Entscheidungsstichwort (Thema)

Maßgebliches Insolvenzereignis. Anforderungen an die Rüge eines Verfahrensmangels

 

Leitsatz (amtlich)

Wenn bereits vor dem 1974-07-20 die Eröffnung des Konkursverfahrens mangels Masse abgelehnt und nach dem 1974-07-20 der Konkurs eröffnet worden ist, dann kann die Konkurseröffnung der für die Gewährung von Konkursausfallgeld maßgebliche Tatbestand nur sein, wenn sich die wirtschaftlichen Verhältnisse des Gemeinschuldners seit dem ersten Konkursantrag so verbessert hatten, daß die damals vorliegende Insolvenz beseitigt war und erst durch spätere Ereignisse die Eröffnung des Konkursverfahrens möglich wurde (Anschluß an BSG 1975-12-17 7 RAr 17/75 = SozR 4100 § 141b Nr 1).

 

Orientierungssatz

1. Konkursausfallgeld kann nur für solche Insolvenzfälle gewährt werden, bei denen die Insolvenz erstmalig nach dem 1974-07-19, also ab 1974-07-20 aufgetreten ist (Anschluß an BSG 1975-12-17 7 RAr 17/75 = SozR 4100 § 141b Nr 1).

2. Bei einer Ermittlungsrüge, die sich auf SGG § 103 stützt, ist es erforderlich darzulegen, welche besonderen Umstände für das LSG auf der Grundlage seiner Rechtsauffassung Veranlassung geben mußten, weitere Ermittlungen anzustellen, welche Ermittlungen es hätte anstellen sollen und zu welchen Ergebnissen diese Ermittlungen geführt hätten (vgl BSG, Beschluß vom 1957-09-26 4 RJ 214/56 = SozR Nr 28 zu § 164 SGG ständige Rechtsprechung.

 

Normenkette

AFG § 141b Abs. 3 Fassung: 1974-07-17; AFGÄndG 3 Art. 3 § 1 Fassung: 1974-07-17; KO § 102; GmbHG § 63; SGG §§ 103, 164 Abs. 2 S. 3

 

Verfahrensgang

LSG Baden-Württemberg (Entscheidung vom 15.02.1977; Aktenzeichen L 5 Ar 760/76)

SG Karlsruhe (Entscheidung vom 11.03.1976; Aktenzeichen S 12 Ar 251/76)

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 15. Februar 1977 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Die Beklagten streiten darüber, ob die der Ablehnung eines Antrags auf Eröffnung des Konkursverfahrens mangels Masse später nachfolgende Konkurseröffnung den für die Gewährung von Konkursausfallgeld (Kaug) maßgeblichen Insolvenztatbestand darstellt.

Der Kläger arbeitete bei der L P und B (L.) in Wiesbaden als Architekt. Mit Schreiben vom 4. April 1974 kündigte ihm seine Arbeitgeberin zum 30. September 1974 wegen wirtschaftlicher Schwierigkeiten. Schon vorher, am 29. März 1974 hatten die Geschäftsführer beim Amtsgericht Wiesbaden die Eröffnung des Konkursverfahrens mit der Begründung beantragt, die Gesellschaft sei überschuldet; Gelder zur Bezahlung der laufenden Miete sowie der Gehälter und Löhne sei nicht vorhanden; ein Massekostenvorschuß könne nicht geleistet werden. Das Amtsgericht lehnte den Antrag auf Eröffnung des Konkursverfahrens mangels Masse ab (Beschluß vom 10. Mai 1974). Später, am 30. August 1974, wurde dann doch das Konkursverfahren eröffnet, weil angenommen wurde, daß Forderungen der L. gegen die I (I.) von ca 11 Millionen DM vorhanden seien, denen Gegenansprüche in Höhe von maximal 7,5 Millionen DM gegenüberstünden.

Mit Antrag vom 10. Oktober 1974 beantragte der Kläger die Zahlung von Kaug für Lohnforderungen aus der Zeit vom 29. Mai 1974 bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Dieser Antrag wurde abgelehnt (Bescheid vom 27. Oktober 1975). Der Widerspruch blieb ohne Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 8. Januar 1976). Die Beklagte war der Auffassung, daß Ansprüche auf Kaug nicht entstehen konnten, weil nach Art 3 § 1 des Gesetzes über Kaug vom 17. Juli 1974 (BGBl I, 1481) iVm 141b Abs 3 des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) Leistungen nur für Fälle vorgesehen seien, in denen die Insolvenz erstmalig nach dem Inkrafttreten des Gesetzes über Kaug (20. Juli 1974) eingetreten sei. Im vorliegenden Fall sei aber bereits im Frühjahr 1974 die Konkurseröffnung mangels Masse abgelehnt worden und die Zahlungsunfähigkeit sei seitdem nicht behoben worden.

