Entscheidungsstichwort (Thema)

Verwaltungsakt. Gleichgeordneter

 

Leitsatz (amtlich)

Bei einem Streit zwischen einem Unfallversicherungsträger, der als Rehabilitationsträger Beiträge zur KV und RV eines Versicherten aufgrund von Übergangsgeldzahlungen getragen hat, und einer KK als Einzugsstelle über die Erstattung dieser Beiträge, ist der Versicherte notwendig beizuladen, wenn dadurch auch der Fortbestand des Kranken- und Rentenversicherungsverhältnisses des Versicherten während der Zeit der Übergangsgeldzahlungen berührt wird.

 

Orientierungssatz

Eine Krankenkasse ist gegenüber einem anderen Versicherungsträger (Rehabilitationsträger) berechtigt, einen Verwaltungsakt (Beitragsanforderung) zu erlassen. Sie ist durch Gesetz hierzu besonders beauftragt und im Rahmen dieses Auftrages als Einzugsstelle aufgrund ihrer auch gegenüber dem anderen Versicherungsträger übergeordneten Stellung tätig geworden.

 

Normenkette

SGG § 54 Abs. 1 Fassung: 1953-09-03, Abs. 4 Fassung: 1953-09-03, Abs. 5 Fassung: 1953-09-03, § 75 Abs. 2 Fassung: 1953-09-03, § 106 Abs. 1 Fassung: 1953-09-03; RVO § 165 Abs. 1 Nr. 2 Fassung: 1945-03-17, § 306 Abs. 1 Fassung: 1956-06-12, § 311 S. 1 Nr. 3 Fassung: 1974-08-07, § 381 Abs. 3a Nr. 2 Fassung: 1974-08-07; AVG § 2 Abs. 1 Nr. 10a Buchst. c Fassung: 1974-08-07, § 27 Abs. 1 Buchst. a Fassung: 1960-02-25, § 112 Abs. 4 Buchst. h Fassung: 1974-08-07, § 121 Abs. 2 S. 3 Fassung: 1965-06-09, Abs. 6 Fassung: 1974-08-07; RVO § 1227 Abs. 1 S. 1 Nr. 8a Buchst. c Fassung: 1974-08-07, § 1250 Abs. 1 Buchst. a Fassung: 1960-02-25, § 1385 Abs. 4 Buchst. g Fassung: 1974-08-07, § 1399 Abs. 2 S. 3 Fassung: 1965-06-09, Abs. 6 Fassung: 1974-08-07

 

Verfahrensgang

SG Mannheim (Entscheidung vom 06.10.1976; Aktenzeichen S 7 Kr 2098/75)

 

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 6. Oktober 1976 aufgehoben.

Der Rechtsstreit wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht Baden-Württemberg zurückverwiesen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte der Klägerin die von dieser als Rehabilitationsträger aufgrund von Übergangsgeldzahlungen getragenen Beiträge zur Kranken- und Angestelltenversicherung der Versicherten F (F.) zurückzuzahlen hat, nachdem die Klägerin der Versicherten F. rückwirkend eine Vollrente aus der Unfallversicherung gewährt.

Die Klägerin gewährte der Versicherten F. wegen der Folgen eines Arbeitsunfalls vom 9. Mai 1974 Maßnahmen der Rehabilitation und Übergangsgeld. Sie entrichtete als Rehabilitationsträger wegen der Übergangsgeldzahlungen aufgrund von Beitragsanforderungen vom 31. Januar, 4. März und 20. Juni 1975 an die Beklagte für die Zeit vom 1. Oktober 1974 bis zum 28. Februar 1975 Beiträge zur Kranken- und Angestelltenversicherung der F. mit insgesamt 510,38 DM. Nachträglich bewilligte die Klägerin der F. rückwirkend vom 9. Mai 1974 an Vollrente aus der Unfallversicherung; außerdem bewilligte die Beigeladene der F. rückwirkend ab 1. Juni 1974 Rente wegen Erwerbsunfähigkeit. Das der F. gezahlte Übergangsgeld verrechnete die Klägerin mit der Rentennachzahlung an die F. Die Klägerin forderte alsdann von der Beklagten die von ihr entrichteten Beiträge als zu Unrecht entrichtet zurück, da mit der rückwirkenden Rentenbewilligung der frühere Anspruch der F. auf Übergangsgeld nachträglich weggefallen und sie daher nicht beitragspflichtig sei. Die Beklagte verweigerte die Rückzahlung der Beiträge.

