958 bis 30. September 1961 als freiwillige Beiträge zur AnV anzuerkennen. Zur Begründung trug er vor, im Mai 1958 habe er keine Entscheidungsmöglichkeit gehabt, bei welchem Versicherungsträger er sich freiwillig hätte weiterversichern können, da er damals pflichtversichert gewesen sei und diese Pflichtversicherung in der AnV auch von der Beklagten als richtig anerkannt worden sei. Deshalb müßten die von ihm in dem strittigen Zeitraum entrichteten AnV-Beiträge als freiwillige angesehen werden. Im übrigen hätte er die Voraussetzungen für eine freiwillige Weiterversicherung bei der Landesversicherungsanstalt (LVA) W erfüllt, da er von 1948 bis 1958 insgesamt 109 Pflichtbeiträge zur ArV entrichtet habe. Es sei unverständlich, daß er die Voraussetzungen für die freiwillige Weiterversicherung auch noch bei der Beklagten erfüllen müsse.

Durch Urteil vom 14. Juli 1966 wies das SG die Klage ab, und zwar im wesentlichen mit der Begründung, die Beklagte habe die in der Zeit vom 19. Mai 1958 bis 30. September 1961 entrichteten Beiträge zur AnV zu Recht für unwirksam erklärt. Eine Rückzahlung dieser Beiträge könne nicht erfolgen, da eine Regelleistung gewährt worden sei. Darüber hinaus habe der Kläger auf eine Rückerstattung dieser Beiträge verzichtet. Weitere Wirkungen hätten sie vorerst nicht. Zwar könnten irrtümlich entrichtete Pflichtbeiträge unter den Voraussetzungen des § 144 AVG als freiwillige angesehen werden. Der Versicherte sei aber im Mai 1958 lediglich zur freiwilligen Weiterversicherung in der ArV berechtigt gewesen. Die Beiträge könnten daher allenfalls als freiwillige Beiträge bei der ArV verbleiben. Dies setze jedoch einen entsprechenden Antrag des Versicherten und die Zustimmung der LVA W voraus.

Hiergegen hat der Versicherte am 11. Oktober 1966 zur Niederschrift des Urkundsbeamten des Sozialgerichts Stuttgart Berufung eingelegt. Am 15. Dezember 1966 ist er gestorben. Daraufhin hat seine Ehefrau, die jetzige Klägerin, das Verfahren aufgenommen. Sie bezieht von der Beklagten aufgrund des Bescheides vom 20. Juli 1967 Witwenrente. Bei der Rentenberechnung ist die umstrittene Zeit vom 19. Mai 1958 bis 30. September 1961 nicht berücksichtigt.

Die Klägerin hat beantragt,

das Urteil des SG Stuttgart vom 14. Juli 1966 aufzuheben und unter Aufhebung des Bescheides der Beklagten vom 12. Juli 1965 idF des Widerspruchsbescheides vom 31. Januar 1966 festzustellen, daß die in der Zeit vom 19. Mai 1958 bis 30. September 1961 entrichteten Beiträge als für die freiwillige Weiterversicherung entrichtet gelten, wenn nicht bei der Beklagten, dann bei der Beigeladenen,

hilfsweise,

festzustellen, daß die in der Zeit vom 19. Mai 1958 bis 30. September 1961 zur AnV entrichteten Beiträge von der Beklagten an die beigeladene LVA W zu überweisen sind, um dort als freiwillige Beiträge zu gelten.

Die Beklagte und die Beigeladene haben beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg hat durch Urteil vom 23. September 1969 das Urteil des SG Stuttgart vom 14. Juli 1966 und den Bescheid vom 12. Juli 1965 idF des Widerspruchsbescheides vom 31. Januar 1966 abgeändert und einmal die Beklagte verurteilt, die für den Versicherten vom 19. Mai 1958 bis 30. September 1961 zu Unrecht entrichteten Pflichtbeiträge an die beigeladene LVA als freiwillige Beiträge nach § 143 Abs. 3 AVG zu überweisen, ferner sodann die Beigeladene, diese Beiträge entgegenzunehmen. Das LSG ist der Auffassung, die Klägerin trage unter Berufung auf die §§ 143 Abs. 3, 144 AVG vor, die in der Zeit vom 19. Mai 1968 bis 30. September 1961 zur AnV geleisteten Pflichtbeiträge müßten als fehlentrichtete freiwillige Beiträge behandelt werden. Obwohl sie ihr Klagebegehren in die Form eines Hauptantrags auf Feststellung und eines Hilfsantrags auf Leistung gekleidet habe, mache sie in Wirklichkeit nur diesen einen Anspruch geltend. Er werde durch die Überweisung und Annahme der umstrittenen Beiträge (§ 143 Abs. 3 Satz 1 AVG) verwirklicht; denn diese Maßnahmen hätten alsdann die Fiktion des § 143 Abs. 3 S. 2 AVG zur Folge. Die Anträge der Klägerin seien daher entsprechend auszulegen (§ 123 SGG).