Das Sozialgericht (SG) hat die angefochtenen Bescheide aufgehoben und die Beklagte zur Leistung von Kaug verurteilt (Urteil vom 11. März 1976). Auf die Berufung hat das Landessozialgericht (LSG) das angefochtene Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen (Urteil vom 15. Februar 1977). Es hat sich - anknüpfend an das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 17. Dezember 1975 - 7 RAr 17/75 - (SozR 4100 § 141b Nr 1) - der Auffassung der Beklagten angeschlossen. Weiter hat es ausgeführt: Spätere Insolvenztatbestände seien nur dann zu beachten, wenn sich die wirtschaftlichen Verhältnisse des Arbeitgebers nach der Ablehnung der Eröffnung des Konkursverfahrens mangels Masse so gebessert hätten, daß der spätere Konkurs als Folge eines erneuten Vermögensverfalls angesehen werden müsse. Dies sei aber hier nicht so. Zwischen dem 10. Mai 1974 und dem 30. August 1974 liege kein Ereignis, das die wirtschaftlichen Verhältnisse wesentlich verändert habe. Dies komme auch darin zum Ausdruck, daß der Konkursverwalter nach Eröffnung des Konkurses die Auffassung vertreten habe, daß Zahlungsunfähigkeit seit Ende März 1974 vorgelegen habe. Ferner folge die fortdauernde Zahlungsunfähigkeit daraus, daß die Inhaber des Arbeitgeber-Unternehmens schon bei dem ersten Konkursantrag vom März 1974 angegeben hätten, daß liquide Masse zur Bezahlung von ausstehenden Forderungen nicht vorhanden sei. Im zweiten Antrag auf Konkurseröffnung sei außerdem auf die "gerichtsbekannte" Zahlungsunfähigkeit hingewiesen worden. In diesem Zusammenhang sei unerheblich, daß als Konkursgrund im ersten Antrag Überschuldung, im zweiten Antrag Zahlungsunfähigkeit angegeben worden sei. Im Rahmen des Gesetzes über das Kaug komme es nicht auf den Konkursgrund im Sinne der Konkursordnung, sondern nur darauf an, ob die in der Ablehnung der Konkurseröffnung mangels Masse sichtbar gewordene Zahlungsunfähigkeit bei der späteren Eröffnung des Konkurses noch angedauert habe. Es handele sich mithin bei dem Konkurs der L. nicht um ein Insolvenzereignis, das erstmalig nach dem 20. Juli 1974 eingetreten sei.

Mit der Revision rügt der Kläger unzureichende Sachaufklärung des LSG. Er ist der Auffassung, das Auftauchen der Forderungen gegen die I. hätte Veranlassung geben müssen, vom Amts wegen durch Vernehmung des Konkursverwalters zu klären, in welchem Umfang diese Ansprüche realisiert werden konnten und ob diese Ansprüche bereits in diesem Umfang bei dem ersten Konkursantrag bekannt waren. Materiell habe sich das LSG damit auseinandersetzen müssen, daß durch das Auftauchen dieser Forderung ein völlig neuer Tatbestand entstanden sei, der die Konkurseröffnung erst rechtfertige. Im übrigen weist die Revision darauf hin, daß der erste Konkursantrag auf Überschuldung, der zweite auf Zahlungsunfähigkeit gestützt war.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des LSG aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG zurückzuweisen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Beide Beteiligten haben sich damit einverstanden erklärt, daß der Rechtsstreit durch Urteil ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -) entschieden wird.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers ist nicht begründet.