Das Sozialgericht (SG) Mannheim hat die Klage auf Rückzahlung der Beiträge abgewiesen. Auf die Widerklage der Beklagten hat es die Klägerin verurteilt, für die Zeit des Übergangsgeldbezugs der Versicherten F. vom 1. März bis 18. April 1975 die darauf entfallenden Sozialversicherungsbeiträge mit 164,74 DM an die Beklagte zu zahlen. Das SG hat die Revision zugelassen (Urteil vom 6. Oktober 1976).

Die Klägerin hat gegen dieses Urteil Sprungrevision eingelegt, der die Beklagte telegrafisch zugestimmt hat. Sie rügt eine Verletzung des § 381 Abs 3a Nr 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO) und des § 2 Abs 1 Nr 10a Buchst c des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG).

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des SG aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr die zur Kranken- und Angestelltenversicherung der F. für die Zeit vom 1. Oktober 1974 bis 28. Februar 1975 gezahlten Beiträge zurückzuzahlen sowie die Widerklage der Beklagten abzuweisen,

hilfsweise,

das Urteil des SG aufzuheben und den Rechtsstreit zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das SG zurückzuverweisen.

Die Beklagte und die Beigeladene beantragen,

die Sprungrevision der Klägerin zurückzuweisen.

Die Beteiligten sind damit einverstanden, daß der Senat nach § 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheidet.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Klägerin ist begründet. Das angefochtene Urteil des SG ist aufzuheben. Der Rechtsstreit ist zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg zurückzuverweisen.

Das SG hat die Versicherte F. in diesem Rechtsstreit nicht notwendig beigeladen (§ 75 Abs 2 SGG). Das war aber in dem Beitragserstattungsstreit der Beteiligten, der sich auch auf das Kranken- und Rentenversicherungsverhältnis der Versicherten F. auswirkt, erforderlich. Nach dem Beschluß des Bundessozialgerichts (BSG) vom 12. März 1974 - 2 S 1/74 - ist das Unterlassen einer notwendigen Beiladung nach § 75 Abs 2, 1. Alternative SGG bei einer zulässigen Revision von Amts wegen als Verfahrensmangel zu beachten (SozR 1500 § 75 Nr 1). Eine solche Beiladung ist notwendig, wenn die in einem Rechtsstreit zu erwartende Entscheidung über das Rechtsverhältnis zugleich in die Rechtssphäre eines Dritten unmittelbar eingreift (BSGE 11, 262 = SozR Nr 17 zu § 75 SGG). Wie der erkennende Senat bereits mehrfach entschieden hat, ist der Versicherte jedenfalls dann nach § 75 Abs 2 SGG notwendig beizuladen, wenn von dem Streit der Beteiligten sein Versicherungsverhältnis mit betroffen wird (vgl Urteil vom 16. Dezember 1976 - 12/3/12 RK 23/74, Breith. 1977, 846 = USK 76212; Urteile vom 27. Januar 1977 - 12/3 RK 90/75, USK 7727; - 12 RK 8/76, USK 7727; Urteile vom 23. Februar 1977 - 12/3 RK 30/75 USK 7739; - 12 RK 14/76, USK 7736 = DAngVers 1977, 297; Urteil vom 28. April 1977 - 12 RK 30/76, USK 7743 = SozSich 1977, 338).

Nach § 381 Abs 3a Nr 2 RVO hat der das Übergangsgeld gewährende Rehabilitationsträger - hier die Klägerin - die Beiträge zur Krankenversicherung zu tragen "für die übrigen Versicherten, die Übergangsgeld beziehen, das nicht nach den Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes berechnet ist, vom Beginn der 7. Woche des Bezugs von Übergangsgeld an". Die ursprünglich in der Krankenversicherung als Mitglied der Beklagten versicherte Angestellte F. (§§ 165 Abs 1 Nr 2, 306 Abs 1 RVO) blieb während der von der Klägerin gewährten Rehabilitationsmaßnahmen deshalb Mitglied der Beklagten, weil sie von der Klägerin als Rehabilitationsträger Übergangsgeld bezog. Das Versicherungsverhältnis der F. zur Krankenversicherung bestand also in der Zeit, in der sie von der Klägerin Übergangsgeld bezog, fort. Die mit diesem Versicherungsverhältnis verbundenen Krankenversicherungsbeiträge hatte allein die Klägerin nach § 381 Abs 3a Nr 2 RVO zu tragen. F. war, solange sie Übergangsgeld bezog, zwar weiterhin in der Krankenversicherung versichert, jedoch nicht verpflichtet, die Krankenversicherungsbeiträge anteilig mit zu tragen. Falls die Beklagte, wie dies die Klägerin begehrt, die von ihr getragenen Krankenversicherungsbeiträge zu erstatten hätte, weil das Übergangsgeld zu Unrecht gezahlt worden war, würde sich dies zwangsläufig auch auf das Versicherungs- und Mitgliedschaftsverhältnis der F. zur Beklagten auswirken. Damit würde in die Rechtssphäre der F. unmittelbar eingegriffen.

Ebenso wäre es, falls die Beklagte der Klägerin die von dieser getragenen Beiträge zur Angestelltenversicherung der F. zu erstatten hätte. F. war nach § 2 Abs 1 Nr 10a Buchst c AVG als Person, der "ein sonstiger Träger der Rehabilitation mindestens einen Kalendermonat Übergangsgeld zahlt, für die Zeit des Bezugs von Übergangsgeld" in der Angestelltenversicherung versicherungspflichtig. Die mit dieser Versicherungspflicht verbundenen Pflichtbeiträge zur Angestelltenversicherung hatte die Klägerin als Rehabilitationsträger nach § 112 Abs 4 Buchst h AVG zugunsten der F. allein zu tragen. Diese wirksam entrichteten Beiträge zur Angestelltenversicherung, durch die F. Beitragszeiten erlangt hatte (§ 27 Abs 1 Buchst a AVG), würden der F. verlorengehen, falls die Beiträge der Klägerin zu erstatten wären. Auch insoweit würde in die Rechtssphäre der F. unmittelbar eingegriffen.

Daraus folgt, daß die Entscheidung gegenüber der Klägerin und der Versicherten F. nur einheitlich ergehen kann. Daher ist die Beiladung der Versicherten F. notwendig. Dies nachzuholen wird Sache des LSG Baden-Württemberg sein, an das der Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen wird (§ 170 Abs 2 Satz 2, Abs 4 SGG). F. wird so Gelegenheit haben, sich zur Sache zu äußern.

Da das Urteil des SG mit den ihm zugrunde liegenden Feststellungen wegen der fehlenden notwendigen Beiladung der F. ohnehin aufzuheben ist, kann offen bleiben, ob die von der Klägerin mit der Revision erhobene Verfahrensrüge durchgreift, das SG habe das Gesamtergebnis des Verfahrens nicht hinreichend beachtet und deshalb § 128 Abs 1 Satz 1 SGG verletzt.

Nach der notwendigen Beiladung der F. wird das LSG nicht umhin kommen können, vor seiner Entscheidung folgendes mit zu erwägen:

Die Beklagte hat der Klägerin Beitragsbescheide vom 31. Januar, 4. März und 20. Juni 1975 erteilt, die die Klägerin durch Beitragszahlung erfüllt und nicht ausdrücklich mit der Klage angefochten hat (§ 54 Abs 1 SGG). Sie hat sich vielmehr nach der Fassung ihres Antrags auf eine Leistungsklage (§ 54 Abs 5 SGG) beschränkt. Sachdienlich wäre es, einer verbundenen Aufhebungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 und 4 SGG) entsprechende Anträge herbeizuführen (§ 106 Abs 1 SGG) und über eine solche Klage zu entscheiden. Die Beklagte war, wenngleich sie sonst als Versicherungsträger dieselbe Rechtsstellung wie die Klägerin hat und insoweit dieser gleichgeordnet ist, berechtigt, gegenüber der Klägerin Verwaltungsakte (Beitragsanforderungen) zu erlassen. Sie ist nämlich durch Gesetz hierzu besonders beauftragt und im Rahmen dieses Auftrags als Einzugsstelle aufgrund ihrer auch gegenüber der Klägerin übergeordneten Stellung tätig geworden (§ 121 AVG). Es wird insoweit auf die Rechtsprechung des Senats in seinen Urteilen vom heutigen Tage - 12 RK 17/76 und 12 RK 29/77 -, die zur Veröffentlichung bestimmt sind, verwiesen.

Die Entscheidung über die Kosten (§ 197 Abs 1 und 4 SGG) bleibt der das Verfahren abschließenden Entscheidung vorbehalten.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1654169

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