Die umstrittenen Beiträge müßten als für die Weiterversicherung entrichtet im Sinne des § 144 AVG gelten, obwohl in der Zeit ihrer Entrichtung nur ein Recht des Versicherten auf freiwillige Versicherung in der ArV bestanden habe. Zwar betreffe § 144 AVG nach seinem Wortlaut in erster Linie Fälle, in denen nur eine falsche Beitragsart (Pflichtbeiträge anstelle freiwilliger Beiträge) gewählt worden sei, das Recht zur Weiterversicherung aber in dem betreffenden Versicherungszweig bestanden habe. Dem § 143 Abs. 3 AVG - insbesondere in der Fassung des Rentenversicherungs-Änderungsgesetzes (RVÄndG) vom 9. Juni 1965 (BGBl I 476) - sei jedoch zu entnehmen, daß nach dem Willen des Gesetzgebers die Wahl eines falschen Versicherungszweiges bei der Entrichtung freiwilliger Beiträge dem Versicherten nicht schaden solle. Nach dieser Vorschrift seien freiwillige Beiträge, die zur AnV entrichtet sind, obwohl die Weiterversicherung nicht in diesem Versicherungszweig zulässig ist, zu beanstanden und dem zuständigen Versicherungszweig zu überweisen; sie hätten danach als zu Recht entrichtete Beiträge dieses Versicherungszweiges zu gelten. Hierin habe der Gedanke der Einheitlichkeit der Versicherungszweige seinen Ausdruck gefunden. Nach dem Sinn und Zweck des Gesetzes müsse die Fiktion des § 144 AVG deshalb auch dann eingreifen, wenn das Recht zur Weiterversicherung nur in dem anderen Versicherungszweig bestanden habe. Dies müsse zumindest dann gelten, wenn für den Versicherten gar keine Möglichkeit bestanden habe, die Beiträge als freiwillige Beiträge zum richtigen Versicherungszweig zu entrichten. Ein solcher Sachverhalt liege hier vor. Bis zu dem Bescheid vom 18. Februar 1962 über den Rechtsstand des Versicherten hätten für ihn kraft gesetzlicher Vorschrift Pflichtbeiträge zur AnV entrichtet werden müssen. Erst nachträglich seien diese Beiträge auf Grund der Vorschriften des G 131 zu irrtümlich geleisteten Beiträgen geworden.

Aus dem G 131 ergebe sich im übrigen kein Hinweis dafür, daß Versicherungsbeiträge, die für unter dieses Gesetz fallende Personen geleistet worden seien, bei nachträglich festgestellter Versicherungsfreiheit ungünstiger als nach den allgemeinen Vorschriften behandelt werden sollten. Vielmehr sei in § 74 Abs. 3 G 131 sogar bestimmt, daß in der Zeit vom 8. Mai 1945 bis 31. März 1951 entrichtete Beiträge, die nicht zurückgefordert würden, ohne weitere Voraussetzungen als freiwillige Beiträge zu gelten hätten. Die im vorliegenden Falle zur Anwendung gekommene Regelung des § 72 a Abs. 1 Satz 6 G 131, wonach Beiträge, aus denen eine Regelleistung gewährt worden sei, nicht erstattet bzw. zurückgezahlt würden, entspreche § 146 Abs. 3 AVG. Eine Einschränkung dahin, daß solche nicht zurückforderbaren Beiträge für den Versicherten verloren sein sollten, sei dem G 131 nicht zu entnehmen (vgl. auch Anders, Gesetz zu Art. 131 GG, 4. Auflage 1959 S 376).

Die Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) vom 26. Mai 1964 - 12/4 RJ 138/61 -, Die Praxis 1964, 450) spreche nicht dagegen. Dort sei zwar ausgeführt, Beiträge die in der irrtümlichen Annahme der Versicherungspflicht zur AnV entrichtet worden seien, könnten allenfalls als freiwillige Beiträge in dieser und nicht in der ArV gelten. Grundlage für diese Entscheidung seien aber die Vorschriften des früheren Rechts gewesen (§ 1446 RVO aF, § 190 AVG aF); das BSG habe ausdrücklich offengelassen, ob dem neuen Recht entgegen den früher geltenden Vorschriften der Grundgedanke zu entnehmen sei, daß Irrtümer sowohl im Versicherungszweig als auch in der Beitragsart unschädlich sein sollen. Gerade dies aber hätten die Neuregelungsgesetze von 1957 und insbesondere das RVÄndG 1965 erreichen wollen.

Die als freiwillig entrichtet geltenden Beiträge habe die Beklagte somit nach § 143 Abs. 3 Satz 1 AVG an die Beigeladene als Trägerin des Versicherungszweiges zu überweisen, in dem die freiwillige Weiterversicherung des Versicherten zulässig gewesen sei. Die Beigeladene habe, was sie bisher verweigert habe, die Beiträge anzunehmen. Die Beiträge hätten danach als zu Recht entrichtete Beiträge der ArV zu gelten (§ 143 Abs. 3 S. 2 AVG).

Das LSG hat in seinem Urteil die Revision nach § 162 Abs. 1 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zugelassen. Die Beklagte hat dieses Rechtsmittel eingelegt mit dem Antrage,

das angefochtene Urteil aufzuheben und die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.

Gerügt wird unrichtige Anwendung der §§ 143, 144 AVG.

Die Klägerin beantragt,

die Revision zurückzuweisen,

da das angefochtene Urteil richtig sei.

Die Beigeladene stellt keine Anträge.

Alle Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

II.

Die Revision der Beklagten ist begründet.

Da die streitigen Beiträge, um die es sich hier handelt, in der Zeit vom Mai 1958 bis September 1961 entrichtet worden sind, ist einmal von § 144 AVG idF des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (AnVNG) vom 23. Februar 1957 auszugehen, der am 1. Januar 1957 in Kraft getreten ist (Art. 3 § 7 AnVNG). Außerdem ist § 143 Abs. 3 AVG idF des RVÄndG vom 9. Juni 1965 zu berücksichtigen. Denn nach Art. 5 § 5 Abs. 2 RVÄndG gilt die Neufassung dieses Absatzes auch für vor dem 1. Juli 1965 entrichtete Beiträge, soweit diese, wie hier, noch nicht erstattet worden sind.

Nach § 144 AVG gelten Beiträge zur AnV, die in der irrtümlichen Annahme der Versicherungspflicht entrichtet sind und nicht zurückgefordert werden, als für die Weiterversicherung entrichtet, wenn das Recht dazu in der Zeit der Entrichtung bestand. Nach den Vorstellungen des Gesetzgebers muß dabei das Recht zur Weiterversicherung entsprechend der bisherigen Rechtslage in der AnV bestanden haben, das Recht zur Weiterversicherung in der ArV genügt nicht (vgl. dazu das bereits genannte Urteil - 12/4 RJ 138/61 - vom 27. Mai 1964). Vorschriften über die Wirksamkeit von Beiträgen gelten grundsätzlich nur für den Versicherungszweig, für den sie erlassen sind. Hat das Recht zur Weiterversicherung nur in der ArV bestanden, so können ungültige Pflichtbeiträge zur AnV nicht als gültige freiwillige Beiträge zur AnV gelten, da das Recht zur Weiterversicherung in diesem Versicherungszweig fehlte. Der Sinn des § 144 AVG erfordert nämlich, daß in der irrtümlichen Annahme der Versicherungspflicht entrichtete Beiträge zur AnV nur dann als freiwillige, und zwar rechtswirksame Beiträge zur AnV gelten können, wenn das Recht zur Weiterversicherung gerade in diesem Versicherungszweig bestanden hat. Für eine erweiternde Auslegung dahin, daß die nach § 144 AVG entrichteten Pflichtbeiträge als freiwillige Beiträge zu gelten haben, weil das Recht zur Weiterversicherung in der ArV bestanden hat, wie das LSG meint, besteht - wie noch auszuführen sein wird - selbst für einen Fall der vorliegenden Art kein Raum.

Damit ist jedoch noch nicht die Frage beantwortet, ob die streitigen Beiträge nicht wenigstens als fehlentrichtete Beiträge im Sinne des § 143 Abs. 3 AVG idF des RVÄndG angesehen werden können. Danach sind bei einer Entrichtung von freiwilligen Beiträgen zur AnV, obwohl eine Versicherung in diesem Versicherungszweig nicht zulässig war, die Beiträge unbeschadet des § 145 Abs. 2 Nr. 2 AVG zu beanstanden und dem zuständigen Versicherungszweig zu überweisen, auch wenn der Versicherungsfall bereits eingetreten oder die Frist des § 140 Abs. 1 AVG zur Nachentrichtung von Pflichtbeiträgen oder freiwilligen Beiträgen abgelaufen ist; die Beiträge gelten als zu Recht entrichtete Beiträge dieses Versicherungszweiges, sofern nicht der Versicherte die Beiträge nach § 146 AVG zurückfordert. Diese Vorschrift bezieht sich insbesondere nur auf freiwillige Beiträge zur Weiterversicherung, die vom Versicherten entrichtet worden sind (§ 129 AVG), nicht dagegen auf Pflichtbeiträge, die vom Versicherten und seinem Arbeitgeber gemeinsam aufgebracht und im Wege des Lohnabzugsverfahrens abgeführt sind.

Diese Regelung ist so eindeutig, daß sie selbst unter Berücksichtigung des Gedankens der Einheitlichkeit der verschiedenen Versicherungszweige eine auch auf Pflichtbeiträge ausdehnende Auslegung, wie es die Vorinstanz getan hat, nicht zulässt.

Zu Unrecht hat sich das LSG auf das Urteil des 1. Senats vom 24. Mai 1966 - 1 RA 321/63 - (SozR Nr. 3 zu § 1421 RVO) berufen.

Denn diese Entscheidung bezieht sich nur auf freiwillige Beiträge; in den Gründen ist ausdrücklich hervorgehoben, daß mit der Änderung des § 143 Abs. 3 AVG durch das RVÄndG eine gleiche Behandlung aller zum falschen Versicherungsträger entrichteten freiwilligen Beiträge gewährleistet werden soll. Auf Pflichtbeiträge, um die es sich im gegenwärtigen Fall handelt, erstreckt sich die Entscheidung jedoch nicht. Die Neuregelungsgesetze haben zwar zu einer Vereinheitlichung der Versicherungszweige wesentlich beigetragen, sie haben jedoch auch über den 1. Januar 1957 hinaus der Selbständigkeit der Versicherungszweige Rechnung getragen. Daran hat auch das RVÄndG nichts geändert.

Dies zeigt sich im Beitragsrecht insbesondere darin, daß die Neuregelungsgesetze mit der Vorschrift des § 144 AVG nahezu wörtlich eine bis dahin schon in § 1446 RVO aF iVm § 190 AVG aF bestehende gesetzliche Regelung übernommen haben, die nur aus der Weitergeltung der Selbständigkeit der Versicherungszweige der AnV und ArV verständlich ist. Diese Vorschrift ist auch durch das RVÄndG nicht geändert worden. Nach seinem Wortlaut bezieht sich die Vorschrift des § 144 AVG nur auf Pflichtbeiträge. Bestimmungen über freiwillige Beiträge können auf sie nicht ohne weiteres angewendet werden. Die Vorschrift setzt voraus, daß zur Zeit der Entrichtung der Beiträge das Recht zur Weiterversicherung in der AnV bestanden haben muß. Denn der Gesetzgeber ist bei Erlaß der Neuregelungsgesetze 1957 von dieser Vorstellung ausgegangen, da sie dem bis dahin geltenden Recht entsprach.

Der Wortlaut des § 144 AVG stimmt ebenso wie der Wortlaut des § 1422 RVO mit dem Wortlaut der früheren Vorschrift des § 1446 RVO in der bis zum 31. Dezember 1956 gültigen Fassung (aF) überein, die nach § 190 AVG aF auch in der AnV gegolten hat, wobei nur die Worte "Selbstversicherung oder" ausgelassen sind. Zu den früheren Vorschriften der RVO aF über die Wirksamkeit von Beiträgen war aber anerkannt, daß sie nur für den Versicherungszweig Geltung hatten, für den sie erlassen waren, so daß § 1446 RVO aF das Recht zur Weiterversicherung in der ArV und § 190 AVG aF iVm § 1446 RVO aF das Recht zur Weiterversicherung in der AnV zur Zeit der Entrichtung der Beiträge voraussetzten. Dagegen genügte es nicht, daß das Recht zur Weiterversicherung nur in dem anderen Versicherungszweig bestanden hat (vgl. hierzu Urteil des 12. Senats des BSG vom 26. Mai 1964 - 12/4 RJ 138/61 - SozEntsch. V § 1446 RVO Nr. 4). Da die Neuregelungsgesetze mit den Vorschriften des § 1422 RVO und des § 144 AVG, wie die in der hier entscheidenden Formulierung wörtliche Übernahme der bisherigen Regelung zeigt, an dem bestehenden Rechtszustand grundsätzlich nichts haben ändern wollen, entspricht es jedenfalls der Vorstellung des Gesetzgebers der Neuregelungsgesetze 1957, daß auch § 144 AVG das Recht zur Weiterversicherung in der AnV zur Zeit der Entrichtung der Pflichtbeiträge voraussetzt. Hat, wie in dem gegenwärtigen Fall zur Zeit der Entrichtung der Pflichtbeiträge zur AnV das Recht zur Weiterversicherung nur in der ArV bestanden, so läßt sich aus dem Wortlaut des § 144 AVG jedenfalls nicht herleiten, daß die Beiträge als für die Weiterversicherung in der AnV entrichtet gelten. In Betracht käme nur, ob die Pflichtbeiträge als für die Weiterversicherung in der ArV zu gelten haben. Aber auch hierfür bietet das Gesetz keine Handhabe.

Ob das Recht zur Weiterversicherung in der Zeit der Entrichtung der Pflichtbeiträge bestanden hat, richtet sich nach § 10 AVG. Diese Vorschrift sieht in Abs. 3 vor, daß der Versicherte die Weiterversicherung nur in dem Versicherungszweig durchführen kann, in dem er zuletzt versicherungspflichtig war, wenn er die Voraussetzungen für die Weiterversicherung sowohl in der AnV als auch in der ArV erfüllt. Diese Regelung zeigt besonders deutlich, daß auch die Neuregelungsgesetze bezüglich des Rechts zur Weiterversicherung grundsätzlich nicht von einer Einheit der Versicherungszweige, sondern von der Selbständigkeit mehrerer nebeneinander bestehender Versicherungszweige ausgehen. Hierfür spricht auch die frühere Regelung in § 143 Abs. 3 idF des ArVNG, die eine Korrektur irrtümlich zum unrichtigen Versicherungszweig entrichteter freiwilliger Beiträge nur dann zuließ, wenn es sich um einen echten Wanderversicherten handelte. Die Vorschriften des RVÄndG haben - wie bereits dargelegt - dem Gesichtspunkt der Vereinheitlichung der Versicherungsträger nur in gewissen Grenzen Geltung verschafft. Zwar ist durch das RVÄndG nicht nur die Vorschrift des § 143 Abs. 3 AVG (=§ 1421 Abs. 3 RVO) dahin geändert worden, daß sie sich nicht mehr nur auf echte Wanderversicherte erstreckt, sondern auch diejenigen Versicherten schützt, die Pflichtbeiträge nur zu einem Versicherungsträger nachweisen können (Urteil des 1. Senats des BSG vom 24. Mai 1966 - SozR Nr. 3 zu § 1421 RVO). Durch das RVÄndG ist auch die Vorschrift des § 131 AVG (§ 1409 RVO) durch Einfügung des Satzes 2 in Abs. 1 geändert worden. Danach gilt der Beitrag als zur AnV entrichtet, wenn Beitragsmarken der ArV in eine Versicherungskarte der AnV eingeklebt worden sind. Nach § 1409 Abs. 1 Satz 2 RVO gilt umgekehrt der Beitrag als zur ArV entrichtet, wenn Beitragsmarken der AnV in eine Versicherungskarte der ArV eingeklebt worden sind. Während § 143 Abs. 3 AVG, § 1421 Abs. 3 RVO sich nur auf freiwillige Beiträge beziehen, kommen die Vorschriften des § 131 Abs. 1 Satz 2 AVG und des § 1409 Abs. 1 Satz 2 RVO auch auf Pflichtbeiträge zur Anwendung, die der Versicherte gemäß §§ 127 Abs. 1, 120 AVG und gemäß §§ 1405 Abs. 1, 1398 RVO selbst zu entrichten hat. Das Gesetz hat aber mit diesen Vorschriften bewußt nur besonders gelagerte Fälle regeln und für die Versicherten nur solche versicherungsrechtlichen Nachteile ausräumen wollen, die ihnen daraus entstehen können, daß sie gerade die Selbständigkeit der Versicherungszweige in der AnV und in der ArV nicht hinreichend berücksichtigt haben (vgl. Komm. zur RVO 4. und 5. Buch, 6. Aufl., herausgegeben vom Verband Deutscher Rentenversicherungsträger, § 1409 Anm. 6 a. E.). Es sind nur die Fälle betroffen, in denen der Versicherte selbst die Beiträge durch Verwendung von Beitragsmarken entrichtet hat und ihm dabei ein Fehler unterlaufen ist. Damit hat das Gesetz aber keinen weiteren Schritt zur allgemeinen Anerkennung des Grundsatzes von der Einheitlichkeit der Versicherungszweige getan. Im Gegenteil, das Gesetz hat durch diese Regelungen im Beitragsrecht nur in besonders gelagerten Einzelfällen Nachteile mildern wollen, die sich aus der vom Gesetz auch weiterhin anerkannten und deshalb fortgeltenden Selbständigkeit der Versicherungszweige für den Versicherten ergeben können.

Zu beachten bleibt ferner, daß der Gesetzgeber die sich aus der früheren Beschränkung des § 143 Abs. 3 AVG idF des AnVNG auf echte Wanderversicherte ergebenden nachteiligen Folgen für andere Versicherte durch eine Änderung durch das RVÄndG beseitigt hat. Auch das RVÄndG hat aber die dieser Vorschrift unmittelbar folgende Bestimmung des § 144 AVG unverändert bestehen lassen. Hätte das Gesetz eine Regelung dahin gewollt, daß irrtümlich entrichtete Pflichtbeiträge als für die Weiterversicherung entrichtet gelten, wenn das Recht dazu in der Zeit der Entrichtung zu einem anderen Versicherungszweig bestanden hat, so hätte eine entsprechende Änderung auch des § 144 AVG in diesem Sinne nahegelegen, Daraus, daß eine so weitgehende Anerkennung von irrtümlich entrichteten Pflichtbeiträgen als für die Weiterversicherung entrichtet nicht anläßlich der Änderung der §§ 131 Abs. 1, 143 Abs. 3 AVG geschehen ist, kann nur ebenfalls geschlossen werden, daß das Gesetz es für irrtümlich entrichtete Pflichtbeiträge bei der bisherigen schon vor dem 1. Januar 1957 geltenden Regelung bewußt belassen hat.

Schließlich muß dies auch den besonderen im G 131 getroffenen Bestimmungen entnommen werden. Dort ist in § 74 Abs. 3 G 131 vorgeschrieben, daß die in der Zeit vom 8. Mai 1945 bis 31. März 1951 entrichteten Beiträge, die nicht zurückgefordert werden, ohne weitere Voraussetzungen als freiwillige Beiträge gelten. Aus dieser ausdrücklich vorgesehenen zeitlichen Begrenzung folgt, daß in allen übrigen Fällen Pflichtbeiträge nur unter den besonderen Voraussetzungen der RVO und des AVG als freiwillige Beiträge gelten sollen, in der AnV also nur dann, wenn die Voraussetzungen des § 144 AVG erfüllt sind.

Mithin muß die Revision der Beklagten den aus der Urteilsformel ersichtlichen Erfolg haben. Die für die Zeit vom 19. Mai 1958 bis 30. September 1961 entrichteten Pflichtbeiträge können weder als gültige freiwillige Beiträge in der AnV oder in der ArV gelten, noch ist es möglich, auf sie die Vorschrift des § 143 Abs. 3 AVG anzuwenden. Der erhobene Klageanspruch ist unter keinem der geltend gemachten Gesichtspunkte begründet.

 

Fundstellen

BSGE, 198

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