Das LSG hat sich zu Recht auf das Urteil des BSG vom 17. Dezember 1975 - 7 RAr 17/75 - (SozR 4100 § 141b Nr 1) gestützt. Der 12. Senat schließt sich dieser Rechtsprechung des 7. Senats an. Demzufolge kann Kaug nur für solche Insolvenzfälle gewährt werden, bei denen die Insolvenz erstmalig nach dem 19. Juli 1974, also ab 20. Juli 1974 aufgetreten ist. Wenn - wie im vorliegenden Fall -, bereits vor dem 20. Juli 1974 die Eröffnung des Konkursverfahrens mangels Masse abgelehnt und nach dem 20. Juli 1974 der Konkurs eröffnet worden ist, dann kann die Konkurseröffnung der für die Gewährung von Kaug maßgebliche Tatbestand nur sein, wenn sich die wirtschaftlichen Verhältnisse des Unternehmens seit dem ersten Konkursantrag so verbessert hatten, daß die damals vorliegende Insolvenz beseitigt war und erst durch spätere Ereignisse die Konkurseröffnung wieder möglich wurde.

Demgegenüber vermögen die Darlegungen des Klägers, daß es sich im ersten Fall um einen Konkursantrag wegen Überschuldung, im zweiten Fall um einen solchen Antrag wegen Zahlungsunfähigkeit gehandelt habe, nicht durchzugreifen. Richtig hieran ist, daß § 63 des Gesetzes betr die Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbHG) neben dem generellen Konkursgrund der Zahlungsunfähigkeit (§ 102 der Konkursordnung - KO -) auch den Fall der Überschuldung als Konkursgrund aufführt. Es handelt sich hierbei um zwei verschiedene Konkurstatbestände. Der Konkursgrund der Überschuldung liegt vor, wenn die Passiven die Aktiven überwiegen (Böhle/Stamschräder, KO, § 102 Anm 2). Zahlungsunfähigkeit liegt vor, wenn der Schuldner aus Mangel an Zahlungsmitteln dauernd außerstande ist, seine sofort zu erfüllenden Geldschulden noch im wesentlichen zu berichtigen (Böhle/Stamschräder aaO). Diese unterschiedlichen Voraussetzungen lassen es denkbar erscheinen, daß bei einem ersten Konkursantrag allein der eine Konkursgrund, bei einem zweiten Konkursantrag aber der andere Konkursgrund vorlag. Ein solcher Fall war aber nach den Feststellungen des LSG hier nicht gegeben. Die Gesellschafter der L. haben mit ihrer Begründung zu ihrem (ersten) Konkursantrag deutlich gemacht, daß außer der von ihnen angenommenen Überschuldung auch damals schon Zahlungsunfähigkeit vorlag. Die bei dem zweiten Konkursantrag erwähnte Forderung gegen die I. konnte, sofern hierdurch den Gesellschaftern nicht liquide Mittel zuflossen, allenfalls die Überschuldung beseitigen, nicht aber die Zahlungsunfähigkeit.

Die Revision meint nun allerdings, das LSG habe Ermittlungen anstellen müssen, ob diese Forderung nicht auch die Zahlungsfähigkeit der Gesellschaft verändert habe. In der Unterlassung dieser Ermittlungen sieht die Revision eine Verletzung des § 103 SGG. Diese Rüge kann jedoch keinen Erfolg haben, weil sie nicht den nach § 164 SGG zu stellenden Anforderungen entspricht. Bei einer Ermittlungsrüge, die sich auf § 103 SGG stützt, ist es erforderlich darzulegen, welche besonderen Umstände für das LSG auf der Grundlage seiner Rechtsauffassung Veranlassung geben mußten, weitere Ermittlungen anzustellen, welche Ermittlungen es hätte anstellen sollen und zu welchen Ergebnissen diese Ermittlungen geführt hätten (vgl BSG, Beschluß vom 26. September 1957 - 4 RJ 214/56 - SozR Nr 28 zu § 164 SGG st Rspr). Der Kläger hätte also darlegen müssen, wieso die Erwähnung dieser möglicherweise bisher unbekannten Forderung im zweiten Konkursantrag entgegen allen anderen Hinweisen nunmehr darauf hindeutete, daß zwischen dem ersten und dem zweiten Konkursantrag die Zahlungsfähigkeit wiederhergestellt war, in welcher Weise das LSG dies hätte feststellen können und wieso die Annahme gerechtfertigt ist, daß auch tatsächlich eine solche Verbesserung der Zahlungsfähigkeit eingetreten ist. Der bloße Hinweis, daß dies der Fall gewesen sein könnte, reicht - vor allem angesichts der dagegen sprechenden, vom LSG zusammengetragenen Merkmale - nicht aus.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1654207

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge